Wie war er denn so, der Kirchentag? - In zwei Worten ausgedrückt: anstrengend - und teuer. Stuttgart ist - und das sage ich als jemand, der seit über 18 Jahren in Berlin lebt - eine erstaunlich hässliche Stadt. Fairerweise muss ich einräumen, dass man das vielleicht besonders stark so empfindet, wenn diese Stadt total überfüllt mit Menschen ist und es außerdem unerträglich heiß ist. Angesichts der Menschenmassen fiel mir übrigens auf, wie wenig diese Stadt anscheinend um die Sicherheit ihrer Einwohner und/oder Besucher besorgt ist. Hier gibt es lebensgefährliche Bahnsteige, die anderswo verboten wären, und an zahlreichen Fußgängerüberwegen über Bahngleise gibt es keine Ampeln, sondern nur Schilder mit dem Hinweis "Bahnen haben Vorrang".
Am lästigsten war aber doch die Hitze in Verbindung mit der Überfüllung. Der Schweiß rann in Strömen, die Kleidung dampfte; es gab kaum einen Ort, an dem einem nicht heiß war. Und übrigens auch keinen Ort, an dem man zwischendurch mal seine Ruhe haben konnte - obwohl einige Kirchen sogar so genannte "Räume der Stille" eingerichtet hatten.
Am Samstagabend hörte ich, in den Zelthallen auf dem Cannstatter Wasen sei es im Laufe des Tages bis zu 50° Celsius heiß geworden, und die Feuerwehr haben die Zelte von außen mit Wasser kühlen müssen. Glücklicherweise war ich dort gar nicht - auch wenn das hieß, das ich mir den Markt der Möglichkeiten mit seinen vielen Angeboten zu Gender Mainstreaming, Fair Trade und den Schutz des Regenwaldes entgehen lassen musste (und darum geht es ja eigentlich beim Kirchentag... oder?). Im Grunde glaube ich, es war nicht nur der Temperaturen wegen gut für meinen Kreislauf, dass ich da nicht hingegangen bin. In der Stuttgarter Fußgängerzone, besonders rund um den Schlossplatz, gab es aber auch genug zu entdecken. Zum Beispiel allerlei "Trittbrettfahrer", die von dem großen Zulauf, den der Kirchentag hatte, profitieren wollten. Dazu gehörten allerlei Straßenmusiker, Breakdancer (toll - ich dachte, die wären schon längst ausgestorben!), aber auch Infostände von Sektierern verschiedenster Couleur, von den Zeugen Jehovas über das Missionswerk Historischer Adventisten bis hin zu, jawohl, Scientology. Im Vorübergehen drückte mir jemand ein leuchtend gelbes Büchlein mit dem Titel "Das 'damit wir klug werden'-Buch - 33 Argumente für Gott" in die Hand. Ersten Lektüreeindrücken zufolge kommt das wohl aus der evangelikalen Ecke; jedenfalls vertritt es, wenngleich der Titel (sicher in gezielter Absicht) das diesjährige Kirchentagsmotto aufgreift, ein erheblich "fundamentalistischeres" Christentumsverständnis, als man es dem Mainstream der EKD und mithin auch dem Mainstream dieses Kirchentages zutrauen würde. Und das war mir im direkten Vergleich sogar erheblich sympathischer.
Und auch die Politik war überall. - "Lesezeichen" in einer Bibel im "Raum der Stille" im "Haus der Katholischen Kirche" neben der Domkirche St. Eberhard. |
Was die Kosten anging, lernte ich gleich am Eingang der ersten Kirchentagsveranstaltung, die ich besuchen wollte, eine wichtige Lektion: Versuche niemals, in eine Veranstaltung 'reinzukommen, ohne eine Karte zu haben. Und zwar nicht für diese eine konkrete Veranstaltung, sondern für das Gesamtprogramm. Nun gut, vielleicht hätte es geklappt, wenn ich auf die Frage einer der Helferinnen, ob ich "Künstler" sei (sie meinte: ob ich bei dieser Veranstaltung auftrete), nicht eine Sekunde zu lange mit der Antwort gezögert hätte. - Ein anderer Helfer schlug den Kompromiss vor, mir angesichts der vorgerückten Uhrzeit eine "Abendkarte" zu verkaufen, aber der Kassierer beharrte, die sei erst ab 16 Uhr gültig, und es sei schließlich erst 14:30 Uhr. Schließlich bekam ich gnädigerweise eine ermäßigte Tageskarte. Für 18 Euro. "Ich hatte nicht gedacht, dass das hier eine kommerzielle Veranstaltung ist", murrte ich.
Ist es aber natürlich doch: Auch sonst kostete auf diesem Kirchentag absolut alles Geld - bis auf Leitungswasser, das gab's umsonst, wenn man denn drankam. Irgendwie hatte ich mir das anders vorgestellt - fünf Brote und zwei Fische, und alle werden satt, oder so.
"Gute Nacht Café" an der Steigkirche. Ich wollte schon fragen, was genau das Lutherische an dieser Wurst ist, habe es mir dann aber doch verkniffen: Gegessen hätte ich sie ja so oder so nicht. |
Ich weiß schon, die Organisation so eines Riesenfestivals verursacht natürlich Kosten, und die müssen ja auch irgendwie wieder 'reinkommen. Man könnte an dieser Stelle darauf zu sprechen kommen, dass der Kirchentag ja aus öffentlichen Mitteln bezuschusst wird, aber dagegen zu protestieren, überlassen ich lieber den Piraten.
Screenshot von Twitter - persönlich bin ich den Piraten auf dem Kirchentag nicht begegnet. |
Im Grunde fand ich es allerdings albern, dass die Piraten gegen den Kirchentag demonstrierten. Da ist wohl ihre habituelle Religionsfeindlichkeit mit ihnen durchgegangen. Hätten sie genauer hingeschaut, wären sie vielleicht darauf gekommen, dass sie den Kirchentag viel eher hätten unterstützen sollen, denn im Grunde fördert er genau das, was die Piraten immer fordern: die Privatisierung von Religion. Will sagen, ein verinnerlichtes, individualisiertes, auf persönliche Bedürfnisse zugeschnittenes, im Wesentlichen emotionales Glaubensverständnis. Dass dies gleichwohl in einem öffentlichen Massenevent abfeiern, ist so widersprüchlich nicht, wie es zunächst scheinen mag - das tun andere individualistische Weltanschauungen ja auch, man denke nur an die Love Parade. -- Und was die Berührungsflächen von Ethik und Politik betrifft, da ist der Kirchentag eigentlich total auf Piratenlinie: Ehe für alle, Gender Mainstreaming für alle, Unisex-Toiletten für alle. (Leider kein Foto von den letzteren, mein Akku war gerade alle.)
Okay, die Piraten haben ausdrücklich nur gegen die Finanzierung des Kirchentags aus teilweise öffentlichen Mitteln protestiert. Aber das ist schon ein bisschen kleinkariert, um nicht zu sagen kurzsichtig. Schließlich profitieren Stadt und Land auch davon, dass der Kirchentag ausgerechnet bei ihnen stattfindet. Das Event spülte weit über hunderttausend Leute in die Stadt, und die musste alle irgendwas essen, irgendwo übernachten und in der Zeit, in der sie keine Kirchentagsveranstaltungen besuchten, irgendwo hingehen - sprich: Geld in der Stadt lassen. Die örtlichen Geschäftsleute waren sich dessen sehr bewusst und stellten sich darauf ein. Auch preislich: Alles war unglaublich teuer.
Nette Marketingidee, aber ob "Das Brot zum Brechen" wirklich so ein guter Claim ist? |
Ich bin mir somit ziemlich sicher, dass sich der Kirchentag für Stuttgart gelohnt hat - wenn auch nicht für alle Stuttgarter. Am Samstagabend hielt mir unweit der Domkirche St. Eberhard ein Bettler seinen Pappbecher unter die Nase, und als ich etwas Kleingeld hinein warf, teilte er mir mit:
"Das Geschäft läuft lausig heute."
"Ach, wirklich?", erwiderte ich mit Blick auf die zahllosen Menschen, die die Fußgängerzone auf und ab strömten.
"Ganz lausig", bekräftigte er. "An jedem normalen Samstag ist es zehnmal mehr."
"Das finde ich aber erschreckend", merkte ich an; der Bettler zuckte die Achseln. "Christen sind halt geizig."
- Ich reagierte mit einem Lächeln, das wohl eine Spur zu zweideutig ausfiel, denn der Bettler hakte nach: "Bist du auch Christ?"
"Ja", erwiderte ich und lächelte noch mehr. "Aber kein Evangele."
Der Bettler zuckte erneut die Achseln. "Ich bin Buddhist."
Das hat jetzt zwar keine Pointe, aber dafür ist es wahr. Mehr von meinem Erlebnissen beim Martin Luther Grave Rotation Event gibt's, wenn ich wieder zurück in Berlin bin...
Was mir beim Folgen der Links und anschließendem Googeln auffiel:
AntwortenLöschenDie Lazarus-Legion mit ihrem Kampf gegen Aids - die zu den vielen Angeboten gehört - kennt offensichtlich das Wort "Safer Sex", nicht aber die Worte "Treue" und "Abstinenz".
Ein Schmunzeln hat's hervorgebracht ;-)
AntwortenLöschen"- und das sage ich als jemand, der seit über 18 Jahren in Berlin lebt -"
AntwortenLöschenKatholik erzählt - Ostberlin lacht!
Ganz "ruiniert" freut sich der Mob schon jetzt auf deinen RTL2-Action-Bericht über den "Arschmadenmarsch"-für das Leben 2015.