Montag, 12. September 2016

Der Feind am eigenen Suppentopf


Am Wochenende war in Berlin nicht nur schönes Wetter, sondern es gab auch mal wieder einige schöne und interessante Veranstaltungen. Man könnte fast denken, irgendjemand hätte vorausgesehen, dass der Sommer in Berlin dieses Jahr schwerpunktmäßig auf die erste Septemberhälfte fällt, denn tatsächlich scheinen sich die Open-Air-Events in der Stadt heuer in einem solchen Maße auf diese Zeit zu konzentrieren, dass diverse Veranstaltungen sich terminlich unmittelbar Konkurrenz machen. Was allerdings dann nicht so schlimm ist, wenn sie räumlich so dicht beieinander liegen, dass man ohne großen organisatorischen Aufwand zu mehreren gehen kann. Das betraf am vergangenen Samstag für meine Liebste und mich einerseits das Kiezfest Suppe & Mucke in der Scharnweber- und Colbestraße und andererseits das Sonne über Berlin Festival im Kulturzentrum Zukunft am Ostkreuz. Beides im Stadtteil Friedrichshain, zu Fuß gerade mal 20 Minuten voneinander entfernt. Zu beiden Veranstaltungen hatte ich von verschiedenen Freunden Einladungen via Facebook bekommen, also gingen wir da auch hin. 


Zu Suppe & Mucke waren wir schon im letztes Jahr gemeinsam gegangen, und zumindest ich war auch in früheren Jahren schon ein paarmal dort. Das Konzept der Veranstaltung ist sehr sympathisch: Verschiedene Vereine und Initiativen stellen dort ihre Arbeit vor, aber eine unbedingte Teilnahmevoraussetzung besteht darin, dass jeder Infostand eine selbst zubereitete Suppe anbieten muss - gegen Spende. 



Ratsames Mitbringsel für Besucher des Suppenfestivals: eine eigene Suppenschüssel!

Außer Suppe gab es aber auch noch ganz andere Angebote.
Dieses Jahr hatten wir allerdings einen besonderen Grund, uns für diese Veranstaltung zu interessieren: Abgesehen davon, dass wir so fünf bis sieben Suppen probierten - genau habe ich nicht mitgezählt -, die alle lecker waren, wollten wir vor allem Feldstudien in Sachen Suppe und Aktivismus betreiben. Schließlich haben wir da so ein Projekt in Planung. Wobei "in Planung" derzeit noch ein bisschen übertrieben ist - das Projekt befindet sich eher noch im Ideenstadium, aber es entwickelt sich so allmählich. Toll wäre es natürlich, wenn wir im nächsten Jahr bereits mit einem eigenen Suppenstand auf dem Fest vertreten wären -- allerdings gibt es da ein Problem...: 

Dass das mal klar ist. 
Zu den Vereinen und Initiativen, die sich bei Suppe und Mucke präsentieren, gehören etwa das FFBIZ-Feministisches Archiv, die Kino-Kneipe Filmrisz, die "mobile SoKü" Food4Action, Greenpeace, das Urban Gardening-Projekt Rosa Rose, das "alternative Hausprojekt" Scharni 29, das antikapitalistische Projekt Systemfehler, das Vegan Kollektiv, Wiki Woods, Women in Exile und noch allerlei andere Gruppierungen, die sich mehr oder weniger ausgeprägt als "links" verstehen; und auch wenn wir mit der inhaltlichen Arbeit zumindest eines Teils dieser Initiativen überhaupt kein Problem haben oder sie zum Teil womöglich sogar ausgesprochen gut finden, könnte es doch sein, dass die Veranstalter finden, ein dunkelkatholisches Pastoralprojekt passe da nicht so richtig ins Profil. Zumal der Dunkelkathole als solcher zu bestimmten Themen ja bekanntlich Positionen vertritt, die sich im linken Spektrum keiner allzu großen Akzeptanz erfreuen. 

Ganz oben auf dem Plakat - an der Kinnpartie unzweifelhaft zu erkennen -: Erzbischof Koch. Dass der dieses Jahr tatsächlich beim Marsch für das Leben mitgeht, konnten die Plakatgestalter aber eigentlich noch gar nicht wissen.
Hasi findet nicht nur TTIP doof, sondern auch Lebensschützer. Wodurch sich allerdings eine Terminkollision ergibt, doch dazu ein Andermal...
Beim Wandern über das Suppe & Mucke-Gelände (und beim Verkosten der diversen Suppenkreationen) fühlte ich mich ein paarmal lebhaft an einen Kommentar auf meinem Blog im Zusammenhang mit meinem legendären Rausschmiss aus dem Bandito Rosso erinnert - einen Kommentar, der in der gar großartigen Parole gipfelte: "Gegen den Feind am eigenen Suppentopf!". Nun, bezogen auf unser zukünftiges Projekt möchte ich anmerken, dass es für eine christliche Pastoralinitiative geradezu zum Selbstverständnis gehört, natürlich auch "Feinde" (oder solche, die sich selbst so sehen) auf einen Teller Suppe einzuladen; und umgekehrt mussten meine Liebste und ich bei Suppe & Mucke, wie schon gesagt, auch nicht hungern. Das ist schön, auch wenn es zum Teil vielleicht nur daran liegt, dass uns das Label "erzkonservativ-dunkelkatholische Abtreibungsgegner" nicht direkt ins Gesicht geschrieben steht

"Was gefällt dir in deinem Kiez nicht? Was nervt dich?" - "generell alle Sorten von Menschen". 

Aha. 
Die Erfahrung, dass linksalternative Aktivisten gegenüber Leuten, die sich äußerlich nicht besonders auffallend von ihnen unterscheiden und die sie zudem auf ihrem eigenen Territorium treffen, erst mal gar nicht auf die Idee kommen, diese könnten zu bestimmten Themen andere Ansichten haben als sie selbst, durften wir übrigens auch schon am Abend zuvor machen. Wir hatten in einer Kneipe einen alten Bekannten von mir getroffen, den ich allerdings in den letzten Jahren nur selten und dann immer nur kurz gesehen hatte, und nach und nach gesellten sich einige andere Leute mit an den Tisch, die ich noch nicht kannte. Einer von diesen erzählte uns heiter, dass er im letzten (oder vorletzten?) Jahr zu den Leuten gehört hatte, die die Auftaktkundgebung des Marschs für das Leben durch Zwischenrufe und sonstigen Lärm zu stören versucht hatten. "Tja", merkte ich an, "wir waren da auf der anderen Seite." Da war er erst einmal überrascht. Es schloss sich eine ausgiebige Diskussion zwischen ihm und meiner Liebsten an, während ich von einem weiteren Neuankömmling am Tisch gefragt wurde "Worum geht's denn gerade?" und daraufhin eine Paralleldiskussion zum selben Thema begann. Während mein Gesprächspartner ein unerwartetes Maß an Zustimmung oder zumindest Verständnis für meine Position signalisierte, wurden meine Liebste und ihr Gesprächspartner sich erwartungsgemäß nicht einig, aber positiv hervorzuheben ist, dass die Diskussion durchweg friedlich verlief und wir uns am Ende alle ganz freundlich voneinander verabschiedeten. 

Doch zurück zu Suppe & Mucke: Neben einigem anderen Infomaterial verschiedener Standbetreiber nahmen wir uns auch eine Broschüre vom Netzwerk Selbsthilfe e.V. über die Möglichkeit der Förderung für "Vereine, selbstorganisierte Projekte und politische Initiativen" mit. In der Übersicht über die Förderkriterien stand explizit nichts drin, was nicht auch auf unser zukünftiges Pastoralprojekt passen würde. Kann aber natürlich sein, dass man da zwischen den Zeilen lesen muss und dass es da noch Kriterien gibt, die als selbstverständlich vorausgesetzt und deshalb nicht explizit erwähnt werden. 

Nach gut zwei Stunden auf dem Suppenfest machten wir uns dann auf den Weg zum parallel stattfindenden Sonne über Berlin Festival

Und dann lachte uns auf dem Weg von der einen Veranstaltung zur anderen eine ausrangierte Lampe an. Das war Liebe auf den ersten Blick. Jetzt gehört sie Suse. 

Gelbe Pfeile weisen den Weg. Ist ja wie auf dem Jakobsweg hier. 
Das Kulturzentrum Zukunft am Ostkreuz - bestehend aus Theater- und Kinosaal, Freiluftkino, Kneipe mit eigener Brauerei und Biergarten und mehreren Bühnen drinnen wie draußen - ist eine ausgesprochen schöne Location, und ich wundere mich eigentlich, warum ich vorher noch nie da war. Na ja, vielleicht deshalb, weil es eben am Ostkreuz liegt. Da geht man ja normalerweise nicht hin, wenn sich's vermeiden lässt. Jedenfalls gab es auch da nicht nur jede Menge Mucke verschiedenster Stilrichtungen (und obendrein vegane Eintöpfe), sondern auch allerlei Infoveranstaltungen und Workshops: 


Kaum angekommen, gingen wir erst mal zu einer Infoveranstaltung der Wasserinitiative Viva con Agua. Auch wieder eine Lehrstunde in Sachen Aktivismus, und das meine ich uneingeschränkt positiv. Der mit zahlreichen Grafiken, Fotos und einem Film unterfütterte Vortrag über den Aufbau der Organisation, die Akquise von Spendengeldern und über Projekte zum Bau von Brunnen und Toiletten in Ländern wie Äthiopien und Nepal war ausgesprochen interessant und aufschlussreich. Eine dicke, fette mentale Notiz machte ich mir beim Schlagwort "community-based": Die Projekte von Viva con Agua zeichnen sich dadurch aus, dass sie stets in Kooperation mit lokalen bzw. regionalen Organisationen und Initiativen aus dem "Projektgebiet" durchgeführt werden und dass die Leute, für die man etwas tun will, erst einmal darüber befragt werden, was sie eigentlich wollen und brauchen. Klingt naheliegend, muss man aber erst mal drauf kommen. 

Bald darauf trafen wir auf dem Festivalgelände Freunde, denen wir erst mal lang und breit von unserem Jakobsweg-Abenteuer berichten durften; und ansonsten genossen wir einfach die Atmosphäre, hörten verschiedenen Bands zu und sackten eine Gratis-CD ein. Alles in allem ein sehr schöner, inspirierender und motivierender Festival-Tag! 


Dies war früher einmal eine Herrentoilette. Die separate Damentoilette gibt es nach wie vor. 

Schön war's! 
Und nun kann ich - bzw. können wir beide - es kaum erwarten, endlich selber mit der suppenunterstützten Punk-Pastoral anzufangen. Im Grunde brauchen wir fast nur noch eine Kirchengemeinde, die uns einen angemessen großen Raum (mit Küche) zur Verfügung stellt - vorläufig vielleicht einmal im Monat oder so -, und dann kann's losgehen. Wir strecken da schon so ein bisschen unsere Fühler aus; aber realistisch betrachtet kommen wir wahrscheinlich doch erst nach der Hochzeit dazu... 



2 Kommentare:

  1. Zunächst einmal herzlichen Glückwunsch zur Vollendung der ja offenbar sehr erfolgreichen - und damit meine ich: glaubenskräftigenden - Wallfahrt.

    Die Idee einer "Punkpastoral" finde ich höchst interessant, zumal es dabei ja ganz offensichtlich nicht ums inhaltliche "Abholen der Menschen" geht, sondern um, und das meine ich im bestmöglichen Sinne, alten Wein (das ist bekanntlich der beste) in neuen Schläuchen.

    Es scheint übrigens im Bistum Limburg Bestrebungen einer tiefgreifenen Umstrukturierung zu geben, die ich ebenfalls interessant, aber, wenn ich das alles richtig verstehe, deutlich weniger erfreulich finde als Ihre Initiative. Haben von diesen Pfarreien neuen Typs schon gehört? (https://pfarrei-neuen-typs.bistumlimburg.de/home.html). Vielleicht schauen Sie sich das bei Gelegenheit mal an, mich würde eine Kingbearanalyse sehr interessieren.

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  2. Wir nannten so ein Projekt an der Uni mal "Christliche Basisgruppen".

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