Mittwoch, 27. September 2017

Ist Bloggen "relevant"?

Zu diesem Thema wollte ich schon länger - das heißt, seit ungefähr zwei Monaten - mal etwas schreiben; aber heute ist der 6. Jahrestag der Eröffnung meines Blogs, da wird also ein Jubiläumsartikel fällig, und mir scheint, dafür eignet sich dieses Thema ziemlich gut. 

Wider die Versuchung des Hochmuts. 
Während ich mit meiner Liebsten in Lourdes war, wurde ich auf Umwegen auf einen Artikel auf katholisch.de aufmerksam, in dem es um "theologisches Feuilleton im Internet" ging. Nanu, dachte ich: katholisch.de schreibt über Blogs? Und das auch noch mit unverkennbarem Wohlwollen? Normalerweise betrachtet die Redaktion von katholisch.de die katholische Bloggerszene doch - aus Gründen - als ihren natürlichen Feind und spricht ihr gern mal die "publizistische Relevanz" ab. Okay, in dem besagten Artikel geht es nicht einfach um irgendwelche Blogs, sondern wie gesagt um theologisches Feuilleton im Internet. Also nicht um dahergelaufene Feld-, Wald- und Wiesenkatholiken, die ihre persönlichen Herzensergießungen über Gott und die Welt, die Kirche und den ganzen Rest in die virtuelle Öffentlichkeit hinausposaunen und sich dabei zuweilen sogar erdreisten, eine Meinung darüber zu haben, was die publizistischen Berufskatholiken so alles treiben; sondern um gepflegte Publikationen studierter Leute, die auf der Höhe des akademischen Diskurses stehen. Das ist natürlich etwas völlig Anderes. (Das ist es tatsächlich, das meine ich nicht [nur] ironisch.) 

Der von Felix Neumann gezeichnete Artikel stellt exemplarisch drei theologisch-feuilletonistische Blogs vor: Feinschwarz, Dei Verbum und y-nachten. Mit Feinschwarz habe ich mich hier schon ein paarmal auseinandergesetzt, mit y-nachten immerhin einmal; mit Dei Verbum hingegen noch nicht, was zum Teil dadurch bedingt ist, dass ich es trotz mehrerer Anläufe bisher nicht geschafft habe, auch nur einen auf dieser Seite erschienenen Artikel zu Ende zu lesen. Weil mich die Schreibe der beiden dort publizierenden Autoren einfach zu sehr nervt. Aber darum soll es hier nicht gehen, jedenfalls nicht primär. Begnügen wir uns damit, festzuhalten, dass, während Feinschwarz sich (meinem zweifellos unvollständigen Eindruck zufolge) hauptsächlich mit Pastoraltheologie befasst (und in diesem Bereich gern diverse Ansätze dazu diskutiert, die Kirche grundlegend "neu zu erfinden"), Dei Verbum und y-nachten eher darauf ausgerichtet scheinen, die Lehre der Kirche zu dekonstruieren: erstere v.a. durch eine entschlossen gegen den Strich der Lehrtradition bürstende Lesart der Bibel, letztere hingegen mittels Gender, Intersektionalität und sonstigem Hipstergequatsche. Dass y-nachten in einem Atemzug mit den beiden anderen Blogs genannt wird, erscheint schon in Hinblick auf das intellektuelle Niveau etwas befremdlich, aber auch damit will ich mich hier nicht groß aufhalten.

Was ich an dem katholisch.de-Artikel wirklich interessant fand, war der Umstand, dass bei y-nachten und Dei Verbum - bei Feinschwarz hingegen nicht - auch konkrete Angaben zur Reichweite gemacht wurden. Und da stellte ich - staunend, da ich es auch nach sechs Jahren immer noch gewohnt bin, mich als ein eher kleines Licht der katholischen Bloggerszene einzuschätzen - fest: Ich hab' mehr. Oder zumindest nicht weniger. "Gut 9000 Leser finden die Texte mittlerweile pro Monat", wird mit Bezug auf Dei Verbum verraten; weniger als das hatte ich zuletzt im August 2016, als ich auf dem Jakobsweg war und deshalb keine neuen Beiträge erschienen. Und über y-nachten heißt es: "Um die tausendmal wird ein erfolgreicher Artikel gelesen". Ein erfolgreicher. Nach diesem Maßstab hatte ich im laufenden Jahr bislang 24 "erfolgreiche Artikel", darunter einige, die weit über 1000 Aufrufen liegen. Ich erwähne das nicht aus Gründen der Selbstbeweihräucherung, auch wenn das so aussehen mag; im Gegenteil möchte ich damit die Frage aufwerfen, ob Reichweite gleichbedeutend mit Relevanz ist oder wie sich beide Größen zueinander verhalten. Immerhin habe ich es mit meiner Reichweite noch nicht zu einem Feature auf katholisch.de gebracht. Und wo wir schon davon reden: Insgesamt habe ich schätzungsweise 5% der Reichweite von katholisch.de. Wenn ich mir vorstelle, ich hätte auch 5% ihres Budgets... Oha. Da würde ich aber noch ganz andere Sachen anstellen.

Wie dem auch sei: Die genannten Zahlen zeigen wohl, dass, wenn Reichweite der einzige Indikator für "Relevanz" wäre, der Gesamtbereich der Internetpräsenzen mit dezidiert katholischen Content - einschließlich katholisch.de selber - vor dem Maßstab einer breiten Öffentlichkeit kaum der Rede wert wäre. Wer "katholisch schreibt", egal in welchem Medium, schreibt für ein Nischenpublikum; darüber sollte man sich keine Illusionen machen. Für die Frage nach der "Relevanz" ist somit eigentlich nur von Interesse, für welche Nische man eigentlich schreibt und inwieweit da die Resonanz den Aufwand rechtfertigt. Und es dürfte auf der Hand liegen, dass Formate wie Feinschwarz, Dei Verbum oder y-nachten eine wesentlich andere Nische ansprechen als Blogs wie zum Beispiel dieser hier. "[D]ie Rückmeldungen von Kommilitonen und Professoren sind positiv", freuen sich beispielsweise die Initiatoren von y-nachten; das sei ihnen gegönnt.

Nun sollte ich mich aber anlässlich meines sechsjährigen Bloggerjubiläums vielleicht mal fragen: Welches ist meine Nische? Der Witz ist ja, dass man sich, wenn man wie ich eher zufällig und aus einer Laune heraus mit dem Bloggen anfängt, diese Frage zunächst einmal überhaupt nicht stellt. Man schreibt einfach das, wonach einem der Sinn steht, und wenn Leute das lesen und es vielleicht sogar gut finden: bestens. Wenn nicht, ist das zwar ein bisschen schade, aber in erster Linie schreibt der Privatblogger ja nicht für die Leser, sondern zu seinem eigenen Spaß. Wenn man das eine Weile gemacht hat, stellt man allerdings irgendwann fest, dass positive Leserresonanz durchaus etwas ist, was zum "eigenen Spaß" beiträgt; beziehungsweise, dass das Ausbleiben positiver Leserresonanz einem den Spaß auch verderben kann. Noch entscheidender ist aber: Schreibt man über Dinge, die einem wichtig sind, dann hofft man natürlich, dass es "irgendwo da draußen" Leute gibt, denen diese Dinge auch wichtig sind. Und die will man erreichen. -- Was aber sind das für Leute, in meinem Fall? Über die tatsächliche Leserschaft kann man natürlich nur insoweit Aussagen treffen, wie man Feedback von ihr erhält, sei es durch Kommentare im Blog selbst, in den Sozialen Netzwerken oder auf anderen Kanälen. Und da kann ich sagen, die in diesem Sinne "aktive Leserschaft" meines Blogs scheint tatsächlich ungefähr so gestrickt zu sein, wie ich mir die Leute vorstelle, für die ich schreibe. Positives oder wohlwollend-abwägendes Feedback erhalte ich, je nach konkretem Thema, von einem durchaus breit gefächerten Spektrum von Katholiken (von "moderat-konservativ" über "traditionell" - nicht zu verwechseln mit "traditionalistisch"! - bis hin zu "Neocons" und Charismatikern; Traditionalisten im engeren Sinne sind da eher selten, und ausgesprochene Liberale erst recht), zuweilen auch von Evangelikalen und auch von Nichtchristen, die aber "dem Phänomen Religion gegenüber aufgeschlossen" sind; nicht wenige meiner regelmäßigen Leser bloggen selber auch, das muss diese interne Vernetzung sein, von der immer alle reden. Kritisches, entschieden negatives oder grob beleidigendes Feedback gibt es schwerpunktmäßig bei Artikeln mit besonders hohen Zugriffszahlen, was natürlich bedeutet, dass es stark vom jeweiligen Thema abhängt, wer sich da beschwert. Das können liberale Katholiken oder Protestanten sein, Ultra-Tradis, Berliner oder Nordenhamer Lokalpatrioten, professionelle Meckerköppe, Abtreibungsbefürworter oder Neuheiden. Während besonders die beiden letztgenannten Gruppen sich für gewöhnlich nur zu "ihren" Themen äußern, gibt es auch regelmäßige Leser, die in vielen wesentlichen Punkten ganz und gar nicht mit mir übereinstimmen und mir von Zeit zu Zeit mitteilen, dass sie das nach wie vor nicht tun. Dass sie trotzdem regelmäßige Leser sind, finde ich schon auch erfreulich. Von wegen Filterblase und so.

Ich sprach weiter oben von "erfolgreichen Artikeln" ab 1000 Lesern. Auf meinem Blog gibt es auch immer mal wieder "weniger erfolgreiche" Artikel, die vielleicht nur 200-300 Leser finden. Nicht selten sind das ausgerechnet solche Artikel, die mir persönlich wichtiger sind als manche, die in Hinblick auf die Zugriffszahlen so richtig "abgehen". Okay, sage ich mir dann: 200 bis 300 Leute; da hätte ich eine Menge zu tun gehabt, um das, was ich zu diesem Thema zu sagen gehabt habe, einer entsprechenden Anzahl von Leuten im persönlichen Gespräch mitzuteilen. So gesehen schon mal ein Erfolg. Ein noch weit größerer und schönerer Erfolg ist es, wenn - was hin und wieder mal vorkommt - sich Leser persönlich bei mir bedanken, etwa, weil einer meiner Artikel ihnen eine neue Perspektive auf bestimmte Themen eröffnet oder ihnen eine langgehegte Frage überzeugend beantwortet hat, oder einfach nur, weil das, was ich schreibe, sie berührt hat. Diese Art von Feedback ist absolut unbezahlbar und durch keine noch so stolze Zugriffsstatistik aufzuwiegen.

Meine Motivation zum Bloggen ist also auch nach sechs Jahren ungebrochen. Trotzdem, und auch trotz der Tatsache, dass sich die Zugriffszahlen, abgesehen von gewissen saisonalen Schwankungen, über die Jahre insgesamt konstant nach oben bewegt haben, treibt mich in jüngerer Zeit zunehmend die Frage um, wie relevant dieses ganze Geblogge eigentlich ist. Nein, keine Sorge, ich denke überhaupt nicht daran, mit dem Bloggen aufzuhören, und eigentlich noch nicht einmal daran, weniger zu bloggen (wozu es "aus Gründen" eventuell trotzdem kommen wird, aber dazu später). Aber woran ich sehr wohl denke, ist, dass Bloggen alleine nicht genügt. Dass es Anderes und Wichtigeres für mich zu tun gibt, um dem Reich Gottes zu dienen. Beeinflusst sowohl durch Rod Drehers "Benedict Option" als auch durch Schriften von Dorothy Day - was für mein Empfinden hervorragend zusammenpasst, auch wenn man Rod Dreher und Dorothy Day, politisch gedacht, in entgegengesetzten "Lagern" vermuten könnte -, neige ich immer mehr zu der Auffassung, dass lokale Basisarbeit das Gebot der Stunde ist, und wiewohl ich in den letzten Monaten bereits erste Schritte in diese Richtung unternommen habe, sehe ich da noch viel Luft nach oben. Ich bin durchaus der Meinung, dass das Bloggen eine sinnvolle und nützliche "flankierende Maßnahme" zur lokalen Basisarbeit sein kann, aber das würde bzw. wird erfordern, dass sich der inhaltliche Schwerpunkt dieses Blogs tendenziell verschiebt. Gut, das hat sich wohl schon seit einigen Monaten abgezeichnet, wenn auch nicht ganz konsequent. Ich vermute mal, so - also nicht ganz konsequent - wird das auch weitergehen.

Und dann - ein paar verstreute Andeutungen dazu gab es schon - werde ich in ein paar Wochen Vater. Dass das meine Prioritäten gründlich neu sortieren wird, dürfte jedem klar sein. Wie sagte die Hl. Mutter Teresa? "Wenn du die Welt verändern willst, geh nach Hause und liebe deine Familie." Auch darüber dürfte es eine Menge zu bloggen geben - sofern Zeit und Energie es erlauben. So oder so, auch dies wird den Schwerpunkt dieses Blogs verändern. Seien wir gespannt.



6 Kommentare:

  1. Ich lese Ihren blog seit einiger Zeit ziemlich regelmäßig und auch fast immer mit Gewinn. Manches, was mehr in Richtung Charismatik geht, ist dann nicht ganz so meins, verkürzend gesagt: Lieber aoR als Night Fever. Aber insgesamt kommt man über weite Strecken nicht umhin, mit Freude zuzustimmen. Die große Stärke dieses blogs ist die
    Akribie, mit der einzelne Themen untersucht werden, was manchmal auch eine gewisse Länge nach sich zieht.
    Wie dem auch sei: Danke für das fleißige Bloggen und weiter so!

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    1. Witzigerweise halte ich Nightfever übrigens für die am wenigsten in die gern "charismatisch" genannte Richtung gehende aller neuen geistlichen Gemeinschaften (weniger noch als die Jugend 2000) und insofern quasi gleich einen Schritt neben dem aoR stehend. Es gibt auch vor Ort jede Menge personelle Querschnitte zwischen aoR und Nightfever, zumal eine Eucharistische Anbetung mit tendenziell leiser meditativer Hintergrundmusik (gut, althergebracht wäre: gar keine), Beichte nebenher und Komplet (!!) hernach, anschließend meist Salve Regina auf Latein (!) und ein Abendlied des klassischen anglikanischen Stils, schon ganz massiv mit althergebrachten Andachtsformen zu tun hat. (Auch wenn natürlich die NO-Komplet gebetet wird ;-) )

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  2. Ich finde den Begriff der Relevanz ein bißchen schwierig. Mein Blog hat bescheidene Zugriffszahlen (etwa 3000 pro Monat) und wird von einem kleinen und langsam wachsenden Leserstamm gern gelesen, von manch einem auch gern in der Luft zerrissen (wenn es um Lebensrecht geht). Einmal hat eine Frau mir geschrieben, mein Blog hätte ihr geholfen, in die katholische Kirche zurückzukehren. Darüber freue ich mich dauerhaft.
    Ich glaube, gerade die katholischen Blogger sollten sich verstehen als die, die sagen, was katholisch ist und wie das geht - jeder auf seine Weise; dann sprechen sie viele an. Gemeinsam sind wir relevant (und als Einzelne wenigstens hie und da auch).

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  3. Wie steht es beim Kollegen Bellfrell so schön? https://bellfrell.blogspot.de/
    "Manches schreibt man, damit man sich mitteilt
    Manches schreibt man, damit es los wird.
    Manches schreibt einfach zum Spaß."

    Das nur zur Relevanzfrage.

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  4. @ Claudia Sperlich: 3000 pro Monat sind "bescheiden"??? Das ist ungefähr doppelt so viel wie ich habe. OK, ich veröffentliche auch weniger als halb so viel wie du, aber ich schreibe hauptberuflich ja auch woanders. Da fehlt dann oft die Zeit.

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  5. Ohne jetzt zu quengeln - wer wäre ich - sei doch dem Germanisten und Marsch für das Leben Teilnehmer gesagt: Du BIST Vater! Soviel klugscheißender Gückwunsch muß sein!

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