Dienstag, 1. November 2016

Dieser Weg wird kein leichter sein

Heute feiert die Kirche das Hochfest Allerheiligen; morgen, an Allerseelen, wird der Armen Seelen im Fegefeuer gedacht. (Letzteres wird, wie mir scheint, heutzutage kaum mehr irgendwo in dieser Deutlichkeit gesagt, aber genau deswegen sage ich es: Ich glaube nicht, dass es einem Fest besonders dienlich ist, wenn nur in undeutlichen Umschreibungen davon gesprochen wird, worum es bei diesem Fest geht.) Und gestern war auch irgendwas... Ach ja: Halloween. Außerdem feierten unsere Nachbarn in der Ökumene ihren Reformationstag. Da es sich um den 499. Jahrestag von Martin Luthers Thesenanschlag an der Wittenberger Schlosskirche handelte, wurde dabei gleich das große Demi-Millennium (sagt man das so?) der Reformation eingeläutet, das im nächsten Jahr, zum 500. Jahrestag, seinen Höhepunkt finden soll. Und aus diesem Anlass reiste der Papst nach Schweden, um in der Kathedrale von Lund am Reformationsgedenken des Lutherischen Weltbundes teilzunehmen. Im Rahmen dieses Festakts unterzeichneten Papst Franziskus und der Präsident des LWB, Bischof Mounib Younan, eine gemeinsame Erklärung zur Ökumene, die in den Medien großes Aufsehen erregte. "Ziel ist das gemeinsame Abendmahl", fasste etwa das Online-Portal katholisch.de die Erklärung zusammen, und ähnlich war es auch in allerlei anderen Publikationen zu lesen. 

Bei flüchtiger Betrachtung konnte man den Eindruck gewinnen, den Forderungen der Initiative "Ökumene jetzt!" von anno 2012 - pointiert gesagt: gemeinsames Abendmahl sofort, um die weiteren Differenzen kümmern wir uns später - seien nunmehr quasi die höheren Weihen erteilt worden. Entsprechend fielen auch zahlreiche Reaktionen in den Sozialen Netzwerken aus - und wie man sich vorstellen kann, gingen die Bewertungen dieser vermeintlichen Revolution in Sachen Ökumene auf unterschiedlichen Seiten des konfessionellen Grabens weit auseinander. Während in einer Facebook-Gruppe, in der sich neben durchaus vernünftigen Leuten auch einige mehr oder weniger paranoid veranlagte Ultra-Katholiken tummeln, unverzüglich Häresievorwürfe gegen den Papst laut wurden (was an sich allerdings auch nichts Neues ist...), wurde auf Twitter - soweit ich es beobachten konnte, vor allem auf protestantischer Seite - frohlockt, jetzt könne es ja wohl endlich mal losgehen mit der Abendmahlsgemeinschaft, das würde ja auch mal Zeit. Da fühlte ich mich dann berufen, auf beiden Seiten ein paar Bremsklötze in die Debatte zu werfen. Denn was steht eigentlich wirklich drin in der Erklärung? 



Zunächst einmal ist festzuhalten, dass sich nur einer von neun Absätzen des Schreibens der Frage der gemeinsamen Eucharistie widmet. Dass somit das mediale Echo auf die Erklärung völlig von einem Teilaspekt des Texts dominiert wird, muss uns nicht überraschen; gleichzeitig will ich aber auch nicht in Abrede stellen, dass dieser eine Absatz durchaus zentral für das Ganze ist. Er lautet (in der auf Radio Vatikan veröffentlichten offiziellen deutschen Übersetzung): 
"Viele Mitglieder unserer Gemeinschaften sehnen sich danach, die Eucharistie in einem Mahl zu empfangen als konkreten Ausdruck der vollen Einheit. Wir erfahren den Schmerz all derer, die ihr ganzes Leben teilen, aber Gottes erlösende Gegenwart im eucharistischen Mahl nicht teilen können. Wir erkennen unsere gemeinsame pastorale Verantwortung, dem geistlichen Hunger und Durst unserer Menschen, eins zu sein in Christus, zu begegnen. Wir sehnen uns danach, dass diese Wunde im Leib Christi geheilt wird. Dies ist das Ziel unserer ökumenischen Bemühungen. Wir wünschen, dass sie voranschreiten, auch indem wir unseren Einsatz im theologischen Dialog erneuern." 
Halten wir fest: Da wird zunächst einmal konstatiert, dass viele Mitglieder der verschiedenen christlichen Konfessionen darunter leiden, dass zwischen ihnen keine gemeinsame Eucharistie möglich ist. Das ist kaum zu leugnen. Vielfach verstehen die "Basischristen" wohl auch nicht, warum sie nicht möglich ist. Nun gut, würde ich sagen: wenn sie es nicht verstehen, dann muss man es ihnen erklären. Dass, wie mir unlängst in einer privaten Diskussion mitgeteilt wurde, vielerorts bereits "stillschweigend" eine so genannte "eucharistische Gastfreundschaft" praktiziert wird, finde ich da (mal ganz abgesehen davon, dass das nach katholischem Kirchenrecht einfach ein No-Go ist) eher kontraproduktiv: Differenzen verschwinden nicht dadurch, dass man sie ignoriert oder verschleiert. Ich habe mich zu diesem Thema schon einmal geäußert und möchte nicht alles wiederholen, was ich seinerzeit geschrieben habe, daher hier der Link. -- Aber es geht ja nicht nur um das persönliche Empfinden der einzelnen Gläubigen: Die Erklärung betont, die fehlende eucharistische Gemeinschaft zwischen Katholiken und Protestanten sei eine "Wunde im Leib Christi". Diese Feststellung ist richtig und wichtig; ich möchte sagen: gerade aus katholischer Sicht. Wenn, wie es in der Dogmatischen Konstitution Lumen Gentium (Nr. 11) heißt, die Eucharistie "Quelle und Höhepunkt des ganzen christlichen Lebens" ist, dann liegt es auf der Hand, dass eine wahrhafte Einheit der Christenheit letztlich nicht möglich ist ohne eine gemeinschaftliche Eucharistie - das heißt: ohne eine Teilhabe Aller, die sich zu Christus bekennen, am Leib und Blut Christi. Somit ist die Aussage, die gemeinschaftliche Eucharistie müsse "das Ziel unserer ökumenischen Bemühungen" sein, eine vollkommen logische Folge der zentralen Bedeutung des Sakraments der Eucharistie. 

Ebenso logisch ist allerdings: Wenn von einem Ziel die Rede ist, dann impliziert das, dass dieses noch nicht erreicht ist. Nicht umsonst betont der oben zitierte Absatz, dass dazu ein erneuerter "Einsatz im theologischen Dialog" notwendig ist. Und so sehr man auch darauf vertrauen mag (und sollte), dass bei Gott kein Ding unmöglich ist, so sehr sollte man sich der gravierenden Hindernisse auf diesem Weg bewusst sein. 

Nicht unwichtig ist es in diesem Zusammenhang, zu beachten, dass es sich bei der gemeinsamen Erklärung um ein Dokument von Katholiken und Lutheranern handelt. Tatsächlich sind sich das katholische und das lutherische Eucharistie- bzw. Abendmahlsverständnis erheblich näher, als es beim Abendmahlsverständnis anderer protestantischer Konfessionen der Fall ist, etwa jenem der reformierten Gemeinschaften in der Tradition Zwinglis und/oder Calvins. Immerhin glauben Katholiken wie Lutheraner an die Realpräsenz Christi in der Eucharistie, auch wenn sie nicht ganz dasselbe darunter verstehen. Auf einer theoretischen Ebene mögen die Unterschiede so fein sein, dass nur Fachtheologen sie verstehen; dennoch haben sie ganz praktische Auswirkungen - etwa hinsichtlich der Verehrung der Eucharistie außerhalb der Messfeier bzw. des Abendmahlsgottesdienstes. Glaubenspraktiken wie die Eucharistische Anbetung oder auch Eucharistische Prozessionen (z.B. zu Fronleichnam), die im katholischen Bereich eine wichtige Rolle spielen, sind nach lutherischem Verständnis schlechterdings unmöglich. Sicherlich kann man darauf hoffen, dass hier im theologischen Dialog eine Annäherung erzielt werden kann. Aber einfach wird das nicht. Gerade "aus deutscher Sicht" (wie es im Sportjournalismus immer so unschön heißt) erscheint hier ein gewisses Maß an Skepsis geboten. Dass die lutherischen Landeskirchen hierzulande (und auch darüber hinaus in Europa, mit Ausnahme etwa der Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche) in der Leuenberger Konkordie von 1973 eine Abendmahlsgemeinschaft mit den reformierten Gemeinschaften eingegangen sind, die ein rein symbolisches Abendmahlsverständnis vertreten, hat sie von einer eucharistischen Gemeinschaft mit der Katholischen Kirche zweifellos weiter entfernt, als das zuvor der Fall war - umso mehr, als man unterstellen muss, dass seither auch viele lutherische Gläubige eher zu einem reformierten Abendmahlsverständnis neigen. Dass ein rein symbolisches Eucharistieverständnis durchaus auch bei nicht wenigen Katholiken anzutreffen ist, mag aus reformierter Sicht eine gute Nachricht sein; aus Sicht des katholischen Glaubens macht es die Situation nicht besser, sondern schlimmer. 

Um langsam mal zum Schluss zu kommen: Es ist gut, dass Papst Franziskus und der Präsident des Lutherischen Weltbundes anlässlich des Reformationsgedenkens in Lund die Gemeinsamkeiten zwischen den christlichen Konfessionen betont haben. Es ist wichtig, dass man da, wo man sich einig ist, zusammenarbeitet. Und es ist ohne Frage richtig, dass Christen dazu aufgerufen sind, eins zu sein. Christus ruft alle Seine Jünger zur Einheit. Sich gemeinsam darum zu bemühen, Trennungen zu überwinden, ist notwendig. Aber solange diese Einheit noch nicht erreicht ist, ist es ebenso notwendig, das Trennende klar wahrzunehmen und zu benennen - insbesondere dann, wenn sie etwas so Zentrales betreffen wie das Sakramentenverständnis. Papst Franziskus und Bischof Younan haben Recht, wenn sie die gemeinsame Eucharistie als "das Ziel unserer ökumenischen Bemühungen" hervorheben. Aber es ist ein Ziel, das keinesfalls in greifbarer Nähe liegt, und der Weg dorthin kann nicht durch oberflächliche Kompromisse oder durch ein Ignorieren von Differenzen abgekürzt werden. 



5 Kommentare:

  1. Wie schrecklich fern wir uns sind, habe ich heute in einer fb-Diskussion zum Thema Eucharistiegemeinschaft erkannt.
    Da hat eine Teilnehmerin erst sinngemäß gesagt, daß die Eucharistiegemeinschaft jetzt möglich und daher notwendig sei und dann auf meinen Einwand, das ginge nicht so leicht, man solle doch lieber erst einmal gemeinsam beten, sagte genau diese Frau, daß dies nun wiederum aus ihrer Sicht schwierig werde, wegen des Ave Maria.
    Meine Frage, ob sie allen Ernstes erst den Gipfel bezwingen und dann gemeinsam gehen wolle statt umgekehrt, blieb unbeantwortet.

    Ich glaube, von protestantischer Seite wird nichts weniger als eine Mahlgemeinschaft gewünscht - stattdessen eine Vernichtung der katholischen Kirche zugunsten der protestantischen. Und dann kriegen halt alle Brot.

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  2. Nun, daß das eine Wunde am Leib Christi ist, stimmt aber nicht; der Leib Christi hat keine Wunden außer die von der Kreuzigung, und die sind verklärt und leuchten in Herrlichkeit.

    Deswegen heißt es ja auch "subsistit in ecclesia catholica" und nicht "subsistit in massa seipsos Christianos appellantium".

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  3. @Imrahil:
    Doch, es gibt Wunden im übernatürlichen mystischen Leib Christi - der Christenheit -, dessen "Glieder" [ich würde formulieren: dessen "Zellen"] die Christen sind und dessen Haupt der Herr selbst ist [Eph5,23 u. 30].

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  4. Nö, der mystische Leib Cristi ist eben nicht die Christenheit, sondern die katholische Kirche (was mir übrigens schon bekannt ist, ich habe das nur einfachmal ein bißchen ernst und nicht nur als Sprachregelung genommen); insofern kann man, auch das, was ich gesagt habe, beiseitegelegt Wunden allenfalls in bezug auf die a) Sünden b) Leiden und Bedrängnisse der Katholiken sprechen, aber eben nicht in bezug auf die Spaltung der Christenheit.

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    1. Welche Hybris, @Imrahil, spricht aus Ihren Worten, wenn Sie anderen - nichtkatholischen Christen absprechen, zum übernatürlichen Leib Christi zu gehören!
      Ungeheuerlich!
      Es ist genau das, wovor der hl. Paulus in seinem Bild vom Leib Christi gewarnt hat:
      Dass sich einzelne Glieder des Leibes stolz über andere erheben könnten...

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