Mittwoch, 12. Juli 2023

Der Traum von der erneuerten Gemeinde (Teil 2)

Wir erinnern uns: Kürzlich habe ich hier die Überlegungen zum Thema Gemeindeerneuerung vorgestellt, die Lothar Zenetti, seinerzeit Stadtjugendpfarrer in Frankfurt am Main, 1966 in seinem Buch "Heiße (W)Eisen" darlegte; und wie schon angekündigt, möchte ich diese nun zu einem ebenfalls dem Thema Gemeindeerneuerung gewidmeten, 32 Seiten starken Anhang zum "Komm-mit-Kalender" für das Jahr 1970 in Beziehung setzen. – 

Wer den "Komm-mit-Kalender" nicht kennt, dem sei verraten, dass es sich dabei um ein von 1949 bis 2001 jährlich erscheinendes Taschenbuch mlt wetterfestem Kunststoffeinband handelte, das neben einem Kalendarium und den üblichen Tabellen mit Maßen und Gewichten, Postleitzahlen und Autokennzeichen, unregelmäßigen englischen Verben usw. umfangreiche Text- und Bildbeiträge zu einer recht großen Bandbreite an Themen enthielt. Die Publikation war entschieden katholisch ausgerichtet und richtete sich vorrangig an die Mitglieder kirchlicher und/oder in der Tradition der Wandervogelbewegung stehender Jugendverbände, Pfadfinder, Ministranten etc. In seiner Spätzeit, in den 80er und 90er Jahren, galt der "Komm-mit-Kalender" als ausgesprochen konservativ bzw. als das, was man heute gern "rechtskatholisch" nennt; insbesondere infolge eines kritischen Beitrags des Fernsehmagazins "report" im Jahr 1994 stand der "Komm-mit-Kalender" teilweise sogar im Ruf rechtsextremer Tendenzen. – Diese Einordnung schicke ich hauptsächlich deshalb voraus, weil man allein aufgrund der Textpassagen, die ich im Folgenden zu zitieren gedenke, wohl kaum auf die Idee käme, diese Publikation für besonders konservativ zu halten. 

"Seit dem Konzil hat sich – Gott sei Dank! – vieles bei uns in der Kirche gewandelt", heißt es da gleich einleitend (S. 385). Freilich wird sogleich auch vor Fehlentwicklungen gewarnt, die aus der nachkonziliaren Aufbruchsstimmung entstehen könnten – insbesondere vor der "Gefahr [...], dass aus unserer bisher 'braven' Kirche eine Kirche wird, die nur diskutiert und alles zerredet" (ebd.). Im Lichte späterer Entwicklungen eine sehr profunde Aussage, möchte man meinen... Das zentrale Anliegen des gesamten Anhangs wird zusammengefasst in der Feststellung: "Nur der aktive, mitwirkende Christ, der sich gleichermaßen um den tiefen Christus-Glauben wie um dessen Verwirklichung in dieser Welt täglich müht, wird bestehen können. [...] [W]enn wir tatsächlich Christi Lehre ernst nehmen, sein Gebot der Gottes- und Nächstenliebe verwirklichen und uns auf Erden ernstlich um den Himmel bemühen wollen, müssen wir alle Kräfte in uns und um uns mobilisieren" (S. 385f.). Man kann gar nicht nachdrücklich genug betonen, dass das im Horizont der Zeit eine progressive Position ist: Die Reformen des II. Vatikanischen Konzils werden begrüßt, weil und insofern sie darauf abzielen, die Laien, die einfachen Gemeindemitglieder zu aktivieren, zu fordern und in die Verantwortung zu nehmen. Die Notwendigkeit solcher Reformen wird begründet mit der Einsicht, dass die scheinbar heile Welt des vorkonziliaren Kirchenmodells längst auf tönernen Füßen stand. So heißt es, die christliche Prägung des Familienlebens sei durch "linksliberales Fernsehen, unchristliche Zeitungen, antichristliche Zeitschriften" untergraben worden – und derartige schädliche Einflüsse zurückzudrängen, könne und dürfe man nicht allein der institutionellen Kirche überlassen: "Selbst wenn der Kaplan ein Supermann wäre, Starfußballspieler, Meisterboxer, Jugendleiter und begeisternder Prediger in einer Person" – ein interessantes Anforderungsprofil übrigens! –, "er kann auch nicht allein gegen eine antichristliche, oberflächliche, gleichgültige Welt ankommen, die allein auf Genuss und Luxus ausgerichtet ist" (S. 385). 

Okay, zugegeben: Nach Gaudium et Spes klingt das nun nicht gerade. Wenn man gerade erst einige auf dem 82. Deutschen Katholikentag in Essen 1968 (unter dem bezeichnenden Motto "Mitten in dieser Welt") gehaltene Ansprachen gelesen hat, in denen es darum geht, dass die Kirche ihre Frontstellung gegenüber der vermeintlich bösen und gottlosen Welt aufgeben müsse, dann fällt umso mehr auf, mit welcher Selbstverständlichkeit hier die "Welt" als ein dem Christentum feindlich gegenüberstehendes Prinzip identifiziert wird. Dennoch ist das Verhältnis zur Welt, das dem Christen hier anempfohlen wird, nicht etwa – wie sowohl im zeitgenössischen als auch im heutigen Diskurs immer wieder gern unterstellt wird – von Abschottung, vom "Rückzug ins Ghetto" geprägt, sondern vielmehr von einem missionarischen Impetus: Man soll und muss auf die Leute zugehen, aber nicht, um es sich in ihrer Welt gemütlich zu machen, sondern um sie ins eigene Lager herüberzuholen. 

Das beginnt mit einem Thema, das – wie mir nicht zuletzt die persönliche Erfahrung zeigt – in nicht wenigen Gemeinden bis heute ungebrochen aktuell ist: dem Thema "Willkommenskultur für Neuzugezogene und/oder seltene Kirchgänger". So liest man auf S. 392: "Vielleicht finden wir in der Kirche neue Gesichter, Neuzugezogene, Studenten, Rentner, Bundeswehrsoldaten. Mögen die Älteren den Mut haben, sie einzuladen, die Jüngeren die neuzugezogenen Kinder anzusprechen und zu Spiel, Sport und Gruppe einzuladen!" Ein logisch folgerichtiger nächster Schritt besteht darin, die Voraussetzungen dafür zu verbessern, dass mehr Leute überhaupt erst einmal den Weg in die Kirche finden; hierzu werden praktische Maßnahmen empfohlen, mit denen die Pfarrkirche im Ort "sichtbarer" und attraktiver gemacht werden kann – von der Verbesserung der Beleuchtung (innen und außen), einer besseren Ausschilderung der Eingänge und der Öffnungszeiten sowie der Aufstellung von Papierkörben auf dem Kirchenvorplatz zur Vermeidung wild herumliegenden Abfalls (z.B. "Zigarettenpackungen und -Kippen", S. 399) über die Aufstellung von Schaukästen nicht nur vor der Kirche selbst, sondern "an allen wichtigen Punkten" des Pfarreigebiets bis hin zur Beschriftung der Fassade mit dem Namen der Kirche "in großen Metall-Buchstaben"; ja, es wird sogar angeregt, "auf dem Turm und auf dem Kirchenschiff je ein Tag und Nacht leuchtendes Neon-Kreuz" anzubringen, zudem soll der "Turm nach allen 4 Seiten eine große Leuchtuhr erhalten" (S. 398). 

Zu den Anregungen für die handfeste, zupackende Praxis (die bei Zenetti, der sich eher auf die Liturgie konzentriert, weitgehend fehlen; aber vielleicht müsste man zur Ergänzung noch ein anderes Buch von Zenetti – "Initiativen. Junge Christen in einer großen Stadt"  von 1964 – lesen) zählt auch die Gründung einer "Bau-Hütte": "alle handwerklich begabten Männer und Handwerker" der Gemeinde sollen gebeten werden, "bestimmte Arbeiten in der Kirche und dem Jugendheim am Samstag kostenfrei zu übernehmen" – eine Art "Subbotnik" also. "Das Material wird gestellt", immerhin (S. 402). Angeregt wird weiterhin "ein Jugendspielplatz direkt auf der Wiese vor der Kirche", denn: "besser so die Jugend zur Kirche heranzuholen als gar nicht". In dieselbe Richtung geht der "Ausbau des großen Kirchenkellers als Tischtennis- und Sportraum" (S. 403). 

Indes ist es durchaus nicht so, dass der bei Zenetti so stark in den Fokus gerückte Aspekt der Gottesdienstgestaltung hier keine oder nur eine marginale Rolle spielte. Vielmehr wird eingeräumt, die "Gestaltung des Gottesdienstes" sei "sicher verbesserungsfähig" – woraus die Aufforderung resultiert: "Überlegen wir uns, wie wir helfen können. Als Vorbeter, Ordner, Fürbitten zusammenstellen, Texte, Lieder aussuchen, Organist, Kirchenchor oder noch besser Jugendchor und Musikschar gründen, Gestaltung von Kinder- oder Jugend-Gottesdiensten, Predigtvorschläge machen" (S. 393). Geeignete "Sprecher, Vorbeter" usw. sollen durch einen Vorlesewettbewerb ermittelt werden; nicht fehlen darf auch ein "liturgischer Arbeitskreis", der sich "um die abwechslungsreiche Auswahl guter Gebete, um die Gestaltung der Kindergottesdienste, Jugendmessen usw." kümmert – sowie auch um den "Vortrag von passenden Gedichten, Sprechchor" – aha?!? (S. 401). 

Das progressive Selbstverständnis, dass diesen gesamten Anhang prägt, wird exemplarisch deutlich, wenn die Erwähnung der zur Nachahmung empfohlenen Praxis, dass der Pfarrer sich nach der Messe vor das Hauptportal der Kirche stellt, um die Messbesucher zu begrüßen, mit dem Hinweis eingeleitet wird: "Unser Pfarrer ist modern" (S. 400). Es wird aber noch erheblich moderner: "Bei uns hat bereits einmal ein Laie über Biafra gepredigt. Wir hoffen, dass die Laien jetzt regelmäßig predigen dürfen. Auch sind statt Predigten Podiums-Diskussionen geplant und auch Diskussionen mit den Kirchenbesuchern." Da staunt der Fachmann, und der Basischrist wundert sich! Interessant ist dabei allerdings auch, dass es ein durchaus waches Bewusstsein für die Gefahren einer solchen "offenen Form" gibt – z.B für die Gefahr, dass "fremde Störtrupps" versuchen könnten, "den Gottesdienst umzufunktionieren". Für diesen Fall wird – sofern ein "gewaltloses Hinausdrängen unmöglich" sein sollte – empfohlen, "sofort die Kirche zu verlassen und nach Hause zu gehen. Nur der Pfarrer und zwei bis drei Ordner sollen zur Beobachtung zurückbleiben" (S. 403). Reizende Zustände! – Angeregt wird weiterhin "die Heranziehung von Tonband- und Schallplattenpredigten [...]. Auch ein guter Kurzfilm könnte bei unserer auf Bilder und Fernsehen eingestellten Jugend und Zuhörerschaft besser informieren und überzeugen als eine Predigt" (ebd.). – Man bekommt einen Eindruck davon, wie revolutionär das Klima in der Kirche damals gewesen sein muss, wenn selbst eine nach heutigen Maßstäben ausgesprochen konservative Publikation solche Ideen äußert. 

Auch interessant ist ein Artikel auf S. 404f., der sich unter der Überschrift "Von der Theorie zur Praxis" hauptsächlich einem Einzelaspekt der Mitwirkung von Laien an der Gottesdienstgestaltung widmet: dem Projekt eines "Predigt-Arbeitskreises". "Es begann damit, dass wir nach dem Abendgottesdienst mit dem Pfarrer ins Jugendheim zogen und über die Predigt diskutierten. Unser Pfarrer drehte den Spieß um und bat uns um Vorschläge und Anregungen." Als Beispiele für die Früchte eines solchen Arbeitskreises werden in dem Artikel zehn Vorschläge für Predigt-Themen zu verschiedenen Evangelien-Perikopen vorgestellt; die Entwürfe zielen sämtlich darauf ab, den Hörern der Predigt konkrete, praxisbezogene Anregungen für tätiges Christsein "mitzugeben". Die Vorstellung, Predigten sollten einen ausgeprägten Praxisbezug haben und idealerweise auch konkrete Handlungsanweisungen oder jedenfalls -anregungen für die Hörer enthalten, wird in den nachfolgenden Jahrgängen des "Komm-mit-Kalenders" noch häufiger eine Rolle spielen; man vergleiche auch, wie Zenetti sich die Wortverkündigung im Rahmen der von ihm propagierten Jugendgottesdienste in freier Form vorstellt: "Die Lesung des Gotteswortes trifft [...] die Hörer [...]. Man hört, vergleicht und diskutiert[!]: Was ist von uns gefordert, wie verhalten wir uns, wie helfen wir? Daraus wird ein Gebet formuliert, eine Fürbitte, ein Gotteslob. Und wenn irgend möglich, erwächst uns auch die Einsicht, was zu tun ist, und der Wille zur Konsequenz" (Zenetti, S. 34). Man könnte hier noch darauf verweisen, dass die Verbindung der Elemente Information, Konfrontation mit biblischen Texten, Ansprache, Aufruf zur Aktion und Diskussion mit der Gemeinde auch für das "Politische Nachtgebet" kennzeichnend war, das Dorothee Sölle, Fulbert Steffensky und andere ab Herbst 1968 monatlich in der Kölner Antoniterkirche abhielten, aber das würde an dieser Stelle wohl etwas zu weit führen. Insgesamt scheint mir, dass die verschiedenen Belege für ein Predigtkonzept, das im Wesentlichen auf Information und "call to action" setzt, ebenso wie die weiter oben angeklungenen Ideen zur Modernisierung und "Multimedialisierung" der Liturgie, ausreichend Stoff für einen eigenständigen Artikel abgibt. 

Ausgesprochen bezeichnend für die grundsätzliche Ausrichtung des Anhangs "Du und deine Kirche" im "Komm-mit-Kalender" 1970 finde ich ein auf S. 394 abgedrucktes Gebet, das ich daher ohne weiteren Kommentar hier wiedergeben möchte: 

"HERR, gib, dass ich in dem Kampf um Deine Weltherrschaft nicht meine Nächsten vergesse: meine Angehörigen, meine Mitarbeiter, meine Nachbarn. 

Herr, schenke mir 
den Opfermut eines Kommunisten, 
die Beharrlichkeit eines Zeugen Jehovas, 
die Unermüdlichkeit eines Kapitalisten, 
wenn es gilt, Deiner Sache zum Siege zu verhelfen." 

Ganz zum Schluss, auf S. 416, folgt dann noch ein nur gut eine halbe Seite langer Beitrag über "Unsere Welt-Kirche", in dem u.a. auf das Problem des Priestermangels hingewiesen wird – allerdings vorrangig nicht im eigenen Land, sondern eher in "den unterentwickelten Ländern" ("so fehlen allein in Südamerika über 100 000 Priester"). In diesem Zusammenhang heißt es, es seien "Überlegungen im Gange, wie man bei diesem Priestermangel doch Gottes Auftrag, allen Menschen die frohe Botschaft zu verkünden, erfüllen" könne. "So werden heute verheiratete, angesehene Männer zu Diakonen geweiht, die den Priester bis auf due Sakramente-Spendung vertreten können. Man hat jetzt auch einen Herrn (Witwer) zum 'Priester im Nebenberuf' geweiht. Es gibt auch Priester und Laien, die vorschlagen, dass man das Priesteramt (Priesterweihe) nicht immer unbedingt mit der Verpflichtung zum Zölibat (Ehelosigkeit) verbinden solle'." 

Ein eindeutiges Urteil über solche Vorschläge wird nicht gefällt; stattdessen heißt es: "Wie die Entwicklung auch sein wird, wir alle müssen beten und arbeiten, dass Christi Wunsch in Erfüllung geht und die Kirche immer weiter wächst." Denn: "Es geht nicht um die Erfüllung unserer Wünsche, sondern um den Wunsch Christi." Dieser Satz drückt präzise aus, worin sich die Haltung zu kirchlichen Reformen, die auf diesen Seiten des "Komm-mit-Kalenders" vertreten wird, von der Haltung zahlreicher anderer "progressiver" Initiativen und Bewegungen der Nachkonzilszeit unterscheidet. 

Insgesamt möchte ich diesen Anhang als bemerkenswertes Dokument einer Haltung betrachten, die man "rechtgläubige Progressivität" nennen könnte: Die Reformimpulse des II. Vatikanischen Konzils werden als Aufruf zur Stärkung und Vertiefung des Glaubenslebens, nicht zu dessen Aufweichung und Verflachung verstanden (das nimmt übrigens auch Zenetti explizit für sich in Anspruch); das progressive Element liegt in dem Bewusstsein, dass die pastorale Praxis und die öffentliche Selbstrepräsentation der Kirche in vielerlei Hinsicht einer Modernisierung bedürfen, aber auch wenn in dieser Hinsicht zum Teil deutlich übers Ziel hinausgeschossen wird, wird die Glaubenslehre als solche nicht in Frage gestellt, im Gegenteil. Aus heutiger Sicht erscheint diese "rechtgläubige Progressivität" als "a path not taken in Church history"; erst in neuerer Zeit findet man Elemente davon unter dem Leitgedanken der Neuevangelisierung wieder. – Dass der Zug der kirchlichen Entwicklung, gerade in Deutschland, in der Nachkonzilszeit in eine ganz andere Richtung dampfte, müsste eigentlich spätestens seit dem Essener Katholikentag von 1968 deutlich zu erkennen gewesen sein; dieser Umstand wird im "Komm-mit-Kalender" jedoch nicht reflektiert, auch in den folgenden Jahrgängen nicht. 

Wie sich bereits abgezeichnet hat, werden wir auf diesen ganzen Themenkomplex wohl noch verschiedentlich zurückkommen müssen; bevor ich aber für diesmal zum Schluss komme, möchte ich doch noch ein paar fragmentarische Überlegungen dazu anstellen, warum aus den Impulsen zur Gemeindeerneuerung, die in den späten 60ern und frühen 70ern im Schwange waren, so wenig geworden ist. Eine nicht unbedeutende Rolle dürfte es gespielt haben, dass ein großer Teil der "einfachen, normalen Gläubigen" in den Kirchenbänken schlichtweg kein besonderes Interesse an Neuerungen und Veränderungen hatte und schon genug damit zu tun hatte, die einschneidenden Änderungen der gottesdienstlichen Praxis zu verdauen, die infolge der Liturgiereform über sie hereinbrachen, als dass sie noch darüber hinaus bereit gewesen wären, sich für Neues und Unvertrautes zu begeistern oder gar aktiv dafür zu engagieren. Auf der anderen Seite gerieten diejenigen, deren Naturell es eher entsprach, Dinge bewegen zu wollen, statt alles beim Alten zu lassen, in dieser Zeit allzu leicht in den Sog politischer Radikalisierung, genereller Rebellion gegen Tradition, Dogma und Hierarchie und/oder esoterisch-universalistischer Irrlehren. Man kann davon ausgehen, dass diese Tendenzen sich wechselseitig verstärkten, dass also der Konservatismus der Einen die Anderen noch weiter ins "progressive" Lager trieb und umgekehrt; und ich möchte darüber hinaus die These wagen, dass die dadurch bedingte Vertiefung des ideologischen Grabens innerhalb der Kirche bis heute (und gerade heute) dazu führt, dass die Etiketten "konservativ" bzw. "progressiv" auch solchen Gruppierungen, Strömungen oder Einzelpersonen angeheftet werden, auf deren Positionen diese Bezeichnungen kaum oder gar nicht sinnvoll anwendbar sind

Aber das muss alles noch zu Ende gedacht werden... 


1 Kommentar:

  1. Diasporakatholik12. Juli 2023 um 22:11

    "Eine nicht unbedeutende Rolle
    dürfte es gespielt haben, dass ein großer Teil der "einfachen, normalen Gläubigen" in den Kirchenbänken schlichtweg kein besonderes Interesse an Neuerungen und Veränderungen hatte und schon genug damit zu tun hatte, die einschneidenden Änderungen der gottesdienstlichen Praxis zu verdauen, die infolge der Liturgiereform über sie hereinbrachen, als dass sie noch darüber hinaus bereit gewesen wären, sich für Neues und Unvertrautes zu begeistern oder gar aktiv dafür zu engagieren."

    Sie, lieber Herr Klein, haben es aus meiner Sicht als zeitlebens wertkonservativ eingestellter Katholik der norddeutschen Diaspora mit diesem einen langen aber umfassenden Satz voll erfasst:
    Ich für meinen Teil hatte viele Jahre lang trotz meines damals noch jugendlicheren Alters echt genug damit zu tun, die Liturgiereformen zu verdauen, die ich als von oben mir/uns einfach übergestülpt und daher z.T. als einigermaßen willkürlich empfand.
    Es hat bei mir viele lange Jahre gedauert, bis ich überhaupt mich mit dem Novus ordo einigermaßen anfreunden konnte und bis ich den alten Modus auch z.T. kritisch sah.

    Heute möchte ich nun keinesfalls mehr zu letzterem zurück.

    Aber weitere Neuerungen oder gar liturgische Experimente sah und sehe ich als Mumpitz an und will ich nicht mehr zu meinen irdischen Lebzeiten.

    Im Endeffekt halte ich es hier mit einem durchaus zutreffenden Wort Helmut Kohls:

    "Entscheidend ist, was hinten (=zuletzt/am Ende) rauskommt."

    Und da sind ganz viele der mit soviel Enthusiasmus und z.T. auch Vorschusslorbeeren bedachten Neuerungen samt deren Propagandisten glänzend gescheitert im Laufe der Zeit und haben sich auf Nimmerwiedersehn verabschiedet.

    Die Wahlbeteiligung zu kirchl. Laiengremien ist minimal, ja, man findet zumindest bei uns nicht mal mehr genug Kandidaten dafür.
    Ebenso für diverse Dienste (Küster, Lektoren, Kommunionhelfer etc.), da ja das alles auch "natürlich?" umsonst geleistet werden soll.

    Wieso eigentlich?

    Der Arbeiter ist (doch) seines Lohnes wert, heißt es schon in der Bibel.

    Gilt das nur für hauptamtlich kirchlich Beschäftigte?

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