Das ist - diesmal - keine rhetorische Frage: Ich weiß es tatsächlich nicht. Ich habe zwar einige Presseartikel zu den Vorgängen um die Zwangspensionierung des Krefelder Pfarrers Zorn gelesen, aber so richtig schlau wird man nicht daraus. Sicher ist vorläufig nur eins: Das Lagerdenken versagt in diesem Fall.
Zwar weiß ich nicht besonders viel - genauer gesagt: annähernd gar nichts - über die Verhältnisse im Bistum Aachen, aber nach allem, was ich so gehört und gelesen habe, scheint der dortige Bischof Heinrich Mussinghoff doch im Ruf einer ausgesprochen "liberalen" Gesinnung zu stehen, was auch immer man sich im kirchlichen Kontext darunter im Einzelnen vorstellt. Wenn der nun einen Priester seiner Diözese maßregelt, noch dazu einen, der den herrlich hardcore-dunkelkatholisch tönenden Namen Zorn trägt, dann könnte man ja auf die Idee kommen, das "Opfer" müsse einer aus dem "konservativen Lager" sein und etwa deshalb in Ungnade gefallen sein, weil er gern lateinische Messen zelebriert, womöglich gar in der außerordentlichen Form, oder zu viel Weihrauch verbraucht oder keine Kommunionhelferinnen einsetzen will oder irgend sowas halt. Scheint aber hier nicht der Fall zu sein. Schade, denn dann wären die Sympathien klar verteilt - auch für mich, dem ein kritischer Leser jüngst auf die Nasenspitze zusagte, mein "Furor" richte sich ja offensichtlich mit Vorliebe gegen Vertreter eines "liberalen" Katholizismus. (Was ich ihm nicht verraten habe, ist, dass das nur daran liegt, dass ich es mir mit den Ultra-Tradis nicht verderben möchte. Vor denen hätte ich nämlich Angst.)
Was war (oder ist) nun also wirklich los in der Gemeinde St. Thomas Morus in Krefeld, die seit 1979 (!) von Pfarrer Günter Zorn geleitet worden war? Zunächst dies: Der Generalvikar des Bistums Aachen, Andreas Frick, hat Pfarrer Zorn persönlich (!) einen Brief des Bischofs überbracht, in dem ihm mitgeteilt wurde, er werde mit Wirkung vom 1. September in den Ruhestand versetzt - und, offenbar mit sofortiger Wirkung, von seinen Aufgaben "entpflichtet". "Das ist zweifellos ein deutliches Zeichen der Missbilligung,
obgleich Pfarrer Zorn die Pensionsgrenze sowieso längst überschritten hat", kommentiert das Anzeigenblatt "Extra-Tipp Krefeld". Ganz so plötzlich, wie es aussieht, kam dieser Rauswurf aber wohl nicht: "Ein lang schwelender Streit" zwischen dem Pfarrer und dem Bistum sei es gewesen, oder, wie die Rheinische Post es formuliert, "eine Geschichte fortschreitender Entfremdung". Hintergrund war offenbar die Fusion der Pfarrei St. Thomas Morus mit den Nachbargemeinden St. Anna und St. Elisabeth von Thüringen zur Pfarre "Heiligste Dreifaltigkeit" (ein Name, der für den Zusammenschluss von drei Gemeinden ja fast schon ein bisschen allzu tongue-in-cheek ist). Nun gut, die Zusammenlegung von Pfarreien führt allüberall zu Konflikten, und da ist es auch gar nicht ungewöhnlich, dass die Konfliktlinien quer durch die vermeintlichen "Lager" der "Liberalen" und der "Konservativen" verlaufen. Dass diese Konflikte derart eskalieren wie jetzt in Krefeld, ist dann aber wohl doch entschieden die Ausnahme. Bereits 2011 soll Pfarrer Zorn "im
Zusammenhang mit den Strukturreformen von einem 'Unrecht' gesprochen" haben. "Unrecht - ein hartes Wort", wie die RP kommentiert. Nun wird ihm vorgeworfen, er sei in seiner Eigenschaft als Pfarrvikar der fusionierten Pfarrei nicht bereit gewesen, "mit dem Pastoralteam zu kooperieren", das von dem noch vergleichsweise jungen Pfarrer Dr. Thorsten Obst geleitet wird. Laut Generalvikar Frick habe sich das Bistum "an
einem Punkt" gesehen, "wo wir uns auch schützend vor Pfarrer Dr. Obst stellen müssen".
„Günter Zorn ist ein guter Seelsorger und sehr beliebt. Aber
es gab eine Reihe von Nickeligkeiten“, gibt Pfarrer Paul Jansen von der Gemeinde St. Cyriakus Krefeld-Hüls, die zusammen mit der "Heiligsten Dreifaltigkeit" die "Gemeinschaft der Gemeinden Krefeld-Nordwest" bildet, in der "Westdeutschen Zeitung" zu Protokoll. Auch das langjährige Pfarrgemeinderatsmitglied Alfred Kuhn räumt ein, Pfarrer Zorn sei, nomen est omen, ein "Hitzkopf" gewesen: "Für uns Pfarrgemeinderäte war es auch nicht immer leicht, den Hitzkopf Günter Zorn für seine
Wortwahl und sein kritisches Auftreten gegenüber dem Bischof und anderen
Bistums- und Gemeindevertretern zu entschuldigen." Über die Motivation des Bischofs, den lange schwelenden Konflikt nun so brachial zu lösen, mutmaßt Kuhn: "Ein
Bischof, der immer durch seine Vertreter verkünden ließ, dass er sein Feld
bestellt und geordnet haben will, wenn er Ende 2015 in den Ruhestand geht, hat
noch einmal zugeschlagen; vielleicht um seinem Nachfolger weiteren Ärger mit
Pfarrer Zorn zu ersparen."
Das klingt alles einigermaßen vernünftig, ja, in Ermangelung näherer Informationen über die Hintergründe kann man den Eindruck bekommen, Bischof Mussinghoff habe gar nicht anders handeln können. Dennoch bekommt er von der Presse Dresche dafür; und gerade das macht den Fall so interessant. Nun gut, die Gemeinde St. Thomas Morus ist sauer. Der Pfarrgemeinderat hat eine geharnischte Erklärung verfasst, in dem er dem Bischof und dem Generalvikariat "unwürdiges Verhalten" vorwirft, und eine Petition gestartet. Und wenn Katholiken gegen ihren Bischof rebellieren, dann gefällt das der Presse natürlich - und zwar so sehr, dass Cornelia Breuer-Iff in ihrem Kommentar für die WZ nahezu wörtlich aus der PGR-Erklärung zitiert, ohne diese Zitate als solche kenntlich zu machen. Da macht es dann auch nichts, dass der betreffende Bischof ein "Liberaler" ist und somit aus der Sicht der Presse eigentlich ein (relativ) "Guter" sein müsste: In erster Linie ist er immer noch Bischof der Römisch-Katholischen Kirche, also auf ihn mit Gebrüll. Anders sähe das vielleicht aus, wenn es sich um eine Rebellion ausgesprochen konservativer Katholiken gegen ihren Bischof handelte. Aber darauf deutet, wie schon gesagt, nichts hin - eher schon auf das Gegenteil. So kommen in der RP Messdiener zu Wort, die "enttäuscht über [sic] ihre Kirche" seien:
"Sie stellen die Frage, was Zorn sich denn Schlimmes hat zuschulden kommen lassen, das diese scharfe Reaktion rechtfertigt. Die Jugendlichen stellen die Relation her zu Geistlichen wie Tebartz van Elst, der seiner Kirche nun wirklich schwer geschadet hat."
Merke: Wenn der viel gescholtene ehemalige Bischof von Limburg als Negativfolie herhalten muss, hat man es nicht mit Vertretern des "konservativen Lagers" zu tun. Die würden TvE tendenziell eher in Schutz nehmen, weil er trotz aller Fehler ja doch irgendwo einer der Ihren ist. Für die Presse ist die Nennung des erprobten Buhmanns jedenfalls ein gefundenes Fressen:
"Zorn [...] hinterlässt ein gut bestelltes Gemeindehaus - nicht protzig gebaut auf Millionen Euro, sondern auf ein paar tausend Herzen, die an ihm hängen."
Übrigens lässt RP-Autor Jens Voss es sich nicht nehmen, darauf hinzuweisen, dass die genannten Messdiener "die Zukunft" verkörpern, an der Bischof Mussinghoff ja angeblich so viel gelegen sei. Und tatsächlich stellt man sich unter Messdienern ja gern reflexartig Jugendliche vor, mir zumindest geht das so. Dass das nicht immer und unbedingt der Fall ist, geht aus einem weiteren RP-Artikel von Jens Voss hervor, in dem "[a]us
den Reihen der Messdiener [...] Isabel Grefen zu Wort" kommt; diese Dame ist "seit
inzwischen 29 Jahren aktive Messdienerin in St. Thomas Morus und bei so vielen
Hochfesten wie möglich dabei". 29 Jahre Messdienerin, da rechnen wir doch mal... Klingt nach einer Frau mittleren Alters, und was sie zu sagen hat, klingt nach einem ganz bestimmten Typ von Frau mittleren Alters, wie es ihn nach meiner Erfahrung in absolut jeder Kirchengemeinde gibt.
"Letztendlich wird man wie ein Schäfchen auf den Kopf getätschelt, um dann wiederum wie ein Schäfchen einen Schupps auf den wolligen Hintern zu bekommen, damit alle weiterhin brav, unmündig, hirnlos und mit Maulkorb in die Kirche latschen."
Ein sentire cum ecclesia ganz eigener Art, nicht wahr? Was diese Einlassungen über den allgemeinen Zustand der Kirche und die Position engagierter Laien in ihr mit dem in Frage stehenden Fall zu tun haben, beliebt nebulös, aber wer weiß: Vielleicht ist es ja der neue Pfarrer, der nicht genug Kommunionhelferinnen einsetzt.
Auch die schon erwähnte Cornelia Breuer-Iff sieht in der WZ den Fall Zorn in gewisser Weise als symptomatisch für den Zustand der Katholischen Kirche in Deutschland an: "Alles andere als eine Werbung für die Kirche" hat sie ihren Kommentar betitelt - und erklärt:
"Deutschland ist für die katholische Kirche alles andere als eine Wachstumsregion. Krefeld macht da keine Ausnahme. Angesichts hoher Verluste gilt es, möchte man meinen, die verbliebene Schar beisammenzuhalten und ins Schaufenster zu stellen" -
Nö. Möchte man vielleicht meinen, aber: nö. Der Kirche sollte es gerade nicht darum gehen, ihren Bestand zu wahren und ihren alteingesessenen Mitgliedern ein kuschliges soziales Umfeld zu bieten, in dem alles genau so ist, wie sie es gewöhnt sind und mögen. Für so etwas gibt es, sicher auch in Krefeld, gesellige Vereine. Die Kirche muss, will sie ihrem Auftrag gerecht werden, unbequem sein. Nach außen hin, aber nicht zuletzt auch für ihre Mitglieder selbst.
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