Du schriebst mir neulich, mit Deinen kritischen Nachfragen und Anmerkungen zu einem meiner jüngsten Beiträge habest Du beabsichtigt, einen "Einblick in die dunkelkatholische Seele zu bekommen". Diesem Wunsch komme ich weiterhin gern entgegen; nachdem die Diskussion im Kommentarfeld aber einen Umfang und eine Komplexität erreicht hat, die sie etwas unübersichtlich machen, denke ich mir, ich widme dieser Auseinandersetzung lieber einen eigenen Artikel. Ich bin auch gerade in der perfekten Stimmung dazu, nachdem ich gestern Abend beim "Nightfever" war - Rosenkranzgebet, Vorabendmesse, Eucharistische Anbetung und Komplet, alles in allem rund fünf Stunden. Nun fühle ich mich seelisch so ausgeglichen wie selten, und ich glaube, das ist eine gute Voraussetzung, um dieses Thema anzugehen.
Ich habe eine Weile überlegt, wie ich meine Antwort aufbauen soll - ob ich mit den Detailfragen anfange und mich von da aus zum Grundsätzlichen vorarbeite oder ob ich umgekehrt vorgehe. Schließlich habe ich mich für die letztere Methode entschieden. Der bisherige Verlauf der Diskussion mit Dir hat mir - und dafür bin ich Dir dankbar - ins Bewusstsein gerufen, was ich sonst allzu leicht zu vergessen oder zu ignorieren versucht bin: dass es letztlich unbefriedigend bleibt, über Glaubensfragen auf einer rein theoretischen, unpersönlichen Ebene zu sprechen.
Werden wir also persönlich! (Du wirst bemerkt haben, dass sich das in meinen beiden letzten Antworten auf Deine Kommentare bereits abgezeichnet hat.) "Das Eigentliche des Glaubens ist der Akt der Entscheidung zum Glauben" - so fasst Du meine vorletzte Wortmeldung in unserer Diskussion zusammen, und Du hast Recht, ich habe das tatsächlich so gemeint, wie Du es verstanden hast - ungefähr so zumindest (denn möglich wird diese Entscheidung ja erst durch Gnade, aber an dem Punkt waren wir ja schon). Du sprichst in diesem Zusammenhang von "Lebensübergabe" und "Unterwerfung"; dass Du das "künstlich, gewollt, pathetisch" findest, nehme ich erst mal so hin - dazu vielleicht später mehr. "Es ist eine Konversion", stellst Du fest; "und Konvertiten sind bekanntlich besonders pingelig".
Da berührst Du einen sehr interessanten Punkt. Unter den Menschen aus dem "dunkelkatholischen Echoraum", die ich persönlich näher kenne, sind tatsächlich auffallend viele Konvertiten in dem Sinne, dass sie früher einmal anderen Glaubensgemeinschaften angehört haben, oder auch solche, die in einem atheistischen oder agnostischen Umfeld aufgewachsen sind und bis ins Erwachsenenalter hinein konfessionslos waren. Es trifft sicher zu, dass solche Konvertiten oft (wenngleich nicht immer) einen besonderen Eifer für ihren neuen Glauben an den Tag legen, auch und gerade für solche Aspekte, die für ihre neue Konfession spezifisch sind und sie von anderen Glaubensrichtungen unterscheiden. Gleichzeitig bringen sie aber (natürlich!) auch die Erfahrungen aus ihrer anders- oder nichtgläubigen Vergangenheit in ihre neue Glaubensgemeinschaft mit. Dazu wird noch mehr zu sagen sein, aber ich will hier ja nicht in erster Linie über andere Menschen sprechen, sondern über mich. In meinem Fall ist die "Konversion" eher eine "Rückkehr" gewesen: Nachdem ich im Säuglingsalter katholisch getauft wurde und sehr "kirchennah" aufgewachsen bin, kam ich in meinen späten Teenagerjahren, wie so viele Menschen nicht nur meiner Generation, an den Punkt, dass ich von der Kirche, so wie ich sie wahrnahm, gründlich die Schnauze voll hatte und auch mit vielen ihrer Glaubenslehren wenig anfangen konnte. Diese Phase zog sich eine ganze Weile hin - mit einigen Auf-und-ab-Bewegungen, aber im Endergebnis kann man wohl sagen, dass ich, in den Bildern des bekannten Gleichnisses ausgedrückt, jahrelang mein Erbteil verprasst und Schweine gehütet habe. Im Tiefsten habe ich dabei aber immer gewusst oder geahnt, dass der Weg zurück zum Vaterhaus jederzeit offen steht, wenn ich nur bereit bin, ihn zu gehen - und dass ich, wenn ich heimkomme, in ein Festgewand gekleidet werde.
Natürlich trage ich unter diesem Festgewand auch heute noch die Spuren aus der Zeit des Schweinehütens. Ebenso wie jeder Konvertit - ich sagte es bereits - die Erfahrungen aus der Zeit vor seiner Konversion unweigerlich in sein neues Glaubensleben mitbringt. Konversion ist eben, anders als Außenstehende zuweilen meinen und behaupten, keine Gehirnwäsche. -- Das bringt mich übrigens auf das, was Du als "sacrificium intellectus" bezeichnest. Der Begriff gefällt mir tatsächlich ganz gut, aber es kommt natürlich darauf an, wie man ihn versteht. Ich kann sagen, dass ich die Lehre der Katholischen Kirche auch und nicht zuletzt intellektuell weit anregender und befriedigender finde als jede andere Philosophie oder Weltanschauung, die mir bisher so begegnet ist (die Lektüre einiger Werke von Joseph Ratzinger - damals schon, aber gerade erst seit Kurzem, Papst Benedikt XVI. - hat sehr erheblich zu meiner "Konversion" beigetragen); gleichzeitig ist es aber auch wahr, dass der Intellekt ein Hindernis auf dem Weg zum Glauben sein kann - nämlich dann, wenn man sich allzu viel auf ihn einbildet. Ich denke, Du kennst mich gut genug, um zu verstehen, was ich meine, wenn ich sage, dass das eine Versuchung ist, die ich aus eigener Erfahrung sehr gut kenne. Der uns beiden bekannte Pfarrer Bögershausen hat mich nach meiner mündlichen Abiturprüfung vor dieser Versuchung gewarnt, und bei aller sonstigen Kritik: Da hatte er Recht. -- Ein sacrificium, ein Opfer, bedeutet aber nicht, etwas wegzuwerfen, sondern, es Gott darzubringen. Oder, etwas weniger hochtrabend ausgedrückt: es Ihm zur Verfügung zu stellen. Bildlich gesprochen bedeutet "sacrificium intellectus" also nicht, dass man seinen Verstand an der Kirchentür zurücklässt, sondern dass man ihn an die Stufen des Altars trägt und Gott zu Füßen legt. Auf dass Er daraus macht, was Ihm gefällt und was in Seinem Sinne ist. Ja, Du hast Recht: Das ist eine "Lebensübergabe". Das ist eine "Unterwerfung". Und das ist nicht einfach. Das ist auch nichts, was man ein für allemal tut und dann für den Rest seines Lebens damit fertig ist. Es ist ein Prozess, der immer neue Anläufe braucht.
Du magst das gruselig finden; das kann ich Dir nicht verübeln. Aber anders ist kein Christsein möglich. Das sage nicht ich, das sagt Der, Der es am besten wissen muss: Jesus Christus. "Wenn ihr nicht umkehrt [...], könnt ihr nicht in das Himmelreich kommen" (Matthäus 18,3). Christsein setzt per definitionem "conversio", d.h. "Umkehr", "Be-kehrung", voraus. Deshalb muss ich Dir auch vehement widersprechen, wenn Du - wenn auch in einem etwas anderen Zusammenhang - sagst "Es gibt kein Zurück". Doch, das gibt es, und das muss es auch geben. Wenn man auf einem falschen Weg ist, muss man umkehren. Zu behaupten, das sei nicht möglich, würde darauf hinauslaufen, dass jemand, der auf einen Abgrund zugeht, gar keine andere Wahl hätte, als früher oder später hineinzustürzen.
Nun habe ich bereits eingeräumt, dass Du das "Es gibt kein Zurück" vermutlich etwas anders gemeint hast. Die Zeit zurückdrehen, in dem Sinne, dass man versuchen wollte, einen früheren Zustand wiederherzustellen, das geht tatsächlich nicht. Das wäre auch gar nicht wünschenswert, denn so gut ist es früher auch nicht gewesen - auch nicht, wie Du richtig sagst, in "vorkonziliarer" Zeit. Ich will auch nicht vor das II. Vaticanum zurück, und ich kenne annähernd niemanden, der das ernsthaft will. Gleichwohl halte ich es für unbestreitbar, dass sich seit dem jüngsten Konzil - und zwar, meinem Verständnis nach, nicht infolge der Umsetzung, sondern vielmehr der mangelhaften Umsetzung seiner Beschlüsse - Fehlentwicklungen, Irrwege in der landläufigen Glaubensauffassung und -praxis etabliert haben, die eine Umkehr dringend erforderlich erscheinen lassen. Wie gesagt: nicht im Sinne des Versuchs einer Wiederherstellung früherer Zustände, aber im Sinne einer Rückbesinnung darauf, was das Konzil eigentlich gewollt hat.
Du sagst ja selbst, auch Du seist "tief besorgt über den Verfall religiöser Substanz beim 'Volk Gottes'". Allerdings meinst Du: "Dagegen helfen allerdings weder Weihrauch, buchstabengetreue Messen etc.". Da frage ich mich erst einmal: Woher willst Du das wissen? Wie kann man das wissen, solange man es nicht einmal probiert? -- Im Ernst: Diese Dinge allein werden sicherlich nicht die Lösung aller Probleme sein. Aber wenn liturgische Vorschriften mit einer solchen Beliebigkeit und Nachlässigkeit behandelt werden, wie das landauf, landab vielerorts zu beobachten ist, dann ist das nicht zuletzt auch ein Symptom für ein weit tiefer liegendes Problem, oder sogar mehrere. Zum Teil scheint mir aus einer allzu freihändig gehandhabten Liturgie mangelnde Ehrfurcht vor den Sakramenten zu sprechen, die auf einen mangelnden Glauben an ihre Wirksamkeit schließen lässt. Selbst wenn der Zelebrant das gar nicht so meint, kann es doch die Gemeinde in diese Richtung beeinflussen. Darüber hinaus bin ich der Ansicht, wenn jemand meint, er könne die Liturgie nach eigenem Gusto gestalten und abwandeln, spricht daraus - selbst wenn es in bester Absicht geschieht, z.B. mit dem Ziel, den Gottesdienst für die Gemeinde "verständlicher" oder "interessanter" zu machen, kurz gesagt also, "die Leute da abzuholen, wo sie stehen" - ein eklatanter Mangel an Demut.
Und das betrifft nicht allein die Liturgie der Heiligen Messe. Nehmen wir mal das von Dir angesprochene Thema "Priesterkragen". Ja, da bin ich "pingelig". Aber das ist nicht bloß eine ästhetische Geschmacksfrage. Zugegeben, ich finde Soutanen schick und finde es schade, dass man sie hierzulande so selten sieht. Aber so weit würde ich dann doch nicht gehen, anderen Leuten meinen Kleidungsgeschmack aufzuzwingen. -- Der Sinn der Vorschrift, dass Priester, wenn sie sich in der Öffentlichkeit bewegen, priesterliche Kleidung tragen sollen, besteht zunächst einmal darin, dass sie jederzeit als Priester erkennbar sein sollen; so wie Oberwachtmeister Dimpfelmoser im 2. Band des Räuber Hotzenplotz sagt (sinngemäß aus dem Gedächtnis zitiert): "Im Dienst trägt man Uniform, und ich bin, wie man weiß, immer im Dienst". Nun gäbe es natürlich theoretisch verschiedenste Möglichkeiten, dies sicherzustellen - meinetwegen z.B. Hemden oder Jacken mit dem Aufdruck "Priester" auf dem Rücken oder auf der Brusttasche (auch wenn ich das nicht schön fände). Aber es gibt nun einmal Vorschriften darüber, was priesterliche Kleidung ist und was nicht; und einem Priester, der willkürlich gegen diese Vorschriften verstößt, mangelt es offensichtlich an Gehorsam. -- Zugegeben, Gehorsam gilt heutzutage nicht mehr als besonders cool - gehört aber nun mal zu den Dingen, die ein Priester bei seiner Weihe verspricht. Und wenn ich einem Priester nicht einmal darin vertrauen kann, dass er sich nach bestem Vermögen an seine Weiheversprechen hält - wie soll ich ihm dann in irgend etwas Anderem vertrauen?
Du siehst, auch die Detailfragen führen letztlich immer wieder zum Grundsätzlichen zurück. Und dieses Grundsätzliche ist eben, dass Glaube, wenn er nicht theoretisch und abstrakt bleiben soll, Hingabe bedeutet. Du meinst, das sei etwas, womit man "immer nur kleine Gruppen" erreichen könne. Ich weiß nicht, ob das stimmt. Aber wenn es stimmt, dann sind gerade diese kleinen Gruppen bitter nötig für die Kirche (und die Gesellschaft) als Ganze. Wir Christen sind schließlich dazu aufgerufen, der Sauerteig zu sein, der das Ganze durchsäuert (Matthäus 13,33). Das Salz der Erde (Matthäus 5,13). Im Zweifel ist eine kleine Handvoll Salz immer noch besser als ein großer Sack eines undefinierbaren Pulvers, wo "Salz" draufsteht, obwohl es nicht salzig ist. -- Bei der Gelegenheit ein Wort zu Deinem Vorwurf, wir Dunkelkatholen fänden es "super, im Besitz der 'Wahrheit' zu sein": Wahrheit ist nichts, das man besitzt. Es geht nicht darum, im Besitz der Wahrheit zu sein, sondern in der Wahrheit zu sein (vgl. Johannes 8,31f., 18,37 et al.). Und zu dieser Wahrheit gehört eben auch, dass wir Sünder sind und der Barmherzigkeit Gottes bedürfen. Wir Dunkelkatholen halten uns also nicht für besser als andere Menschen. Wir wissen, dass wir schwach sind, und genau deshalb erwarten und verlangen wir von unserer Kirche, dass sie uns im Glauben stärkt - denn das ist ihr Auftrag, und nicht, dass sie mit Kalenderblattpoesie und Blumenbildchen dafür sorgt, dass wir uns gut fühlen.
Abschließend gefragt: Woran glaubst Du eigentlich? - Will ich das wirklich wissen? - Ich bin mir nicht sicher. Aber es scheint mir einfach ein Gebot der Fairness zu sein, das zu fragen.
Herzliche Grüße
Tobias
P.S.: Eigentlich wollte ich noch etwas zu der Sache mit der Gluten-Unverträglichkeit und der Kommunion sagen, aber das passte nun nicht recht in den Duktus des Texts. Vielleicht komme ich ein Andermal darauf zurück.
Da ich kein Wortspiel auslassen kann:
AntwortenLöschenEs geht schon darum, im Besitz der Wahrheit zur sein. Genetivus subjectivus: die Wahrheit ist der Besitzer, man selber ist in dem Besitz drin.
Lieber Tobias!
AntwortenLöschenIch habe mich auf diesen Austausch eingelassen, weil ich es schade finde, dass kluge Leute - die ich auch persönlich schätze - Zeit & Tinte mit der Verteidigung vermeintlicher Orthodoxie bzw -praxis vergeuden. Wir sind uns sicher einig in der Ablehnung einer "Dienstleistungskirche", deren Botschaft sich auf ein "Gott-liebt-dich" verkürzt, obwohl diese Aussage in schlimmen Lebenslagen tröstlich sein kann. Trotzdem glaube ich, dass es andere Wege zu einer Gottesbegegnung gibt als die akribische Befolgung von Riten & Vorschriften. Da muss nur jemand vorausgehen. Und daran fehlt es in allen großen Kirchen. Ich spüre eher einen nostalgischen Zug zu Sicherheiten (etwa auch im Pietismus), die es m.E. nicht geben kann und muss.
Was "meinen" Glauben betrifft, nur so viel, weil es tatsächlich uninteressant ist - auch für mich. Aber ich will fair sein und zumindest deutlich machen, wo ich stehe bzw unterwegs bin.
Ich bin seit fast 20 Jahren kein Katholik mehr, bin es eigentlich nie gewesen. Nach längeren Exerzitien in einem Benediktinerkloster war mir klar, dass ich nicht an die Göttlichkeit Jesu glauben kann. Ich habe mich dann zum Entsetzen des uns bekannten Pfarrers still aus der Gemeinde zurückgezogen.
Ohne nach einer Alternative zu suchen bin ich später in Berlin zufällig über die Quäker gestolpert (neben Bad Pyrmont der einzige Ort, wo sie eine feste Bleibe haben). Nun gehöre ich seit vielen Jahren zu dieser sehr kleinen "Religiösen Gesellschaft der Freunde". Und da gehöre ich auch hin. Glaubensfragen spielen für uns praktisch keine Rolle, es geht eher um eine verantwortbare Haltung zur Welt. Es geht tatsächlich darum in der Wahrheit zu leben.
Kurz und knapp aus einem der Kerntexte:
"1. Achtet, liebe Freunde, auf die Regungen der Liebe und der Wahrheit in euren Herzen. Vertraut ihnen als der Stimme Gottes, dessen Licht uns unsere dunklen Seiten zeigt und uns zu neuem Leben führt." (https://quaeker.org/wp-content/uploads/2015/07/RGDF_Ratschlaege_und_Fragen.pdf)
Trotzdem werkeln wir natürlich denkerisch & paktisch auf der "selben Baustelle", wenn die "Freunde" auch mit deutlich bescheidenerem Gerät unterwegs sind.
Herzliche Grüße ins hoffentlich auch sonnige Berlin
Jochen
PS: Die allermeisten von uns sind natürlich Konvertiten! Allerdings solche, die froh sind, die "vielen Worte" hinter sich gelassen zu haben.
Lieber Tobias,
AntwortenLöschendanke für diesen tollen Beitrag. Ich bin selbst Konvertit und habe mich darin sehr wiedergefunden. Gerade der Gedanke, dass man das Leben vor der Konversion eben nicht ablegt, sondern in die neue Gemeinschaft mitbringt, hat mich sehr getroffen. Zu Anfang wollte ich so katholisch sein, wie jemand, der katholisch aufgewachsen ist. Es hat gedauert, bis ich begriff, dass ich anders katholisch bin. Nicht minderwetiger, nicht besser, einfach anders. Dieses Anderssein positiv in den eigenen Glauben und in die Kirche einzubringen, darin liegt der Trick. Vielen Dank, dass du mich daran noch einmal erinnert hast.