Das Fachmagazin für schlechte Katholiken, katholisch.de, teilt derzeit auf seiner Facebook-Seite regelmäßig Visuals der Initiative "dreifach Glauben" - laut Selbstbeschreibung ein "Netzwerk junger katholischer Theolog_innen" mit dem Anliegen, "über Gott zu reden und zwar so, wie er sich uns zeigt und es jeder versteht". Das klingt ja schon mal gruselig genug. Bei der erwähnten Visual-Reihe geht es, wie die FB-Redaktion von katholisch.de auf Anfrage erläuterte, darum, in der Fastenzeit "die sieben christlichen Werke der Barmherzigkeit" vorzustellen: "Hungrige speisen, Durstige tränken, Fremde beherbergen, Nackte bekleiden, Kranke und Gefangene besuchen sowie Tote begraben". Na okay. Jüngst war offenbar der Punkt mit den Kranken dran. Und dazu gab's den folgenden Text:
Gott.Ich mag das Gefühl von krank sein nicht.Dieses darliegen. Nichtstun.Auf Andere angewiesen zu sein.Aus meinem Alltag rausgerissen zu werden.Auf einmal bestimmen andere Faktoren was ich den ganzen Tag tun soll, kann und darf.
Rechtschreibung und Interpunktion lasse ich einfach mal in voller Schönheit auf den Leser wirken. Wobei ich "darliegen" schön irgendwie hübsch finde. Ich wurde dargelegt, jetzt liege ich dar. Aber Scherz beiseite. Meine erste, spontane Reaktion auf diesen Text war der - noch nicht einmal wertend gemeinte - Gedanke: Komisch, mir geht's da ganz anders. Also, so richtig völlig anders. Manchmal jedenfalls, da genieße ich das richtig. Aus dem Alltag rausgerissen zu werden, auf Andere angewiesen zu sein. Das Da(r)liegen, Nichtstun. Mich um nichts kümmern zu müssen, weil ich mich um nichts kümmern kann. Weil ich krank bin. Manchmal empfinde ich das geradezu als einen Segen, ja, ein Geschenk des Himmels.
Nun habe ich da zugegeben leicht reden, da ich noch nie wirklich schwer und lange krank war. Außerdem hatte ich bislang immer das Glück, dass sich jemand um mich kümmerte, wenn ich krank war - nicht nur im Sinne medizinischer Versorgung, sondern auch im Sinne menschlicher Anteilnahme. Aber in dem zitierten Text geht es ja auch nicht explizit um schweres Leiden, sondern einfach darum, dass das "Ich" des Textes das Gefühl von Kranksein "nicht mag". Und zwar deshalb, weil es als Verlust von Autonomie erlebt wird. Das scheint mir ein ganz wesentlicher Punkt. Könnte man vielleicht sagen, dass das angesprochene "Gefühl von Kranksein" dem Menschen einfach nur besonders deutlich spürbar macht, dass seine vermeintliche Autonomie letztlich illusorisch ist? Denn irgendwie sind wir doch immer auf Andere angewiesen. Und wenn morgens der Wecker klingelt, weil man zur Arbeit muss, dann wird man doch auch ziemlich brutal aus seiner Selbstgenügsamkeit rausgerissen. Und da ist man dann auch total fremdbestimmt bis zum Feierabend, und "andere Faktoren" bestimmen, was man "den ganzen Tag tun soll, kann und darf". Und schlimmer noch: Irgendwann stirbt man. Und wird so richtig final aus Allem rausgerissen. -- Der bedeutende evangelische Theologe Friedrich Schleiermacher schrieb dereinst, Religion wurzele im "Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit". Man könnte hinzufügen, dieses Gefühl sei prinzipiell conditio humana, so viel vermeintliche Autonomie wir auch beanspruchen und uns einbilden mögen.
Die Frage ist: Was lernen wir nun aus Alledem? Betrachtet man den zitierten Text als ein Gebet - denn immerhin wird darin ja Gott angesprochen -, dann stellt sich die Frage: Was will der Beter von Gott? Eine konkrete Bitte wird da ja nicht formuliert. Man könnte sagen, der Beter teilt Gott zunächst einmal einfach mit, wie er sich fühlt. Dagegen ist grundsätzlich nichts zu sagen. Aber die Macher dieses Visuals müssen sich doch darüber hinaus irgend etwas gedacht haben. Und als in den Sozialen Medien veröffentlichtes Visual Statement richtet sich der Text ja eben doch nicht (nur) an Gott, sondern (auch) an den Leser. Was soll der nun damit anfangen? Nun gut, vielleicht soll er sich erst einmal einfach darin wiederfinden. Hat bei mir ja schon mal nicht geklappt, aber das heißt ja nichts. Vielleicht, wer weiß, geht es den Machern von "dreifach Glauben" sogar explizit darum, dass der Leser sich selbst Gedanken darüber machen soll, wie Gott mit einem solchen Gebet umgehen sollte. Die FB-Redaktion von katholisch.de jedenfalls hat sich Gedanken darüber gemacht - und über das geteilte Visual drübergeschrieben: "Barmherziger Gott. Beschütze mich vor Krankheiten." Das lag nahe. Ein bisschen zu nahe, für mein Empfinden.
Sicher: Wenn ein Kranker um Heilung betet, ist das sehr verständlich und völlig legitim. Auch wenn ein Gesunder darum betet, gesund zu bleiben, ist dagegen grundsätzlich nichts zu sagen. Aber das scheint mir doch - und ich entschuldige mich gleich im Voraus, wenn sich jetzt jemand auf die Füße getreten fühlt - eher die Vorschule, um nicht zu sagen der Kindergarten des christlichen Betens zu sein. Besonders wenn, wie hier, das Problematische am Kranksein wie gesagt im Verlust von Autonomie gesehen wird. Da wendet man sich also an Gott, um Ihn zu bitten, Er möge einem das Gefühl des Angewiesenseins auf Andere ersparen. Was ist denn mit dem Angewiesensein auf Gott?, möchte man da fragen. In dem Moment, in dem der Beter betet, empfindet er dieses Angewiesensein ja offenbar - betet aber gerade darum, es loszuwerden. Im Grunde wird da der zentrale Satz des zu Recht berühmten "Gebets vom Bruder Klaus" auf den Kopf gestellt: "Nimm mich Dir und gib mich ganz zu eigen mir."
Ich gebe zu, ich übertreibe. Nochmals: Entschuldigung. Aber wenn ich gerade eben von der Vorschule des christlichen Betens sprach, dann muss ich jetzt natürlich auch sagen, was ich mir unter einem geistlich reiferen Gebet vorstellen würde. Die Antwort lautet: Gott zu bitten, Er möge dazu helfen, Krankheit und sonstiges Leiden zu ertragen - und im Idealfall nicht nur zu ertragen, sondern anzunehmen. Anzunehmen etwa als eine Chance, Gott näher zu kommen. Geborgenheit bei Ihm zu finden, gerade durch das Herausgerissenwerden aus dem Alltag, durch den Verzicht darauf, alles selbst zu regeln und zu bestimmen. Durch das Anerkennen der eigenen Hilflosigkeit. Mir kam in diesem Zusammenhang ein, wie ich finde, sehr beeindruckendes Zitat der katholischen Schriftstellerin Flannery O'Connor (1925-1964) in den Sinn, die über mehr als ein Drittel ihrer kurzen Lebenszeit schwer krank war:
Sicher: Wenn ein Kranker um Heilung betet, ist das sehr verständlich und völlig legitim. Auch wenn ein Gesunder darum betet, gesund zu bleiben, ist dagegen grundsätzlich nichts zu sagen. Aber das scheint mir doch - und ich entschuldige mich gleich im Voraus, wenn sich jetzt jemand auf die Füße getreten fühlt - eher die Vorschule, um nicht zu sagen der Kindergarten des christlichen Betens zu sein. Besonders wenn, wie hier, das Problematische am Kranksein wie gesagt im Verlust von Autonomie gesehen wird. Da wendet man sich also an Gott, um Ihn zu bitten, Er möge einem das Gefühl des Angewiesenseins auf Andere ersparen. Was ist denn mit dem Angewiesensein auf Gott?, möchte man da fragen. In dem Moment, in dem der Beter betet, empfindet er dieses Angewiesensein ja offenbar - betet aber gerade darum, es loszuwerden. Im Grunde wird da der zentrale Satz des zu Recht berühmten "Gebets vom Bruder Klaus" auf den Kopf gestellt: "Nimm mich Dir und gib mich ganz zu eigen mir."
Ich gebe zu, ich übertreibe. Nochmals: Entschuldigung. Aber wenn ich gerade eben von der Vorschule des christlichen Betens sprach, dann muss ich jetzt natürlich auch sagen, was ich mir unter einem geistlich reiferen Gebet vorstellen würde. Die Antwort lautet: Gott zu bitten, Er möge dazu helfen, Krankheit und sonstiges Leiden zu ertragen - und im Idealfall nicht nur zu ertragen, sondern anzunehmen. Anzunehmen etwa als eine Chance, Gott näher zu kommen. Geborgenheit bei Ihm zu finden, gerade durch das Herausgerissenwerden aus dem Alltag, durch den Verzicht darauf, alles selbst zu regeln und zu bestimmen. Durch das Anerkennen der eigenen Hilflosigkeit. Mir kam in diesem Zusammenhang ein, wie ich finde, sehr beeindruckendes Zitat der katholischen Schriftstellerin Flannery O'Connor (1925-1964) in den Sinn, die über mehr als ein Drittel ihrer kurzen Lebenszeit schwer krank war:
"I have never been anywhere but sick. In a sense sickness is a place, more instructive than a long trip to Europe, and it’s always a place where nobody can follow. Sickness before death is a very appropriate thing and I think those who don’t have it miss one of God’s mercies."
["Ich bin niemals irgendwo gewesen außer krank. In gewissem Sinne ist Krankheit tatsächlich ein Ort, lehrreicher als eine lange Reise durch Europa, und sie ist stets ein Ort, an den einem niemand folgen kann. Krankheit vor dem Tod ist etwas sehr Angemessenes, und ich glaube, wer das nicht hat, dem entgeht eine Gnade Gottes."]
Wie es sich übrigens fügte, kam mir am selben Tag, an dem katholisch.de das Krankheits-Visual von "dreifach Glauben" teilte, ein im National Catholic Register veröffentlichter Artikel der wundervollen katholischen Bloggerin Simcha Fisher zu Augen, der sich mit einer weiteren typisch katholischen Weise befasste, Leiden zu bewältigen: dem "Aufopfern". Frischgebackene Konvertiten, so betont Simcha Fisher eingangs, wüssten oft nicht, was mit diesem Begriff gemeint sei. Ich möchte hinzufügen, dass es zumindest hierzulande wohl viele "geborene Katholiken" ebenfalls nicht wissen. Also, worum geht's? Kurz gesagt darum, Leiden in etwas Sinnvolles zu verwandeln - oder genauer: verwandeln zu lassen, nämlich durch Gott. Simcha Fisher erläutert:
"Christ became a man so that He could suffer and die to redeem us, and when He did this, He changed the nature of suffering so that any and all human suffering can be united with His as part of the work of redemption."["Christus wurde Mensch, damit Er uns durch sein Leiden und Sterben erlösen konnte, und indem Er das tat, verwandelte Er die Natur des Leidens so, dass jedes und alles menschliche Leiden mit dem Seinen vereinigt und zum Bestandteil seines Werks der Erlösung werden kann."]
Klingt obskur? Die liebe Simcha hat eine sehr einprägsame Analogie in petto:
"I was once too broke to bring a gift to a wedding. A friend of mine had brought an expensive and thoughtful present, beautifully wrapped, and she let me add my name to the card. ... Jesus allows us to “add our name” to the gift of his sacrifice to the Father—that we can do this every time we suffer, and also any time we attend Mass."["Einmal war ich so pleite, dass ich zu einer Hochzeit kein Geschenk kaufen konnte. Ein(e) Freund(in) hatte ein teures und liebevoll ausgewähltes, wunderschön verpacktes Geschenk mitgebracht und erlaubte mir, meinen Namen mit auf die Karte zu schreiben. Jesus erlaubt uns, Seinem Geschenk, Seinem Opfer für den Vater 'unseren Namen hinzuzufügen' - Er erlaubt uns dies zu tun, wann immer wir Leid empfinden, und auch jedesmal, wenn wir die Messe besuchen."]
Dem aufmerksamen und mitdenkenden Leser wird es nicht entgehen, dass diese Idee des "Aufopferns" etwas mit Buße zu tun hat - sei es für die eigenen Sünden oder die anderer Menschen, beispielsweise der Armen Seelen im Fegefeuer. Da ist es im Grunde nicht sonderlich überraschend, dass diese Lehre heutzutage nicht sehr populär ist. Da ich vorhin sagte, hierzulande sei dieses Konzept wohl sogar "geborenen Katholiken" vielfach fremd, möchte ich noch ergänzen, dass mir das in meiner doch ausgesprochen kirchennahen Kindheit und Jugend auch nie jemand beigebracht hat; ich musste mir das, wie so viele katholische Glaubensinhalte, im Erwachsenenalter aus eigener Initiative nach und nach selbst aneignen. Aber heutzutage gibt es doch das Internet und die Sozialen Medien! Katholische Online-Portale und Facebook-Seiten, so weit das Auge reicht! Die könnten einem sowas doch vermitteln! -- Nein? Nein, anscheinend nicht. Jedenfalls nicht die "offiziellen" Portale. Denen ist das wohl nicht "niederschwellig" genug. Die sind - so jedenfalls mein ganz subjektiver Eindruck - überwiegend so sehr damit beschäftigt, "die Leute da abzuholen, wo sie stehen", dass sie darüber ganz vergessen, die Leute von dort aus irgendwo hinzuführen. Und anstatt ihren Lesern den Reichtum und die Schönheit des katholischen Glaubens zu erschließen, geben sie sich schon damit zufrieden, wenn die Leute überhaupt noch irgendwie an Gott glauben...
Na, Gott sei Dank gibt es ja noch die Blogger. Und das Bistum Gnadensuhl.
Ich habe bei Simcha Fishers Artikel zum ersten Mal so richtig von Herzen begriffen, was dies Aufopfern eigentlich meint.
AntwortenLöschenEine Vorstufe - die sie erwähnt - kenne ich: Gott sagen "Mach was draus". Eine andere Form kenne ich auch, dem Leid einen Sinn abzuringen: das Leid anderer Leute etwas besser verstehen können. Das Aufopfern ist für mich gewissermaßen die Hohe Schule. Kann ich nicht, könnte ich gern.
Tippfehler: "Nimm mich MIR! und gib mich ganz zu eigen Dir."
AntwortenLöschenDas ist kein Tippfehler, sondern Sarkasmus. Lesen Sie noch einmal genau den Satz davor. Gerngeschehen.
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