Freitag, 1. März 2013

Das schlechte Gedächtnis der Verschwörungstheoretiker

Am Abend jenes Tages, an dem Papst Benedikt XVI. seinen Amtsverzicht angekündigt hatte, schlug in die Kuppel des Petersdoms ein Blitz ein. - Nun gut: Es war halt Gewitter, und die Petersdomkuppel hat einen Blitzableiter. Der ist dafür da, dass Blitze in ihn einschlagen. Aber eine derart lapidare Erklärung für dieses eindrucksvolle Phänomen ist nun mal nicht nach Jedermanns Geschmack.

Dass zum zweiten Mal in der Kirchengeschichte, zum ersten Mal seit gut 728 Jahren ein Papst aus eigenem Entschluss auf sein Amt verzichtete, das schien für manch einen Beobachter gleichbedeutend damit zu sein, dass die Welt aus den Fugen ist, und zwar gründlich. An Zeichen apokalyptischen Ausmaßes, die diese Wahrnehmung zu stützen schienen, fehlte es nicht. Fromme Katholikinnen hatten beim Beten des Schmerzensreichen Rosenkranzes Visionen, in denen der gegeißelte Jesus erklärt: "Ihr habt genug auf mich eingeschlagen. Ich bin nicht Gottes Sohn." Über Russland ging ein Meteoritenregen nieder, auch in Saudi-Arabien und Florida wurden Meteoriten gesichtet. In Fertiglasagne wurde Pferdefleisch nachgewiesen, auch dies vermutlich ein Hinweis auf die Endzeit, wenn man in den einschlägigen Prophezeiungen nur lange genug sucht. ("Und ich sah, und siehe, einen Reiter auf einem halben Pferd; denn die andere Hälfte war zu Hackfleisch verarbeitet worden." - Sie wissen schon: der fünfte apokalyptische Reiter. Der, der aus der Band ausstieg, bevor sie richtig berühmt wurde.) - Eine angebliche Prophetin ließ die Warnung verbreiten, der Nachfolger Benedikts XVI. auf dem Stuhl Petri werde der "falsche Prophet" der Apokalypse sein, der mit dem Antichrist im Bunde stehe (was so neu freilich nicht ist, denn gewisse Kreise haben Ähnliches schon über jeden Papst seit Johannes XXIII. behauptet). Und vergessen wir nicht die Prophezeiungen des Hl. Malachias von Armagh! Müsste nicht, wenn wir richtig gezählt haben, diesen Weissagungen zufolge der nächste Papst der letzte sein? Jener Petrus Romanus, von dem es heißt, zu seiner Zeit werde es entsetzliche Verfolgungen geben, schließlich werde "die Siebenhügelstadt zerstört" und der "furchterregende Richter" werde "sein Volk richten" - und dann folgt in der Wessagung nur noch das Wort FINIS, "Ende"?

Ist es jetzt wirklich soweit? Haben wir uns bei der Umrechnung des Maya-Kalenders auf unsere Zeitrechnung lediglich um ein paar Monate vertan? (Denn die Maya selber, dass das mal klar ist, haben sich nicht geirrt!) - Aber nun regen wir uns mal schnell wieder ab: Den Glauben daran, dass der Weltuntergang unmittelbar bevorstehe, hat es immer gegeben, ebenso wie spektakuläre Blitzeinschläge in symbolträchtige Bauwerke, Meteoriteneinschläge und Pferdefleisch in Lebensmitteln. (Das erinnert mich an ein Gespräch, das ich vor vielen Jahren mit einigen jungen Evangelikalen hatte. Eine von ihnen war überzeugt, die Endzeit sei bereits angebrochen, und begründete dies mit der Voraussage Jesu, in den letzten Tagen werde es "wieder sein wie in den Tagen Noahs". Mein Schwager, damals Theologiestudent, wies jedoch darauf hin, dass das Wort "wieder" in der Prophezeiung gar nicht vorkomme; korrekt laute das Zitat "[W]ie es in den Tagen des Noach war, so wird es bei der Ankunft des Menschensohnes sein" [Mt 24,37, vgl. Lk. 17,26], und das impliziere nicht, dass es in der ganzen Zeit dazwischen anders wäre.)
Und wer sich nicht so sehr um das Schicksal der ganzen Welt als vielmehr um jenes der Katholischen Kirche sorgt, der ist gut beraten, sich die Verheißung Jesu an Petrus in Erinnerung zu rufen: "Ich aber sage dir: Du bist Petrus und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen und die Mächte der Unterwelt [andere Übersetzung: "die Pforten der Hölle"] werden sie nicht überwältigen" (Mt 16, 18).

Nun gibt es aber natürlich auch Jene, die dieser Verheißung so wenig trauen, dass sie bereit sind zu glauben, im Vatikan sei schon lange der Teufel los. Meist meinen sie es allerdings gar nicht so metaphysisch, sondern sehen im Vatikan nichts anderes als einen Machtapparat, innerhalb dessen, ebenso wie überall sonst auch (nur schlimmer), nichts anderes regiert als Kriminalität, Sex-, Geld- und Machtgier. Wer etwa bis heute überzeugt ist, dass Papst Johannes Paul I. 1978 ermordet wurde (etwa, weil er vorgehabt hätte, die kriminellen Verstrickungen der Vatikanbank IOR aufzudecken), der wird auch zum Amtsverzicht Benedikts XVI. so seine eigenen Theorien haben. Auf einige davon hat Kollege Cicero unlängst bereits hingewiesen. Wenn die Lust an Verschwörungstheorien derart abstruse Blüten treibt, dann finde ich es allerdings umso erstaunlicher, dass ein spezieller Umstand, der an sich Stoff für mehr als einen Bestseller böte, in diesen Spekulationen bisher überhaupt keine Rolle spielt (oder ich habe dank meines "Medienfastens" einfach noch nichts davon mitbekommen).

Im Zuge der VatiLeaks-Enthüllungen des letzten Frühjahrs ging der Inhalt eines obskuren Dossiers durch die Medien, in dem es unter Berufung auf "chinesische Gesprächspartner eines sizilianischen Kardinals" hieß, binnen eines Jahres werde Benedikt XVI. nicht mehr im Amt sein, und sein Nachfolger werde Angelo Cardinal Scola werden. Da die Möglichkeit eines Amtsverzichts damals offenbar von niemandem ernsthaft erwogen wurde, las man die Andeutung eines Mordkomplotts aus diesen Äußerungen heraus, und es herrschte weitgehende Einigkeit, dass es sich bei diesem Dokument aus so obskurer Quelle um blanken Unsinn handle. - Ehe hier ein falscher Eindruck entsteht, möchte ich betonen, dass ich (sicherlich nicht als Einziger) der Überzeugung bin, dass die ganze VatiLeaks-Affäre zum größten Teil aus heißer Luft besteht bzw. bestand und im Wesentlichen durch das Zusammenwirken der Eitelkeit und Geltungssucht einiger Weniger und der ewig regen Sensationslust Vieler verursacht wurde; und insbesondere würde ich es für äußerst unredlich halten, dem Amtsverzicht Benedikts XVI. andere Motive zu unterstellen als die, die er selbst genannt hat. Wenn ich also darauf hinweise, dass jenes sonderbare Dokument in einem Punkt schon mal Recht behalten hat - es ist noch kein Jahr vergangen, und Benedikt XVI. ist nicht mehr im Amt -, will ich damit nicht etwa insinuieren, an der ganzen Sache könne doch was dran sein, sondern lediglich mein Erstaunen darüber zum Ausdruck bringen, dass die nimmermüden Verschwörungstheoretiker diese Steilvorlage ungenutzt lassen.

Nun frage ich mich gerade selbstkritisch, warum ich diese Räuberpistole partout wieder ans Tageslicht zerren muss, wenn sie doch offenkundig von der Öffentlichkeit vergessen wurde. Aber ich kann mir schwer vorstellen, dass sie nicht auch ohne mein Zutun früher oder später wieder auftauchen würde, mindestens dann, wenn Kardinal Scola tatsächlich als neuer Papst aus dem bevorstehenden Konklave hervorgehen sollte. Und darauf möchte ich dann doch lieber seelisch vorbereitet sein. (Andererseits wurde Kardinal Scola ja schon 2005 als papabile gehandelt, und gilt da nicht wie bei Boxweltmeistern die Regel "they never come back"? Oder habe ich da was verwechselt?) - Sicherlich gilt auch hier, was der damalige Joseph Ratzinger in seiner Einführung in das Christentum (1968) schrieb: "Der Glaubende wie der Ungläubige haben, jeder auf seine Weise, am Zweifel und am Glauben Anteil". Aber ich habe mir ja nicht ohne Grund bis Ostern Medienfasten verordnet: Damit der Glaube gegenüber dem Zweifel die Oberhand behält, gilt es, weniger auf Verschwörungstheorien zu achten und dafür umso mehr zu beten - und, wenn gar nichts anderes mehr hilft, sich auf den Satz Paul Claudels zu besinnen, demzufolge "Gott auch auf krummen Zeilen gerade schreiben kann"...

(Um diesen Beitrag nun aber einigermaßen heiter abzuschließen und obendrein einen Bogen zurück zum Anfang zu schlagen, möchte ich noch erwähnen, dass ich kürzlich meine eigene Theorie über Petrus Romanus ausgeheckt habe: Womöglich hat der Hl. Malachias - wenn die betreffenden Weissagungen überhaupt von ihm stammen, was allgemein eher bezweifelt wird - sich bei der Auslegung seiner Visionen einfach vertan und den Bischof von Rom mit dem Regierungschef von Rumänien verwechselt; letzteres Amt hatte nämlich von 1989-1991 ein gewisser Petre Roman inne, der dann durch gewalttätige Proteste von Bergarbeitern aus dem Amt gejagt wurde...)


5 Kommentare:

  1. Der Blitz ist, wie mir gerade offenbart wurde, keinesfalls einfach bloß ein ganz normaler Blitz. Sondern es war so: Petrus fand, man kann den Amtsverzicht seines Nachfolgers nicht so unkommentiert stehen lassen und beantragte beim Heiligen Geist die Erlaubnis zu einem Blitzwurf in die Hauptkirche. Dieser wurde gewährt, aber der Heilige Geist soll gesagt haben: "Fein! Ich kümmer mich derweil um die passende Verschwörungstheorie!"

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  2. Also die Sache ist doch ganz einfach.
    Der Mayakalender hat Recht, nur eine ziemliche Verspätung. Ich habe auf diesen Missstand seinerzeit hingewiesen.
    http://www.freiburgbaerin.eu/skandal-geheimabkommen-der-deutschen-bundesbahn/

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  3. Da fällt mir nur noch ein
    ... und hätte die Liebe doch

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