Sonntag, 12. Januar 2020

Wachsmalstifte und Gebet

Meine zweijährige Tochter hat schon sehr früh Begeisterung für Musik an den Tag gelegt, und als ausgeprägter Rock- und Popmusik-Nerd bin ich natürlich bestrebt, das zu fördern und ihren Musikgeschmack frühzeitig in wünschenswerte Bahnen zu lenken. Neben Lobpreis, Lobpreis, Lobpreis und zeitlosen Rockklassikern spiele ich ihr gern auch Musik aus meinen wilden Teenagerjahren, also in etwa aus der ersten Hälfte der 90er, vor; und im Zuge dessen habe ich kürzlich auf YouTube etwas wiederentdeckt, was seit längerer Zeit ziemlich in den Hintergrund meines Musikbewusstseins gerückt war, nämlich das MTV unplugged-Konzert der Gruppe Soul Asylum vom 21. April 1993

Soul Asylum war ja eigentlich eine Punkband (auch wenn man es damals, zumindest bis der Erfolg des dritten Green Day-Studioalbums Dookie anno 1994 ein quasi offizielles Punk-Revival einläutete, nicht "Punk" nannte, sondern "Alternative Rock"), aber ausgerechnet ihr größter Hit "Runaway Train" war eine Ballade, die so harmlos daherkam, dass sie auch von Bon Jovi hätte sein können; nein, ehrlich gesagt war das Stück sogar noch etwas schlechter als vergleichbare Stücke von Bon Jovi. Die andere Single vom 1992er Album Grave Dancers Union, "Somebody to Shove", mochte ich hingegen, und zwar in ausreichendem Maße, um die Band auch insgesamt zu mögen und mir folglich auch ihren Auftritt bei MTV unplugged anzusehen. Damals war es in dieser Konzertreihe üblich, mindestens einen Song zusammen mit einem Gaststar zu performen; und im Rückblick scheint mir, besonders die "Alternative Rock"-Bands, die der Ehre teilhaftig wurden, bei MTV unplugged spielen zu dürfen, legten Wert darauf, Gaststars einzuladen, mit denen niemand gerechnet hätte. Im Falle von Soul Asylum war es die schottische Sängerin Lulu, die in den 60ern ein Teenie-Idol  mit eigener Fernsehshow gewesen war, inzwischen aber 44 war und aussah wie die ein Jahr ältere Hillary Clinton mit rot getönten Haaren. Soul Asylum-Sänger Dave Pirner outete sich als ihr Fan, und gemeinsam brachten sie Lulus 1967er Hit "To Sir with Love" (aus dem gleichnamigen Film) zu Gehör. Und was soll ich sagen: War jut, ey. 



Okay. Warum erzähle ich das Ganze? Weil es in "To Sir with Love" eine Textstelle gibt, über die ich mich damals geärgert habe, und das fiel mir wieder ein, als ich den Song jetzt zusammen mit meiner Tochter anhörte. Die Textstelle lautet – oder jedenfalls dachte ich das damals –: 

"But how do you thank someone 
Who has taken you 
From prayers to perfumes?" 

Was soll das heißen?, grummelte ich seinerzeit. Da wird ja so getan, als wäre Beten nur etwas für kleine Kinder. Man kann sich das sehr schön bildlich vorstellen: Lütt' Lulu, sechs Jahre alt und mit Zöpfchen, kniet sich jeden Abend vor dem Zubettgehen auf den Bettvorleger und spricht ein Nachtgebet ("As I lay me down to sleep..."), aber dann kommt irgendwann die Pubertät und mit ihr die Angst vor Körpergeruch und der Wunsch, dem anderen Geschlecht zu gefallen, und für Gott hat man keine Zeit mehr. Na toll. 

Okay, zugegeben: Da könnte schon was dran sein. Bei vielen Teenagern zumindest. Die Frage ist, ob man demjenigen, der einen auf diesem Weg begleitet oder gar geführt hat, wirklich danken sollte. 

Na ja, vielleicht ist es ja ein Lied über Firmkatechese

Nee, Scherz beiseite, das ist es natürlich nicht. Wie ich jetzt festgestellt habe, heißt es auch gar nicht "from prayers to perfumes". Sondern "from crayons to perfumes", also "von Wachsmalstiften zu Parfüm". Das ist natürlich etwas ganz Anderes. Aber komisch ist es doch, dass sich mir auch da gleich wieder kirchliche Assoziationen aufdrängen. Schließlich geht es auch in der handelsüblichen Kinderkatechese, so wie ich sie in meinem bisherigen Leben kennengelernt habe, schwerpunktmäßig mehr um Wachsmalstifte als um Gebet...


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