Die Fanny-Hensel-Grundschule in Berlin-Kreuzberg stellt in den zur
Straße gerichteten Fenstern des Schulgebäudes gern Arbeiten aus dem
Kunstunterricht aus. Als ich neulich dort vorbeikam, gab es eine Ausstellung
zum Thema „Mein Lieblingsessen“ zu bewundern, gestaltet von Schülern der 6.
Klasse. Fast alle Bilder zeigten Hamburger und Fritten, auf einigen war sogar
das McDonald's-Logo zu sehen. Das gab mir zu denken.
Dass ich in meiner Kindheit nur äußerst selten bei McDonald's gegessen
habe, lag vielleicht zum Teil daran, dass es in meiner heimatlichen Kleinstadt
keine Filiale dieser Burgerbraterei gab – mittlerweile gibt es eine, die sogar an der Endhaltestelle einer innerstädtischen Buslinie liegt, sodass tagtäglich Busse
der öffentlichen Verkehrsbetriebe mit der Fahrtrichtungsanzeige „McDonald's“
durch die Stadt fahren; ich frage mich, was der Konzern sich diese
außergewöhnliche Werbemaßnahme hat kosten lassen –, aber zum größeren Teil lag
es wohl eher daran, dass meine Eltern Wert darauf legten, dass ihre
Kinder sich vernünftig ernährten. Wenn ich mich recht erinnere, war der erste Anlass,
zu dem ich bei McDonald's aß, der Geburtstag eines Klassenkameraden.
Es mag durchaus sein, dass auch schon „zu meiner Zeit“ Hamburger und
Fritten das Lieblingsessen vieler Sechstklässler waren. Aber wir hätten uns
gehütet, dies im Rahmen einer Schularbeit, sei sie nun schriftlicher oder
gestalterischer Art, offen zuzugeben. Und hätte doch jemand, sei es aus purer
Blödheit oder aus rebellischer Einstellung heraus, ein solches Bild
abgeliefert, wäre das mit Sicherheit nicht auch noch ausgestellt worden.
Vielmehr hätten die Lehrer ein ernstes Wort mit den Eltern geredet.
Ich kann mir schon vorstellen, was die Pädagogen der
Fanny-Hensel-Grundschule zu ihrer Verteidigung vorbringen würden, wenn man sie
darauf anspräche. Sie würden sagen,man müsse die Kinder erst einmal so akzeptieren, wie sie sind (oder, auch eine beliebte Formulierung, "da abholen, wo sie stehen"); obendrein würde man, wenn man die Kinder zu Müsli, Joghurt und Vollkornbrot zwingen wollte, ja doch nur Widerstand erzeugen, und die Kinder würden sich, sobald sie nicht unter Aufsicht stehen, nur umso gieriger auf Junkfood stürzen. Ebenso wie ja auch argumentiert wird, Jugendliche in den USA, die unter dem Einfluss ihrer Eltern ein Keuschheitsgelübde ablegen, würden später nur umso wilder durch die Weltgeschichte vögeln. Da mag was dran sein. Bei mir zu Hause gab es früher nur zweimal im Jahr - nämlich jeweils am Tag der Schulzeugnisse - Cola; später habe ich dann gern literweise Cola in mich hineingekippt und tue das manchmal immer noch. Dennoch glaube ich, es war gut, dass meine Eltern mich als Kind konsequent vor permanenter Überzuckerung geschützt haben. Ich verstehe nicht allzu viel von solchen Dingen, denke aber, es liegt auf der Hand, dass falsche Ernährung bei Kindern nicht nur zu Übergewicht und Diabetes führen kann, sondern auch zu Hyperaktivität, Aggressivität und vorzeitigen Pubertätssymptomen (wie es mal bei Calvin & Hobbes hieß: "Leg dich nie mit einem Sechsjährigen an, der sich rasiert"...).
Aber gehen wir noch mal einen argumentativen Schritt zurück: Dass Verbote und Restriktionen auch Begehrlichkeiten wecken und somit Anreize schaffen können, wissen wir alle aus eigener Erfahrung. Aber kann das wirklich ein Argument dafür sein, den Kindern in allem ihren Willen zu lassen? Vermutlich haben viele heutige Pädagogen ihre fachliche Ausbildung von alten 68er-Veteranen erhalten und liebäugeln womöglich deshalb mit den Prinzipien der antiautoritären Erziehung; von dieser kann man halten, was man will, aber betont werden sollte doch, dass auch antiatoritäre Erziehung eben Erziehung ist oder sein sollte. Um noch einmal auf eine oben zitierte Formulierung zurückzukommen: Die Kinder "dort abzuholen, wo sie stehen", heißt nicht, sie dort stehen zu lassen. Genau das scheint mir aber vielfach der Fall zu sein, und ich bin alles andere als überzeugt, dass dies aus dem Glauben an die antiautoritäre Erziehung heraus geschieht; vielmehr habe ich den Eindruck, dass viele Lehrer und Erzieher einfach aufgegeben haben und schon froh sind, wenn die Kinder "nur" faul, lernunwillig, aufsässig und unverschämt werden und nicht gleich gewalttätig und kriminell. In Neukölln, im Wedding und im Märkischen Viertel gibt es Schulklassen, in denen annähernd alle Schüler polizeilich aktenkundig sind. Dass Lehrer Angst davor haben, solche Klassen zu unterrichten, kann man verstehen. Aber irgend jemand muss es schließlich tun.
An alledem ist natürlich nicht McDonald's schuld, nicht unmittelbar jedenfalls. Die Vorstellung, Kinder würden sich, kaum dass sie in ihr erstes HappyMeal beißen, von putzigen kulleräugigen Mogwais in eklig-schleimige, zerstörungswütige Gremlins verwandeln, ist in ihrer Einfachheit verführerisch, aber wohl nicht der Weisheit letzter Schluss. Das eigentliche Problem liegt offenbar auf einer anderen Ebene: Eine Gesellschaft, die es widerspruchslos hinnimmt, dass ihre Kinder fettiges Junkfood für gutes Essen halten, ist offenkundig auch in anderer Hinsicht unfähig oder nicht einmal willens, ihren Kindern Maßstäbe zu vermitteln. Das erwarten Kinder aber letztendlich von Erwachsenen, auch wenn man es ihnen nicht unbedingt immer anmerkt; und sie erwarten es zu Recht. Um festzustellen, dass dies in Teilen unserer Gesellschaft offenbar nicht mehr geleistet wird - was im Übrigen darauf schließen lässt, dass bereits der Elterngeneration die moralische Orientierung gründlich verloren gegangen ist -, muss man nicht eigens auf Sozialvoyeurismus spezialisierte Reality-TV-Formate wie "Mitten im Leben" oder "We Are Family" einschalten; es genügt schon, einen Arbeitsplatz in der Nähe einer Kreuzberger Schule zu haben.
Aber gehen wir noch mal einen argumentativen Schritt zurück: Dass Verbote und Restriktionen auch Begehrlichkeiten wecken und somit Anreize schaffen können, wissen wir alle aus eigener Erfahrung. Aber kann das wirklich ein Argument dafür sein, den Kindern in allem ihren Willen zu lassen? Vermutlich haben viele heutige Pädagogen ihre fachliche Ausbildung von alten 68er-Veteranen erhalten und liebäugeln womöglich deshalb mit den Prinzipien der antiautoritären Erziehung; von dieser kann man halten, was man will, aber betont werden sollte doch, dass auch antiatoritäre Erziehung eben Erziehung ist oder sein sollte. Um noch einmal auf eine oben zitierte Formulierung zurückzukommen: Die Kinder "dort abzuholen, wo sie stehen", heißt nicht, sie dort stehen zu lassen. Genau das scheint mir aber vielfach der Fall zu sein, und ich bin alles andere als überzeugt, dass dies aus dem Glauben an die antiautoritäre Erziehung heraus geschieht; vielmehr habe ich den Eindruck, dass viele Lehrer und Erzieher einfach aufgegeben haben und schon froh sind, wenn die Kinder "nur" faul, lernunwillig, aufsässig und unverschämt werden und nicht gleich gewalttätig und kriminell. In Neukölln, im Wedding und im Märkischen Viertel gibt es Schulklassen, in denen annähernd alle Schüler polizeilich aktenkundig sind. Dass Lehrer Angst davor haben, solche Klassen zu unterrichten, kann man verstehen. Aber irgend jemand muss es schließlich tun.
An alledem ist natürlich nicht McDonald's schuld, nicht unmittelbar jedenfalls. Die Vorstellung, Kinder würden sich, kaum dass sie in ihr erstes HappyMeal beißen, von putzigen kulleräugigen Mogwais in eklig-schleimige, zerstörungswütige Gremlins verwandeln, ist in ihrer Einfachheit verführerisch, aber wohl nicht der Weisheit letzter Schluss. Das eigentliche Problem liegt offenbar auf einer anderen Ebene: Eine Gesellschaft, die es widerspruchslos hinnimmt, dass ihre Kinder fettiges Junkfood für gutes Essen halten, ist offenkundig auch in anderer Hinsicht unfähig oder nicht einmal willens, ihren Kindern Maßstäbe zu vermitteln. Das erwarten Kinder aber letztendlich von Erwachsenen, auch wenn man es ihnen nicht unbedingt immer anmerkt; und sie erwarten es zu Recht. Um festzustellen, dass dies in Teilen unserer Gesellschaft offenbar nicht mehr geleistet wird - was im Übrigen darauf schließen lässt, dass bereits der Elterngeneration die moralische Orientierung gründlich verloren gegangen ist -, muss man nicht eigens auf Sozialvoyeurismus spezialisierte Reality-TV-Formate wie "Mitten im Leben" oder "We Are Family" einschalten; es genügt schon, einen Arbeitsplatz in der Nähe einer Kreuzberger Schule zu haben.
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