Donnerstag, 23. November 2017

Keine Messe für den Friesenapostel

Über zwei Wochen ist es her, dass ich hier etwas über die zu diesem Zeitpunkt noch bevorstehenden Pfarreiratswahlen im Bistum Münster geschrieben habe; die Wahlen selber sind nun auch schon fast zwei Wochen her, da wird's wohl langsam Zeit, dass ich mal etwas zu den Ergebnissen schreibe. Also jedenfalls zu den Ergebnissen in meiner Heimatpfarrei St. Willehad Nordenham/Butjadingen/Stadland. 

Nun wohl: Im Pfarreirat von St. Willehad sind - neben den Sitzen für den Pfarrer, den Diakon und einen Vertreter des Kirchenvorstands - zwölf Sitze für gewählte Mitglieder vorgesehen, und am Abend der Wahl gab die Pfarrei via Facebook bekannt, dass tatsächlich zwölf Kandidaten gewählt wurden. Toll. Die Wahlbeteiligung wurde in diesem Beitrag mit "ca. 10%" angegeben, was in einem am übernächsten Tag erschienenen Presseartikel auf 8,63% nach unten korrigiert wurde. Damit liegt die Wahlbeteiligung allerdings immer noch spürbar über derjenigen der letzten Wahl vor vier Jahren, als sie 7,89% betrug. In absoluten Zahlen ausgedrückt beteiligten sich 266 Gemeindemitglieder an der Pfarreiratswahl - das dürften (wofür ich allerdings keinen Beleg habe, sondern mich nur auf meine subjektive Einschätzung stützen kann, und ich bin notorisch schlecht im Schätzen) mehr sein, als sich an einem "normalen" Sonntag im Jahreskreis zur Heiligen Messe einfinden. Okay, wenn man die Vorabendmesse in Burhave mitrechnet, kommt man vielleicht doch auf mehr Kirchgänger. Aber aus dem Bauch heraus würde ich sagen: Nee, eher nicht. 

Um die zwölf Sitze im Pfarreirat hatten sich übrigens 19 Kandidaten beworben; das ist durchaus beachtlich, wenn man bedenkt, dass - ich erwähnte es bereits - in anderen Pfarreien nur mit Müh und Not genügend Personen gefunden werden konnten, die sich zu einer Kandidatur bereit fanden. Der Frauenanteil unter den 19 Kandidaten betrug knapp 74%, der Altersdurchschnitt gut 51 Jahre. Letzterer wurde allerdings durch eine einzige Kandidatin um volle zwei Jahre nach unten gedrückt: Theresa Eger, Schülerin, war zum Zeitpunkt der Wahl noch nicht 16 Jahre alt. Deshalb war für ihre Kandidatur eine Sondererlaubnis des Bischofs notwendig. Und Theresa Eger wurde dann auch tatsächlich gewählt -- was ich allerdings gar nicht so überraschend finde. Wenn junge Leute sich in der Kirche engagieren, finden viele Gemeindemitglieder das, meiner persönlichen Erfahrung zufolge, eigentlich immer erst mal gut. Mit "persönlicher Erfahrung" meine ich: Ich selbst bin mit 16 Jahren in den Pfarrgemeinderat (so hieß das Gremium damals noch) der damals noch nicht zu St. Willehad gehörenden Gemeinde Herz Mariae Burhave gewählt worden, obwohl ich durchaus auch damals schon eine konfrontative Ader hatte. Mit diesem Hinweis möchte ich den Wahlerfolg der jungen Dame aber nicht schmälern - ganz im Gegenteil: Ich finde es prima, dass sie kandidiert hat, und ebenso, dass die Wähler das honoriert haben. 

Ob man sie zu der Wahl wirklich beglückwünschen kann, würde ich auf der Basis meiner schon angesprochenen persönlichen Erfahrungen erst mal dahingestellt lassen. Dazu ein Fun Fact: Unlängst bin ich auf eine Abhandlung über die Bedeutung der Sinus-Milieus für die Pastoral gestoßen, und darin hieß es über die heiß umworbene Zielgruppe der "Performer", diese seien für die Mitarbeit in einer Pfarrei nicht zu gewinnen, weil sie "lange Gremiensitzungen und ausufernde Diskussionen nicht ertragen" können. Was ich daran so tragikomisch finde, ist die Nonchalance, mit der vorausgesetzt wird, es liege gewissermaßen in der Natur einer Pfarrei, dass Gremiensitzungen lang und Diskussionen ausufernd sind...

Nun aber dazu, was es mit der Überschrift dieses Artikels auf sich hat: Am 8. November war der Gedenktag des Hl. Willehad -- im liturgischen Kalender lediglich ein nicht-gebotener Gedenktag in den Bistümern Hildesheim, Münster und Osnabrück, in Nordenham aber immerhin Patronatsfest. Zugegeben nicht nur dort; nach Willehad benannte Kirchen gibt es zum Beispiel auch in Stade, Accum, Osterholz-ScharmbekEystrup und Garbsen. Allerdings sind die seit der Reformation allesamt evangelisch. Katholische St.-Willehad-Kirchen gibt es außer in Nordenham noch in Wilhelmshaven und auf der Insel Wangerooge; aber für Nordenham hat der Hl. Willehad noch eine besondere Bedeutung - sollte man jedenfalls denken.

Bischof Willehad auf einem spätmittelalterlichen Holzschnitt 
Der um das Jahr 740 im angelsächsischen Königreich Northumbria im Nordosten Englands geborene Willehad kam 772 als Missionar nach Friesland, wo knapp zwanzig Jahre zuvor der Hl. Bonifatius das Martyrium erlitten hatte, und wurde 780 von Karl dem Großen zu den zwischen Weser und Ems siedelnden Sachsen entsandt. Beim Aufstand des Sachsenherzogs Widukind im Jahr 782 musste er fliehen, unternahm eine Wallfahrt nach Rom und zog sich danach für einige Jahre ins Kloster Echternach zurück. 787 wurde er auf Veranlassung Karls des Großen erster Bischof von Bremen; 789 starb er in Blexen an der Weser -- und dieser Ort gehört seit 1933 zum Stadtgebiet von Nordenham.

Das Todesdatum des Hl. Willehad ist die früheste historische Erwähnung eines Nordenhamer Ortsteils überhaupt, weshalb der Heilige weit über die kleine katholische Gemeinde hinaus eine wichtige lokalgeschichtliche Identifikationsfigur ist. Zu seinem 1200. Todestag führte die Niederdeutsche Bühne Nordenham in der (evangelischen) Blexer Kirche ein Historienspiel über sein Leben auf. Zudem findet in ebendieser Kirche seit einigen Jahren jeweils am Sonntag nach dem Gedenktag des Heiligen eine "Ökumenische Willehadvesper" statt.

So weit, so schön; wie aber zelebriert die örtliche, nach dem Lokalheiligen benannte katholische Pfarrei ihr Patronatsfest? Die Pfarrnachrichten, derer ich via Facebook teilhaftig wurde, verraten es:

GAR NICHT. 

Der Gedenktag als solcher ist zwar im Terminplan vermerkt; aber als einzige gottesdienstliche Feier fand an diesem Tag ein Wortgottesdienst in der Filialkirche St. Josef in Rodenkirchen statt, in der Pfarrkirche selbst einen Tag vorher ebenfalls nur ein Wortgottesdienst, geleitet vom Diakon. Dieser Wortgottesdienst am 7.11. trägt im Terminplan den Vermerk "zum Patronatsfest am 8.11.". Ist der Kirchenpatron den Nordenhamern demnach nicht einmal eine Messe wert? Oder hatte der Pfarrer Urlaub? Hätte man nicht die "äußere Feier" auf den Sonntag verschieben können? Nö, konnte man anscheinend nicht. Andere Dinge sind offenbar wichtiger, und für solche Kleinigkeiten wie die Ehrung des Kirchenpatrons gibt's ja die Ökumenische Vesper in Blexen. 

Deutlich intensiver abgefeiert als der Hl. Willehad wird von den Nordenhamer Katholiken alljährlich der Hl. Martin, der seinen Gedenktag zum Unglück des Kirchenpatrons nur wenige Tage später hat. Das Programm für dieses Fest umfasst traditionell einerseits - ähnlich wie an vielen anderen Orten auch - einen Laternenumzug inklusive Theateraufführung, Dudelsackpfeifern (!) und abschließendem Umtrunk am Lagerfeuer; andererseits einen Basar, bei dem "schöne Weihnachtsdekorationen in besonderer Atmosphäre angeboten" werden: "Die Probierstube, das Waffelstübchen und die Cafeteria laden zum Verweilen ein". In früheren Jahren kam es vor, dass diese beiden Veranstaltungen, die von unterschiedlichen Gemeindekreisen ausgerichtet werden, in direkter Konkurrenz zueinander stattfanden; aber seit der neue Pfarrer da ist, haben sich in der Gemeinde ja alle lieb, wie man so hört. 

Ein Bericht der Nordwest-Zeitung über den diesjährigen Martinsbasar in St. Willehad besticht durch seinen hymnischen, ja geradezu überkandidelten Tonfall ("Und schon wurde es hitzig und wuselig. Während der Rushhour zur Kaffeezeit war zwischen den Verkaufsständen im Pfarrsaal kaum noch ein Durchkommen. Zu attraktiv und anregend war das Angebot - egal, ob Flug-Engel aus Pergamentpapier, Filz-Wichtel oder zu hundert Prozent mit Bio-Getreide gefüllte Knuddel-Kisschen, ob Kränze, Holzkerzen, Tischschmuck oder Arbeiten aus Beton[?!]") -, aber so ist Lokalpresse nun mal (oft). Alles in allem habe ich gar keinen Grund oder Anlass, über den Basar zu stänkern. Die Einnahmen - jedenfalls der "Reinerlös", der NWZ zufolge - gehen als Spende an MISEREOR und sollen einem Traumazentrum für misshandelte Frauen und Mädchen im Nordirak zugutekommen.

Ein Zitat aus dem überkandidelten Artikel muss aber noch sein:
"Ausgesprochen eng war es ebenso in der Krollkuchen-Bäckerei und im Probierstübchen, in dem auch in diesem Jahr wieder eine bunte, nach äußerst fantasiereichen Rezepten zusammengestellte Auswahl an Marmelade und Likör, Plätzchen, Senfsorten und Konfekt in den Regalen bereitstand. Pfarrer Karl Jasbinschek stellte sich auch selbst hinter den Verkaufstresen und lobte den einzigartigen Geschmack der Rote-Grütze-Konfitüre oder der Kürbis-Apfel-Zimt- und der Kiwi-Banane-Kokosmilch-Marmelade."
Das ist natürlich schön, und so viel persönlicher Einsatz und Jovialität wird dem Pfarrer sicherlich hoch angerechnet werden. Ich persönlich würde es an einem Pfarrer indessen eher schätzen, wenn er seltener hinter dem Marmeladenladen-Verkaufstresen anzutreffen wäre und dafür öfter im Beichtstuhl.

Was hat das eine mit dem anderen zu tun? Nun, erst einmal nicht viel - außer dass Pfarrer, wenn sie nicht die seltene Gabe der Bilokation besitzen, denselben Einschränkungen hinsichtlich ihrer Handlungsoptionen unterliegen wie jeder andere Mensch; nämlich in dem Sinne, dass sie bei allem, was sie tun, etwas anderes lassen müssen. Aber eigentlich ist diese Anmerkung lediglich als eine vielleicht etwas erzwungene Überleitung gedacht. Mir ist nämlich an den Pfarrnachrichten aus St. Willehad etwas aufgefallen, was mir eigentlich schon an mehreren früheren Ausgaben dieser Pfarrnachrichten hätte auffallen können (aber etwas, was nicht da ist - obwohl es da sein sollte - übersieht man halt leicht): Es fehlt jedweder Hinweis auf Beichtgelegenheiten. Woraus man wohl schließen muss, dass es in dieser Pfarrei schon seit geraumer Zeit keine festen regelmäßigen Beichtzeiten mehr gibt. Was, wenn es denn stimmte, natürlich absolut fatal wäre.

Ich kann mir durchaus vorstellen, wie es dazu gekommen sein mag: Vermutlich war einfach die Nachfrage zu schwach, und irgendwann dachte sich der Pfarrer dann: Wenn hier sowieso keiner kommt, kann ich mit meiner Zeit auch was Besseres anfangen. Schwerer Fehler. Mir ist zwar klar, dass ein Pfarrer in der Diaspora - insbesondere wenn er, wie hier, der einzige Priester in einer territorial recht großen Pfarrei ist - eine Menge Dinge zu tun hat. Allerdings gibt es auch eine Menge Dinge, die ein Priester nicht unbedingt selber machen muss. Beichte hören aber schon. Mindestens eine Stunde in der Woche MUSS dafür drin sein. Für den Fall, dass keiner kommt, soll er sich halt was zu lesen mitnehmen.

Wenn in einer Pfarrei wenig gebeichtet wird und daraus die Konsequenz gezogen wird, die festen regelmäßigen Beichtzeiten abzuschaffen, ist die Folge daraus mit nahezu mathematischer Sicherheit, dass noch weniger gebeichtet wird. Sicherlich kann man, wenn es keine festen regelmäßigen Beichtzeiten gibt, individuell einen Beichttermin vereinbaren (allerdings wird auch diese Möglichkeit in den Pfarrnachrichten nicht erwähnt). Wer ein ausgeprägtes Bedürfnis hat, zu beichten - sei es aus Gewohnheit, aus Gehorsam (unpopuläres Wort!) oder weil er gerade akut etwas Gewichtiges auf dem Gewissen hat -, wird von dieser Möglichkeit vermutlich Gebrauch machen; wer sich mit dem Beichten schwer tut, für den wird die Hemmschwelle so aber extrem erhöht, und wer die Beichte sowieso für mehr oder weniger überflüssig hält, wird in dieser Auffassung bestärkt. Übrigens: Wenn in einer Gemeinde so gut wie nie jemand beichtet, aber praktisch alle Messbesucher sonntags zur Kommunion gehen, könnte man die Frage, ob da wohl alles mit rechten Dingen zugehen kann, ruhig auch mal in einer Predigt ansprechen.

Letzteres ist natürlich eine Anregung an den Pfarrer. Die anderen genannten Aspekte der Frage, wie man dem Sakrament der Beichte zu angemessener Geltung verhelfen könnte, wären aber vielleicht auch ein Thema für den neugewählten Pfarreirat...







1 Kommentar:

  1. Beichte befreit. Das kann selbst die beste Kiwi-Banane-Kokosmilch-Konfitüre nicht leisten.
    Was die Gabe der Bilokation angeht, so Ist meines Wissens noch nie dadurch der Verkauf von irgendwas möglich geworden.

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