Mittwoch, 27. Februar 2013

Real-Life-Trolle? Fehlanzeige!

Am Abend nach der Rücktrittsankündigung Papst Benedikts XVI. befiel mich noch zu vorgerückter Stunde das Gefühl, ich müsse noch ein wenig unter Menschen gehen und das eine oder andere Bier könne mir auch nicht schaden. Ich suchte also ein Lokal in Kreuzberg auf, in dem eine liebe Freundin von mir (ich erwähnte sie schon an anderer Stelle) montags am Tresen arbeitet. In einer betriebsarmen Phase des Abends setzte sie sich für ein paar Minuten zu mir. "Wie geht's dir, Tobi?"

"Ach", seufzte ich, "ich bin heute ein bisschen geknickt."

"Wie kommt's?"

Kati ist nicht religiös. "Lach mich bitte nicht aus", sagte ich.

Sie sah mich ernst an. "Wegen dieser Papst-Sache? Wirklich?"

Ich bejahte das, und Kati fragte: "Aber ist das denn wirklich so schlimm? Ihr kriegt doch einen neuen!"

Darüber musste ich dann doch fast schon lächeln. "Das stimmt", erklärte ich, "und ich bin ja auch optimistisch, dass 'der Neue' total super wird. Aber traurig bin ich trotzdem. Weil dieser Papst mir sehr viel bedeutet hat."

"Ich hab' zwar persönlich überhaupt keinen Bezug zu dem Thema", erwiderte Kati, "aber natürlich tut mir das leid für dich."

Wir sprachen dann über andere Dinge, und bald darauf musste Kati wieder arbeiten. Als ich mich schließlich zum Gehen wandte, umarmte sie mich und sagte: "Trauer' nicht zu sehr."


Dieses natürliche Fein- und Taktgefühl würde ich gewiss nicht von jedem erwarten. Aber die folgenden Tage hielten noch einige positive Überraschungen für mich bereit.

Am Abend des ersten Fastensonntags saß ich beim "Sonntags-wird-nicht-gefastet"-Bier in einem anderen meiner Stammlokale und unterhielt mich mit zwei anderen Stammgästen, beides Atheisten buw. "religionslos". Als einer der beiden eine scherzhafte Bemerkung à la "Worauf soll man sich in dieser Welt noch verlassen, wenn der Papst zurücktritt?" fallen ließ, konnte ich mich - trotz meines Vorsatzes, mich für die Dauer der Fastenzeit nicht auf Troll-Diskussionen einzulassen - nicht zurückhalten, darauf einzusteigen. Das Ergebnis war verblüffend. Aus der so nebenbei hingeworfenen Bemerkung entwickelte sich eine längere und durchweg ernsthafte Diskussion darüber, wie der Amtsverzicht Benedikts XVI. zu bewerten sei, über das bevorstehende Konklave sowie darüber, was vom nächsten Papst zu erwarten sein mag - wobei meine beiden Gesprächspartner weit mehr Sachkenntnis und Realitätssinn an den Tag legten als so manche Vertreter des "Reformkatholizismus", die sich in den letzten Wochen öffentlich zu diesen Fragen geäußert haben. Im weiteren Verlauf berührte unsere Diskussion dann auch andere Themen wie Kirchensteuer, Beichtgeheimnis und, vielleicht unvermeidlicherweise, sexuellen Missbrauch; aber bei allen Meinungsverschiedenheiten und Auffassungsunterschieden (die übrigens in einigen Einzelfragen gar nicht so groß waren, wie man hätte annehmen können) verlief das Gespräch durchweg sachlich, respektvoll und frei von Polemik.

Warum - so fragte ich mich schon während der Diskussion - ist dergleichen in öffentlichen Debatten so selten möglich? Nun, sicherlich macht es einen entscheidenden Unterschied, wenn man seinen Gesprächspartner persönlich kennt und schätzt: Der Respekt vor der Person des Anderen schließt einen gewissen Respekt vor dessen Überzeugungen ein. Sicherlich ist es kein Zufall, dass gerade in Online-Diskussionen gern alle Hemmungen fallen, wo man erstens seine Kontrahenten nicht einmal sieht und zweitens in der Regel seinen wirklichen Namen nicht preisgeben muss. Max Goldt schrieb einmal sinngemäß, ebenso wie Vegetarier nichts essen, was ein Gesicht hat, solle man als einigermaßen gebildeter Mensch nichts beleidigen, was ein Gesicht hat. Im Kommentarbereich von Online-Medien hat man aber kein Gesicht; da fallen Beleidigungen offenkundig leichter.

Dass zu meinem Freundes- und Bekanntenkreis zwar nicht gerade wenige Personen zählen, die mit Religion im Allgemeinen oder der Katholischen Kirche im Speziellen wenig bis nichts "am Hut haben", dass darunter aber kaum ausgesprochene "Kampfatheisten" sind, hat sich in den letzten Tagen noch verschiedentlich bemerkbar gemacht. Am Nachmittag des Rosenmontags hatte ich auf Twitter und Facebook gepostet:
"Geschätzte Freunde, bitte nehmt zur Kenntnis, dass ich heute keinerlei Papstwitze hören oder lesen möchte. Wirklich nicht."
Nun weiß ich zwar nicht, wie vielen der gut 200 Personen, mit denen ich auf Twitter und/oder Facebook 'connected' bin, der Sinn danach gestanden hätte, mich mit Papstwitzen zu bombardieren - einige sind da ausgesprochen unverdächtig, bei anderen hätte ich da eher Bedenken gehabt -, aber alle, wirklich alle befolgten meine Bitte. Ich war beinahe gerührt.

Zwei weitere recht bemerkenswerte Erlebnisse hatte ich jüngst ausgerechnet im Zusammenhang mit meiner Nebentätigkeit als DJ. Am Dienstag der ersten Fastenwoche hatte ich gewissermaßen ein Gastspiel in einem "alternativen" (allerdings vergleichsweise undogmatischen) Lokal in Friedrichshain. Ich hatte mich kaum an meine Arbeit gemacht, da brachte mir der Barkeeper - ein guter Freund und ambitionierter Cocktailmixer - unaufgefordert ein nach Melonen duftendes Mixgetränk vorbei. Es behagte mir zwar nicht ganz, die freundliche Geste zurückzuweisen, aber ich wies dennoch darauf hin, dass ich in der Fastenzeit keinen Schnaps trinke. "Ach so", erwiderte Freund Phips ohne weitere Umstände, "dann nicht" - und nahm das Glas wieder mit, vermutlich, um es selbst auszutrinken. Als ich mich einige Zeit später mal an der Theke sehen ließ, empfing mich Phips mit den Worten: "Auf dich hab' ich gewartet! Ich mach' dir jetzt 'n Fastencocktail. - Es wird fast'n Cocktail", fügte er grinsend hinzu. "Und du glaubst gar nicht, wie lange ich an dem Wortspiel gearbeitet habe." Dann befragte er mich, was meinem persönlichen Fastenprogramm zufolge alles nicht in den Drink hineindürfe, und hatte offenkundig Spaß an der Herausforderung, aus den verbleibenden Optionen (kein hochprozentiger Alkohol, kein Sirup, keine Cola) etwas Leckeres zu kredenzen. Während ich mir den Drink schmecken ließ, stellte Phips mir Fragen zum katholischen Verständnis des Fastens. "Ich hab' das immer so verstanden", sagte er, "dass es darum geht, bewusst auf bestimmte Dinge zu verzichten, aber ohne sich durch den Verzicht total zu quälen." Das konnte ich bestätigen.

Am Samstag war ich dann wieder in meiner regelmäßigen DJ-"Residenz". Als ich meinen Arbeitsplatz einrichtete, traute ich meinen Augen kaum: Unter dem Tuch, das außerhalb der DJ-Arbeitszeiten über die Plattenspieler gebreitet wird, fand ich einen prachtvollen, voluminösen Bildband vor -- "Päpste seit Anbeginn der Fotografie".

Ein Geschenk der Chefin.

2 Kommentare:

  1. Wow! Sehr liebenswertes Umfeld. :-)

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  2. Wirklich beeindruckend!

    „Sicherlich ist es kein Zufall, dass gerade in Online-Diskussionen gern alle Hemmungen fallen, wo man erstens seine Kontrahenten nicht einmal sieht und zweitens in der Regel seinen wirklichen Namen nicht preisgeben muss.“ Ja, das denke ich auch! Hinzu kommt die persönliche Wertschätzung, die ja Gräben überwinden hilft, die aber nur im ebenso persönlichen Kontakt entstehen und zum Ausdruck gebracht werden kann.

    Ansonsten ist der Text wieder eine Fundgrube: Max Goldt, „fast'n Cocktail“(!). Und das „Sonntags-wird-nicht-gefastet“-Bier wird nächstes Jahr eingeführt!

    LG, Josef

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