Vom
29. März bis zum 1. April fand in Herzogenrath bei Aachen eine Liturgische Tagung unter dem Motto „Die Quelle der Zukunft“ statt, zu der der Präfekt der
Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung, Robert Kardinal
Sarah, seine Teilnahme angekündigt, dann aber doch wieder abgesagt hatte. Diese
Absage hatte im Vorfeld für einige Irritation gesorgt und zu allerlei
Spekulationen Anlass gegeben. Noch größere Diskussionen dürfte allerdings
Kardinal Sarahs für diese Veranstaltung verfasster Vortrag auslösen, der, da er
ihn nicht selbst halten konnte, zur Eröffnung der Tagung verlesen wurde.
Anlass
der Liturgischen Tagung in Herzogenrath war der zehnte Jahrestag der
Veröffentlichung des Motu Proprio SummorumPontificum von Papst Benedikt XVI. – jenes Apostolischen Schreibens also,
mit dem die Erlaubnis zur Zelebration der Heiligen Messe nach dem Messbuch von
1962 als „außerordentliche Form des Römischen Ritus“ neu geregelt wurde. In
seinem Vortrag würdigt Kardinal Sarah das Schreiben Summorum Pontificum als bedeutenden Schritt zu einer liturgischen
Erneuerung und betont, es gehe nicht darum, die beiden Formen des Römischen
Ritus gegeneinander auszuspielen, sondern vielmehr darum, dass beide Formen
einander befruchten und voneinander lernen sollen.
Gleichwohl
übt der Kardinal scharfe Kritik an der rund 50 Jahre nach den vom II.
Vatikanischen Konzil angestoßenen Reformen vorherrschenden liturgischen Praxis.
Das Konzil, so Kardinal Sarah, habe keinesfalls einen „Bruch mit der Tradition“
angestrebt, „sondern ganz im Gegenteil […], die Tradition in ihrer tiefsten
Bedeutung wiederzufinden und zu bestätigen“. In der praktischen Umsetzung der
Liturgiereform habe sich jedoch vielfach eine Tendenz zur „Entsakralisierung
und Banalisierung der Heiligen Liturgie“ durchgesetzt, eine Auffassung von
Gottesdienst, deren Zentrum „nicht mehr Gott und Seine Anbetung“ sei, „sondern
die Menschen und ihre angebliche Fähigkeit […], etwas zu ‚tun‘, um sich während
der Eucharistiefeier mit etwas zu beschäftigen“. Der Präfekt der
Gottesdienstkongregation erinnert daran, dass der jetzige emeritierte Papst
Benedikt XVI. bereits 1992, noch als Kardinal Ratzinger, „eine zur Show
degenerierte Liturgie“ beklagte, „in der man die Religion mit modischen
Mätzchen […] interessant zu machen versucht, mit Augenblickserfolgen in der
Gruppe der Macher und mit einer nur um so breiteren Abwendung von Seiten all
derer, die in der Liturgie nicht den geistlichen Showmaster suchen, sondern die
Begegnung mit dem lebendigen Gott, vor dem unser Machen belanglos wird“.
Kardinal Sarah urteilt, „die modernen Förderer einer lebendigen Liturgie“, die „die Liturgie der Kirche nach ihren
Vorstellungen umgestalteten“, hätten ein „Desaster“, eine „Verwüstung“, ja ein
„Schisma“ verursacht. Mit Benedikt XVI. teilt Kardinal Sarah die Überzeugung,
„dass die Kirchenkrise, die wir heute erleben, weitgehend auf dem Zerfall der
Liturgie beruht“; als folgen nennt er den „Relativismus bei der Vermittlung der
Glaubens- und Morallehre, schwere Missbräuche […] sowie die rein soziale und
horizontale Sicht der Mission der Kirche“.
Diese
Zustandsanalyse mag düster erscheinen, hat aber zweifellos ihre Berechtigung –
gerade auch da, wo sie einen Zusammenhang zwischen Krise der Liturgie und Krise
des Glaubens herstellt. Dass gerade dort, wo allzu frei und „experimentell“ mit
der Liturgie umgesprungen wird, oft auch Glaubenswahrheiten relativiert oder
verzerrt werden, ist nicht bloß eine Erfahrungstatsache, sondern weist auch
eine innere Folgerichtigkeit auf, die gewissermaßen ex negativo den auch vom II. Vaticanum betonten Stellenwert der
Liturgie als „Höhepunkt und Quelle des Lebens und der Mission der Kirche“
unterstreicht. Man könnte sagen: Wo nicht mehr Gott der zentrale Bezugspunkt
der Liturgie ist, sondern der angenommene bzw. unterstellte „Geschmack“ und die
vermeintlichen Bedürfnisse des Publikums, da liegt es umso näher, mit der
Glaubens- und Sittenlehre der Kirche ebenso geschmäcklerisch und
bedürfnisorientiert zu verfahren. Dass die tatsächlichen
Bedürfnisse der Gläubigen mit einer solchen oberflächlichen Anbiederung gerade nicht erfüllt werden, davon künden nicht
allein die immer leereren Kirchen. Nach Jahrzehnten liturgischer und
katechetischer Fehlentwicklungen muss man davon ausgehen, dass ganze
Generationen von Katholiken das, worauf sie nach den Worten Kardinal Sarahs
„ein Recht haben: die Schönheit der Liturgie, ihre Heiligkeit, die Stille, die
Andacht, die mystische Dimension und die Anbetung“ – und ebenso auch eine klare
und authentische Verkündigung des Wortes Gottes – kaum noch kennen.
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Wie
ist hier Abhilfe zu schaffen? In seinem Vortrag nennt Kardinal Sarah drei
Aspekte, die er als wesentlich für eine liturgische Erneuerung betrachtet:
„Zunächst […] die heilige Stille, ohne die man Gott nicht begegnen kann“.
Sodann die Anbetung: „Wie es Benedikt XVI. schon oft betont hat, findet sich an
der Wurzel der Liturgie die Anbetung, und somit Gott.“ Und „[s]chließlich die
liturgische Ausbildung, von einer Glaubensverkündigung oder –katechese ausgehend,
deren Maßstab der Katechismus derKatholischen Kirche ist, was uns vor möglichen mehr oder weniger gelehrten
Hirngespinsten bestimmter Theologen bewahrt.“
Ob
die besagten mehr oder weniger gelehrten Theologen sich von diesen Anmerkungen
des Kurienkardinals beeindrucken lassen, steht freilich zu bezweifeln. Als
ermutigend kann man es hingegen ansehen, dass sich gerade bei jüngeren
Gläubigen tatsächlich eine gesteigerte Sehnsucht nach der Heiligkeit und dem
Mysterium der Liturgie bemerkbar macht. „Eine der großartigsten Gaben, die der
Heilige Geist heute der Kirche schenkt, ist ein neues Bewusstsein für Anbetung
und ein neuer Hunger nach Anbetung“, stellte etwa der Päpstliche Hausprediger
Pater Raniero Cantalamessa während der vom Gebetshaus Augsburg ausgerichtetenMEHR-Konferenz im vergangenen Januar fest. Initiativen wie das aus dem Geist
der Weltjugendtage hervorgegangene „Nightfever“
verbinden die Praxis der Eucharistischen Anbetung mit einer Gestaltung, die
gerade Jugendliche und junge Erwachsene anspricht. Während eher traditionell
eingestellte Katholiken solche Formate wegen ihres „Eventcharakters“ mit einer
gewissen Skepsis betrachten mögen, ist andererseits festzustellen, dass die
Möglichkeiten zur stillen Eucharistischen Anbetung in einfachen Pfarrkirchen –
sei es mit Aussetzung des Allerheiligsten oder vor dem geschlossenen Tabernakel
– vielerorts zu wünschen übrig lassen. Papst Franziskus rief in seinerBotschaft an den 26. Eucharistischen Nationalkongress Italiens im Sommer 2016
die Gläubigen dazu auf, „oft – möglichst täglich – das Allerheiligste
Altarsakrament zu besuchen, das in unseren Kirchen aufbewahrt, aber oft allein
gelassen wird“. Vielerorts ist das aber gar nicht möglich, da zahlreiche
Kirchen – obwohl das katholische Kirchenrecht vorsieht, dass „eine Kirche, in
der die heiligste Eucharistie aufbewahrt wird, täglich wenigstens einige
Stunden für die Gläubigen offenzuhalten“ ist (Can. 937 CIC) – außerhalb der
Gottesdienstzeiten geschlossen bleiben, etwa aus Angst vor Diebstahl oder
Vandalismus. Es wäre zu fragen, ob eine Kirche nicht Gefahr läuft, ihren
Daseinszweck zu verfehlen, wenn sie der Unversehrtheit ihrer Kunstgegenstände
einen höheren Stellenwert beimisst als ihrer Aufgabe, eine Stätte der Anbetung
zu sein – oder auch, ob es nicht möglich sein sollte, die Öffnungszeiten einer
Kirche so zu gestalten, dass Mitglieder der Gemeinde wenigstens für einige
Stunden am Tag vor dem Tabernakel „Gebetswache“ halten. Wäre dies nicht auch
ein fruchtbares Feld für das oft vehement eingeforderte Engagement der Laien in
den Pfarrgemeinden?
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