Samstag, 2. Mai 2015

"Wir zwei werden jetzt ein Lied singen, aber eigentlich brauchen wir dafür noch einen Jungen!"

Aufmerksamen regelmäßigen Lesern meines Blogs mag es vielleicht schon einmal aufgefallen sein, dass mein zutiefst gespaltenes Verhältnis zum Neuen Geistlichen Lied (NGL) sich wie ein zwar dünner, aber fester roter Faden durch diverse Beiträge zieht. Manchmal habe ich diesem Liedgut gegenüber gewisse "postironische" Anwandlungen von Sympathie, aber meistens finde ich es (von wenigen Ausnahmen abgesehen) einfach nur furchtbar. Das war zugegebenermaßen nicht immer so; aber nach einer stark kirchlich geprägten Kindheit und Jugend in einem Küstenbadeort, wo ich Jahr für Jahr einen Großteil des Sommers zwischen der katholischen "Strandkorbkirche" (die neuerdings, wie ich unlängst erfahren habe, nach rund 30 Jahren von einem neuen Urlauberseelsorge-Projekt abgelöst worden ist) und ihrem evangelisch-pietistischen Pendant, der "Strandmission" des Geistlichen Rüstzentrums Krelingen, verbracht habe, ist mein Bedarf an plärrendem Kindergesang, monotonem Gitarrengeschrammel, schiefen Metaphern und banalen "Piep-piep-piep, wir hab'n uns alle lieb"-Botschaften lebenslang gedeckt. 

-- Oder doch nicht? Als ich neulich mit meinem Arbeitskollegen W. eine intensive Debatte über Sacropop in seinen  verschiedensten Ausprägungen führte und ihm, um meine Abneigung gegen NGL zu illustrieren, mit quäkend verstellter Stimme die Genreklassiker "Kleines Senfkorn Hoffnung" und "Ins Wasser fällt ein Stein" vorsang, meinte W., ich solle mal darüber nachdenken, ein Comedy-Bühnenprogramm daraus zu machen. Ein Programm also, in dem sich möglichst trashige Darbietungen bekannter NGL-Schlager mit sarkastischen Kommentaren zu den Liedtexten abwechseln. Einen Titel für dieses Programm fanden wir im Handumdrehen: "Wirr-Sing". - Im Grunde gibt es da nur gibt es da nur noch ein Problem: Ich kann zwar leidlich singen, spiele aber kein Instrument, Ich bräuchte also noch jemanden, der mich auf der Gitarre begleitet. Oder, vielleicht noch besser: auf der Ukulele. Meine allerbeste Freundin Kati lernt seit einiger Zeit Ukulele spielen. Ich sehe da Potential. 

Entzückt war ich, als ich neulich in der Online-Ausgabe der FAZ einen Artikel über das vermutlich bekannteste, auf jeden Fall aber furchtbarste NGL aller Zeiten entdeckte: das Lied "Danke" von Martin Gotthard Schneider. Anlass für den FAZ-Artikel war einerseits Schneiders 85. Geburtstag am 26. April, andererseits das Erscheinen einer ersten literaturwissenschaftlichen Abhandlung über den Text des Liedes, verfasst von dem Siegener Germanistik-Dozenten Jörg Döring. Ein Name mit zweimal Ö, das finde ich herzallerliebst, gerade für einen Germanisten. "'Danke für diesen guten Morgen', Zur Rhetorik von Katalog und enumeratio im neuen geistlichen Lied" (in: Dank sagen. Politik, Semantik und Poetik der Verbindlichkeit. Hg. von Natalie Binczek, Remigius Bunia, Till Dembeck und Alexander Zons. München: Fink 2014). Man versuche einmal, das laut auszusprechen, ohne dabei zu lachen. Erfahrungsberichte dürfen gern im Kommentarbereich hinterlassen werden. 

Das Schöne an Dörings Arbeit ist, dass man anhand der im FAZ-Artikel enthaltenen direkten und indirekten Zitate schlechterdings nicht unterscheiden kann, ob die Diskrepanz zwischen ihrer wissenschaftlichen Akribie und der Banalität ihres Untersuchungsgegenstandes unfreiwillig komisch wirkt oder von vornherein satirisch gemeint ist. Ich glaube, es war Max Goldt, der schon in den 90er Jahren feststellte, absichtlich den Eindruck unfreiwilliger Komik zu erzeigen sei die hohe Schule der Satire. 
So oder so hat der Herr Döring mit Vielem, was er über den Text des "Danke"-Liedes feststellt, schlicht und ergreifend einfach mal Recht. Zum Beispiel, wenn er zum berüchtigten Vers "Danke für meine Arbeitsstelle" anmerkt: "Im einzigen Vollbeschäftigungsjahrzehnt des zwanzigsten Jahrhunderts formuliert, wird sich dieser Dank historisch schon bald nicht mehr von selbst verstehen." Oder wenn er angesichts der Formulierung "Danke, wenn auch dem größten Feinde ich verzeihen kann" darauf hinweist, dass es "keineswegs schon ausgemacht" sei, ob man dem Feinde wirklich verzeihe - schließlich handle es sich um einen Konditionalsatz ("wenn"). Aber auch ganz allgemein gelingt es Döring sehr überzeugend, das den Liedtext prägende rhetorische Mittel der enumeratio, der Aufzählung, ad absurdum zu führen: "Das 'Frohe' und das 'Helle' werden nur noch benannt, die semantische Spanne von 'Arbeitsstelle' bis 'Musik' kann auch durch die Liedform nicht mehr überzeugend verklammert werden."
(Tatsächlich hängt das Prinzip der enumeratio ja vielen NGL-Liedtexten an wie ein hartnäckiger Schnupfen. Besonder schlimm ist das, wenn dabei mit Vergleichen - "wie Gras und Ufer, wie Wind und Weite..." - gearbeitet wird. Auf die Spitze getrieben wird das in Detlef Jöckes gar grausigem Werk "Gott, dein guter Segen", wo eine allzu große Zahl von Strophen allmählich den Eindruck erweckt, Gottes Segen lasse sich mit absolut allem vergleichen, was vier Silben hat. Aber dazu vielleicht demnächst mal ein eigener Artikel.)  

Am Donnerstag nun flammte die NGL-Diskussion zwischen meinem Kollegen W. und mir erneut auf. Das begann damit, dass W. - der, obwohl gebürtiger Berliner, ein großer Freund der plattdeutschen Sprache ist - mir von einer in der Plattdeutsch-Szene sehr angesagten Hamburger Band namens Tüdelband erzählte; ein lustiges Wortspiel, da "Tüdelband" im Hamburger Platt einen als Spielgerät genutzten Reifen bezeichnet, aber "Band", englisch ausgesprochen, natürlich als "Musikgruppe" verstanden werden soll. Kollege W. schätzt die Tüdelband - sehr im Gegensatz etwa zu der plattdeutschen HipHop-Formation De fofftig Penns - nicht besonders, weil ihre Musik ihm zu seicht, zu locker-flockig und allgemein zu hippiemäßig ist; er merkte jedoch an: "Aber für dich wären die interessant - die Sängerin macht nämlich auch Kirchenmusik. Also, so Pop-Kirchenmusik natürlich." 
"Und wie heißt die Frau?" 
"Miriam Buthmann. Mit th." 
"Schöner Name. Wenn man von ihren Auftritten heimlich Live-Mitschnitte macht und die dann illegal vertreibt, ist das dann ein Buthleg?" 

Eine kurze Google-Recherche ergab, dass Miriam Buthmann neben ihrer Karriere als Frontfrau der Tüdelband tatsächlich auch "B-Kirchenmusikerin für Popularmusik" ist ("Da haben wir's endlich mal schriftlich, dass Sacopop nur B-Kirchenmusik ist", frotzelte ich) und dass sie an der zur Evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde Winterhude-Uhlenhorst in Hamburg gehörenden Heilandskirche einen Gospelchor mit dem Namen Die Heiländer leitet (wat hebbt wi lacht, wat hebbt wi grööhlt, wat hebbt wi Botterkoken fräten). 
Weiterhin ergab meine Recherche, dass "Miri", wie ich sie fortan zu nennen beschloss (auch wenn sie selbst, jedenfalls in ihrer Manifestation als Frontfrau der Tüdelband, ihren Vornamen als Mire abkürzt), mit ihren üppigen Dreadlocks plus Ballonmütze, Unterlippen- und Nasenflügelpiercing fast schon ein bisschen zu klischeehaft aussieht, um echt zu sein - andererseits aber schon auch irgendwie ganz süß. Kollege W., dem ich letztere Einschätzung mitteilte, folgerte sogleich, ich sei verliebt. Fand er aber gut. Ein hardcore-katholischer Blogger und eine evangelische Kirchenmusikerin, das sei doch quasi a match made in Heaven. Er ist sehr für Ökumene. -- In der Folge driftete unser Dialog ziemlich ins Überkandidelte ab. Ich bedaure nur, dass wir ihn nicht aufgezeichnet haben, denn dann könnte ich ihn jetzt podcasten
Ich: "...und unsere Kinder nennen wir Johnny, Donnie, Bonnie und Lonnie. Also, in ausgeschriebener Form natürlich Johannes, Donatus, Bonaventura..."
W.: "Nicht Bonifatius?"
Ich: "Bonifatius, auch gut. Und Lonnie ist Longinus."
W. (plötzlich ganz ernst): "Du kannst ein Kind nicht Longinus nennen."
Ich (entgeistert): "Wieso nicht??" (mit affektiert verstellter Stimme:) "Was ist so komich an dem Namen Chwanzus Longus? - Ich hape einen liepen Freund in Rom... Er ist ein peliepter Redner und Chöngeist!"
W. (mit Nachdruck): "Was spricht denn gegen Sven?!" 
Wenn es stimmt, dass Lachen gesund ist, dann habe ich an diesem Donnerstag sehr viel für meine Gesundheit getan. - Nun aber mal Scherz beiseite und zurück zu den Fakten: Für den Evangelischen Kirchentag 2013 in Hamburg schrieb Miri ein plattdeutsches NGL mit dem Titel "Allens wat du bruukst", das man während des Kirchentags (danach aber nicht mehr) kostenlos aus dem Internet downloaden konnte. Und auch beim diesjährigen Kirchentag in Stuttgart ist Miri wieder am Start. Für diesen hat sie zusammen mit dem Bad Segeberger Kirchenmusiker Jan Simowitsch ein Abendlied mit dem Titel "Es wird Abend mit Dir" geschrieben; eine Aufnahme dieses Liedes - gesungen von Miri herself, mit Jan Simowitsch am Piano und Tüdelband-Drummer Malte Müller an der Schießbude, gibt's bei YouTube. Hey toll, ein Abendlied, dachte ich mir. Das kann ich ja mal bei der #Twomplet einbauen - besonders wenn mal wieder Beschwerden wegen mangelnder Ökumene oder allgemein wegen mangelnder Friede-Freude-Eierkuchen-Gesinnung kommen. 

Das Lied ist übrigens tatsächlich gut. Auch was man von Miris kirchenmusikalischem Schaffen sonst noch im Netz findet - was allerdings leider nicht besonders viel ist -, hat mit der Betulichkeit und dem dick aufgetragenen politisch-moralischen Impetus, der für die NGL der 60er und 70er Jahre so charakteristisch ist, erfreulich wenig gemein. Wahrscheinlich ist diese Erkenntnis recht symptomatisch dafür, dass der Großteil dessen, was unter dem Label "Neues geistliches Lied" läuft und es auf seinem Langen Marsch durch die Liederbücher teilweise bis ins Gotteslob geschafft hat, in Wirklichkeit schon ganz schön oll ist. Das ist halt ein Problem aller Dinge, die sich schon im Namen als "neu" bezeichnen, irgendwann aber eben doch alt werden. Wie sollte man Kirchenmusik à la Miri nun aber nennen, um sie vom NGL alten Schlages abzugrenzen? "Noch neueres geistliches Lied (NNGL)" etwa? 

Das Allermeiste, was man von Miris Musik im Netz findet, stammt jedoch von der Tüdelband. Und auch die finde ich gar nicht so schlecht, wie ich es nach W.s Schilderungen (oder auch nach ihrer Selbstbeschreibung, sie lägen musikalisch irgendwo "zwischen Heidi Kabel und Jamiroquai") erwartet hätte. Okay, ausgerechnet ihre wohl größten Hits "Uwe" (2011) und "Sommerkinner" (2014) finde ich eher so mittel, zudem sind sie einander für meinen Geschmack erheblich zu ähnlich; aber so alles in Allem: Gar nicht mal übel. Im Zuge meiner Recherchen habe ich übrigens herausgefunden, dass die Tüdelband am Gründonnerstag ganz in der Nähe meiner Heimatstadt aufgetreten ist - in der Huder Klostermühle. Und wer war nicht da? Ich! Dass die sympathischen Plattdeutsch-Barden sich mal nach Berlin verirren, ist wohl eher unwahrscheinlich - obwohl: Im Juni treten sie sogar in Stuttgart auf. Fernab jener Lande, wo die plattdeutsche Zunge klingt und Gott im Himmel Lieder singt. Was aber vermutlich in erster Linie dadurch bedingt ist, dass dort gleichzeitig Evangelischer Kirchentag ist. Denn da, wie schon gesagt, ist Miri natürlich am Start. Ich hingegen fahr' da wohl eher nicht hin - ganz so groß ist die Liebe dann doch nicht... 


2 Kommentare:

  1. Wenn ich deine Ausführungen zum Neuen Geistlichen Lied lese, tue ich auch immer ganz viel für die Gesundheit :) Am besten fand ich neulich die Bezeichnung "Kiffer-Hymne". LOL

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  2. Also ich geb mal zu: ich halte "Herr, Deine Liebe" tatsächlich für ein gerade musikalisch äußerst ansprechendes Lied.

    Von einer zwar ganz entschieden nicht-betüdelnden, aber dennoch problematischen Textstelle

    (>>Frei sind wir, da zu wohnen und zu gehen,
    >> Frei sind wir, ja zu sagen oder nahein)

    abgesehen ist der Text auch unproblematisch, und die erste Strophe ist *tatsächlich* ziemlich poetisch.

    Was "Danke" betrifft: das selbe Prinzip haben die Toten Hosen ja später auch mal *ganz* ohne Inhalt durchexerziert. Es geht einfach darum, was man mit wiederholten Rückungen alles anstellen kann. Führt man diese nicht durch (wofür man eigentlich mindestens drei Strophen, besser alle singen muß, und die doch recht gelungene letzte Strophe darf auf gar keinen Fall fehlen) wird das Lied natürlich denkbar langweilig.

    "Sommerkinner" erinnert mich vom Titel her selbstverständlich an das hier:

    https://www.youtube.com/watch?v=rIZTiqtSuls

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