Donnerstag, 10. September 2015

Pilgern fürs Klima, Strom sparen fürs Seelenheil?

Es ist Sommerschlussverkauf im Spiritualitätssupermarkt

Der neueste Schrei: Klimapilgern. Klingt komisch, is' aber so. Am 13. September beginnt in Flensburg der "Ökumenische Pilgerweg für Klimagerechtigkeit", der bis zum 27. November bis nach Paris führen soll. Warum Paris? Weil dort bald darauf, am 30. November, die 21. UN-Klimakonferenz beginnen soll. Aus diesem Anlass wollen die Initiatoren des Pilgerwegs ein "Bewusstsein für die Klimagerechtigkeit auf unserem Planeten" schaffen und "auf die globale Dimension des Klimawandels aufmerksam" machen. Der Münsteraner Weihbischof Dr. Stefan Zekorn wird auf der Facebook-Seite seines Bistums mit den Worten zitiert: "Wir wollen durch den Klimapilgerweg die Vorbereitung der sehr entscheidenden Weltklimakonferenz in Paris unterstützen, indem wir auf die Notwendigkeit eines entschiedenen Handelns der Staaten hinweisen". Weihbischof Zekorn werde daher, so heißt es auf der Seite, "ebenfalls ab Münster eine Etappe mitpilger[n]". 

Eigentlich hätte ich wenigstens von einem Bischof erwartet, dass er den Unterschied zwischen Demonstrieren und Pilgern kennt. Man kann ja, wie meine Liebste in einem Facebook-Kommentar sehr richtig feststellte, "auch auf ner Demo beten. Auch dafür gibt's historische Beispiele." Aber damit wird die Demo eben noch nicht zum Pilgerzug. 

Nun ja: Die Initiatoren weisen darauf hin, dass der Pilgerweg "spirituelle Besinnung mit politischem Engagement" verbinden solle: Es werde nicht nur "Workshops und politische Aktionen entlang des Wegs" geben, sondern auch "spirituelle Momente", die "von den Pilgerinnen und Pilgern und den Menschen vor Ort gemeinsam gestaltet" werden. "Eine grandiose Idee: spirituelles Wandern für eine bessere Welt, in Gemeinschaft mit Gleichgesinnten, denen das Überleben unseres einzigartigen Planeten besonders am Herzen liegt", jubelt Gerlinde Hoffmann vom Präsidium des Deutschen Naturschutzrings. Na klar. Spirituelles Wandern. Im Einklang mit der Natur. Jeder Teil dieser Erde ist meinem Volk heilig, zwitschert der Ziegenmelkervogel, und in den Bäumen rauscht und raunt die Weissagung der Cree. Der Facebook-Account des Bistums Münster beantwortet jedwede Kritik an der Idee des "Klimapilgerwegs" gleichmütig mit der Einladung zum Mitpilgern: "Sicher eine gute Erfahrung für Sie!" - Sicher. Pilgern als Selbsterfahrungstrip, das Herzstück moderner Spiritualität. Auch auf der Klimapilgern-Website wird vom "Rhythmus des Gehens", der "Sinnlichkeit der Natur" und der "mystischen Aura der Tempel, Kirchen und Klöster" geraunt - und davon, dass "letztendlich [...] jeder für sich selbst identifizieren" müsse, was Pilgern für ihn bedeute. Ein Hauch von Dienstagsgrauen weht mich an...

Im Übrigen werden Kritiker des Klimapilgerwegs beharrlich auf die Enzyklika Laudato si' von Papst Franziskus verwiesen. Als hätte irgendwer behauptet, Einsatz für den Klimaschutz wäre per se etwas Schlechtes oder Unkatholisches. - Na gut, vereinzelt gibt es auch solche Stimmen, aber ignorieren wir das einfach mal und erklären forsch: Niemand wird bestreiten, dass das Thema Klimaschutz ein bedeutendes Anliegen der genannten Enzyklika ist. Auch schon für Franziskus' Vorgänger Benedikt XVI. war Ökologie ein wichtiges Thema. Man täte allerdings gut daran, die diesbezüglichen Aussagen der Päpste im größeren Zusammenhang zu betrachten, sonst landet man allzu schnell bei einseitig verzerrten Interpretationen; ich verweise hier nur mal exemplarisch auf Hillary Clinton, die die Enzyklika Laudato si' wegen der darin enthaltenen Aussagen zum Klimaschutz lobte, gleichzeitig aber in entschiedenem Widerspruch zu ebendieser Enzyklika vehement für ein "Recht auf Abtreibung" eintritt.

Aber davon mal ganz ab. Dass die Katholische Kirche sich zusammen mit anderen Konfessionen und nicht-religiösen Verbänden für den Klimaschutz einsetzt, ist im Grundsatz gut und fein, und wenn sie dabei ein paar katholische Akzente in Hinblick auf das Ökologieverständnis setzt (tut sie das?), dann ist das umso mehr zu begrüßen. Aber eine politische Demonstration, die mit ein paar irgendwie "spirituellen" Elementen aufgemotzt ist, sollte sie nicht als "Pilgern" bezeichnen. - Warum nicht? Weil - wie Facebook-Nutzer "Schlafbart der Seefahrer" (der vielleicht katholischste Freibeuter der Sieben Weltmeere) zu Recht hervorhob - zum Pilgern "neben dem gemeinsamen Unterwegssein die Bußgesinnung [und] das angemessene Ziel eines Gnadenbildes, eines Heiligengrabes oder einer heilsgeschichtlich bedeutsamen Stätte" gehören; und nicht zuletzt "sind mit dem Pilgerweg auch konkrete Ablässe verbunden" (was bei einem ökumenischen Pilgerweg allerdings wohl Probleme verursacht hätte).

Nun wäre die Beteiligung einiger katholischer Bistümer an diesem läpp'schen Ökumenischen Pilgerweg für Klimagerechtigkeit an und für sich etwas, das man mit einem Achselzucken übergehen könnte - wenn es nicht so bezeichnend wäre für eine Tendenz der öffentlichen Selbstdarstellung der Kirche(n). Neu ist das übrigens auch nicht. Der große Theologe Romano Guardini mahnte schon vor 80 Jahren die Besinnung auf die "Unterscheidung des Christlichen" an und forderte, "die christlichen Begriffe von all den An-Ähnlichungen, Abschwächungen und Überdeckungen, Fehlleitungen und Verzerrungen zu befreien, die sie seit dem Beginn der Neuzeit erfahren haben". Diese Forderung scheint heute unpopulärer denn je: "Kirche" scheint sich inmitten all dieser "An-Ähnlichungen" im Großen und Ganzen sauwohl zu fühlen und sich sehr zu bedenken, ehe sie mal den Kopf daraus hervorstreckt. Auf "christliche Werte" lässt sich gut pochen, insoweit sie - etwa beim Thema Klimaschutz oder auch bei der Hilfe für Flüchtlinge - mit dem gesellschaftlichen Mainstream sowieso übereinstimmen; wo christliches Bekenntnis es erfordern würde, gegen den Strom der öffentlichen Meinung zu schwimmen, hält man sich lieber bedeckt. Das Problem daran ist nicht nur, dass christliche Ethik wie ein Büffet behandelt wird, von dem man sich nur das auf den Teller schaufelt, was einem schmeckt, und den Rest liegen lässt; vielmehr ist es insgesamt problematisch, wenn mehr von "christlichen Werten" als vom christlichen Glauben die Rede ist - oder wenn dieser Glaube selbst vor allem als ein ethisches Programm aufgefasst und dargestellt wird: Wenn es beim Christentum nur darum ginge, sich nach besten Kräften zu bemühen, ein im ethischen Sinne "guter Mensch" zu sein, dann könnten viele Nichtchristen zu Recht darauf verweisen, dass sie das ebenfalls tun, und fragen, wozu denn dann der Glaube an einen Gott, geschweige denn an die Göttlichkeit Jesu (der ansonsten ja immer noch als vorbildlicher Mensch und großer Lehrer anerkannt werden könnte, etwa auf Augenhöhe mit Buddha oder Sokrates oder Mahatma Gandhi) nötig sei - wozu Gebet, wozu Sakramente, wozu Kirche? Welche Antworten hat die Kirche auf diese Fragen?

In den USA veröffentlichte das Medienunternehmen BuzzFeed jüngst ein Video mit Statements von sechs jungen Erwachsenen zum Thema "Ich bin Christ, aber...". Zumindest aus deutscher Sicht ist die strukturelle Ähnlichkeit zu Aussagen wie "Ich bin kein Nazi, aber..." ziemlich unverkennbar; und nicht zu Unrecht sagt man derartigen Statements nach, dass nach dem "aber" meist nichts Sinnvolles mehr kommt. Den jungen Menschen in besagtem BuzzFeed-Video kann man mit etwas gutem Willen die löbliche Absicht unterstellen, Vorurteile gegenüber Christen abzubauen, indem sie demonstrieren: Hey, wir sind auch Christen - aber wir sind gar nicht so, wie ihr euch Christen vorstellt! Allerdings hat dieser Ansatz gleich mehrere dicke Pferdefüße, auf die die Kolumnistin Mollie Hemingway - ihres Zeichens Angehörige der theologisch konservativen Lutheran Church-Missouri Synod - in einem Artikel hingewiesen hat, den ich hiermit wärmstens empfehlen möchte. Hervorheben möchte ich hier nur einen Punkt: Die Video-Statements sind darauf angelegt, den Zuschauern zu vermitteln, die Christen, die hier zu Wort kommen, seien im Grunde genau wie sie. An dieser Aussage ist zwar zunächst einmal nichts verkehrt: Natürlich sind Christen nicht ganz und gar anders als Nichtchristen. Ja, man kann durchaus sagen, Christen unterscheiden sich von Nichtchristen durch nichts außer durch ihren Glauben. Und genau deswegen sollte in einem Video, in dem Menschen sich als Christen vorstellen, von eben diesem Glauben die Rede sein. Indem der Schwerpunkt des Videos jedoch nicht auf dem "Ich bin Christ" liegt, sondern auf dem "aber", kommt die "Unterscheidung des Christlichen" im Sinne Guardinis hier nur negativ zur Sprache - nur als das, wovon man sich abgrenzt. Ein positives Interesse am Christentum kann man so nicht wecken. Das war vielleicht auch gar nicht die Absicht hinter diesem BuzzFeed-Video; aber die Absicht derer, die Öffentlichkeitsarbeit für die Kirche betreiben - beispielsweise auf den Facebook-Seiten deutscher Bistümer -, sollte es sehr wohl sein. Und die verfolgen leider nur allzu oft dieselbe Strategie.

Derweil freut sich das Bistum Aachen darüber, dass sein Dom eine schöne Kulisse für den Stabhochsprung abgibt. Die Frage, ob er daneben auch noch für etwas Anderes gut sein könnte, bleibt offen.

5 Kommentare:

  1. Wenn das ganze Ding "Ökumenischer Spaziergang nach Paris" hieße, hätte ich nichts dagegen. Gemeinsam Wandern, Beten und dabei auch noch kundtun, daß Umweltschutz einem am Herzen liegt, ist eine grundsätzlich gute Sache.
    Aber zum einen gebe ich Dir vollkommen Recht mit der Unterscheidung von "Wandern" und "Pilgern", zum anderen will mir scheinen, als werde Gebet hier als optionelle Zutat gesehen. Was bei jeder beliebigen Veranstaltung mit dem Zusatz "ökumenisch" falsch wäre. Ökumenisch heißt: Konfessionsübergreifend. Das Wort hat nur dann Sinn, wenn die Sache, um die es geht, irgendetwas mit Konfessionen zu tun hat.
    Für eine Sache demonstrieren, die aus christlicher Sicht gut ist, aber nicht genuin christlich und bei aller Wichtigkeit nicht wesentlich für das Christentum, kann keine ökumenische Aktion sein.
    Sonst wäre es eine gärtnerische Angelegenheit, wenn ein Landschaftsgärtner und ein Schrebergärtner gemeinsam einen Splatterfilm angucken.

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  2. Ich denke Sie sollten da nachsichtiger sein. Es ist doch gut, wenn Kirchenvertreter und Gläubige mal durch etwas Sinnvolles auffallen und nicht durch seltsame Aussagen über "Rückschritte für die Menschlichkeit" oder noch seltsamere Vergleiche zwischen Amtsmissbrauch betreibenden Standesbeamtinnen und Widerstand gegen das Naziregime. Finde ich eine gute Sache, die Klimapilgerei.

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  3. Dass Sie das gut finden, überrascht mich nicht (und das ist gar nicht abfällig, im Sinne von "Na, DAS war ja klar", gemeint). Es liegt ja auf der Hand, dass es nach außen hin "gut ankommt", wenn die Kirche sich für etwas einsetzt, was auch außerhalb ihrer eigenen Reihen weithin als "guter Zweck" anerkannt wird.

    Wie oben schon dargelegt, bin ich ja im Grundsatz auch durchaus damit einverstanden, dass die Kirche sich für den Klimaschutz engagiert. Dafür den Begriff des "Pilgern" zu verwenden, halte ich jedoch für verfehlt und glaube das auch ausführlich begründet zu haben. Dass das jemanden, der mit der Kirche als *Glaubensgemeinschaft* (im Unterschied zur Kirche als, sagen wir mal, gesellschaftliche Institution) wenig anfangen kann, schwer vermittelbar ist, leuchtet mir ein. Aber genau da liegt das Problem.

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  4. Die Kirche hat und hatte immer aber auch eine gesellschaftliche und politische Funktion. Und Politik ist (auch) die Kunst des Möglichen. Wenn sich die Kirche zu stark an den Zeitgeist anbiedert wird sie beliebig, wenn sie sich zu sehr davon distanziert verliert sie ihre Stimme in der Gesellschaft. Das ist eine Gratwanderung denke ich.

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    1. Ja, da stimme ich Ihnen im Grundsatz zu. Auch wenn die Meinungen darüber, wo auf dieser Gratwanderung der richtige Pfad verläuft, sicherlich auseinandergehen.

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