HINWEIS: Der folgende Beitrag erschien zuerst am 04.08.2015 in der Zeitung Die Tagespost, S. 9.
Vor 125 Jahren wurde in
den USA der Elektrische Stuhl als neues Hinrichtungsinstrument eingeführt. Er
wurde zum Symbol für das Scheitern der Idee eines „humanen“ Tötens im Namen der
Gerechtigkeit. Aber der Kampf gegen die Todesstrafe ist bis heute nicht
gewonnen.
6. August 1890, Auburn
Prison, New York. Der 30jährige William Kemmler wird zur Hinrichtung geführt. Knapp eineinhalb Jahre zuvor hat er seine Frau mit einer
Axt erschlagen; nun soll an ihm erstmals eine neue Hinrichtungsmethode
vollzogen werden, die schneller und schmerzloser zum Tode führen und somit
„humaner“ sein soll als das bisher übliche Erhängen: die „Elektrokution“, ein
Kofferwort aus „elektrisch“ und „Exekution“.
Kemmler
wird auf einem Stuhl festgeschnallt, an seinem Kopf und seinem Rücken werden
Elektroden befestigt. Der Elektrische
Stuhl ist unter der Ägide des legendären Erfinders Thomas Edison entwickelt
worden. Edison ist eigentlich ein Gegner der Todesstrafe, will mit dieser
Erfindung jedoch seinen Konkurrenten George Westinghouse diskreditieren, der
die Vorteile des Wechselstroms gegenüber dem von Edison favorisierten
Gleichstrom propagiert: Mit dem Elektrischen Stuhl will Edison die
Gefährlichkeit des Wechselstroms demonstrieren. Er schlägt sogar die
Bezeichnung “to westinghouse“ für die
neue Hinrichtungsmethode vor.
Der
Verurteilte Kemmler erhält einen Stromstoß mit einer Spannung von 1000 Volt;
man nimmt an, dies würde einen sofortigen Herzstillstand verursachen. Als nach
17 Sekunden der Strom abgestellt wird, stellen die beiden Ärzte, die die
Hinrichtung überwachen, zum Entsetzen der Anwesenden fest, dass Kemmler noch
lebt. Ihm wird ein weiterer Stromstoß zugefügt, diesmal mit 2000 Volt Spannung.
Kemmlers Körper verkrampft sich, Blutgefäße platzen, es riecht nach verbranntem
Fleisch. Nach 70 Sekunden ist er endlich tot. Ein anwesender Reporter
beschreibt die Hinrichtung als „entsetzliches Schauspiel, weit schlimmer als
Erhängen“. Noch drastischer äußert sich George Westinghouse: „Sie hätten es
besser mit einer Axt gemacht.“
Trotz
dieser missglückten Premiere etablierte sich der Elektrische Stuhl als
Hinrichtungswerkzeug in mehr als 20 Bundesstaaten der USA und später auch auf
den Philippinen. Als der äthiopische Kaiser Menilek II. von der Erfindung des
Elektrischen Stuhls hörte, bestellte er drei solcher Stühle, obwohl es in
seinem Land zwar die Todesstrafe, aber keine Elektrizität gab. Nachdem der
Kaiser die Nutzlosigkeit seiner Erwerbung eingesehen hatte, benutzte er einen
der Stühle fortan als Thron.
„Pannen“
bei Hinrichtungen mit dem Elektrischen Stuhl blieben auch weiterhin nicht aus.
Besonderes Aufsehen erregte die misslungene Hinrichtung des erst 17jährigen Willie Francis am 3. Mai 1946 in St. Martinville/Louisiana: Willie überlebte
zwei Stromstöße mit einer Spannung von 2500 Volt; daraufhin wurde die
Hinrichtung abgebrochen. Infolge dieser Ereignisse argumentierte der Anwalt
Bertrand DeBlanc, mit der fehlgeschlagenen Hinrichtung habe Willie Francis
seine Strafe verbüßt und dürfe nicht erneut bestraft werden. Der Fall, in dem
DeBlanc sich au mehrere Verfassungszusätze berief, ging bis vor das Oberste
Bundesgericht, das schließlich mit äußerst knapper Mehrheit zu Francis‘
Ungunsten entschied. Am 9. Mai 1947 wurde der inzwischen 18jährige Willie
Francis erneut hingerichtet.
In
acht Bundesstaaten der USA ist die „Elektrokution“ als Hinrichtungsmethode bis
heute zugelassen, wird aber nur noch in Ausnahmefällen und nur auf Wunsch des
Verurteilten selbst angewandt – zuletzt im Staat Virginia bei der Hinrichtung von Robert Gleason jr. am
10.01.2013. Als „Standard“-Hinrichtungsart hat sich in den USA seit den 1980er
Jahren die Injektion einer tödlichen Medikamentendosis durchgesetzt. Aber ob
Guillotine, Elektrischer Stuhl oder Giftspritze: Trotz aller Bemühungen um
möglichst „humane“ Hinrichtungsmethoden gibt es bis heute immer wieder Fälle,
in denen die Verurteilten einen qualvollen Todeskampf durchleiden müssen.
Solche Vorkommnisse heizen die Debatte um die Abschaffung der Todesstrafe
ebenso an wie spektakuläre Justizirrtümer, bei denen sich z.T. Jahre später die
Unschuld der Verurteilten erweist. Aus Sicht von Befürwortern der Todesstrafe
stellen solche Einzelfälle jedoch nicht die grundsätzliche Berechtigung dieser
Strafe in Frage. Sie verweisen auf die abschreckende Wirkung, den Schutz der
Gesellschaft vor Wiederholungstätern, zuweilen sogar auf die hohen Kosten, die
dem Staat durch langjährige Haftstrafen entstehen und die man durch die
Todesstrafe einsparen könne. Das Hauptargument der Befürworter bleibt jedoch
die Verhältnismäßigkeit der Bestrafung: Für schwerste Verbrechen sei der Tod
die einzig angemessene Sühne. Genau dies wird von Gegnern der Todesstrafe
bestritten: Ein Rechtsstaat dürfe nicht über das Leben seiner Bürger verfügen –
auch nicht über das von Schwerverbrechern.
In
der Bundesrepublik Deutschland hat die Abschaffung der Todesstrafe
Verfassungsrang. Dies war allerdings zunächst nicht unumstritten: Der
betreffende Grundgesetzartikel wurde gegen die Stimmen der CDU beschlossen; das
Land Rheinland-Pfalz hatte noch 1949 eine Guillotine in Auftrag gegeben, die
jedoch erst drei Tage nach dem Inkrafttreten des Grundgesetzes fertiggestellt
wurde, sodass bereits verhängte Todesstrafen nicht mehr vollstreckt werden konnten.
In den 1950er Jahren wurden mehrere Gesetzesinitiativen zur Wiedereinführung
der Todesstrafe in den Bundestag eingebracht, die jedoch abgelehnt wurden. In
West-Berlin, das wegen des Viermächtestatus bis 1990 nicht zum Geltungsbereich
des Grundgesetzes gehörte, wurde die Todesstrafe letztmals 1949 vollstreckt und
1951 gesetzlich abgeschafft. Die DDR schaffte die Todesstrafe erst 1987 ab;
insgesamt wurden dort zwischen 1950 und 1981 166 Todesurteile vollstreckt, bis
1958 mit dem Fallbeil, später durch Erschießen.
Seit
einigen Jahrzehnten ist die Ächtung der Todesstrafe auch international auf dem
Vormarsch. Hatten bis 1976 weltweit erst 16 Staaten die Todesstrafe vollständig
abgeschafft, so sind es heute bereits 102. In sechs Staaten ist die Verhängung
der Todesstrafe nur in Sondergerichtsverfahren, etwa unter Kriegsrecht,
zulässig, in weiteren 34 ist sie zwar formal-juristisch möglich, wird aber
nicht vollstreckt. Tatsächlich praktiziert wird die Todesstrafe heute noch in
56 Ländern der Erde; die meisten Hinrichtungen gibt es in der Volksrepublik
China, gefolgt von Iran, Irak, Saudi-Arabien – und den USA. Dort war die
Anwendung der Todesstrafe zwar 1967 auf Anordnung des Obersten Bundesgerichts
ausgesetzt worden, 1976 wurde sie jedoch wieder zugelassen. Seitdem haben 19
der 50 US-Bundesstaaten sowie der District of Columbia die Todesstrafe
abgeschafft; Bundesgerichte können jedoch weiterhin auch für Verbrechen, die in
diesen Bundesstaaten begangen wurden, die Todesstrafe verhängen. So verurteilte
am 15. Mai 2015 ein Bundesgericht den 21jährigen Dschochar Zarnajew wegen
seiner Beteiligung am Bombenanschlag auf den Boston-Marathon zum Tode; wäre der
Fall vor einem Gericht des Staates Massachusetts verhandelt worden, wäre
lebenslange Haft die Höchststrafe gewesen. Der katholische Erzbischof von
Boston, Seán Patrick O’Malley, und die drei anderen Diözesanbischöfe des
Staates Massachusetts protestierten gegen das Todesurteil. Von Zarnajew gehe
keine Gefahr mehr für die Gesellschaft aus, die es rechtfertige, ihn zu töten;
zudem habe auch er ein Recht auf Achtung seiner gottgegebenen Menschenwürde.
In ihrer entschiedenen Ablehnung der Todesstrafe beriefen sich die Bischöfe von
Massachusetts auf den Katechismus der Katholischen Kirche sowie auf Aussagen
von Papst Franziskus. Die Haltung der Katholischen Kirche in dieser Frage ist allerdings
nicht immer so eindeutig gewesen. Im Einklang mit den Schriften der
Kirchenlehrer Augustinus (De civitate Dei,
ca. 413-426) und Thomas von Aquin (Summa contra gentiles, um 1260), die das Recht der staatlichen Autorität,
Verbrecher zum Tode zu verurteilen, bejahten, hatte der Römische Katechismus
von 1566 die Todesstrafe ausdrücklich aus dem im 5. Gebot formulierten
Tötungsverbot ausgenommen. Auch der heute gültige, 1992 veröffentlichte
Katechismus der Katholischen Kirche erkennt unter Nr. 2266 „die Rechtmäßigkeit
des Rechtes und der Pflicht der gesetzmäßigen öffentlichen Gewalt“ an, „der
Schwere des Verbrechens angemessene Strafen zu verhängen, ohne in
schwerwiegendsten Fällen die Todesstrafe auszuschließen“, fügt unter Nr. 2267
jedoch hinzu, „unblutige Mittel“ zum Schutz der öffentlichen Ordnung und der
Sicherheit der Menschen seien nach Möglichkeit zu bevorzugen, da sie „besser
den konkreten Bedingungen des Gemeinwohls“ entsprächen und „der Menschenwürde
angemessener“ seien. 1995 konkretisierte der Hl. Papst Johannes Paul II. in
seiner elften Enzyklika Evangelium vitae
diese Aussage dahingehend, dass die Verhängung der Todesstrafe nur „in
schwerwiegendsten Fällen, das heißt, wenn der Schutz der Gesellschaft nicht
anders möglich sein sollte“, gerechtfertigt sei, und fügte hinzu: „Solche Fälle
sind jedoch heutzutage […] schon sehr selten oder praktisch überhaupt nicht
mehr gegeben.“
Zusammenfassend
könnte man also sagen, die derzeitige Lehre der Katholischen Kirche lehne die
Todesstrafe zwar in der Theorie nicht gänzlich ab, spreche sich in der Praxis
jedoch weitestgehend gegen ihre tatsächliche Anwendung aus. Die
Bischofskonferenz der Karibik (Antilles Episcopal Conference, AECRC), zu deren
Zuständigkeitsbereich elf Staaten gehören, in denen die Todesstrafe noch
praktiziert wird – darunter allerdings nur drei mehrheitlich katholische –,
veröffentlichte im Jahr 2000 einen Hirtenbrief, in dem die Todesstrafe als „grausam
und unnütz“ bezeichnet und ihre Abschaffung gefordert wurde. Der Erzbischof von
Kampala in Uganda, Cyprian Lwanga, kritisierte im Jahr 2009 ein geplantes
Gesetz, das die Todesstrafe für homosexuelle Akte vorsah, als „im Widerspruch
zu zentralen Werten des christlichen Glaubens stehend“ und betonte, die Kirche
rufe ihre Gläubigen dazu auf, die Sünde zu hassen, aber die Sünder zu lieben.
2011 protestierten die katholischen Bischöfe Polens gegen eine Initiative der
damaligen rechtskonservativen Regierung zur Wiedereinführung der Todesstrafe.
Auch Papst Franziskus hat sich mehrfach für eine weltweite Ächtung der
Todesstrafe ausgesprochen: Diese sei „ein Affront gegen die Heiligkeit des
Lebens und gegen die Würde des Menschen“. Zudem schaffe sie keine
Gerechtigkeit, sondern fördere vielmehr Rachegelüste.
In
den USA hat sich die dortige Bischofskonferenz bereits seit 1980 wiederholt
gegen die Todesstrafe ausgesprochen; im Jahr 2005 trat sie mit einer Broschüre
mit dem Titel A Culture of Life and the Penalty of Death („Eine Kultur des
Lebens und die Todesstrafe“) an die Öffentlichkeit, in der sie diese Haltung
bekräftigte, und anlässlich des zehnjährigen Jubiläums des Erscheinens dieser
Schrift äußerten sich die Bischöfe der USA jüngst erneut in diesem Sinne.
Aktuelle
Umfragen zeigen derweil, dass noch immer 56% der US-Bürger die Beibehaltung der
Todesstrafe in ihrem Land befürworten; unter den US-amerikanischen Katholiken
liegt der Prozentsatz der Befürworter mit 53% nur geringfügig niedriger. Den
Bischöfen bleibt also noch viel Überzeugungsarbeit zu leisten.
Ich wunder mich warum so viele Menschen in den USA, die pro-life sind, in diesem Punkt eine Ausnahme machen. Steven Colbert stellte die Frage auch einmal in seiner Show.
AntwortenLöschenAlso das finde ich jetzt nicht so überraschend. Mehr als 99 % der "Prolifer" kommen aus der christlich-religiösen Ecke. Und es gibt einen deutlichen Zusammenhang zwischen dem Grad der Religiösität in einem County und der Zustimmung zur Todesstrafe. Die ist im "Bible-Belt" im Mittelwesten und in Texas am höchsten, an der Ostküste und in Kalifornien am niedrigsten.
LöschenDer von Gregorius angesprochene Widerspruch - der darin liegt, dass für die Todesstrafe zu sein ja nun gerade *nicht* "pro life" ist - wird durch diese Beobachtung aber doch eher noch verstärkt. Was sollen wir davon halten?
AntwortenLöschenNaja, das kann ja auch coincidence sein, in Counties, die sehr religiös sind, sind Republikaner in der Mehrheit, und die sind eher pro death penalty. Außerdem leiten das viele Evangelikale aus dem Alten Testament her. Für die stellt "Lebensschutz" und Todesstrafe keinen Widerspruch dar, da Lebensschutz nur für "unschuldiges" Leben gilt. Das ist wohl nur für uns ein Widerspruch.
AntwortenLöschenJa, das ist eine Erklärung, die ich gedanklich nachvollziehen kann. Auch wenn ich es eher mit "Lasst beides [=Weizen und Unkraut] wachsen bis zur Ernte" und "Mein ist die Rache, spricht der Herr" halte... Oder anders ausgedrückt: Für mich beinhaltet das Bekenntnis zum Lebensrecht jedes Menschen "von der Zeugung bis zum natürlichen Tod" zwingend auch die Ablehnung der Todesstrafe. Andere sehen das offenkundig anders - aber zumindest ist es tröstlich zu wissen, dass prominente Vertreter der Una Sancta diesen Standpunkt ebenfalls vertreten.
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