Hin und wieder begegnet man - wenn nicht im wirklichen Leben, dann aber wenigstens im Internet - Christen (und ja, darunter auch Katholiken), die den Eindruck erwecken, sie könnten sich nicht so richtig auf den Himmel freuen, wenn sie dabei nicht die zusätzliche Genugtuung haben, dass möglichst viele andere Leute in die Hölle kommen.
Das ist traurig. Auch wenn es manchmal durchaus eine gewisse Komik hat.
Vor einigen Monaten erhielt ich auf Facebook eine Einladung in die Gruppe "Römisch-katholisch-allumfassend". Das klang nicht schlecht, fand ich; gerade die Betonung des Begriffs "allumfassend", wenngleich "katholisch" dem Wortsinne nach ja auch nichts anderes bedeutet als ebendies, schien mir für eine gewisse "katholische Weite" zu sprechen. Wenn ich an dieser Stelle ein Bonmot meines geschätzten Bloggerkollegen Peter Esser zitiere, demzufolge "katholische Weite" "keine Unterhosengröße" sei, nehme ich dem, was ich im Folgenden hier zu schildern gedenke, fast schon die Pointe vorweg.
Ich nahm die Einladung in die Gruppe jedenfalls gern an, entfaltete dortselbst dann allerdings keine große Aktivität, da ich bald den Eindruck gewann, die Beiträge in dieser Gruppe pendelten größtenteils zwischen süßlich-kitschigen Andachtsbildchen und ebensolchen, zum Teil extrem schlecht und fehlerhaft aus dem Englischen übersetzten Gebetstexten einerseits und düster-bedrohlichen Prophezeiungen aus diversen Privatoffenbarungen andererseits, letztere gern garniert mit verschwörungstheoretisch inspirierten aktuellen Ausdeutungen. Ein paarmal juckte es mich, einen Kommentar zu posten, aber ich widerstand diesem Drang erstaunlich lange.
Schließlich gab ich meine Zurückhaltung aber doch einmal auf. Ein Gruppenmitglied hatte einen wortreichen Beitrag darüber gepostet, dass Christen Wert auf "anständige Kleidung" legen sollten und dass dies heutzutage viel zu wenig beachtet werde. Garniert war dieser Text mit einem Bild von einem Mann im Anzug und einer Frau in Rock, Bluse und Blazer, denen Jesus mit großer Geste den Weg weist. Ich kommentierte dies mit den Worten:
Nun würde ich es - und zwar nicht obwohl, sondern weil ich mit der Lehre der Katholischen Kirche zum Thema Homosexualität vollinhaltlich übereinstimme - normalerweise nicht unbedingt als ehrenrührig betrachten, für homosexuell gehalten zu werden (vielleicht hätte ich das mal in der Diskussion äußern sollen - das hätte meine Kontrahentinnen vielleicht mehr schockiert als alles andere...); aber im Kontext dieser Diskussion erschien es mir doch allzu bezeichnend für das hier herrschende Klima aus Puritanismus, Selbstgerechtigkeit und unverhohlener Lust am Verdammen Anderer. Herr, ich danke Dir, dass ich nicht bin wie jener Zöllner mit dem kurzen Rock und den Spaghettiträgern. Ich verfolgte die Diskussion noch ein wenig weiter, und da die zwei, drei führenden Puritano-Katholikinnen sich immer toller gebärdeten, postete ich schließlich dieses Video:
Man kann sich vorstellen, was daraufhin los war. Ich wurde ultimativ aufgefordert, meinen "obszönen" Videokommentar sofort zu löschen, weigerte mich standhaft und wurde daraufhin aus der Gruppe geschmissen. Mit Letzterem war ich durchaus einverstanden; schade nur, dass die Botschaft vermutlich nicht so richtig angekommen ist.
In einem ziemlich frühen und somit noch relativ harmlosen Stadium der oben geschilderten Facebook-Diskussion hatte eine nicht mehr ganz junge Dame kundgetan, sie habe alle ihre Hosen verschenkt und trage nur noch Röcke - was sie mit dem Hinweis begründete: "Man stelle sich einmal die Jungfrau Maria in Hosen vor! Geht ja gar nicht!" Noch nicht ahnend, wie sehr die Diskussion eskalieren würde, war ich von dieser Aussage zunächst vor allem belustigt und fragte scherzhaft an: "Wieso eigentlich nicht?" - woraufhin ich belehrt wurde, nicht umsonst sei die Jungfrau Maria in Lourdes, Fátima usw. stets in langen Kleidern erschienen. Ah ja. -- Das ist nun alles schon ein Weilchen her, und ich hätte die Geschichte schon längst abgehakt, wenn ich nicht in den letzten Tagen wieder daran erinnert worden wäre - mehrfach, und aus ganz verschiedenen Richtungen.
Es begann am 3. Januar mit einem, wie ich fand, etwas kryptischen Facebook-Posting der von mir sehr geschätzten Bloggerin Simcha Fisher:
Wie man aus meiner Wortmeldung im Zuge dieses Kommentardialogs wohl ersehen kann, habe ich es nicht unterlassen, mir die FB-Gruppe "Excuses women use to wear pants, and how to refute them" einmal anzusehen; und tatsächlich hat diese Gruppe zwei zentrale Themen: das Rosenkranzgebet - wobei die im Jahr 2002 durch den Hl. Papst Johannes Paul II. durch das apostolische Schreiben Rosarium Virginis Mariae eingeführten Lichtreichen Geheimnisse von einigen Gruppenmitgliedern als illegitim, weil der Tradition und dem geoffenbarten Willen der Allerseligsten Jungfrau widersprechend, betrachtet werden - und "anständige Kleidung", wozu in erster Linie gehört, dass Frauen keine Hosen tragen sollen. Hosen sind für Männer da, Röcke und Kleider für Frauen - diese schlichte Wahrheit anzuerkennen ist Voraussetzung für die Mitgliedschaft in der Gruppe.
Sucht man ein bisschen in den Beiträgen dieser Gruppe herum, stößt man früher oder später auf einen Link zu einer ähnlichen, aber, soweit das möglich ist, noch härteren FB-Gruppe: "Marylike Dress; no pants, no shorts, no too-short hemlines". In der Gruppenbeschreibung liest man (Übersetzung von mir):
Christliche Frauen sollen sich kleiden wie die Jungfrau Maria - haben wir so etwas in letzter Zeit schon einmal irgendwo gehört oder gelesen? -- In der Tat:
-- Dass dieser "Ratschlag" explizit im Rahmen einer Stellungnahme zu den Exzessen der Silvesternacht erteilt wurde, ließ kaum einen anderen Schluss zu als den, dass hier suggeriert werden sollte, die Opfer der sexuellen Übergriffe trügen eine Mitschuld an dem, was ihnen widerfahren ist, denn sie hätten die Täter provoziert. Den Shitstorm, den diese Äußerung auslöste, haben die Verfasser sich ohne Zweifel redlich verdient, aber das sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass derartige Auffassungen nicht nur unter Muslimen verbreitet sind. In den oben angesprochenen Facebook-Gruppen scheint man ja tendenziell ähnlich zu denken.
Ich sage deshalb "tendenziell", weil ich explizite Aussagen dazu, dass "unsittliche Kleidung" Sexualverbrechen provozieren würde, dort nicht gelesen habe. Christliche Verfechter einer "Marianischen Sittsamkeit" können sich natürlich auf jenen Vers der Bergpredigt berufen, in dem Jesus erklärt: "Wer eine Frau auch nur lüstern ansieht, hat in seinem Herzen schon Ehebruch mit ihr begangen" (Matthäus 5,28). Wird daraus nun aber der Schluss gezogen, eine Frau, die sich nicht ausreichend "sittsam" kleide, verführe ihre männlichen Mitmenschen schon allein dadurch zur Sünde, dass sie deren lüsterne Blicke auf sich ziehe, dann ist im Prinzip derselbe Mechanismus der Schuldumkehr am Werk wie bei dem Vorwurf, Frauen würden durch ihre Kleidung oder ihr Verhalten Vergewaltigungen provozieren. -- Ich weiß: Es hat in der Geschichte des Christentums durchaus Tendenzen gegeben, den Vers "Die Frau [...] hat mir vom Baum gegeben, und so habe ich gegessen" aus der Sündenfallerzählung (Genesis 3,12) dahingehend zu interpretieren, dass es prinzipiell die Frau sei, die den Mann zur Sünde verführt. Ich hätte allerdings gedacht, diese Auslegung wäre allmählich mal passé. Zumal ja noch hinzukommt, dass zur Verführung immer jemand gehört, der sich verführen lässt. So betont Jesus in Matthäus 15,19, "böse Gedanken, Mord, Ehebruch, Unzucht, Diebstahl, falsche Zeugenaussagen und Verleumdungen" kämen "aus dem Herzen" des Menschen - und nicht von außen. Der Mensch ist also für sein Tun und Lassen selbst verantwortlich, und das gilt auch für Männer.
Ich will bei alledem nicht leugnen, dass es Kleidung gibt, die eindeutig darauf angelegt ist, sexuell aufreizend zu wirken. Die wird man aber im Alltag verhältnismäßig selten zu sehen bekommen. Welche Art der Bekleidung oder welcher Grad an Entblößung, unabhängig von der Intention der so gekleideten Person selbst, von Anderen als sexuell aufreizend empfunden wird, ist derweil sowohl vom kulturellen Kontext abhängig als auch individuell höchst unterschiedlich. Einer findet nackte Schultern anziehend, ein anderer nackte Fußknöchel. Möglich ist Vieles. Eine radikale "Lösung" dieses "Problems" stellt die Burka dar. Aber auch hier muss man gar nicht unbedingt mit dem Finger auf den Islam zeigen. In der Viktorianischen Ära reichten in feinen Haushalten die Tischdecken bis zum Boden, damit nur ja niemand durch den Anblick nackter Tischbeine zu erotischen Phantasien angeregt wurde. Das mag aus heutiger Sicht abstrus wirken, zeigt aber, dass erotischer Reiz im Auge des Betrachters liegt. Ein bisschen ist das so wie in dem Witz mit dem Rorschach-Test:
Aber bei der Frage, was "anständige Kleidung" ist, geht es ja nicht nur um erotische Reize, sondern vielfach auch ganz schlicht um gesellschaftliche Konventionen. Was die Verfechter der "Marianischen Sittlichkeit" offenbar nicht einsehen können oder wollen, ist, dass diese Konventionen kulturell unterschiedlich und historisch veränderbar sind. So lange ist es auch hierzulande noch nicht her, dass es für erwachsene Frauen verpönt war, ihre Haare offen zu tragen, und dass von Männern erwartet wurde, auf der Straße einen Hut zu tragen, diesen in geschlossenen Räumen jedoch abzunehmen. Wer für sich selbst einen konservativeren Kleidungsstil bevorzugt, als allgemein üblich ist, der mag das ja gerne tun; deswegen aber anderen Menschen vorzuwerfen, sie kleideten sich "unanständig", ist, ahem, unanständig. Und wenn das dann auch noch als besonders christlich ausgegeben wird... Nun ja.
Was aber ist nun eigentlich so unanständig an Hosen, bzw. an Frauen, die Hosen tragen? Die Ansicht, christliche Frauen sollten bzw. dürften keine Hosen tragen, wird gern mit dem Hinweis auf Deuteronomium 22,5 untermauert: "Eine Frau soll nicht die Ausrüstung eines Mannes tragen und ein Mann soll kein Frauenkleid anziehen; denn jeder, der das tut, ist dem Herrn, deinem Gott, ein Gräuel." Einmal ganz abgesehen davon, dass dasselbe Kapitel, in dem sich dieser Vers findet, auch Vorschriften für das Ausnehmen von Vogelnestern und den Bau von Dachterrassen enthält, Mischgewebe aus Flachs und Wolle sowie das Tragen von Umhängen ohne Quasten verbietet, stellt sich hier doch wohl die Frage: Was genau ist Männer- und was Frauenkleidung? Ist nicht auch das vielleicht kulturell unterschiedlich und historisch veränderbar? Hosen jedenfalls wurden meines Wissens im Vorderen Orient in biblischer Zeit auch von Männern nicht getragen.
Aber um solche Details sollen sich meinetwegen evangelikale Fundamentalisten streiten; aus katholischer Sicht lässt sich die ganze Debatte zum Thema "Frauen und Hosen" unschwer mit einem Verweis auf den Briefwechsel zwischen Papst Nikolaus I. und dem bulgarischen Fürsten Boris I. aus dem Jahr 866 niederschlagen. Auf eine diesbezügliche Frage des Bulgarenherrschers antwortete der Papst nämlich:
Schließlich gab ich meine Zurückhaltung aber doch einmal auf. Ein Gruppenmitglied hatte einen wortreichen Beitrag darüber gepostet, dass Christen Wert auf "anständige Kleidung" legen sollten und dass dies heutzutage viel zu wenig beachtet werde. Garniert war dieser Text mit einem Bild von einem Mann im Anzug und einer Frau in Rock, Bluse und Blazer, denen Jesus mit großer Geste den Weg weist. Ich kommentierte dies mit den Worten:
"Das ist ja wie bei den Zeugen Jehovas hier."Und schon war ich mittendrin in der Diskussion, über deren weiteren Verlauf Facebook mich fortlaufend informierte. Für meinen Einwurf erntete ich vereinzelt Zustimmung und viel energischen Widerspruch. Die Urheberin des Posts und zwei oder drei andere Frauen steigerten sich mehr und mehr in ihre Klagen über den Verfall von Anstand und Sitte hinein, der sich in immer schamloserer Kleidermode ausdrücke. Ich meldete mich noch ein-, zweimal zu Wort, mit dem Ergebnis, dass ich rüde angefahren wurde: Wenn ich behaupten wolle, ich würde mich von knapp bekleideten Frauen nicht erotisch angezogen fühlen (Moment: Das hatte ich gar nicht behauptet! Vielleicht eine Verwechlsung?), dann würde ich entweder lügen oder wäre schwul.
Nun würde ich es - und zwar nicht obwohl, sondern weil ich mit der Lehre der Katholischen Kirche zum Thema Homosexualität vollinhaltlich übereinstimme - normalerweise nicht unbedingt als ehrenrührig betrachten, für homosexuell gehalten zu werden (vielleicht hätte ich das mal in der Diskussion äußern sollen - das hätte meine Kontrahentinnen vielleicht mehr schockiert als alles andere...); aber im Kontext dieser Diskussion erschien es mir doch allzu bezeichnend für das hier herrschende Klima aus Puritanismus, Selbstgerechtigkeit und unverhohlener Lust am Verdammen Anderer. Herr, ich danke Dir, dass ich nicht bin wie jener Zöllner mit dem kurzen Rock und den Spaghettiträgern. Ich verfolgte die Diskussion noch ein wenig weiter, und da die zwei, drei führenden Puritano-Katholikinnen sich immer toller gebärdeten, postete ich schließlich dieses Video:
Man kann sich vorstellen, was daraufhin los war. Ich wurde ultimativ aufgefordert, meinen "obszönen" Videokommentar sofort zu löschen, weigerte mich standhaft und wurde daraufhin aus der Gruppe geschmissen. Mit Letzterem war ich durchaus einverstanden; schade nur, dass die Botschaft vermutlich nicht so richtig angekommen ist.
In einem ziemlich frühen und somit noch relativ harmlosen Stadium der oben geschilderten Facebook-Diskussion hatte eine nicht mehr ganz junge Dame kundgetan, sie habe alle ihre Hosen verschenkt und trage nur noch Röcke - was sie mit dem Hinweis begründete: "Man stelle sich einmal die Jungfrau Maria in Hosen vor! Geht ja gar nicht!" Noch nicht ahnend, wie sehr die Diskussion eskalieren würde, war ich von dieser Aussage zunächst vor allem belustigt und fragte scherzhaft an: "Wieso eigentlich nicht?" - woraufhin ich belehrt wurde, nicht umsonst sei die Jungfrau Maria in Lourdes, Fátima usw. stets in langen Kleidern erschienen. Ah ja. -- Das ist nun alles schon ein Weilchen her, und ich hätte die Geschichte schon längst abgehakt, wenn ich nicht in den letzten Tagen wieder daran erinnert worden wäre - mehrfach, und aus ganz verschiedenen Richtungen.
Es begann am 3. Januar mit einem, wie ich fand, etwas kryptischen Facebook-Posting der von mir sehr geschätzten Bloggerin Simcha Fisher:
"You can always tell when someone has devoted a lifetime to promoting modesty, because her Facebook page is full of memes discussing various body parts. #Godwantsyoutothinkaboutlegsmore"
Worauf diese Äußerung abzielte, das verrieten mir schon bald die Kommentare zu diesem Posting.("Man merkt, dass jemand sein ganzes Leben der Förderung der Sittsamkeit gewidmet hat, wenn ihre Facebook-Seite voll ist mit Memes über verschiedene Körperteile. #GottwilldassdumehrüberBeinenachdenkst")
Wie man aus meiner Wortmeldung im Zuge dieses Kommentardialogs wohl ersehen kann, habe ich es nicht unterlassen, mir die FB-Gruppe "Excuses women use to wear pants, and how to refute them" einmal anzusehen; und tatsächlich hat diese Gruppe zwei zentrale Themen: das Rosenkranzgebet - wobei die im Jahr 2002 durch den Hl. Papst Johannes Paul II. durch das apostolische Schreiben Rosarium Virginis Mariae eingeführten Lichtreichen Geheimnisse von einigen Gruppenmitgliedern als illegitim, weil der Tradition und dem geoffenbarten Willen der Allerseligsten Jungfrau widersprechend, betrachtet werden - und "anständige Kleidung", wozu in erster Linie gehört, dass Frauen keine Hosen tragen sollen. Hosen sind für Männer da, Röcke und Kleider für Frauen - diese schlichte Wahrheit anzuerkennen ist Voraussetzung für die Mitgliedschaft in der Gruppe.
Sucht man ein bisschen in den Beiträgen dieser Gruppe herum, stößt man früher oder später auf einen Link zu einer ähnlichen, aber, soweit das möglich ist, noch härteren FB-Gruppe: "Marylike Dress; no pants, no shorts, no too-short hemlines". In der Gruppenbeschreibung liest man (Übersetzung von mir):
"Unsittliche Kleidung ist eins der größten Probleme, die die Katholische Kirche seit einigen Jahrzehnten plagen. Unser Klerus spricht zu selten von der Kanzel darüber."Aha. Nicht brutale Christenverfolgungen in Asien und Afrika sind das größte Problem der Kirche, auch nicht das Verdunsten von Glaubenswissen und Glaubenspraxis in weiten Teilen der westlichen Welt; nicht Mangel an Gottesfurcht, an Ehrerbietung gegenüber den Sakramenten der Kirche, nicht zu wenig Gebet und zu wenig Beichte, nicht Synkretismus und New-Age-Spiritualität, nicht Neues Geistliches Lied und liturgischer Tanz, nicht Priestermangel, Ehescheidung, Abtreibung oder Euthanasie, nein: Frauen in Hosen sind das, worüber die Kirche sich wirklich Sorgen machen sollte. Okay, das ist nicht das einzige drängende Problem. Es gibt auch noch andere: Tattoos zum Beispiel, oder satanistische und sexualisierende Symbole in Disney-Filmen. Ja, wirklich. Die Beweislast ist erdrückend. - Wer macht denn sowas?, mag man fragen. Wer schmuggelt lauter kaum verfremdete Abbildungen von Geschlechtsteilen in vermeintlich harmlose Kinderfilme? Aber die Antwort ist so simpel wie überzeugend: die Illuminati natürlich. -- Ich komme (vielleicht) noch auf diesen Punkt zurück; bleiben wir zunächst einmal beim Hauptanliegen der Gruppe: Frauen sollen sich sittsam kleiden, und der ultimative Maßstab dafür, was sittsame Kleidung ist, ist - wer? Die Allerseligste Jungfrau und Gottesmutter Maria, selbstverständlich.
Christliche Frauen sollen sich kleiden wie die Jungfrau Maria - haben wir so etwas in letzter Zeit schon einmal irgendwo gehört oder gelesen? -- In der Tat:
"Und weil viele Nichtmuslime ständig betonen, dass wir in einem christlichen Land leben, rufen wir dazu auf, dass Frauen hierzulande sich christlich kleiden sollten. Maria, die Mutter von Jesus, hat vorgelebt, wie eine christliche Frau sich zu kleiden hat. Es wäre also für einige Frauen sehr empfehlenswert Maria als Vorbildfunktion zu nehmen und nicht Lady Gaga."Auch das stand kürzlich auf Facebook - in einer Stellungnahme der Seite MuslimStern zu den sexuellen Übergriffen auf Frauen in der Silvesternacht in Köln und anderen Städten. Nachdem der Text, aus dem dieser Auszug stammt, massive Empörung ausgelöst hatte, zog die Seite MuslimStern - die laut Selbstbeschreibung das Ziel verfolgt, "auf zunehmende Islam- und Muslimfeindlichkeit aufmerksam zu machen und diese zu dokumentieren" - den Beitrag zurück; hier ist er jedoch noch zu lesen (zwar tendenziös kommentiert, aber im Wortlaut authentisch).
-- Dass dieser "Ratschlag" explizit im Rahmen einer Stellungnahme zu den Exzessen der Silvesternacht erteilt wurde, ließ kaum einen anderen Schluss zu als den, dass hier suggeriert werden sollte, die Opfer der sexuellen Übergriffe trügen eine Mitschuld an dem, was ihnen widerfahren ist, denn sie hätten die Täter provoziert. Den Shitstorm, den diese Äußerung auslöste, haben die Verfasser sich ohne Zweifel redlich verdient, aber das sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass derartige Auffassungen nicht nur unter Muslimen verbreitet sind. In den oben angesprochenen Facebook-Gruppen scheint man ja tendenziell ähnlich zu denken.
Ich sage deshalb "tendenziell", weil ich explizite Aussagen dazu, dass "unsittliche Kleidung" Sexualverbrechen provozieren würde, dort nicht gelesen habe. Christliche Verfechter einer "Marianischen Sittsamkeit" können sich natürlich auf jenen Vers der Bergpredigt berufen, in dem Jesus erklärt: "Wer eine Frau auch nur lüstern ansieht, hat in seinem Herzen schon Ehebruch mit ihr begangen" (Matthäus 5,28). Wird daraus nun aber der Schluss gezogen, eine Frau, die sich nicht ausreichend "sittsam" kleide, verführe ihre männlichen Mitmenschen schon allein dadurch zur Sünde, dass sie deren lüsterne Blicke auf sich ziehe, dann ist im Prinzip derselbe Mechanismus der Schuldumkehr am Werk wie bei dem Vorwurf, Frauen würden durch ihre Kleidung oder ihr Verhalten Vergewaltigungen provozieren. -- Ich weiß: Es hat in der Geschichte des Christentums durchaus Tendenzen gegeben, den Vers "Die Frau [...] hat mir vom Baum gegeben, und so habe ich gegessen" aus der Sündenfallerzählung (Genesis 3,12) dahingehend zu interpretieren, dass es prinzipiell die Frau sei, die den Mann zur Sünde verführt. Ich hätte allerdings gedacht, diese Auslegung wäre allmählich mal passé. Zumal ja noch hinzukommt, dass zur Verführung immer jemand gehört, der sich verführen lässt. So betont Jesus in Matthäus 15,19, "böse Gedanken, Mord, Ehebruch, Unzucht, Diebstahl, falsche Zeugenaussagen und Verleumdungen" kämen "aus dem Herzen" des Menschen - und nicht von außen. Der Mensch ist also für sein Tun und Lassen selbst verantwortlich, und das gilt auch für Männer.
Ich will bei alledem nicht leugnen, dass es Kleidung gibt, die eindeutig darauf angelegt ist, sexuell aufreizend zu wirken. Die wird man aber im Alltag verhältnismäßig selten zu sehen bekommen. Welche Art der Bekleidung oder welcher Grad an Entblößung, unabhängig von der Intention der so gekleideten Person selbst, von Anderen als sexuell aufreizend empfunden wird, ist derweil sowohl vom kulturellen Kontext abhängig als auch individuell höchst unterschiedlich. Einer findet nackte Schultern anziehend, ein anderer nackte Fußknöchel. Möglich ist Vieles. Eine radikale "Lösung" dieses "Problems" stellt die Burka dar. Aber auch hier muss man gar nicht unbedingt mit dem Finger auf den Islam zeigen. In der Viktorianischen Ära reichten in feinen Haushalten die Tischdecken bis zum Boden, damit nur ja niemand durch den Anblick nackter Tischbeine zu erotischen Phantasien angeregt wurde. Das mag aus heutiger Sicht abstrus wirken, zeigt aber, dass erotischer Reiz im Auge des Betrachters liegt. Ein bisschen ist das so wie in dem Witz mit dem Rorschach-Test:
Ein Psychotherapeut zeigt seinem Patienten[*] Bilder von Tintenklecksen.Und, ich sag mal so: Wer, siehe oben, selbst in Disney-Filmen stets und überall sexuelle Symbole zu sehen meint, der hat offenbar ein gewisses Problem in dieser Hinsicht.
"Was sehen Sie auf diesem Bild?"
"Geschlechtsverkehr."
"Und auf diesem?"
"Geschlechtsverkehr."
"Und auf diesem?"
"Geschlechtsverkehr."
"Sie scheinen übersteigerte sexuelle Phantasien zu haben."
"Wieso ich? Sie zeigen mir doch die ganze Zeit diese versauten Bilder!"
[*Falls mich jemand darauf hinweisen möchte, dass man in der Psychotherapie nicht von "Patienten", sondern von "Klienten" spricht: Das ist mir bekannt. Bittedanke.]
Aber bei der Frage, was "anständige Kleidung" ist, geht es ja nicht nur um erotische Reize, sondern vielfach auch ganz schlicht um gesellschaftliche Konventionen. Was die Verfechter der "Marianischen Sittlichkeit" offenbar nicht einsehen können oder wollen, ist, dass diese Konventionen kulturell unterschiedlich und historisch veränderbar sind. So lange ist es auch hierzulande noch nicht her, dass es für erwachsene Frauen verpönt war, ihre Haare offen zu tragen, und dass von Männern erwartet wurde, auf der Straße einen Hut zu tragen, diesen in geschlossenen Räumen jedoch abzunehmen. Wer für sich selbst einen konservativeren Kleidungsstil bevorzugt, als allgemein üblich ist, der mag das ja gerne tun; deswegen aber anderen Menschen vorzuwerfen, sie kleideten sich "unanständig", ist, ahem, unanständig. Und wenn das dann auch noch als besonders christlich ausgegeben wird... Nun ja.
Was aber ist nun eigentlich so unanständig an Hosen, bzw. an Frauen, die Hosen tragen? Die Ansicht, christliche Frauen sollten bzw. dürften keine Hosen tragen, wird gern mit dem Hinweis auf Deuteronomium 22,5 untermauert: "Eine Frau soll nicht die Ausrüstung eines Mannes tragen und ein Mann soll kein Frauenkleid anziehen; denn jeder, der das tut, ist dem Herrn, deinem Gott, ein Gräuel." Einmal ganz abgesehen davon, dass dasselbe Kapitel, in dem sich dieser Vers findet, auch Vorschriften für das Ausnehmen von Vogelnestern und den Bau von Dachterrassen enthält, Mischgewebe aus Flachs und Wolle sowie das Tragen von Umhängen ohne Quasten verbietet, stellt sich hier doch wohl die Frage: Was genau ist Männer- und was Frauenkleidung? Ist nicht auch das vielleicht kulturell unterschiedlich und historisch veränderbar? Hosen jedenfalls wurden meines Wissens im Vorderen Orient in biblischer Zeit auch von Männern nicht getragen.
Aber um solche Details sollen sich meinetwegen evangelikale Fundamentalisten streiten; aus katholischer Sicht lässt sich die ganze Debatte zum Thema "Frauen und Hosen" unschwer mit einem Verweis auf den Briefwechsel zwischen Papst Nikolaus I. und dem bulgarischen Fürsten Boris I. aus dem Jahr 866 niederschlagen. Auf eine diesbezügliche Frage des Bulgarenherrschers antwortete der Papst nämlich:
"Nam sive vos, sive feminae vestrae, sive deponatis, sive induatis femoralia, nec saluti officit, nec ad virtutum vestrarum proficit incrementum."Ich denke mal, damit wäre alles zum Thema gesagt. Und wenn es in naher Zukunft wieder einmal eine Aufsehen erregende Marienerscheinung geben sollte - und ich meine nicht in Medjugorje! -, dann würde ich mir ja schon so ein bisschen wünschen, dass die Allerseligste Jungfrau diesmal in Hosen erschiene. Nur so aus Jux. Und weil sie es kann.
("Ob ihr oder eure Frauen Hosen tragt oder keine Hosen tragt, hindert weder euer Heil noch vergrößert es eure Tugend.")
Ich hab mich dazu jetzt auch mal ausgelassen. Denn meine Lieblingsheilige trug Hosen.
AntwortenLöschenIch bin für Konsequenz des Denkens! Wenn gilt: "Frauen sollen sich sittsam kleiden, und der ultimative Maßstab dafür, was sittsame Kleidung ist, ist ... die Allerseligste Jungfrau und Gottesmutter Maria, selbstverständlich." Dann muß geklärt werden, wie sie sich wirklich gekleidet hat. Ich vermute, sie hat sich vor 2.000 Jahren etwa so gekleidet wie es heutzutage gewisse muslimische Frauen glauben, sich kleiden zu müssen, bzw. wie deren Väter, Brüder Ehemänner ihnen vorschreiben, sich zu kleiden. Was folgt daraus?
AntwortenLöschenIch muß noch was nachtragen, daß wir uns nicht mißverstehen:
AntwortenLöschenEs gibt nicht nur die "muslimische" Burka, es gibt auch utraorthodoxe Juden, die von Frauen verlangen, einen Tzniut (Hebr.; Sephardi: Tzeniuth, Ashkenasi: Tzisnus) zu tragen. Dabei weiß eigentlich jede(r), die Burka, der Çarşaf, Hijab (Dschilbab, Dilbāb, Himar, Hidschab, Khimar), Niqāb (Türk.: Peçe), Tzniut, das Kopftuch meiner Oma haben sowenig mit dem religiösen Glauben zu tun wie etwa die Überzeugung mancher Leute, daß in skandinavischen Wäldern Trolle spuken, mit dem christlichen.
Ich brauch 'nen Kilt.....
AntwortenLöschenIch trage seit 2005 fast nur noch Kilt.
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