Samstag, 16. Juli 2016

Pokémon-Pastoral

Vielleicht bin ich einfach zu alt für Pokémon. Ein bisschen zumindest. Als der ursprüngliche Pokémon-Hype - das Videospiel, die Anime-Serie, das Sammelkartenspiel - Ende der 90er nach Deutschland schwappte, war ich schon an der Uni. Aber ich glaube, auch wenn ich ein paar Jahre jünger gewesen wäre, hätte es mich nicht sonderlich interessiert. Es war einfach nicht so mein Ding

Aber jetzt gibt es Pokémon Go, und um mich herum rasten alle aus. Schon bevor die neue Spiele-App - die die knuffigen japanischen Comic-Kreaturen in die reale Umgebung des Nutzers projiziert, sodass man draußen herumspazieren und dabei Monster jagen kann - hierzulande offiziell erhältlich war, waren meine Sozialen Netzwerke voll mit diesem Thema. Am letzten Dienstag, auf dem Weg zur Arbeit, traf ich dann erstmals einen Menschen, der Pokémon Go spielte: einen Arbeitskollegen, der, die Augen fest auf sein Tablet geheftet, vor Dienstbeginn schnell noch ein paar Pokémon einsammeln wollte - dabei allerdings nicht sehr erfolgreich war, worüber er sich wortreich beklagte. Tags darauf war ich bereits auf der Arbeit, als ein anderer Kollege hereinkam und verkündete: "Draußen auf dem Hof sitzt ein Pokémon." 
"Du auch?", fragte ich stirnrunzelnd. 
"Klar!", erwiderte er grinsend und informierte mich enthusiastisch über allerlei Details der Funktionen der App und der Spielregeln. 



Auf einer abstrakten Ebene kann ich die Faszination, die von der Spielidee und ihrer technischen Umsetzung ausgeht, durchaus nachvollziehen; aber die Begeisterung dafür geht mir dann doch eher ab, und daher geht mir der momentane Hype um Pokémon Go alles in allem eher auf den Keks. Umso mehr, als auch die Kirchen derzeit anscheinend kein wichtigeres Thema kennen als Pokémon Go


So sind in den letzten Tagen auf nahezu allen Facebook-Seiten deutscher Bistümer und Erzbistümer einige Beiträge erschienen, die sich um die neue Spielesensation drehe. Die FB-Redaktion des Erzbistums Hamburg hat in ihrem Büro ein "Schlurp" (!) und vor dem Fenster ein "Paras" gesichtet, die Kollegen vom Bistum Mainz ein "Lapras" vor dem Bischöflichen Dom- und Diözesanmuseum. Das Erzbistum Köln hat lediglich ein wenig spektakuläres "Taubsi" zu bieten; derweil haben meine speziellen Freunde von der FB-Redaktion des Bistums Münster sogar ein Video von der Pokémon-Jagd auf dem Domplatz gepostet. 

Zu einem großen Teil liegt diese Beteiligung der diözesanen Social-Media-Redaktionen an der allgemeinen Pokémania sicherlich auf derselben Ebene wie der Umstand, dass ebendiese Redaktionen beispielsweise auch die Fußball-EM ausgiebig auf ihren Seiten thematisiert haben. Man will "nah bei den Menschen" sein und ihnen zeigen: Dieselben Themen, die euch interessieren, interessieren auch uns. Ganz explizit sagt das etwa die FB-Redaktion des Bistums Essen: "Etwas, das einen großen Teil der Gesellschaft an einem Tag beschäftigt, ist etwas was auch uns an diesem Tag beschäftigt". 

Nun empfinde ich persönlich diesen Ansatz zwar tendenziell als anbiedernd, peinlich und doof, aber meine Meinung ist hier ja nicht unbedingt maßgeblich. Andere finden's vielleicht prima; und wenn auch nur einigen Nutzern Sozialer Netzwerke durch solche Beiträge ein positives, sympathisches Bild von Kirche vermittelt wird, dann ist das für die betreffenden Redaktionen ja schon ein Erfolg. Viel mehr würde mich zwar interessieren, wie man den Schritt von diesem irgendwie sympathischen Eindruck zu einer substanziellen Neuevangelisation hinkriegt - aber mit dieser Frage mögen sich die zuständigen Stellen in den Ordinariaten herumschlagen; ich selbst setze da ja eher auf Suppe, Punkrock und... stopp, anderes Thema

Aber das Interesse kirchlicher Dienststellen am Phänomen Pokémon Go hat noch einen anderen Aspekt: Das Besondere an dieser Spiele-App ist ja, dass die Spieler sich im öffentlichen Raum bewegen - und dabei geschieht es nicht selten, dass sie auch mit kirchlichen Räumen in Berührung kommen. Und nun wird landauf, landab intensiv darüber diskutiert, ob dies in erster Linie ein Problem oder eher eine Chance für die Kirche darstellt

Zum Beispiel: Auf den Limburger Domplatz hat die App eine Pokémon-Arena positioniert, in der die Spieler ihre gesammelten Monster gegeneinander antreten lassen können. Die FB-Redaktion des Bistums Limburg sieht sich daher veranlasst, klarzustellen: "Natürlich seid ihr herzlich willkommen - aber denkt bitte daran: Der Dom (wie alle anderen Kirchen) ist zuerst einmal für Gottesdienste da! Bitte benehmt euch so, wie es für Gotteshäuser angebracht ist." - "Nicht vergessen, Ihr Pokémon-Jäger da draußen: Der Dom und alle andere Kirchen sind pokémonfreie Zone", mahnt auch das sonst so liberale Bistum Aachen. "Also: Handy aus im Gotteshaus!" Auf dem Foto zu diesem Posting winkt dem Betrachter dennoch ein Pikachu vom Dach des Domes zu; man könnte es fast höhnisch finden. -- Anlässlich der Ankündigung eines "Pokémon Go Nightwalk" in Wien, für den sich "die Fans des Handyspiels den Stephansplatz als Treff- und Ausgangspunkt für die virtuelle Monsterjagd ausgesucht haben", hat - wie Radio Vatikan berichtet - der Wiener Dompfarrer Toni Faber betont, es sei "nicht angebracht, in der Kirche Pokémon zu spielen". 

Gleichzeitig  beschäftigen sich andere Seelsorger mit der Frage, "wie sie den Trend nutzen können, um dem Evangelium zu dienen und es zu verkünden". Die Pokémon-Go-App setzt historische Gebäude und andere Sehenswürdigkeiten gern als PokéStops ein, an denen die Spieler kostenlos Pokébälle und andere für das Spiel notwendige Hilfsmittel finden können - und zu diesen Sehenswürdigkeiten gehören vielfach auch Kirchen. Infolgedessen tauchen derzeit ungewöhnlich viele Jugendliche in der Nähe von Kirchen auf, und naturgemäß stellt sich da die Frage, ob man die Gelegenheit nicht zur Evangelisierung nutzen sollte. Klingt theoretisch gut, wirft praktisch aber Probleme auf: Die betreffenden Personen halten sich ja nicht vor der Kirche auf, weil sie sich für Gott interessieren - sondern eben für Pokémon. Und man kann sich leicht ausmalen, dass ein Publikum, das aus einem ganz bestimmten Grund an einen Ort kommt, für das, was es zufällig an diesem Ort sonst noch gibt, nicht unbedingt übermäßig aufgeschlossen ist. 

Die Kommunikationsabteilung der anglikanischen Church of England sieht das allerdings anders: Das Spiel sei "für Kirchen im ganzen Land die große Chance, Menschen aus ihrer Region zu treffen, die normalerweise nicht zur Kirche kommen". Daher "sollten Gemeinden ein Willkommensschild vor der Kirche platzieren. Man könnte auch Getränke und Snacks anbieten. Da das Spiel relativ viel Batterieleistung benötigt, könnte man in der Kirche Handyladestationen oder einen Internetanschluss einrichten. Zudem könnten sie unter #PokemonGo darüber twittern, wenn ihre Kirche ein PokéStop sei." Obendrein sei es sinnvoll, selbst zu wissen, wie das Spiel funktioniert: "Dann kämen die Kirchenvertreter leichter mit den Menschen ins Gespräch. Auch eine Poképarty könne man abhalten, wie es eine Gemeinde im englischen Stoke-on-Trent bereits macht." 


Auch hier bleibt wieder die oben bereits angesprochene Frage im Raum stehen, wie man den Schritt vom Aufspringen auf den Zug der Pokémon-Begeisterung zur Neuevangelisation vollbringt. Allerdings hat der Vorsitzende des Katholischen Pressebunds, Stefan Lesting, hierzu einige Ideen, die über diejenigen der Anglikaner noch hinausgehen. In einem Blogbeitrag zum Thema "Pokémon Go für die Citypastoral" weist er darauf hin, dass man über die App auch "Lockmittel" kaufen kann, die dabei helfen, "Pokémon an einem Ort zusammen zu locken" - "und mit den Pokémon kommen natürlich auch die Spieler". Diese Idee, meint Lesting, könne man 
"locker auch in der Citypastoral umsetzen, um mit begeisterten Spielern ins Gespräch zu kommen oder sie an Orte zu führen[,] zu denen sie sonst nie finden würden. Einfach kurz vor dem Mittagsgebet mit einem Betrag von einem Euro ein paar Pokémon anlocken und wenig später sollten in dem aktuellen Hype sicherlich auch schon die ersten Spieler auftauchen. Die erste Brücke damit ist geschlagen und vielleicht ergibt sich bei der richtigen persönlichen Ansprache auch direkt ein gutes Gespräch über Gott, die Welt und natürlich den Pokémon-Hype. -- Die Orte und Anlässe können natürlich beliebig gewählt werden. Egal ob Andacht, Beichtgespräch [!], das Gemeindecafé oder die katholische Bücherei. Es gibt aktuell kaum eine leichtere Chance Menschen aus bisher nur aus der Theorie bekannten Sinus[-]Milieus zu erreichen." 
Es geht - wie meine kluge Liebste herausgefunden hat - allerdings auch einfacher: Hat man die App selbst auf dem Smartphone oder Tablet, kann man auch einfach mal schauen, wo es in der näheren Umgebung PokéStops und Arenen gibt - und wenn man da hinspaziert (wir sollen ja schließlich "an die Ränder gehen"...), trifft man mit ziemlicher Sicherheit auf einige Jugendliche. Die starren zwar wahrscheinlich wie hypnotisiert auf ihre mobilen Endgeräte (bisherigen Versuchsreihen zufolge trinken sie nicht einmal Bier dabei!), aber vielleicht schafft man es ja doch, ihnen eine Einladung zu einer schönen christlichen Veranstaltung in die Hand zu drücken - sei es fürs Nightfever oder auch nur zu einem Teller Suppe... 



2 Kommentare:

  1. "Ingress" finde ich persönlich viel strategischer und interessanter..... Und das gibt es schon seit mehreren Jahren.

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  2. Auch ich glaube, dass man diesen Trend nutzen kann und ihn nicht direkt "verteufeln" sollte. Meine Gedanken zu diesem Spiel gibt es hier:
    http://www.retrokatholisch.de/2016/07/ist-pokemon-go-christlich/
    Ich hoffe diese Gedanken können jemandem weiterhelfen! :)

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