Samstag, 6. Oktober 2012

Ich bin ein Sünder - Holt mich hier raus!

Vor wenigen Tagen, am 1. Oktober 2012, verstarb der beliebte Schauspieler, TV-Moderator und Komiker Dirk Bach völlig unerwartet im Alter von nur 51 Jahren in Berlin. Kollegen und Weggefährten äußerten sich bestürzt und betroffen, und viele Menschen, denen Bach mit seiner Arbeit in Film und Fernsehen und auf der Bühne Freude bereitet hat, gaben ihrer Trauer über den Tod des Entertainers in den einschlägigen sozialen Netzwerken Ausdruck. In die allgemeine Trauer mischten sich allerdings auch einige Misstöne - etwa grobe Witzeleien über Bachs Korpulenz und seine Homosexualität oder abfällige Bemerkungen über seine Rolle als Moderator des unsäglichen RTL-"Dschungelcamps". Zu Recht wurde Kritik an solchen pietätlosen Äußerungen laut; dann aber erschien auf der Internetseite kreuz.net ein Nachruf auf Dirk Bach, der eine ganz neue Dimension von Pietätlosigkeit eröffnete.

"Jetzt brennt er in der ewigen Homo-Hölle", frohlockte die Überschrift; Dirk Bach wurde als "homosexueller Sittenverderber" geschmäht, den "seine Unzucht [...] so früh ins Grab gebracht" habe; es wurde behauptet, dass "Homo-Perverse [...] im Vergleich zur sexuell gesunden Bevölkerung eine um zwanzig Jahre geringere Lebenserwartung" hätten, und unterstellt, "[p]raktisch alle Homos" nähmen Drogen, und abschließend wurde orakelt, Bachs plötzlicher Tod sei womöglich durch die Wechselwirkung zwischen "Poppers" und blutdrucksenkenden Medikamenten verursacht worden.

Nun ist die Seite kreuz.net hinlänglich bekannt für ihr allgemein rüdes Vokabular sowie insbesondere für hemmungslose antisemitische, antiislamische und homosexuellenfeindliche Pöbeleien, sodass man womöglich besser gar kein weiteres Wort darüber verlieren sollte; allerdings haben die Macher der Seite sich mit diesem Artikel in puncto Menschenverachtung und Widerwärtigkeit geradezu selbst übertroffen, und man muss zudem davon ausgehen, dass sie damit so große Aufmerksamkeit über ihre übliche Leserschaft hinaus erregt haben wie nur selten, wenn überhaupt je - innerhalb weniger Stunden wurde der Artikel zahllose Male auf Facebook und Twitter verlinkt, in der Regel begleitet von berechtigtermaßen empörten Kommentaren.

Zu den ärgerlichen Aspekten der Aufmerksamkeit, die kreuz.net auf diesem Wege zuteil wurde, gehört es, dass die Seite ihre Inhalte in der Unterzeile ihres Logos als "katholische Nachrichten" bezeichnet. Zwar haben die deutsche und die österreichische Bischofskonferenz, Radio Vatikan und andere kirchliche Stellen sich wiederholt in aller Schärfe von kreuz.net distanziert und werden nicht müde zu betonen, dass die Seite nicht von der Römisch-Katholischen Kirche betrieben wird und dass ihre Positionen nicht die der Kirche sind; dennoch besteht die Gefahr, dass Leser, die es nicht besser wissen, die Bezeichnung "katholische Nachrichten" für bare Münze nehmen. Und auch solche Internetnutzer, die die genannten Distanzierungen sehr wohl zur Kenntnis nehmen, mögen argwöhnen, die Katholische Kirche stoße sich in erster Linie am vulgären Tonfall der kreuz.net-Beiträge, sei inhaltlich aber gar nicht so weit davon entfernt. Die Auffassung, sowohl die Verdammung von Homosexuellen als auch das Drohen mit dem ewigen Höllenfeuer seien "typisch katholisch", ist schließlich nicht eben wenig verbreitet. Da gilt es denn doch Manches geradezurücken.

Zunächst: Tatsache ist, dass die Sittenlehre der Katholischen Kirche praktizierte Homosexualität nicht billigt. Der 1992 veröffentlichte Katechismus der Katholischen Kirche zitiert unter § 2357 die Erklärung Persona humana (1975) der Kongregation für die Glaubenslehre, derzufolge "die homosexuellen Handlungen in sich nicht in Ordnung sind". Diese Haltung zur Homosexualität ist in unseren Breiten sicherlich nicht (mehr) sehr populär; aber der Glaube ist nun mal kein Wunschkonzert. Wäre ja noch schöner, wenn man sich aussuchen könnte, woran man glauben möchte und woran lieber nicht. Wer nun meint, die katholische Lehre sei "homophob" (eine grausige Wortprägung für mein Empfinden - aber das nur am Rande), hat allerdings nur die Hälfte verstanden. Ja, die kirchliche Lehre betrachtet homosexuelle Handlungen als sündhaft; sagen wir ganz deutlich: als genauso sündhaft wie zahlreiche andere Handlungen, die von vielen Menschen - auch heterosexuellen - tagtäglich begangen werden. Gemessen an den ethischen Maßstäben der Bergpredigt ist ohnehin jeder Mensch, auch der Beste, ein Sünder und der Vergebung bedürftig. Schon deshalb ist es rein sachlich nicht korrekt, aus der Ablehnung homosexueller Handlungen eine feindselige Haltung gegenüber homosexuellen Menschen abzuleiten. Und mehr noch - unter § 2358 stellt der Katechismus der Katholischen Kirche klar:
"Eine nicht geringe Anzahl von Männern und Frauen sind homosexuell veranlagt. Sie haben diese Veranlagung nicht selbst gewählt; für die meisten von ihnen stellt sie eine Prüfung dar. Ihnen ist mit Achtung, Mitleid und Takt zu begegnen. Man hüte sich, sie in irgend einer Weise ungerecht zurückzusetzen."
Dazu ist anzumerken, dass bekennenden Homosexuellen, die ihre Neigung absolut in Ordnung finden und für ihre gesellschaftliche Anerkennung eintreten, am Mitleid gläubiger Katholiken wenig gelegen sein dürfte. Anders werden das vermutlich jene sehen, die mit ihrer homosexuellen Veranlagung hadern. So oder so bleibt festzuhalten, dass die Beschimpfung und Verleumdung Homosexueller, wie kreuz.net sie betreibt, mit der katholischen Lehre keinesfalls vereinbar sind.

Der andere Aspekt, zu dem hier etwas zu sagen ist, ist der des ewigen Höllenfeuers. Zweifellos wäre es Vielen lieber, die Katholische Kirche würde den Glauben an die Hölle ganz fallen lassen; man begegnet auch nicht selten der Frage, wie dieser Glaube sich denn mit dem Bild eines liebenden Gottes vereinbaren lasse. Tatsächlich ist der Glaube daran, dass es eine Hölle gibt - die man sich nun allerdings nicht zwingend als einen unterirdischen Glutofen vorstellen muss, in dem die Sünder am Spieß gebraten und von geschwänzten Teufeln mit Mistgabeln gepiesackt werden -, aber eine geradezu zwingende Folge des Glaubens an den Freien Willen des Menschen: Hat der Mensch einen Freien Willen, dann muss es ihm auch möglich sein, sich bewusst gegen Gott, gegen die ewige Seligkeit und für die Verdammnis zu entscheiden. Der Auffassung der Katholischen Kirche zufolge blüht die Hölle jenen, die im Zustand schwerer Sünde sterben, "ohne diese bereut zu haben und ohne die barmherzige Liebe Gottes anzunehmen" (Katechismus, § 1033). Der genannte kreuz.net-Artikel geht davon aus, dass dies auf Dirk Bach zutrifft, und konstatiert daher, er brenne in der Hölle.

Dazu ist zu sagen: Es als eine Tatsache zu behaupten, dass ein bestimmter Verstorbener in der Hölle sei, ist eine unzulässige Anmaßung. Auch wenn jemand dem äußeren Anschein nach "in seiner Sünden Blüte hingerafft" wird, wie der Geist von Hamlets Vater es über sich selbst sagt, kann kein lebender Mensch wissen, ob Gott diesem Sünder nicht doch vergeben hat, und darum steht es auch niemandem zu, darüber zu urteilen. Angesichts der oben angesprochenen Sündhaftigkeit jedes Menschen stünde es einem Christen vielmehr an, zu hoffen und zu wünschen, dass Gottes Barmherzigkeit letztlich größer ist als die Sünde des Menschen. Einem Mitmenschen geradezu zu gönnen oder zu wünschen, er möge zur Hölle fahren, ist nun vollends verwerflich; ich bin versucht zu sagen, wer das tut, der verdient selbst die Hölle (was, siehe oben, noch nicht heißen muss, dass er tatsächlich hinein kommt).

Diese (für meine Verhältnisse) knappen Bemerkungen mögen ausreichen, um zu illustrieren, dass die anonymen Betreiber der Seite kreuz.net - wie sich nicht nur, aber besonders drastisch an ihrem Nachruf auf Dirk Bach zeigt - ein bizarres Zerrbild dessen zeichnen, was die Katholische Kirche tatsächlich lehrt. Was Dirk Bach betrifft, so wünsche ich ihm für sein Leben nach dem Tod alles Gute. Nicht nur deshalb, weil er - ich erwähnte es bereits - sein Leben der Aufgabe gewidmet hat, unzähligen Menschen Vergnügen zu bereiten, sondern auch und vor allem einfach deshalb, weil er ein Mensch war.

3 Kommentare:

  1. Der Text des Katechismus ist im Deutschen in dieser Fassung meines Wissens nicht approbiert, da er den Terminus "Veranlagung" enthält. Hier müßte es "Tendenzen" oder "Neigungen" heißen. Denn die Una Sancta steht gerade nicht auf dem Standpunkt, daß Homosexualität eine unentrinnbare Veranlagung ist. Auf der Vatikanseite kann man in den anderen Sprachen das "tendencies" etc nachlesen.

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    1. Lieber Marcus,
      es ließe sich trefflich darüber debattieren, ob eine "Neigung" auch eine "Veranlagung" ist und ob der Begriff "Veranlagung" impliziert, dass man dieser wehrlos ausgeliefert ist. Die von Dir betonte Differenzierung kann ich gleichwohl nachvollziehen. Ich denke aber, dass meine sonstigen Ausführungen davon nicht wesentlich berührt werden.

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    2. Es ging mir auch nicht darum, inhaltliche Kritik zu üben, sondern darauf hinzuweisen, daß ein nicht-approbierter Text in Umlauf ist, gerade weil mal wieder ein wichtiges Dokument auf vatican.va nicht auf deutsch verfügbar ist. Dafür, daß die deutschen Diözesen auf der Welt über mit am meisten Mittel verfügen, so ist die mangelnde Personalausstattung im Staatssekretariat (die mW für vatican.va verantwortlich sind) praktischerweise immer dann gravierend, wenn den deutschen Bischöfen ein Dokument nicht so genehm ist...
      Das Motu Proprio Summorum Pontificum gibt es bisher nur auf Latein und Ungarisch, die geänderten Normen zur Papstwahl auf Latein und Französisch usw usf.

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