"Kann man nicht auch ganz normal Christ sein?" Ich erinnere mich, diese Frage so oder so ähnlich mehr als einmal von meiner Mutter gehört zu haben, in einer Zeit, als meine Geschwister und ich anfingen, uns - auf durchaus unterschiedlichen wegen und teilweise auch "phasenverschoben" - religiös zu "radikalisieren". (In meinem Fall - dazu habe ich mich in meinem Blog schon mehrfach andeutungsweise geäußert - wurde diese Radikalisierung nach ein paar Jahren erst mal von einer längeren Phase umso größerer Glaubens- und Kirchenferne abgelöst, und dazu ließe sich im Zusammenhang mit dieser Frage sicherlich noch Einiges mehr sagen, doch dazu lieber ein Andermal. Lamentieren will ich darüber jedenfalls nicht - es gibt auch notwendige Umwege.) In meinem damaligen jugendlichen Überschwang jedenfalls hätte ich die obige Frage wohl naserümpfend verneint, wenn mein Respekt vor meiner Mutter mich nicht davon abgehalten hätte (also zumindest vom Naserümpfen). -- Und heute? Heute gewinnt dieser Frage in Folge meiner Auseinandersetzung mit der "Benedict Option" eine ganz neue Aktualität und Brisanz für mich.
Mein Tagespost-Beitrag zu den Kernthesen von Rod Drehers aktuellem Bestseller The Benedict Option wie auch mein erster vertiefender Blogartikel zu diesem Thema haben, wie erwünscht, ein durchaus kontroverses Echo ausgelöst; auf viele der kritischen Einwände, die da formuliert wurden, wird im Zuge meiner weiteren Auseinandersetzung mit Drehers Buch noch einzugehen sein, aber besonders gewichtig und interessant erscheint es mir, dass Drehers Aufruf zur Bildung von Gemeinschaften, in denen ein intensiv christlicher Lebensstil gepflegt wird, von einigen Lesern als Abwertung der Lebensweise "ganz normaler" Christen, ja geradezu als Vorwurf an diese verstanden wurde. Exemplarisch sei hier ein Kommentar von Leserin Crescentia zitiert:
"Und was ist zum Beispiel mit den Christen, die brav die Vorgaben der ach so laschen Hierarchie (Sonntagspflicht etc.) erfüllen, aber keine Lust an weiterer Gemeinschaftsbeteiligung haben? Der gute Katholik, der wochentags im staatlichen Finanzamt arbeitet, samstags im örtlichen Schachklub zu sehen ist und sonntags dann in der katholischen Messe, ist der in einer Benedict-Option-Gemeinschaft-Welt ein schlechter Christ? [...] Ist es kein 'radikal christliches' Leben, wenn man ein 'ganz normales' Leben mit seiner Familie führt, dabei betet und die Sakramente empfängt und sich an die Gebote hält?"
Da würde ich erst mal sagen: Wer das tut, der tut ja schon viel. "Normal" ist das nicht unbedingt - schon gar nicht unter den Bedingungen eines gesellschaftlichen Klimas, das dem christlichen Glauben zunehmend ablehnend bis feindselig gegenübersteht. Und genau an diesem Punkt setzen Rod Drehers Überlegungen an: bei der Feststellung, dass es gläubigen Christen immer schwerer gemacht wird, ihrem Glauben treu zu bleiben - wenn sie nicht in ein Netzwerk von Gleichgesinnten eingebunden sind, das sie stützt. Ein Netzwerk, das ihnen dabei hilft, ihren eigenen Glauben zu stärken und zu vertiefen, ja, eine Einheit von Glauben und Leben herzustellen - und das eben dadurch auch eine Strahlkraft nach außen entwickelt und so auch missionarisch wirkt. Nicht mehr und nicht weniger als dies ist der Kerngedanke der ganzen Benedict Option: dass Christsein nur in Gemeinschaft funktioniert. Außer vielleicht, man ist zum Eremitendasein berufen. Aber das ist eine sehr seltene Berufung.
Wenn ich mir das kritische Echo auf Rod Drehers Buch The Benedict Option ansehe, fallen mir zwei scheinbar widersprüchliche Tendenzen auf: Den Einen ist das Konzept der Benedict Option zu extrem, die Anderen sind enttäuscht, dass es sooo extrem gar nicht ist. Wenn ich sage, dies sei nur ein scheinbarer Widerspruch, dann deshalb, weil beide Urteile grundsätzlich von derselben Erwartungshaltung ausgehen: von der Annahme nämlich, hinter dem Schlagwort Benedict Option verberge sich etwas unheimlich Radikales. Das führt bei denjenigen, die diese Radikalitär eher abschreckend finden, leicht dazu, dass sie sich nur oberflächlich mit Drehers Thesen beschäftigen, sein Buch gar nicht oder nur auszugsweise lesen - und so keine Gelegenheit haben, ihre verzerrte Wahrnehmung zu korrigieren. Wohingegen die, die sich von der angenommenen Radikalität des Konzepts angezogen fühlen, das Buch tatsächlich lesen und dabei auf Sätze stoßen wie:
"Schalte den Fernseher ab. Leg das Smartphone weg. Lies Bücher. Spiel Spiele. Mach Musik. Feiere mit deinen Nachbarn. [...] Lege einen Garten an und beteilige dich an einem lokalen Wochenmarkt. Bring deinen Kindern bei, Instrumente zu spielen, und gründe eine Band. Tritt der Freiwilligen Feuerwehr bei."
Das ist doch nichts Besonderes, werden sie denken. Soll das etwa ALLES sein? - Nö, soll es nicht. Es finden sich durchaus auch erheblich weitergehende Anregungen für einen "radikal christlichen Lebensstil" in Drehers Buch. Zu beachten ist allerdings, dass die eigentliche Radikalität von Drehers Forderung nach einer entschieden christlichen Lebensweise sich weniger auf äußere Fakten bezieht - ob jemand auf dem Land oder in der Stadt lebt oder was für einen Beruf jemand ausübt - als vielmehr auf die innere Einstellung. Zu den von Dreher gepriesenen Grundgedanken der benediktinischen Ordensregel gehört auch das Prinzip der Ausgewogenheit, und damit der Grundsatz, niemandem mehr aufzuerlegen, als er tragen kann. Das sprichwörtliche "Scherflein der Witwe" (Mk 12,41-44) war ein minimaler Geldbetrag, aber es war alles, was sie hatte. Wer nicht viel zu geben hat, der soll eben das geben, was er geben kann. Und das ist für Jeden etwas Anderes.
Es liegt auf der Hand, dass nicht Jeder ein Farmhaus in Montana und ein paar Hühner kaufen und damit eine Landkommune begründen kann. Ja, es wäre auch nicht einmal sinnvoll, dass Jeder das täte. Ebenso wie es für das Funktionieren der Gesellschaft als Ganzer notwendig ist, dass es ganz unterschiedliche Berufsstände gibt, die auch unterschiedliche Lebensumstände und eine unterschiedliche Alltagsstruktur bedingen, ist es für die Christenheit wichtig, dass in all diesen unterschiedlichen gesellschaftlichen Schichten und Gruppen Christen präsent sind - um dort Salz der Erde und Licht der Welt zu sein. Um mal Johannes Hartl zu zitieren:
"Jesus sagt: Ihr seid das Salz der Erde. Glaubst du, dass das Salz in der Suppe schwimmt und sagt: 'Alles um mich rum ist so fad!'? Ihr seid das Licht der Welt! Das Licht, sagt das 'Das ist aber blöd, dass es so dunkel ist überall'? - Dafür bist du dort!"
Kurz gesagt: Dass es Christen gibt, die so leben, wie es im obigen Zitat von Leserin Crescentia skizziert wird, ist nicht nur legitim, sondern sogar notwendig. Aber auch diese Christen, ja gerade diese benötigen, um ihre Mission als Christen in der Welt erfüllen zu können, ein Netzwerk, das sie stützt und im Glauben stärkt. Womit ich wieder am Anfang meiner Ausführungen angekommen wäre.
Heinrich Hofmann: Christus und der reiche Jüngling (18899. |
Zu bedenken ist auch und nicht zuletzt: Dass wir überhaupt die Möglichkeit haben, als Christen unseren Glauben zu leben und gleichzeitig ein mehr oder weniger "normales" Leben in der "Mitte der Gesellschaft" zu führen, ist historisch - und global gesehen auch heutzutage - keinesfalls der Normalfall. In den ersten drei Jahrhunderten ihres Bestehens war die Christenheit im Römischen Reich eine ausgegrenzte, vielfach angefeindete und zeitweilig brutal verfolgte Minderheit. Und wie uns schriftliche Quellen verraten, war die Lebensweise dieser frühen Christen noch um Einiges radikaler als alles, was die Benedict Option vorschlägt und empfiehlt. In der Apostelgeschichte (2,44ff.) lesen wir:
"Und alle, die gläubig geworden waren, bildeten eine Gemeinschaft und hatten alles gemeinsam. Sie verkauften Hab und Gut und gaben davon allen, jedem so viel, wie er nötig hatte. Tag für Tag verharrten sie einmütig im Tempel, brachen in ihren Häusern das Brot und hielten miteinander Mahl in Freude und Einfalt des Herzens."
Und im Brief an Diognet aus dem 2. Jh. heißt es:
"Denn die Christen sind weder durch Heimat noch durch Sprache und Sitten von den übrigen Menschen verschieden. Sie bewohnen nirgendwo eigene Städte, bedienen sich keiner abweichenden Sprache und führen auch kein absonderliches Leben. Keineswegs durch einen Einfall oder durch den Scharfsinn vorwitziger Menschen ist diese ihre Lehre aufgebracht worden und sie vertreten auch keine menschliche Schulweisheit wie andere. Sie bewohnen Städte von Griechen und Nichtgriechen, wie es einem jeden das Schicksal beschieden hat, und fügen sich der Landessitte in Kleidung, Nahrung und in der sonstigen Lebensart, legen aber dabei einen wunderbaren und anerkanntermaßen überraschenden Wandel in ihrem bürgerlichen Leben an den Tag. Sie bewohnen jeder sein Vaterland, aber nur wie Beisassen; sie beteiligen sich an allem wie Bürger und lassen sich alles gefallen wie Fremde; jede Fremde ist ihnen Vaterland und jedes Vaterland eine Fremde. Sie heiraten wie alle andern und zeugen Kinder, setzen aber die geborenen nicht aus. Sie haben gemeinsamen Tisch, aber kein gemeinsames Lager. Sie sind im Fleische, leben aber nicht nach dem Fleische. Sie weilen auf Erden, aber ihr Wandel ist im Himmel. Sie gehorchen den bestehenden Gesetzen und überbieten in ihrem Lebenswandel die Gesetze. Sie lieben alle und werden von allen verfolgt. Man kennt sie nicht und verurteilt sie doch, man tötet sie und bringt sie dadurch zum Leben, Sie sind arm und machen viele reich; sie leiden Mangel an allem und haben doch auch wieder an allem Überfluss, sie werden missachtet und in der Missachtung verherrlicht; sie werden geschmäht und doch als gerecht befunden. Sie werden gekränkt und segnen, werden verspottet und erweisen Ehre. Sie tun Gutes und werden wie Übeltäter gestraft; mit dem Tode bestraft, freuen sie sich, als würden sie zum Leben erweckt."
Im Römischen Reich folgte fast unmittelbar auf die letzte und heftigste Welle staatlicher Christenverfolgung unter Kaiser Diokletian in den Jahren 304-311 die Mailänder Vereinbarung Kaiser Konstantins im Jahr 313, die Christen (und allen anderen "fremden" Glaubenrichtungen) Religionsfreiheit zusicherte. Im Grunde wurde es erst ab diesem Zeitpunkt überhaupt möglich, als Christ ein "normales Leben" zu führen. Rund 70 Jahre später, unter Kaiser Theodosius I., wurde das Christentum alleinige Staatsreligion im Römischen Reich, wodurch es geradezu notwendig wurde, zumindest pro forma Christ zu sein, um ein "normales Leben" führen zu können. Im Grunde bedeutete diese Situation ein Dilemma für den christlichen Glauben, der eigentlich eine persönliche Entscheidung verlangt und kein bloßes Nachgeben gegenüber einem gesellschaftlichen Konformitätsdruck. Die Auswirkungen dieses Dilemmas sehen wird bis heute. In Deutschland gehören heute noch fast zwei Drittel der Bevölkerung nominell einer christlichen Glaubensgemeinschaft an, aber niemand wird bestreiten, dass Glaubenspraxis und Glaubenswissen massiv geschwunden sind. Geschwunden ist - außer vielleicht in einigen besonders stark konfessionell geprägten, v.a. ländlichen Gegenden - auch der gesellschaftliche Druck, wenigstens auf dem Papier einer christlichen Kirche angehören zu "müssen"; insofern müsste man sich eigentlich fragen, wieso es nicht noch viel mehr Kirchenaustritte gibt, als das tatsächlich der Fall ist. Die Antwort auf diese Frage liegt vermutlich in einem Phänomen, das man als "Kulturchristentum" bezeichnen könnte: Man definiert sich selbst als Christ und nimmt an, um dieser Selbstdefinition gerecht zu werden, genüge es, Kirchensteuer zu zahlen, zu Weihnachten und vielleicht zu Ostern den Gottesdienst zu besuchen, kirchlich zu heiraten, seine Kinder taufen zu lassen, sie zur Erstkommunion und eventuell auch noch zur Firmung gehen zu lassen und sich in hoffentlich möglichst ferner Zukunft kirchlich beerdigen zu lassen - und in der Zwischenzeit ein "ganz normales" Leben zu führen. Und da muss ich dann leider sagen: Nein, das genügt nicht.
Im Grunde beginnt das Dilemma aber schon viel früher, nämlich in den Evangelien selbst. Einerseits stellt Jesus Christus ausgesprochen radikale Anforderungen an Jene, die seine Jünger werden wollen: "Wenn du vollkommen sein willst, geh, verkauf deinen Besitz und gib das Geld den Armen; so wirst du einen bleibenden Schatz im Himmel haben; dann komm und folge mir nach" (Mt 19,21). - "Keiner, der die Hand an den Pflug gelegt hat und nochmals zurückblickt, taugt für das Reich Gottes" (Lk 9,62). Andererseits sagt Er aber auch: "Macht ALLE Menschen zu meinen Jüngern" (Mt 28,19). Es ist aber, wie oben bereits angesprochen, schon aus rein praktischen Erwägungen kaum vorstellbar, dass alle Menschen sich einem derart radikalen Lebensstil verschreiben. Was also tun? - Praktisch seit der oben angesprochenen "Normalisierung" des Christseins im Römischen Reich hat es immer wieder Gruppen von Menschen gegeben, die sich dafür entschieden haben, ihren Glauben auf radikalere Weise zu leben als die "ganz normalen" Christen. So ist das christliche Ordenswesen entstanden, und so auch diverse geistliche Gemeinschaften von Laien. Solche Gemeinschaften sind in unterschiedlichem Maße "abgesondert" - von der strengen Klausur bis hin zum Leben "mitten in der Gesellschaft" -, aber in dem einen oder anderen Sinne sind sie alle nicht nur für sich selbst da, sondern auch dafür, in die breitere Gesellschaft hinein zu wirken, sie zu befruchten, auch die "ganz normalen Christen" im Glauben zu stärken. Victor Hugo, selbst nicht unbedingt ein besonders frommer Christ, schrieb: "Die ständig Betenden sind für jene nötig, die nie beten."
Die Benedict Option geht nun davon aus, dass eine intensiv christliche Lebensweise, in der der Glaube und die Hingabe an Gott den gesamten Alltag durchdringt und strukturiert, nicht allein eine Berufung für Priester und Ordensleute ist, sondern auch zum Laienapostolat gehört - je nach den Möglichkeiten, die der Einzelne hat, versteht sich. Das soll keine Relativierung der besonderen Berufung von Priestern und Ordensleuten sein - im Gegenteil: Woher sollen die Priester- und Ordensberufungen denn kommen, wenn Kinder und Jugendliche in ihrem täglichen Leben, und insbesondere in ihren Familien, nie mit einem intensiv gelebten christlichen Glauben in Berührung kommen?
Kommen wir abschließend auf die Ausgangsfrage zurück: Kann man nicht auch ganz normal Christ sein? - Nein und ja. Nein, weil es einfach nicht normal ist, Christ zu sein; ja, weil jeder Mensch dazu berufen ist, Christus nachzufolgen. Wenn man unter "normal" versteht, einen gewöhnlichen Beruf auszuüben, gewöhnliche Hobbys, ein durchschnittliches Einkommen und eine durchschnittliche Zahl von Kindern zu haben und durchschnittlich oft in Urlaub zu fahren, würde ich sagen: Natürlich kann man als Christ in diesem Sinne normal sein, und das ist auch gut so. Aber es ist auch gut, dass es Christen gibt, die nicht so normal sind. Beide Seiten brauchen einander. Und was nun die Benedict Option angeht, würde ich sagen: Gerade für die "normalen" Christen kann es ausgesprochen fruchtbar sein, sich mal damit auseinanderzusetzen, wie sie Aspekte dieses Konzepts in ihr alltägliches Leben integrieren können - damit der Glaube im Alltag nicht versandet. Wenn das Ergebnis nun lautet "Na super - regelmäßig beten, zu Gemeindefesten gehen und da hin und wieder mal einen Kuchen oder einen Nudelsalat mitbringen, das mache ich doch sowieso schon", dann kann ich nur sagen:
Gut so. Weitermachen.
Wem das aber nicht genug ist, für den hat die Benedict Option durchaus noch mehr anzubieten. Ich werde meine Artikelreihe über dieses Buch in Kürze fortsetzen.
Ich habe mir die Benedict Option vorgestern gekauft, bin noch nicht sehr weit gediehen. Was mich daran allerdings schon stutzig macht, ist die Art, in der Dreher Christen als eine Art verfolgter Minderheit in den USA darstellt. Das ist angesichts des großen Lobbydrucks, den die Evangelikalen im öffentlichen Leben ausüben (ob man die aus katholischer Sicht wirklich Christen nennen darf, kann man ja mal woanders diskutieren) doch recht gewagt. Zudem bin ich mir nicht sicher, ob ein Autor, der in den Katholizismus hinein- und dann wieder hinauskonvertiert ist, als bester Gewährsmann für konsequentes christliches Leben gelten sollte.
AntwortenLöschenTrotzdem: Ich bin gespannt auf Ihre Interpretation des Buches. Werde an ihr entlanglesen.
Hm, wenn das *so* ist, dann löst sich tatsächlich viel von meiner Kritik an der Benedict Option in Luft auf. Dann kann ich bloß noch sagen, dass Dreher offenbar Banalitäten und Selbstverständlichkeiten, die man in der durchschnittlichen guten Sonntagspredigt zu hören bekommt, und Strukturen, die seit, hm, so ungefähr zweitausend Jahren bestehen, als brandneue "Option" und "Überlebensstrategie" für Christen vermarkten will. (Ich meine, es ist nicht so, dass es nicht auch mal notwendig und gut wäre, Banales und Selbstverständliches zu sagen, ganz im Gegenteil; aber trotzdem kommt mir seine Rhetorik irgendwie blöd vor.)
AntwortenLöschenIch stimme Thomas Beckett zu, was die USA angeht. Christen - ich sage nicht "rechtgläubige Christen" - sind in Westeuropa vielleicht eine Minderheit, aber doch nicht in Amerika! Ich meine, auch wenn der eine die bis-zum-geht-nicht-mehr-liberalen Episcopalians nicht mehr als wirkliche Christen anerkennen will, und der andere vielleicht die Southern Baptists als unchristlich betrachtet, und jemand anders noch die Katholiken Götzendiener nennt, und man viel von dem amerikanischen Christentum auch bloßes "Kulturchristentum" schimpfen kann, wenn man mag... eine "post-christliche" Nation, wie Dreher schreibt, sind die USA dennoch nicht.
- Crescentia.
Ich lese da Dinge wie "The public square has been lost." und "With a few exceptions, conservative Christian political activists are as ineffective as White Russian exiles [...]. One wishes them well but knows deep down that they are not the future." Und im Vorwort: "Don't be fooled: the upset presidential victory of Donald Trump has at best given us a bit more time to prepare for the inevitable."
AntwortenLöschenDreher ist zuletzt in "The American Conservative" (vor allem nach Trumps Auftritt in Saudiarabien) von Trump abgerückt. Aber dass er diese Präsidentschaft zu irgendeinem Zeitpunkt mal als so eine Art Ruhe vor dem säkularen Sturm betrachtet zu haben scheint, finde ich doch äußerst bedenklich.
Und wenn ich nur mal ein Beispiel für einen hochproblematischen Rat nennen darf, den Dreher dem geneigten Leser gibt: "Nimm deine Kinder aus der staatlichen Schule" (u.a. um sie dem 'zersetzenden Einfluss ihrer Gleichaltrigengruppe" zu entziehen) entspricht genau der Art von Rhetorik, die nichts mit Christentum und viel mit alt-right-Verfolgungswahn zu tun hat. "Start Classical Christian Schools" "No Classical Christian School? Then Homeschool!" - Privatisierung und Verengung des Lehrinhalts - das ist alles Madrassa-Taktik. (Bevor ich liberaler Abwehrreflexe bezichtigt werde: Ich sage das als Vater von drei Kindern, die alle in katholische Schulen gehen, bei denen der Schulgottesdienst ad orientem abgehalten und ausschließlich Mundkommunion im Knien gespenet wird, und dessen Ältester mit 12 Jahren bereits fest entschlossen ist, Priester zu werden.)
Bin wirklich gespannt, wie Sie die Benedict Option mit Ihrer Idee der Punk-Pastoral in Einklang bringen und überhaupt jemandem schmackhaft machen wollen.
Dass Dreher erst in jüngerer Zeit "von Trump abgerückt" wäre, kann ich nicht bestätigen. In der "Benedict Option" äußert er sich bereits sehr entschieden anti-Trump (hauptsächlich im 4. Kapitel).
LöschenWas die Kritik an den staatlichen Schulen angeht, bin ich (gerade als werdender Vater in einem Land, in dem Homeschooling nicht erlaubt ist) durchaus zwiegespalten. Aber letztlich kommt es ja nicht darauf an, ob ich oder irgendeiner meiner Leser mit Drehers Thesen voll und ganz übereinstimmt, sondern vielmehr darauf, was für Impulse man aus ihnen beziehen kann. Dazu dann demnächst mehr.
Entschuldigung für meinen Sarkasmus oben. Ich habe den von Ihnen auf Facebook verlinkten Artikel ("Benedict Option FAQ") übrigens mal überflogen, und mir ist dabei wieder ziemlich deutlich aufgefallen, was mich bei Dreher mit am meisten stört - seine Weltuntergangsrhetorik. Achtung, die Barbaren kommen. Vielleicht wird es auch dann, wenn man Drehers Zukunftserwartungen nicht unbedingt teilt, teilweise praktische Impulse in seinem Buch geben, die man aufnehmen kann - die dann allerdings größtenteils nichts wirklich Neues zu sein scheinen, aber da lasse ich mich mal noch von den kommenden Artikeln überraschen, um die Einzelheiten zu erfahren -, aber ich verstehe einfach den ganzen Wirbel um dieses Buch nicht. Was ist daran interessant oder neu? Bisher habe ich den Eindruck, das Ganze ist ein Kuddelmuddel aus guten Ideen, altbekannten Ideen, unklaren Ideen, blöden Ideen, Panikmache und amerikanisch-christlichem Marketingsprech.
AntwortenLöschenNoch etwas, was speziell das Thema dieses Artikels näher betrifft: In Drehers FAQ-Artikel (http://www.theamericanconservative.com/dreher/benedict-option-faq/) heißt es zu der Frage "Why can’t we Christians just make up our mind to be good, and join a church with good people in it?" (also praktisch, Wieso können wir nicht einfach normale Christen sein, in dem Sinne, wie das in diesem Artikel bejaht wurde) :
"Well, what is the Good? How can you tell good from bad? How does your community makes decisions on right from wrong? How do you? Our culture has become so overwhelmingly individualist that we inevitably end up worshiping the Self. The sociologist Christian Smith’s work on Moralistic Therapeutic Deism has shown how historical Christianity has been revolutionized from within by modernity, and has become pseudo-Christian. To oversimplify, modern forms of Christianity do not challenge modernity’s assumptions, and are therefore highly susceptible to being colonized by it. This, in fact, is what has happened to most churches, and most individual believers."
Also, er sagt, das normale Christentum reicht nicht, weil die meisten Kirchen sich zu sehr an die Moderne angepasst hätten. Das Fazit ist dann offenbar, man muss sich von den Mainstreamkirchen lossagen und sich eine Kirche (oder eine Gemeinschaft innerhalb einer Kirche) suchen, die sich stärker von der Moderne abgrenzt, als es normalerweise üblich ist. Da könnte man dann natürlich auch in Bezug auf *diese* Kirche wieder fragen "How does your community make decisions?". Das beantwortet Dreher hier nämlich nicht so genau - außer, dass es nicht modernistisch sein darf.
Und mein Hauptkritikpunkt ist natürlich: DAS IST PROTESTANTISCHE EKKLESIOLOGIE IN REINFORM. Wie kann ein orthodoxer Christ, der mal Katholik war, so etwas schreiben? "Die meisten Kirchen sind modernistisch" geworden - ja, mag vielleicht sein, das weiß ich nicht, aber deswegen gehören wir Christi wahrer Kirche an, der einen, heiligen, katholischen und apostolischen. Wir wissen, was gut ist, weil besagte Kirche es uns sagt. Punkt, aus, Ende. Es kommt einem so vor, dass es Dreher mehr darum geht, dass Christen verschiedener Konfessionen seinen Benedict-Option-Ideen (*worin auch immer* die nun eigentlich bestehen) folgen, als dass sie rechtgläubig sind und der richtigen Kirche angehören. Die Gemeinschaft, der wir angehören sollten, ist meiner Meinung nach in erster Linie die Weltkirche, und dann die Ortskirche, und dann vielleicht noch was anderes.
- Crescentia.
Wie gesagt, ich bin gespannt, das meine ich ganz ernst. Aber: semper respice nuntium, ne?
AntwortenLöschenDer "normale" Christ, zu denen ich mich zähle, hat mit einem Phänomen zu tun, welches in der Geschichte der Kirche wohl eine Alleinstellung innehat. Die Sozialisierung der Person Jesu auf breiter Front. Ein Phänomen, welches z.B. die frühen Gemeinden in den Anfängen des Christentums und darüber hinaus völlig unbekannt war. Wenn ich, oft verzweifelt und mit wenig Hoffnung auf Hilfe der "Amtskirche" daran festhalte, dass Jesus der Sohn Gottes ist, mit all den Folgen für die Welt und für das Seelenheil der Menschen, bin ich kein "normaler" Christ mehr. Ich begebe mich, ohne meinen Willen in eine Anonymität, in der ich phasenweise vollkommen alleine bin. Mittlerweile dürstet man nach authentischen Worten Jesu und deren Auslegung z.B. in einer Predigt. Aber der Durst wird nicht gestillt, was die Predigt angeht. Weit und breit ist Jesus in der Verkündigung zum Bruder aller degradiert worden, dem es anscheinend wichtiger ist, Flüchtlingen zu helfen anstatt sein eigenes Herz zur Wohnstätte des hl. Geistes zu machen. Dabei hat uns der Herr ein Patentrezept für ein gelungenes christliches Leben hinterlassen: "Sucht ZUERST das Reich Gottes, ALLES ANDERE wird euch hinzu gegeben werden!" Unter dem alles Anderem ist auch die Option von Rod Dreher oder die des Opus Dei, welche ja das Laienapostolat schon seid Jahrzehnten verkündigt und versucht zu praktizieren.
AntwortenLöschenIch schreib mal wieder was.
AntwortenLöschen– zum Thema „normale Christen“ und so.
Diese Stelle scheint sich anzubieten, um einen grundsätzlichen Kritikpunkt anzumelden. Das wird jetzt zunächst theoretisch und abstrakt. Ich bin allerdings der Meinung, daß abstrakte Theorie immer letztlich von größerer praktischer Relevanz ist, als man es sich gemeinhin so vorstellt.
Zunächst vorweggeschickt: der Rezensent hier scheint unter dem Schlagwort „Benedict Option“ vor allem die Aufforderung zu verstehen, die eigenen Reihen zu schließen, die Kritik von außen bisweilen auch einmal am Hinterteil vorbeigehen zu lassen und sich gemächlich von der katholischen Gemeinschaft stärken zu lassen. Daß ich *dagegen* nichts habe, habe ich schon gesagt; es mag freilich ein wenig untergegangen sein.
Was aber dann das Problem ist? Nun, ich will mich ein bißchen vortasten: es ist zum einen mein Problem gewissermaßen als Katholik. Zum anderen habe ich zufällig mal ein sehr aufschlußreiches Buch namens „Enthousiasm“ von Msgr. Knox gelesen.
Aber erstmal noch was anderes: Mr. Drehers oben von Mit-Kritikerin Crescentia zitierte Aussage:
>> In Drehers FAQ-Artikel (http://www.theamericanconservative.com/dreher/benedict-option-faq/) heißt es zu der Frage "Why can’t we Christians just make up our mind to be good, and join a church with good people in it?" (also praktisch, Wieso können wir nicht einfach normale Christen sein, in dem Sinne, wie das in diesem Artikel bejaht wurde) :
Nun, sorry, Crescentia, aber die gerade hier sehr bezeichnenden Frage heißt „praktisch“ etwas ein bißchen anderes, nämlich auf deutsch:
„Warum können wir Christen nicht den Entschluß fassen, gut zu sein, *und uns einer Kirche mit guten Leuten anschließen*?“ (Betonung von mir)
Das ist natürlich amerikanisch bis dorthinaus; und zwar wohlgemerkt nicht das löbliche am Amerikanischen.
Der Christ faßt nicht den Entschluß, gut zu sein, und sucht sich dann eine Kirche aus, die ihm am besten dazu paßt. Er tritt in die wahre Kirche ein, Punkt. Ich will hier übrigens durchaus nichts gegen die sagen, die das ebenfalls tun und in bezug auf die Frage, welche denn die wahre Kirche ist, eben das Pech haben zu irren: auch die treten zwar nicht objektiv, aber doch subjektiv in die wahre Kirche ein. Auch die verwirrten Geister, die sich in Südamerika der Pfingstbewegung anschließen, tun dies deshalb, weil sie meinen (wenn auch fälschlich), die katholische Kirche habe dieser etwas voraus. Auch Martin Luther hat die katholische Kirche deshalb verlassen, weil er meinte, sie befinde sich in einem handfesten und glaubensgefährdenden Irrtum. Der spezifische Gedanke, wonach man zuerst gläubig ist und sich dann eine „passende Kirche“ aussucht, ist spezifisch US-amerikanisch, und aus der spezifischen amerikanischen Geschichte zwar zu erklären, dennoch aber sogar unter die Irrtümer Amerikas zu rechnen.
Er fährt dann fort:
>>"Well, what is the Good? How can you tell good from bad? How does your community makes decisions on right from wrong? How do you? Our culture has become so overwhelmingly individualist that we inevitably end up worshiping the Self. The sociologist Christian Smith’s work on Moralistic Therapeutic Deism has shown how historical Christianity has been revolutionized from within by modernity, and has become pseudo-Christian. To oversimplify, modern forms of Christianity do not challenge modernity’s assumptions, and are therefore highly susceptible to being colonized by it. This, in fact, is what has happened to most churches, and most individual believers."
Das Wort "gemächlich" bitte gedanklich streichen, weiß nicht mehr, was ich da sagen wollte, vermutlich "gemütlich"...
Löschen(Fortsetzung)
AntwortenLöschenZu deutsch: „Nun, was heißt 'gut' denn schon? Wie kann man Gutes vom Bösen unterscheiden? Wie unterscheidet deine Gemeinschaft Richtig von Falsch? Wie du selber? Unsere Kultur ist so überfließend individualistisch geworden, daß wir unweigerlich [!!] darin enden, das Ego anzubeten [!!]. Die Arbeit des Soziologen Christian Smitz über Moralistischen Therapeutischen Deismus hat gezeigt, wie das historische Christentum von der Moderne von innenheraus revolutionsartig zu einem Pseudo-Christentum geworden ist. Um übertrieben zu vereinfachen [wohl wahr], greifen moderne Formen des Christentums die Annahmen der Moderne nicht an und sind daher in hohem Risiko, von ihr kolonisiert zu werden. Dies ist genaugenommen, was mit den meisten Kirchen und den meisten einzelnen Gläubigen passiert ist.“
Wohl wahr: formell spricht er hier von „modernen Formen des“ Christentums, von einer Kolonisation durch die Moderne, die in bezug auf besagte moderne Formen ja zweifellos tatsächlich stattgefunden hat:
dennoch ist aber der Eindruck, den er von sich gibt, erstens mit der Lehre über die Glaubensquellen nicht zu vereinen (a) und zweitens von einem inakzeptablen Determinismus (b) und drittens hinsichtlich der von ihm angedachten Lösung inkonsequent (c).
a) Wie kann man Gutes von Bösem unterscheiden?
Die Antwort dürfte klar sein. Durch Anwendung des gottgegebenen Verstandes, durch Studium der Offenbarungsquellen, durch gehorsame Einordnung in die wahre Kirche mit ihrem vom Herrgott gestifteten Lehramt.
So einfach ist das.
Mr. Dreher erweckt den Eindruck, dies sei etwas, was dem modernen Menschen nicht nur vielleicht etwas schwerer Falle, sondern was er grundsätzlich nicht mehr könne. *Aber so schlimm steht es um den Menschen nicht*; nicht durch den Sündenfall, auch wenn die Protestanten das behaupten; und durch dekadente Züge der gegenwärtigen Kultur schon gleich dreimal nicht. Tatsächlich klingt das nach „utter depravity“ einmal aufgewärmt, mit nicht mehr Adam, sondern Michael Lang und Artie Kornfeld als den Schuldigen.
b) „unweigerlich“ heißt Determinismus. Und wenn man sagt, „okay, der Mann spricht in Hyperbeln“ … aber „das eigene Ego anzubeten“? Man kann ja der Moderne viel nachsagen, aber daß die Leute Standbilder von sich selber aufstellen und davor Weihrauch brennen lassen, so weit ist es im allgemeinen noch nicht gekommen. Unser Problem ist *vielleicht*, daß die Leute sich weniger beherrschen als früher (also die klassische Sünde), und *ganz sicher*, daß sie von den alten moralischen Regeln einfach nicht denken, daß sie gelten, und *in der Tat*: warum sollten sie sie dann einhalten (also Häresie im zumindest weiteren Sinn). Selbstanbetung gehört nicht dazu. Und was den Egoismus, also per definitionem die zu Sünden bereite Selbstliebe, betrifft, so gilt: Die Sünde ist nicht schlecht, weil sie egoistisch ist, sondern der Egoismus, weil er Sünden begeht: so herum.
c) Wie auch immer: *daß* es auf „moderne Formen des“ Christentums Kolonisationsbestrebungen seitens der Moderne gab und gibt, die zum Gutteil auch erfolgreich waren und sind, steht ja trotz allem nicht in Abrede, auch wenn es weder auf gänzliche Depravität wennschon nicht des gefallenen Menschen als solchen, so doch des der westlichen Kultur angehörigen Menschen, noch auf Determinismus zurückzuführen ist. Auch daß man sich zusammenschließt, um in einer Gemeinschaft die wahre Lehre und den Glauben nebst seines Umfeldes zu tradieren, ist soweit ganz logisch (auch wenn dies nicht, wie Mr. Dreher anzudeuten scheint, auf die Art und Weise am besten ist, daß man alles jüngeren Datums ungeprüft draußenläßt).
Nur: Was dann aber hierfür gerade *nicht* geht, ist die von Mr. Dreher angedachten Zellen aller christlichen Konfessionen, und von den Juden und den Moslems dann auch noch.
(wird fortgesetzt)
Das Überzeugtsein von der christlichen Wahrheit und die Fähigkeit, nach ihr zu leben, – es tut mir leid, daß so scharf sagen zu müssen, aber es ist so – wird von der Begegnung mit einem modernen hedonistischen Agnostiker, selbst einem sich irgendwie noch als Christen identifizierenden halbhedonistischen Agnostiker, nicht mehr in Mitleidenschaft gezogen als von der mit einem klassischen Kalvinisten.
AntwortenLöschenJa, eher noch sogar weniger.
Wenn man also schon Benedict-Option-Zellen aufbaute, dann müßten es gerade im Sinne des Tradierens des wahren Glaubens eben *rein katholische* sein, in die sich allenfalls ein Orthodoxer wie Mr. Dreher selbst vielleicht mal verirren kann. - Das soll übrigens gute Beziehungen zu den Herren Protestanten nicht ausschließen. Aber gute Nachbarschaft ist eine Sache. Die Leute persönlich für freundlich halten auch. Wissen, daß sie immerhin an Christus glauben, und das wertschätzen auch. Gemeinsam die christliche Lehre für die Nachwelt bewahren eine ganz andere. Bonum ex integra causa, malum ex aliquo defecto.
Natürlich kann Mr. Dreher gewissermaßen „nicht verhindern, daß die anderen ihn nachmachen“. Daß er aber eine durchaus geistige Gemeinschaft von christlichen, jüdischen und moslemischen Zellen wünscht [wobei die Christen ökumenisch durchmischt sind? Dazu weiß ich nicht genauer, was er sagt], die zusammen die christlich-jüdisch-muslimische Kultur gegen den einzigen Feind „westliche Dekadenz“ retten… muß das sein?
Sie ist nicht der einzige Feind: Man lasse es mich ehrlich sagen, wenn ich mir zwei Gesellschaften vorstelle: in der einen jeder Hedonist, ein paar Christen und diese werden ignoriert; und in der andere jeder Calvinist, ein paar Katholiken und diese werden wüst beschimpft, und am Sonntag werden auf den Spielplätzen die Schaukeln eingeschlossen, weil Spaß zum Sonntag nicht passe… vielleicht ist ja letztere fürs Seelenheil der darin Lebenden, solange sie nicht gegenreagieren und dem Glauben abschwören (was wohl unweigerlich kommen wird), besser, instinktiv sympatischer ist aber die erstere. Baldmöglichst abgeschafft werden sollten beide. Zur katholischen Gesellschaft als Ziel gibt es keine Alternative, auch keine, die scheinbar die Basis vergrößern würde: malum ex aliquo defecto.
(Fortsetzung)
AntwortenLöschenSo, jetzt aber zurück zum eigentlichen Thema hier:
Und was ist mit den normalen Christen?
>>Kann man nicht auch ganz normal Christ sein? - Nein und ja. Nein, weil es einfach nicht normal ist, Christ zu sein; ja, weil jeder Mensch dazu berufen ist, Christus nachzufolgen.
Mir ist schon klar, daß in den folgenden Zeilen der Rezensent die Frage, kurz gesagt, schlicht und ergreifend bejaht, und ich stimme ihm insoweit auch ganz zu. Aber zunächst zum Prinzipiellen – das ist immer wichtiger, als man denkt.
Kann man ganz normal Christ sein? „Nein, weil es einfach nicht normal *ist*, Christ zu sein.“
Wie bitte?
Seit wann lassen wir uns etwas von dieser völlig überschätzten Realität sagen, was normal ist und was nicht? Die kann uns doch den Buckel herunterrutschen!
Wenn erstens jeder Mensch dazu berufen ist, Christus nachzufolgen (und das ist er), und wenn zweitens ausnahmslos jeder Mensch nach dem Guten strebt, auch wenn sich einige nicht auskennen, was nun gut ist, und sich ein Scheingut wählen (und das ist so), wenn drittens der Satz „gratia supponit naturam“ gilt, wobei mit „natura“ doch das „Normale“ gemeint ist – dann ist *nur* der katholische Christ normal. Okay, vielleicht noch der Heide auf einer unberührten Südseeinsel, der vom Christentum noch nie etwas gehört, andererseits aber auch in die schlimmeren Verirrungen der Götzenkulte nicht gefallen ist. Der vielleicht auch. Aber lassen wir ihn mal weg.
Mehrheitsverhältnisse? Wen interessieren denn Mehrheitsverhältnisse.
Die katholische Kirche ist „katholisch“, also allumfassend, zum einen weil sie mittlerweile alle Erdteile umfaßt, zum anderen und vor allem weil sie schon von Beginn an in intentione alle Menschen überhaupt umfaßt (dies ist in den Menschen vor Ort dann nun mehr oder minder realisiert). Ob damit die faszinierende Tatsache zusammenhängt, daß die geradezu typischsten Vertreter von Völkern sehr häufig katholische Heilige waren, selbst in Preußen mit dem hl. Clemens?
Nur der katholische Christ ist normal. Wir sind das Korps der Normalen, das gegen die Heeresgruppen der Verrückten antritt. Was es leider mit sich bringt, daß wir zwar auserlesen und damit im Wortsinn eine Elitetruppe, aber nicht unbedingt Spezialkräfte sind.
– Natürlich setzt das voraus, daß wir spoliati gratia originali, aber in naturalibus nur vulnerati sind. Ich sag's ja, man muß aufpassen, daß nicht irgendwo ein kleiner Calvinist mitmischt.
Wenn es aber ganz normal ist, Christ zu sein – ja sogar der Christ der eigentliche Normale ist – dann fällt bei den praktischen Auswirkungen vor allem die peinlichen Adhortationen der Bauart „ja *natürlich* ist das übermenschlich; du *mußt* das ja auch nicht machen[; wenn Du es nicht machst, kommst Du halt bloß in die Hölle und schmorst da in Ewigkeit, kann auch nichts dafür, wenn der Allmächtige nicht gnädiger ist]“ weg. Dann bleibt für den Christen selbstverständlich in aller Schärfe die Aufgabe, das Böse zu meiden und auch Gutes zu tun, man wird es aber weniger mit einer Pep-talk-artigen mehr-Leistung-mehr-Leistung!-nie-genug-Moral verwechseln. Und dann wird man selbstverständlich sowohl die Moderne als auch das Verhalten ihr gegenüber kritisch prüfen, sich dabei aber auch an das Wort Chestertons halten, der sagt:
„You wreck the tribunal of truth when you bribe or bully it into pronouncing the innocent guilty, just as you do when you similarly induce it to pronounce the guilty innocent. As it is with an innocent man, so it is with an innocent practice.“
„Man ruiniert das Tribunal der Wahrheit, wenn man es besticht oder bedrängt, den Unschuldigen zu verurteilen, ganz ebenso wie wenn man es auf ähnliche Weise veranlaßt, die Schuldigen freizusprechen; und wie mit einem unschuldigen Menschen, so mit einer unschuldigen Handlungsweise.“ (The Sin of Prohibition)
Ein „im Zweifel dagegen, und wenn es dann für die Christen härter wird, umso besser, denn als Christ muß man ohnehin immer noch mehr und noch mehr leisten“ wird sich dann nicht machen lassen.
(wird fortgesetzt)
(Fortsetzung)
AntwortenLöschenWas sich sehr wohl machen lassen wird (zumindest als Ziel), ist die Beschreibung aus dem Diognetbrief oben, in dem ja bezeichnenderweise die Rede ist von „denn die Christen sind weder durch Heimat noch durch Sprache und Sitten von den übrigen Menschen verschieden. Sie bewohnen nirgendwo eigene Städte, bedienen sich keiner abweichenden Sprache und führen auch kein absonderliches Leben.“ Dann kommt gewissermaßen das „Aber“: diese Menschen sind gläubig. Nach „Benedict Option“ und der Verdammnis der westlichen Welt als hoffnungslos verloren klingt das nun aber trotzdem eigentlich *nicht*.
(Nun, so streng in der Anpassung wie der Diognetbrief würde ich nicht sein. Bisserl Jargon und paar Eigentümlichkeiten in den Gebräuchen dürfen schon sein :D ).
Und die Christenverfolgung?
Wie gesagt, das, was eigentlich das Normale ist, ist von dem, was nun einmal vorherrscht, zunächst unabhängig. Den tapferen eigenen Truppen im Felde dient man nicht damit, daß man ihren Dienst als den Normalzustand des Menschen beschreibt; Krieg ist ein ausnahmsartiger Zustand, und er wird für einen Frieden ausgefochten. Als Krieg und kriegerischen Sieg hat die Liturgie das Martyrium auch immer beschrieben, und genau das ist es auch, sowohl (if I may say so) das vollendete wie das „bloße“ Bekennertum: und eine dankbare Christenheit wird die Martyrer in Ehren halten – und sich sogar mit ihnen über ihren Lorbeerkranz freuen.
Aber daß Kaiser Konstantin das Christentum erlaubte, war nicht eine „Unterbrechung des Normalzustandes“, sondern wenigstens für die zivilisierte Welt der lang erwartete Sieg. Und ich traue mich sogar zu behaupten: daß dann schon bald ein gesellschaftlicher Konformitätsdruck einsetzte, war auch kein „Dilemma für den christlichen Glauben, der eigentlich eine persönliche Entscheidung verlangt“, sondern genaugenommen die große Chance, dem damaligen Äquivalent unserer „religiös Unmusikalischen“, die sonst eben „ganz normal waren“ und sich unter „wird schon stimmen irgendwie“ in die Kirche hineintummelten, das Christentum überhaupt erstmal nahezubringen. Es gibt auch verschlungene Wege zur Bekehrung. Nicht von ungefähr lautet nach dem Namen die erste Frage, die ein Katechumene (heute ein Täufling) zu hören bekommt:
„Was erbittest Du von der Kirche Gottes?“
„Den Glauben.“
[Daß übrigens Kaiser Theodosius das Christentum zur Staatsreligion erklärte, war zwar mit der Einstellung des – staatlich organisierten und in der antiken Gedankenwelt anders gar nicht vorstellbaren! – heidnischen Tempelwesens, aber meines Wissens nicht mit einem Taufzwang verbunden.]
(wird fortgesetzt)
Einen Taufzwang gab es tatsächlich nie - außer vielleicht, man zählt solche späteren Ausrutscher wie die Zwangstaufe der Sachsen nach dem Sieg Karls des Großen über sie, oder unrühmliche Vorkommnisse bei Judenpogromen im Hoch- und Spätmittelalter; aber allgemein gab es nie einen Taufzwang. (Eine Staatsreligion ist auch grundsätzlich nicht automatisch eine Religion, der alle Bürger angehören müssen. In Malta ist heute noch der Katholizismus Staatsreligion, in England der Anglikanismus.) Ich habe mal gelesen, es gab auch im 5.,6. (oder sogar noch 7.?) Jahrhundert zum Beispiel noch römische Patrizier, die an den traditionellen Göttern festhielten.
LöschenDie konstantinische Wende hatte natürlich auch noch einen anderen großen Vorteil: Ich kann mir gut vorstellen, dass es z. B. zur Zeit eines Diokletian, als das Christentum einerseits schon recht bekannt, andererseits aber eben auch stark verfolgt war, Leute gab, die sich durchaus dafür interessiert hätten, aber zu viel Angst vor dem Martyrium hatten, um sich tatsächlich mal bei der nächsten Gemeinde zu melden und sich das näher anzuschauen. Und natürlich gab es in den Verfolgungen ja auch nicht nur die Märtyrer und Bekenner, sondern auch die vielen lapsi, die abgefallenen Christen, die eben aus Angst nachgaben und dem Kaiserbild ein paar Weihrauchkügelchen hinwarfen, damit sie ihre Bescheinigung bekamen, und von denen dann viele bekanntlich nach einer Verfolgung wieder reumütig zur Kirche zurückkehrten. Natürlich kann man sagen, Sünden wie Glaubensverleugnung sind immer eigene Schuld - aber in einer christlichen Welt gibt es in dieser Hinsicht eben weniger Versuchungen, und das ist ja schon mal gut.
- Crescentia.
(Fortsetzung)
AntwortenLöschenUm hier mit einem längeren Zitat in bezug auf die Normalität von Christen zu schließen, der ganz oben angesprochene Msgr. Knox, Enthusiasm, S. 2f.:
„If I could have been certain of my reader's goodwill, I would have called my tendency [i. e. The one the author talks about] 'ultrasupernaturalism'. For that is the real character of the enthusiast; He expects more evident results from the grace of God than we others. He sees what effects religion can have, does sometimes have, in transforming a man's whole life and outlook; these exceptional cases (so we are content to think them) are for him the average standard of religious achievement. He will have no 'almost-Christians', no weaker brethren who plod and stumble, who (if the truth must be told) would like to have a foot in either world, whose ambition is to qualify, not to excel. He has before his eyes a picture of the early Church, visibly penetrated with supernatural influences; and nothing less will serve him for a model. Extenuate, accommodate, interpret, and he will part company with you.
Quoting a hundred texts – we also use them, but with more embarrassment – hen insists that the members of his society, saved members of a perishing world, should life a life of angelic purity, of apostolic simplicity; worldly amusements, the artifices of a polite society, are not for them. Poor human nature! Every lapse that follows is marked by pitiless watchers outside the fold, creates a harvest of scandal within. […] […]
But the implications of enthusiasm go deeper than this; at the root of it lies a different theology of grace. Our traditional doctrine is that grace perfects nature, elevates it to a higher pitch, but leaves it nature still. The assumption of the enthusiast is bolder and simpler; for him, grace has destroyed nature, and replaced it.“
zu deutsch:
„Wäre ich über den guten Willen meiner Leser sicher gewesen, hätte ich die Tendenz, die ich beschreibe, nicht Enthusiasmus, sondern Ultrasupernaturalismus genannt. Denn das ist der wahre Charakter des Enthusiasten; er erwartet offensichtlichere Resultate von der Gnade Gottes, als wir anderen es tun. Er sieht, welche Auswirkungen die Religion haben kann, manchmal hat, darin, daß sie das ganze Leben und die ganze Einstellung eines Menschen transformiert; diese Ausnahmsfälle (für welche sie zu halten wir uns begnügen) sind für ihn der durchschnittliche Standard religiöser Leistung. Er duldet keine 'Fast-Christen', keine schwächeren Brüder, die sich abmühen und stolpern, die (wenn man ehrlich ist) mit je einem Bein in beiden Welten stehen wollen, deren Ehrgeiz es ist, sich zu qualifizieren, nicht herauszuragen. Vor seinen Augen hat er ein Bild der frühen Kirche, sichtbar von übernatürlichen Einflüssen durchdrungen, und nichts weniger wird ihm als Modell dienen. Mildere, passe an, interpretiere, und er wird dir die Weggemeinschaft aufkündigen.
Er zitiert hundert Texte – wir gebrauchen sie auch, aber verlegener – besteht er darauf, daß die Mitglieder seiner Gesellschaft, gerettete Mitglieder einer untergehenden Welt, ein Leben von engelsgleicher Reinheit, von apostolischer Einfachheit führen sollen; weltliche Unterhaltungen, die Künstlichkeiten einer höflichen Gesellschaft sind nicht für sie. Arme menschliche Natur! Jeder Fehltritt, der danach noch folgt, wird von mitleidlosen Wächtern von außerhalb der Herde registriert und erntet einen großen Skandal innerhalb.[…] […]
Aber der Enthusiasmus geht in dem, was er impliziert, tiefer als das; an der Wurzel liegt eine von unserer verschiedene Gnadentheologie. Unsere Theologie ist, daß die Gnade die Natur vervollkommnet, auf einen höheren Platz erhebt, aber Natur sein läßt. Die Annahme des Enthusiasten ist kühner und einfacher; für ihn hat die Gnade die Natur zerstört und ersetzt.“
(danke für die Geduld)