Im ersten Teil dieser kleinen Serie war u.a. von der erstaunlichen, wenn auch nicht lange vorhaltenden Bekehrung des Rock'n'Roll-Pioniers Little Richard die Rede. So skurril diese Episode anmutet, so wenig ist es doch ein Einzelfall, dass populäre Rock- und Popmusiker zu irgendeinem Zeitpunkt ihrer Karriere eine überraschende und vehemente Hinwendung zum Glauben vollziehen - und dann entweder dem Showbusiness den Rücken kehren oder aber ihr Talent und ihre Popularität ganz oder teilweise in den Dienst der Verkündigung stellen. Ein aus der Frühzeit des Rock'n'Roll stammendes Beispiel für letzteres Vorgehen ist jenes von Cliff Richard, der - bürgerlich Harry Rodger Webb - seinen Künstlernamen tatsächlich in Anlehnung an den vorgenannten Little Richard wählte. Nachdem er bereits mit 19 Jahren seine beiden ersten Nummer-1-Hits in Großbritannien gelandet hatte, stieß er im Alter von 23 Jahren beim Blättern in der Bibel auf die Stelle: "Siehe, ich stehe vor der Tür und klopfe
an. Wenn jemand meine Stimme hören wird und die Tür auftun, zu dem
werde ich hineingehen und und das Abendmahl mit ihm halten" (Offb 3,20). Über den Eindruck, den dieser Vers auf ihn machte, berichtet er:
"In diesem Augenblick schlug wohl Gottes Stunde für mich [...]. Ich lag in meinem Bett und stammelte ein Gebet, das sich ungefähr so anhörte: 'Jesus, ich spüre, dass du anklopfst. Komm bitte herein und nimm mich an.' Es war ganz einfach. Da fiel kein Blitz vom Himmel. Ich hörte auch keine himmlischen Stimmen. Ich meinte es aber ernst und war bereit, die Folgen auf mich zu nehmen. Ich ließ Jesus in mein Leben eintreten. Wie bei einer Hochzeitzeremonie habe ich Jesus mein Ja gegeben. Das war mein Wendepunkt."
Damit nicht genug. Der ehemalige Bandleader von Grand Funk Railroad, Mark Farner, hatte Ende der 70er Jahre ein Bekehrungserlebnis, über das er sich auf seiner offiziellen Homepage zwar ausschweigt, das ihn aber immerhin veranlasste, zwischen 1983 und 1994 vier Christian Rock-Alben aufzunehmen; ähnlich erging es Philip Bailey von Earth, Wind & Fire, der sich ab Mitte der 80er Jahre vorübergehend der Gospelmusik zuwandte, und dem exzellenten Percussionisten Alex Acuña (ehemals Weather Report), der Anfang der 80er Jahre die christliche Jazzband Koinonia mitbegründete und zudem an diversen Produktionen christlicher (lies: evangelikaler) Musiklabels als Gastmusiker und/oder Coproduzent beteiligt war. Ein nahezu apostolisches Bekehrungserlebnis hatte "Righteous Brother" Bill Medley: Saulus von Tarsus verlor sein Augenlicht, Schmusesänger Medley die Stimme. Als er sie zurückerhielt, beschloss er, fortan zur Ehre Gottes zu singen. Das hat mir zumindest mal jemand erzählt; eine Bestätigung dafür habe ich in den Weiten des Internets nicht finden können. Nicht auszuschließen ist somit, dass es sich um eine Verwechslung handelt, gab es doch auch einen Reverend William L. "Bill" Medley, seines Zeichens Pfarrer der evangelikalen "Kirche des Nazareners" - und, wie ein Nachruf auf ihn verrät, ebenfalls ein mehr als passabler Sänger. - Keine Verwechslung liegt hingegen bei Reverend Al Green vor, auch wenn man das annehmen könnte: Wie viele Pfarrer kennt man schon, die früher mal Funk&Soul-Superstars waren und auf den Coverfotos ihrer Platten mit nacktem Oberkörper und Goldkettchen posierten? - Aber tatsächlich: Ebenselbiger Al Green, dem wir unsterbliche Songs wie Tired Of Being Alone, Let's Stay Together (beide 1971) Take Me To The River (1974) und Love And Happiness (1977) verdanken, ist seit 1976 ordentlicher Pfarrer einer Kirche mit dem schönen Namen Full Gospel Tabernacle in Memphis/Tennessee. Um ein spektakuläres Bekehrungserlebnis ist auch er nicht verlegen: 1974 übergoss ihn seine damalige Freundin, während er in der Badewanne saß, mit kochend heißer Grütze, wodurch er schwere Verbrennungen am Oberkörper erlitt, und erschoss sich anschließend mit seiner Waffe. Für ihn ein klares Signal, dass er sein Leben ändern müsse.
Nicht unerwähnt bleiben sollte freilich, dass auch andere Religionen ihre Konvertiten aus dem Bereich des Showbusiness vorzuweisen haben. Während in den späten 60ern die Beatles und andere ihr Heil (zumindest vorübergehend) in der Transzendentalen Meditation suchten und der Gruppe Fleetwood Mac um 1970 permanent die Gitarristen ausgingen, weil einer nach dem anderen in obskure Sekten eintrat oder Einsiedler wurde, traten schwarze Jazzmusiker reihenweise zum Islam über (so z.B. Ahmad Jamal bereits ca. 1952, Abdullah Ibrahim 1968 und Idris Muhammad irgendwann dazwischen); Leonard Cohen trat Mitte der 90er in ein buddhistisches Kloster ein; und von Scientology wollen wir in diesem Zusammenhang mal gar nicht erst anfangen zu reden. Und dann gibt es natürlich auch noch diejenigen, die sich irgendwann selbst für Jesus hielten - was, wie ich mal irgendwo gehört oder gelesen habe, bei einem Ex-Mitglied der Animals und dem früheren Roadmanager der Beatles, Mal Evans, der Fall gewesen sein soll; und à propos Beatles: John Lennon selbst hat, wie man in Ray Colemans Biographie über ihn (die ich gerade nicht zur Hand habe, um daraus zu zitieren) nachlesen kann, in seinen späteren Jahren ebenfalls eine erstaunliche Wendung von "Die Beatles sind populärer als Jesus" hin zu "Ich bin (wie) Jesus" vollzogen. Nicht ganz eindeutig ist der Befund bei Bono von U2.
Auffällig ist es so oder so, dass Rock- und Popmusiker eine überdurchschnittliche Neigung zu religiösen Erweckungserlebnissen zu haben. Wäre es allzu gewagt, die Hypothese aufzustellen, dass daran gerade das - wie in Teil I dieser Serie recht breit ausgeführt - von Kritikern skeptisch beäugte ekstatische Potential dieser Musik, gegebenenfalls verstärkt durch Drogenkonsum, Schlafentzug usw., einen gewissen Anteil haben könnte? Positiv formuliert könnte man argumentieren, dass diese Faktoren zu einer gewissen Offenheit bzw Empfänglichkeit für über- bzw. außersinnliche Realitäten beitragen mögen. Dass dergleichen aber auch mit erheblicher Vorsicht zu genießen ist, liegt auf der Hand - und zeigt sich ja auch überdeutlich an der häufig sehr skurrilen Ausprägung und ebenso häufig sehr begrenzten Dauer dieser Bekehrungen. Als einen besonders bizarren Fall möchte ich Sinéad O'Connor hervorheben, die in den späten 90er Jahren der Irish Orthodox Catholic and Apostolic Church beitrat, einer obskuren schismatischen Gruppierung, über die sonst nicht viel zu erfahren ist. In der schon anlässlich Little Richards Sputnik-Erlebnis zitierten SZ-Magazinbeilage "Die besten Anekdoten aus 50 Jahren Popgeschichte" stand zum Jahr 1999 zu lesen, die zeitweilig in einem kirchlichen Internat erzogene O'Connor sei im besagten Jahr von einem "Bischof" dieser Splittergruppe, Michael Cox, zur "Priesterin" geweiht worden - und zwar in Lourdes! Cox, ein ehemaliger Hafenpolizist [!], habe sich davon versprochen, mehr Jugendliche für seine Kirche gewinnen zu können - ein interessanter Ansatz, nicht nur deshalb, weil der Karrierehöhepunkt der Sängerin zu diesem Zeitpunkt schon deutlich überschritten war. Cox' Plan ging allerdings auch aus anderen Gründen nicht auf: Schon drei Monate nach ihrer "Weihe" beklagte sich Sinéad O'Connor alias "Mother Mary Bernadette", die an der echten Katholischen Kirche schon zuvor kein gutes Haar gelassen hatte (so hatte sie 1992 bei einem Live-Fernsehauftritt demonstrativ ein Bild Papst Johannes Pauls II. zerrissen), über ihre neue Konfession: Sie äußerte sich unzufrieden mit dem Zölibat, der Ablehnung von Astrologie durch die Kirche sowie den Umstand, dass die Kirche "ihre Fähigkeit, Kontakt mit den Toten aufzunehmen", nicht anerkenne. - Ach so? Sinéad O'Connor kann mit den Toten kommunizieren? Interessant, aber ehe sie sich darüber beklagt, dass die Kirche - und sei es eine noch so obskure Spilttergruppe - das nicht so toll findet wie sie selbst, sollte sie vielleicht mal die Geschichte der Hexe von Endor (1 Sam 28) nachlesen...
Nebenbei bemerkt: Sinéad O'Connors größter Hit, die Edelschnulze Nothing Compares 2 U, wurde von keinem Geringeren als Prince (alias Prince Rogers Nelson) komponiert; dieser ist bzw. war von Haus aus eigentlich Siebenten-Tages-Adventist, trat jedoch 2001 zu den Zeugen Jehovas über - warum? Etwa, weil er, bedingt durch seine Tätigkeit im Showbusiness, des Öfteren samstags arbeiten muss? Wie dem auch sei, Prince nahm seine Konversion offenbar ausgesprochen ernst; wie die besagte SZ-Magazinbeilage zu berichten wusste, beteiligte er sich anno 2003 sogar an der Zeugen-Jehovas-typischen Haustürmission. Allerdings wohl ohne nachhaltigen Erfolg. Kein Wunder im Grunde: Man stelle sich vor, es klingelt an der Tür, und draußen steht Prince -- und sagt "Guten Tag, ich möchte mit Ihnen über Gott sprechen...."!
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