Dienstag, 28. Mai 2024

Die Fallers und die Erstkommunion

Die Erstkommunion-Saison ist für dieses Jahr wohl so ziemlich vorbei; das soll mich jedoch nicht davon abhalten, dieses Thema noch einmal aufzugreifen. Den Anlass dazu bietet nicht so sehr die Tatsache, dass ich mich, wie mir plötzlich aufgefallen ist, noch gar nicht zu den diesjährigen Erstkommunionen in meiner Heimatpfarrei St. Willehad Nordenham/Butjadingen/Stadland geäußert habe, sondern vielmehr ein Ausschnitt aus einer Folge der Fernsehserie "Die Fallers", den ich auf Instagram gesehen habe. Und nun weiß ich erst mal nicht recht, was ich zuerst erklären soll: Was das für eine Fernsehserie ist oder wie es dazu gekommen ist, dass ich einen Ausschnitt daraus auf Instagram gesehen habe. Aber ich glaube, ich schaffe erst mal Letzteres aus dem Weg; das ist nämlich etwas unangenehm.

Auf Instagram gepostet wurde der betreffende Serien-Ausschnitt nämlich von dem Account "Heilige & Halunken"; und dass ich diesem auf Instagram folge, ist alles in allem eher ein Fall von Feindbeobachtung. Wobei ich Wert auf die Feststellung lege, dass ich nicht damit angefangen habe: Zuerst folgten die "Heiligen & Halunken" nämlich mir, und ohne eine klare Vorstellung davon zu haben, was das für Leute sind, dachte ich mir, och, folgste einfach mal zurück. Ziemlich bald stellte ich dann allerdings fest, dass ich es 1. wohl eher mit Halunken als mit Heiligen zu tun hatte und dass der Account mir 2. schon wieder "entfolgt" war; möglicherweise bin ich reichweitenmäßig einfach nicht "relevant" genug, um auf dem Radar der Betreiber mehr als ein kurzes Flackern auszulösen. Darüber sollte ich aber wohl nicht allzu traurig sein: Der Podcast "Heilige & Halunken", für den der gleichnamige Instagram-Account im Wesentlichen eine Werbeplattform darstellt (aber das ist bei mir und meinem Blog ja auch nicht wesentlich anders), wird betrieben von geradezu idealtypischen Vertretern des postchristlich-"progressiv" gesonnenen Mittelbaus des institutionellen Apparats der Kirche; Ober-"Halunke" Thomas Halagan betreibt parallel dazu einen von häretisch.de gehosteten Video-Podcast (oder wie ich gern sage: Vodkast) namens "Was da los?", auf dem er passend zu diesem Titel immer so aussieht, als hätte er tags darauf schwer einen über den Durst getrunken (aber dafür kann er wohl nichts; ich würde auch nicht nüchtern für häretisch.de arbeiten wollen), und sein Lieblingsthema ist es, davor zu warnen, wie schlimm und gefährlich Leute wie Johannes Hartl und das Gebetshaus Augsburg seien (Spoiler: im Wesentlichen deshalb, weil Leute, die über oder sogar mit Gott reden, als gäbe es Ihn tatsächlich, ja wohl irgendwas Unsauberes im Schilde führen müssen). Wenn Halagan und seine Co-"Halunkin" Mareike Wolff mal nicht dieses Steckenpferd reiten (oder wahlweise Abtreibungsgegner als rechtsextrem einordnen, eine Lanze für das Gendern brechen oder die mangelnde LGBT-Akzeptanz der vatikanischen Glaubenshüter tadeln), sondern sich stattdessen an niederschwelliger Pastoraltheologie versuchen, wird's in der Regel erst recht peinlich. So etwa im Begleittext zu dem Video, um das es hier gehen soll; der liest sich nämlich wie folgt:

"Gerade laufen die sog. 'Erstkommunionen', in denen für gewöhnlich Kinder der dritten Klassen in die eucharistische Gemeinschaft aufgenommen werden (= sie dürfen am Abendmahl teilnehmen). Was tun, wenn das Kind will, aber die Eltern nicht? Was macht Ihr mit Euren Kindern? Gehört es für Euch dazu, Eure Kinder in der Weise kirchlich zu sozialisieren, dass sie die Sakramente/Kirchenfeiern miterle [sic]? Oder ist das Ganze nur Folklore? Ab wann sind Menschen hinsichtlich ihres Glaubens und möglicher religiöser Zugehörigkeit mündig? [...] Lasst uns über Kinder 'in Kirche' reden!" 

Symbolbild: Blumengeschmückter Taufstein in der Kirche St. Marien Maternitas, Berlin-Heiligensee

Zu diesem Text könnte man sicherlich allerlei anmerken, aber ich will erst mal von der Stelle kommen und lasse das daher vorerst mal so stehen; auf den einen oder anderen Punkt komme ich gegebenenfalls noch zurück. Werfen wir einstweilen noch einen Blick auf die Serie "Die Fallers", aus der der Ausschnitt stammt: Dabei handelt es sich um eine bereits seit 1994 laufende, mittlerweile 30 Staffeln mit insgesamt über 1200 halbstündigen Folgen umfassende Familienserie um eine Bauernfamilie in einem fiktiven Schwarzwalddorf. Angesichts der langen Laufzeit der Serie überrascht es nicht unbedingt, dass das Tableau der handelnden Personen vier Generationen umfasst. In dem hier zu behandelnden Ausschnitt aus der am 24. März erstausgestrahlten 1215. Folge "Fromme Wünsche" steht ein Mitglied der jüngsten Generation im Mittelpunkt, ein Mädchen im Grundschulalter namens Carlotta. Als ihre Dialogpartner sind ihre Mutter Eva, ihr Vater Andreas und schließlich ihr Urgroßvater Hermann zu sehen. Erwähnt werden weiterhin "die Joma" sowie "Oma und Obernd"; wer damit gemeint ist, ist für Nicht-Kenner der Serie nicht so leicht ersichtlich, aber ich habe ein bisschen recherchiert und kann daher verraten, dass "die Joma" Carlottas verstorbene Urgroßmutter Johanna war – über Jahrzehnte hinweg die eigentliche Zentralfigur der Serie –, während "Oma und Obernd" Carlottas Großmutter Kati und deren mit dem Rest der Sippe nicht verwandter Lebensgefährte sind. Letzterer heißt Bernd, woraus aus Sicht des Enkelkindes eben "Obernd" wird. Alles klar? 

Nun aber zur Sache: In dem knapp fünfminütigen Ausschnitt aus Folge 1215 zeigt Carlotta, für ihre Familie überraschend, großes und sehr ernsthaftes Interesse am Thema Erstkommunion. Auslöser dafür ist offenbar, dass ihre Schulfreundin Emy seit einiger Zeit zum Erstkommunionunterricht geht; wie sich zeigt, ist Carlotta ohne Wissen ihrer Eltern mit dorthin gegangen und will nun auch zur "Heiligen Kommunion" gehen, wie sie explizit sagt. Sie ist sich allerdings bewusst, dass sie dafür erst einmal getauft werden müsste. 

Gut herausgearbeitet und differenziert dargestellt sind die Reaktionen der Erwachsenen auf Carlottas Ansinnen: Mutter Eva gibt zu erkennen, dass ihre Erinnerungen an ihre eigene Erstkommunion eher negativ besetzt sind, wirkt aber auch nachdenklich, als sie feststellt, dass ihre Tochter sich mit religiösen Themen besser auskennt als sie selbst; der Vater reagiert entschieden ablehnend; Urgroßvater Hermann schließlich ist zwar verwundert und lässt durchblicken, dass er selbst es eher nicht so mit der Religion hat, signalisiert aber deutlich Bereitschaft, Carlotta in ihrem Wunsch zu unterstützen. 

Bemerkenswert ist aber auch und nicht zuletzt der Ernst, mit dem das Mädchen an das Thema herangeht. Wie Carlotta ihrer Mutter gegenüber betont, "das Wichtigste" an der Erstkommunion seien nicht die Geschenke und die Feier in der Familie, sondern dass man "vor zum Pfarrer" geht und "seine heilige Hostie" bekommt; und ihrem Vater gegenüber, an Ostern gehe es nicht darum, dass "der Osterhase die Ostereier bringen kann", sondern darum, dass "Jesus gestorben und wiederauferstanden ist". Und überhaupt, mit welcher Entschiedenheit sie Bezeichnungen wie "heilige Kommunion" und "heilige Hostie" verwendet. Was ist denn das wohl für ein Erstkommunionunterricht, den sie da besucht? Da wird man ja neidisch! 

Das ist, und das meine ich ganz unpolemisch, der Punkt, an dem ich die Darstellung nicht recht realistisch finde (während andere Betrachter ganz andere Aspekte als unrealistisch bemängelten, aber dazu später): Obwohl die in diesem Ausschnitt auftretenden Erwachsenen durchweg, wenn auch in unterschiedlich ausgeprägtem Maße, mit Kirche und Religion nicht viel am Hut haben, scheint vorausgesetzt zu werden, dass im Innenraum der Kirche noch alles intakt sei – dass also die überlieferte Glaubenslehre der Kirche nach wie vor unverkürzt und unverfälscht gelehrt und praktiziert würde, auch und gerade in der Erstkommunionkatechese. Wie wenig das der Realität entspricht, wie erbärmlich das Niveau der Katechese landauf, landab tatsächlich aussieht, davon gibt nicht nur der oben zitierte Text von "Heilige & Halunken" Zeugnis, sondern auch ein kürzlich auf häretisch.de veröffentlichter, von drei namhaften Religionspädagogen und Pastoraltheologen verantworteter Artikel, in dem der eucharistische Leib Christi allen Ernstes als "Jesus-Brot" bezeichnet wird. (Dieser Artikel, der die Überschrift "Beziehungsorientierte statt individualisierte Erstkommunionbegleitung" trägt, würde im Grunde eine gesonderte Auseinandersetzung verdienen.) An dem Text von "Heilige & Halunken" erscheint mir besonders die Frage bezeichnend: "Gehört es für Euch dazu, Eure Kinder in der Weise kirchlich zu sozialisieren, dass sie die Sakramente/Kirchenfeiern miterle[ben]? Oder ist das Ganze nur Folklore?". Spontan habe ich da gedacht: Wieso "oder"? "Gehört es für euch dazu oder ist es nur Folklore?", das klingt für mich nach "Ist es grün oder nur eine Mischung aus Blau und Gelb?". Dass der Wunsch, Kindern den Zugang zum Sakrament der Eucharistie zu eröffnen, etwas mit Glauben zu tun haben könnte – in letzter Konsequenz nämlich mit dem Glauben, dass sich im Empfang der Eucharistie das Wort Jesu "Ich bin das lebendige Brot, das vom Himmel herabgekommen ist. Wer von diesem Brot isst, wird in Ewigkeit leben. Das Brot, das ich geben werde, ist mein Fleisch für das Leben der Welt" (Joh 6,51) erfüllt –, wird überhaupt nicht in Betracht gezogen; stattdessen wird die Erstkommunion rein unter dem Aspekt der kirchlichen Sozialisation wahrgenommen. Diese Perspektive korrespondiert in gewissem Sinne damit, wie zahlreiche Kommentatoren auf der Facebook-Seite des SWR das Geschehen in der Serienepisode wahrnehmen und beurteilen: Sie können sich schlichtweg nicht vorstellen, dass ein Kind wie Carlotta von sich aus ein genuines Interesse an Religion und Kirche entwickelt, wenn ihr dieses im Elternhaus nicht vorgelebt wird. Hinter dem Wunsch, zur Erstkommunion zu gehen, könne sich – so meinen viele SWR-Zuschauer – letztlich nur der Drang verbergen, das zu tun, was auch die Freundin tut; dazu vielleicht noch der Wunsch, ein schönes Kleid zu tragen und bei einer festlichen Zeremonie im Mittelpunkt zu stehen. Die Serienfigur Carlotta weist solche Deutungsmuster zwar explizit und entschieden zurück, aber das empfinden nicht wenige Kommentatoren eben als unglaubwürdig. Dabei fehlt es durchaus nicht an anekdotischer Evidenz dafür, dass so etwas im wirklich Leben sehr wohl vorkommt: dass Kinder plötzlich ein Interesse an Religion entwickeln, das bei ihren erheblich weniger religiösen Eltern Verwunderung und nicht selten Beunruhigung auslöst. Gegenüber dem allgemeinen Trend, dass Religiosität innerhalb von Familien von Generation zu Generation abnimmt, ist das gewiss die Ausnahme, aber eine absolute Singularität ist es nun nicht gerade

Was mir an dem Clip besonders gut gefällt, ist die Scharfsichtigkeit, mit der Carlotta die Unehrlichkeit in der Behauptung ihres Vaters entlarvt, die Eltern hätten sie deshalb nicht als Säugling oder Kleinkind taufen lassen, weil sie wollten, dass sie sich "später selbst entscheiden" kann: Tatsächlich will er ja gar nicht, dass sie sich entscheidet, jedenfalls nicht dafür. Er meint, sie sei noch nicht alt genug für eine solche Entscheidung; aber wann wäre sie das seiner Meinung nach? Mit 14, wenn sie seine Einwilligung nicht mehr braucht? Wenn das so ist, dann ist das wohlklingende "Das Kind soll sich einmal selbst entscheiden" letztlich nur ein Euphemismus für "Nicht solange ich dabei etwas mitzureden habe". Und so dürfte es, bewusst oder unbewusst, bei den meisten Eltern sein, die ihre Kinder nicht taufen lassen und das damit begründen, dass "das Kind sich einmal selbst entscheiden" soll: Damit, dass das Kind dies tatsächlich irgendwann einmal tut, wird gar nicht gerechnet, geschweige denn, dass es erwünscht wäre; man tut auch nichts dafür, das Kind zu einer solchen Entscheidung zu befähigen, und wenn es dann plötzlich doch Interesse an Religion zeigt, fällt man aus allen Wolken. – Wohlgemerkt, ich habe von den meisten Eltern gesprochen, nicht von allen. Natürlich gibt es Eltern, die ihre ungetauften Kinder in der Schule zum Religionsunterricht gehen lassen. Es ist auch nicht unbedingt außergewöhnlich, dass in einem Erstkommunionkurs mit ungefähr 20 Kindern eines oder zwei dabei sind, die noch nicht getauft sind. Im Großen und Ganzen bin ich dennoch überzeugt, dass die Aussage "Das Kind soll sich einmal selbst entscheiden" in den allermeisten Fällen eine recht fragwürdige und fadenscheinige Floskel ist. 

Es lohnt sich übrigens, sich die "Fallers"-Folge "Fromme Wünsche" im Ganzen anzusehen; zwar bildet Carlottas Wunsch nach Taufe und Erstkommunion dort nur einen von drei Handlungssträngen, aber es gibt über die im Ausschnitt gezeigten Dialoge hinaus noch einige weitere interessante Szenen, die das Thema vertiefen. Die Erstkommunion selbst findet, den Vorschaubildern in der Mediathek nach zu urteilen, erst in Folge Nr. 1217 statt; die habe ich mir aber noch nicht angesehen. Möglicherweise wird darauf also noch mal zurückzukommen sein. 


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1 Kommentar:

  1. Zu "das Kind soll einmal selbst entscheiden" - das ist natürlich eine mir-egal bis eine eher feige Position, warum, hast Du ja umrissen. Man kann für Kinder nicht NICHT entscheiden, irgendeine Konsequenz ist ja auch mit der Nicht-Entscheidung verbunden. In der Regel ist die Konsequenz, dass das Kind eben nicht religiös wird (genauso wie die Eltern), weil ihm jede Basis dazu fehlt. Zu wollen, dass das Kind kein Nahverhältnis zur Religion hat, ist legitim, zumal, wenn man diese Basis weder liefern kann noch will, aber dann soll man doch bitte ehrlich dazu stehen.

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