Dienstag, 25. November 2014

Wie viele Flüchtlinge beherbergt der Vatikan?

Seit der Abwehrkampf der syrischen und irakischen Kurden gegen die Terrormilizen des sogenannten "Islamischen Staats" (IS) in aller Munde ist, muss ich immer mal wieder an ein Interview mit einem kurdischen Kulturwissenschaftler denken, das ich vor Jahren mal in der taz las. In diesem Interview sagte ebenjener kurdische Kulturwissenschaftler - an dessen Namen ich mich leider nicht mehr erinnere - sinngemäß: "Was die Deutschen über die Kurden wissen, das wissen sie in der Regel von Karl May" - fügte jedoch hinzu: "Man muss allerdings zugeben, dass das gar keine so schlechte Quelle ist." 

Gemerkt habe ich mir diese Äußerung vor allem, weil der Karl-May-Fan in mir sich über dieses wohlwollende Urteil aus berufenem Munde freute. Gleichzeitig und andererseits gibt es aber auch zu denken, dass - über 130 Jahre, nachdem die ersten Fortsetzungen von Karl Mays Reise-Abenteuern in Kurdistan im Deutschen Hausschatz erschienen, und über 120 Jahre nach der ersten Buchausgabe von Durchs wilde Kurdistan - die Werke des phantasievollen sächsischen Abenteuerschriftstellers noch immer die wichtigste Quelle sind, aus der die Deutschen etwas über die Kurden erfahren. Erstaunlich ist das vor allem, wenn man bedenkt, wie viele kurdische Familien zum Teil schon seit Jahrzehnten in Deutschland leben - Schätzungen zufolge handelt es sich um zwischen 500.000 und 800.000 Personen. Bis 1973 kamen ca. 400.000 Kurden als Arbeitsmigranten aus der Türkei in die Bundesrepublik, später folgten Asylsuchende aus dem Iran (seit der Islamischen Revolution 1979), der Türkei (nach dem Militärputsch 1980 und erneut im Zuge des militärischen Vorgehens des türkischen Staates gegen die kurdische PKK ab 1984) und dem Irak (v.a. nach dem Giftgasangriff auf Halabdscha 1988). Ab Ende der 1990er Jahre stieg die Anzahl kurdischer Asylsuchender in Deutschland erneut erheblich an. 

Dass diese erhebliche Zuwanderung von Kurden nach Deutschland offenbar nicht besonders viel zum Wissen der Deutschen über die Kurden beigetragen hat, ist, wie gesagt, irgendwie bedenklich - aber ich kann mich da selbst nicht ausnehmen: Zwar habe ich mich durchaus schon mal mit kurdischstämmigen Mitbürgern über Geschichte und Kultur des kurdischen Volkes unterhalten, aber weder besonders oft noch besonders intensiv. Immerhin aber gibt es in meinem persönlichen Bekanntenkreis jemanden, der sich in Kurdistan erheblich besser auskennt als der durchschnittliche Karl-May-Leser: Enno Lenze, Berliner Unternehmer, Blogger und Ex-Pirat, hat gute persönliche Kontakte zur Regionalregierung der Autonomen Region Kurdistan im Nordosten des Irak und war schon mehrfach persönlich vor Ort - zuletzt Ende Juni dieses Jahres, nachdem die IS-Milizen in die am Rande der Kurdenregion liegende zweitgrößte irakische Stadt Mossul einmarschiert waren. Zu einem Zeitpunkt also, als es wohl nur den wenigsten Menschen in den Sinn gekommen wäre, freiwillig in den Irak zu fliegen. Enno jedoch begegnete allen Einwänden mit dem Hinweis, in der irakischen Kurdenregion herrschten, im Gegensatz zum Rest des Landes, Sicherheit und Stabilität. Allerdings hielt Enno sich nicht etwa nur in der Hauptstadt Erbil auf, wo sich, wie er in seinem Blog schrieb, die Sicherheitslage nicht wesentlich von derjenigen in Berlin unterschied, sondern reiste unter dem Schutz der kurdischen Peschmerga-Armee bis an die Front bei Mossul und Kirkuk, um sich aus erster Hand über die Lage vor Ort zu informieren. Herausgekommen ist dabei unter anderem ein sehr sehenswerter Kurzfilm.

Dieser Film, und auch der Reisebericht in Ennos Blog, geht u.a. auch auf die Lage in den Flüchtlingslagern ein, in denen zahlreiche Flüchtlinge aus Syrien wie auch aus den von den IS-Milizen heimgesuchten Teilen des Irak mehr schlecht als recht untergebracht werden. "Mehr schlecht als recht" deshalb, weil es eine kaum zu bewältigende Aufgabe ist, den nicht abreißenden Flüchtlingsstrom zu bewältigen. Bis Ende Juni hatte die Autonome Region Kurdistan, die nur rd. 5 Millionen Einwohner hat, bereits mehr als eine halbe Million Flüchtlinge aufgenommen; inzwischen dürfte sich diese Zahl noch vervielfacht haben.

Um der Not der Flüchtlinge in Kurdistan abzuhelfen, initiierte bald darauf der rheinland-pfälzische Unternehmer und FDP-Nachwuchspolitiker Tobias Huch gemeinsam mit Gunter Völker, der in Erbil ein Biergartenlokal mit dem Namen "Deutscher Hof" betreibt, die Aktion "Wasser für Flüchtlinge in Kurdistan", deren Ziel es ist, die Flüchtlingslager in der Kurdenregion schnell und mit geringem organisatorischen Aufwand mit Trinkwasser zu versorgen. Zur Unterstützung dieser Spendenaktion veranstaltete Enno Lenze am 3. Oktober im von ihm betriebenen Berlin Story Bunker ein Charity-Minigolf-Turnier, und da ich fand, eine so günstige Gelegenheit, mit minimalem Aufwand etwas Gutes für die vor dem Terror des IS geflohenen Menschen in Kurdistan zu tun, bekäme ich wohl nicht so bald wieder, meldete ich mich als freiwilliger Helfer für dieses Turnier. Meine Aufgabe bestand im Wesentlichen darin, die Startgebühr zu kassieren, Minigolfschläger und -bälle auszuteilen und den Teilnehmern den Weg zu zeigen, aber wie dem auch sei, ich war ausgesprochen begeistert, dass innerhalb von nur drei Stunden genügend Geld zusammen kam, um davon rund 7.000 (!) Halbliterflaschen mit Trinkwasser in die Flüchtlingslager zu bringen.

Not amused war ich hingegen, als der gute Enno am 19. Oktober auf Facebook die Frage aufwarf: "Wie viele Flüchtlinge hat der Vatikan dieses Jahr schon aufgenommen?" Na gut, kleine Provokation, nich' böse sein. Aber als die "Likes" auf diesen Beitrag einzuregnen begannen und die ersten erwartungsgemäßen "hö, hö, hö"-Kommentare einliefen, dachte ich mir, ich sag' mal was dazu. Nämlich, dass man da wohl hinsichtlich der Fragestellung etwas differenzieren müsse. Dass das gerade mal 0,44 km² große Staatsgebiet des Vatikanstaats zur Aufnahme von Flüchtlingen wohl nur sehr begrenzt geeignet sei. Hinsichtlich der Frage jedoch, was die Katholische Kirche insgesamt für Flüchtlinge tue, verwies ich auf die Rubrik "Flucht und Migration" auf der Website von Caritas Internationalis; dort werden u.a. Projekte in Burundi, der Elfenbeinküste, dem Kongo, dem Nahen und Mittleren Osten und diversen anderen Krisengebieten vorgestellt; eine gute Informationsquelle auch für künftige Diskussionen mit dem Tenor "Die Kirche hält ja nur Sonntagsreden, tut aber nichts für die Armen der Welt, und während anderswo Leute verhungern, baden die ganzen Bischöfe und Kardinäle in Gold wie Dagobert Duck". Der bereits erwähnte Gunter Völker vom Deutschen Hof Erbil warf nun allerdings die Frage auf, was die Kirche denn "hier" - also in Kurdistan - konkret tue. Eine durchaus berechtigte Frage, schließlich sind es nicht zuletzt Christen, die vor dem IS-Terror flüchten müssen, und viele davon gehören der mit Rom unierten Chaldäisch-Katholischen Kirche an. Da liegt es nahe, zu erwarten, dass Mutter Kirche gerade diese ihre Kinder nicht im Stich lässt.

Allerdings musste ich nun auch erst einmal recherchieren, um eine kompetente Antwort auf die Frage zu finden, was die Kirche denn für die syrischen und irakischen Flüchtlinge in Kurdistan tut. Ich fand dann aber eine ganze Menge -- und möchte diese Erkenntnisse gern an meine Leser weitergeben.

Beispiel 1: Der chaldäisch-katholische Erzbischof von Erbil, Bashar Warda, beherbergt auf dem Gelände seiner Residenz rund 2.500 Flüchtlinge in Zelten und etwa ebensoviele in einem benachbarten Rohbau; die deutsche Diözese Rottenburg-Stuttgart hat Erzbischof Warda finanzielle Hilfe für den Bau winterfester Quartiere für die Flüchtlinge zugesagt, und bereits im August hat der Rottenburger Bischof Gebhard Fürst der Diözese Erbil 100.000 Euro Soforthilfe zukommen lassen.

Beispiel 2: Das Hilfswerk Kirche in Not errichtet in Erbil eine "Pater-Werenfried-Dorf" genannte Containersiedlung für 4.000 Flüchtlinge, mietet zusätzliche Unterkünfte in und um Erbil an, unterstützt den Bau von Schulen in Erbil und Dohuk und sammelt Lebensmittel für 8.000 Familien.

Beispiel 3: Die Caritas hat in Erbil einen internationalen Krisenstab eingerichtet, versorgt Tausende Flüchtlingsfamilien mit Grundnahrungsmitteln wie "Reis, Mehl, Linsen, Öl und Zucker", mit Hygieneartikeln, Bettwäsche, Kochgeschirr und anderen Gegenständen des täglichen Bedarfs und kümmert sich darum, die Flüchtlingsunterkünfte winterfest zu machen.

So weit, so eindrucksvoll. Haare in der Suppe wird man sicher trotzdem finden. Zum Beispiel warte ich im Grunde nur darauf, dass jemand mir vorrechnet, wie viele Familien in einem kurdischen Flüchtlingslager man für den Preis einer Limburger Bischofsresidenz durch den Winter bringen könnte. Oder irgendjemand wird den mordsoriginellen Vorschlag machen, die Kirche könne ja, um noch mehr Mittel für die Flüchtlingsfürsorge zu haben, den Petersdom verkaufen (aber an wen?). Nun ja, seien wir ehrlich: Es gibt so viel Elend auf der Welt, da kann man niemals zu viel tun, wahrscheinlich nicht einmal genug. Insofern kann man gern der Meinung sein, auch das, was die Kirche tut, sei "noch nicht genug". Aber keine Sorge, es steht ja jedem frei, aus seinen eigenen Mitteln noch etwas dazu zu tun. Das kann jeder, und es ist gar nicht schwer. Die Adressen einschlägiger Spendenkonten findet man mühelos im Internet, und wer mit kirchlichen Hilfswerken nichts am Hut hat bzw. Wert darauf legt, zu zeigen, dass es auch ohne die Kirche geht, kann zum Beispiel eine SMS an kurdistan-wasser.de schicken. Eine Spende von 5 Euro bringt immerhin schon wieder 50 Flaschen Trinkwasser in die Flüchtlingslager. Garantiert kirchenfrei. 

3 Kommentare:

  1. Ups, da hat sich ein unscheinbarer aber bedeutungsschwerer Tippfehler eingeschlichen: "0,44 m^2" kann nicht stimmen, oder?
    Guter Text!
    Herzliche Grüße, Dirk

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    1. Ja, das war natürlich ein Tippfehler... ;)
      Hiermit korrigiert! Danke für den Hinweis!

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  2. Gefreut hat mich die positive Erwähnung eines der größten deutschen Schriftsteller. Karl Mays Wüstenbände sind mir seit über fünf Jahrzehnten ein Quell des Wissens über den Orient und den Islam. Mohammed, Kurden, Jesiden, Türken, Araber: stimmt (fast) alles. Karl war schon ein Visionär ... und spannend!

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