Donnerstag, 14. Februar 2013

Gefühlte Sedisvakanz

Jüngst tauchte vor meinem geistigen Auge eine skurrile Erinnerung an die Sedisvakanz nach dem Tod Johannes Pauls II. auf: In der Fernsehshow TV Total wurde ein Ausschnitt aus dem kurz zuvor in der ARD ausgestrahlten Frühlingsfest der Volksmusik mit Florian Silbereisen gezeigt. Zu sehen war in diesem Ausschnitt, wie zwei als Braut und Bräutigam verkleidete Hunde in einer albern-abgeschmackten Zeremonie miteinander "getraut" wurden. TV Total-Moderator Stefan Raab kommentierte: "So weit ist es gekommen. Kaum haben wir mal eine Woche lang keinen Papst, und schon schändet die ARD das heilige Sakrament der Ehe."

Meine Sympathien für Stefan Raab halten sich in Grenzen, aber für diesen Satz hatte er meine volle Zustimmung.

Im Augenblick erscheint es geboten, darauf hinzuweisen, dass wir sehr wohl noch einen Papst haben: Benedikt XVI. hat angekündigt, bis zum Ende des Monats im Amt zu bleiben, und da dank dieser Ankündigung frühzeitig Vorbereitungen für ein Konklave getroffen werden können, dürfte die Sedisvakanz recht kurz ausfallen. Im öffentlichen Bewusstsein scheint der Umstand, dass Benedikt XVI. immer noch Papst ist, allerdings keine große Rolle zu spielen. Kaum war die Ankündigung des Amtsverzichts an die Öffentlichkeit gedrungen, da erhoben sich auch schon die Kommentar-Geier in die Lüfte und begannen über dem zu Ende gehenden Pontifikat zu kreisen.

Ein Großteil der vorzeitigen Nachrufe auf Benedikt XVI., die in den letzten Tagen die deutsche Medienlandschaft geprägt haben, gab ein eher deprimierendes Bild ab. Groß kommentieren muss man das wohl nicht. Wer zu dem Fazit gelangt, die knapp acht Jahre des Pontifikats Benedikts XVI. seien "verlorene Jahre" für die Kirche gewesen, hat offensichtlich nicht das Geringste vom Wirken dieses großen Papstes kapiert, und ich fühle mich nicht dazu ausersehen, den betreffenden Kommentatoren Nachhilfeunterricht zu erteilen. Das kann - beispielsweise - Matthias Matussek besser.

Ebenfalls typisch für das herrschende Klima der "gefühlten Sedisvakanz" ist es, dass allerorten über mögliche Nachfolger spekuliert wird - und vielfach auch über unmögliche. Während Vatikan-Experten diverser Medienformate allerlei Argumente dafür zusammentragen, welche Kardinäle als papabile gelten können und was andererseits doch wieder gegen ihre Wahl sprechen könnte, malen gestandene Kirchenkritiker, Grünen-Politikerinnen sowie Otto und Frieda Normalkartoffel Bilder ihres Wunschpapstes an die Wand, die darauf schließen lassen, dass sie einmal zu oft den Film Ein Papst zum Küssen mit Robbie Coltrane gesehen und erheblich zu ernst genommen haben.

Was die Einschätzungen der Experten angeht, so scheint es, dass die Kardinäle Ouellet aus Kanada, Scherer aus Brasilien und Turkson aus Ghana am häufigsten genannt werden; falls es doch wieder ein Italiener werden sollte, scheint der Mailänder Erzbischof Angelo Cardinal Scola der Favorit zu sein. Vereinzelt wird auch der Erzbischof von New York, Timothy Cardinal Dolan, als papabile eingeschätzt; zwar glaube ich irgendwie nicht so recht, dass er ernsthafte Aussichten auf das Amt hat, aber allein die Vorstellung hat für mich etwas ausgesprochen Aufmunterndes.

Letztendlich haben all diese Spekulationen aber natürlich wenig zu besagen; nicht von ungefähr erinnerte Alipius unlängst an die alte Weisheit "Wer als Papst ins Konklave geht, kommt als Kardinal wieder heraus". Einigermaßen sicher scheint hingegen zu sein, dass "auch der neue Papst katholisch" sein wird (Norbert Kebekus). Auch wenn das einigen nicht passt.

Claudia Roth zum Beispiel. In einem Gastkommentar im Handelsblatt träumt sie von einem "Reformpapst", der auf die Stimme der "Kirchenbasis" hört - vor allem "beim Zölibat, bei der Frauenordination, beim ökumenischen Abendmahl, beim kirchlichen Arbeitsrecht, beim Umgang mit Geschiedenen, mit Lesben und Schwulen, mit Forderungen nach einer weniger abgehobenen und weniger autoritären Sexualmoral und einer anderen Bewertung von Empfängnisverhütung". Was die "Kirchenbasis" über diese Themen denkt, scheint für Frau Roth außer Frage zu stehen; aber ganz abgesehen davon, ob sie mit dieser Einschätzung richtig liegt oder nicht, frage ich mich, ob sich mal jemand die Mühe machen könnte, Frau Roth in Ruhe auseinanderzusetzen, dass die Glaubens- und Sittenlehre der Katholischen Kirche nicht auf Mehrheitsbeschlüssen basiert.

Noch reizender finde ich die Äußerung von Simone Tolle - ihres Zeichens Landtagsabgeordnete der Grünen in Bayern - in der Mainpost: "Ich hoffe darauf, dass dieser Rücktritt den Weg frei macht für einen neuen Papst, der hoffentlich endlich mal aus Afrika kommt." Jawohl - endlich mal! Wird auch Zeit! Kardinäle aus Afrika gibt's schließlich schon seit den Tagen Pauls VI.[*]; dass dann Johannes Paul II. so übertrieben lange das Amt blockierte, war ja schon eine ziemliche Unverschämtheit, und als sich dann mal wieder eine neue Gelegenheit bot, wählte das Konklave -- schon wieder einen Weißen! Das kann so nicht weiter gehen! - Die Vorstellung, mit einem Papst aus Afrika würde alles besser, scheint durchaus verbreitet zu sein; aber, Frau Tolle, Sie müssen jetzt ganz tapfer sein: Ein ganz klein bisschen rassistisch ist das schon. Spannend ist allerdings, was Frau Tolle sich konkret von einem afrikanischen Papst erhofft: nämlich, dass er "mit der Bewegung 'Kirche von unten' in den Dialog tritt, [...] die Missbrauchsskandale rigoros aufklärt, [...] sofort und entschieden solche Bewegungen wie kreuznet oder gloria tv unterbindet und [...] einen Dialog aufnimmt mit schwulen und lesbischen Menschen". Auf das souveräne In-einen-Topf-Werfen der verschiedenen Themen, das hier betrieben wird, will ich gar nicht näher eingehen; aber warum es für die genannten Maßnahmen notwendig oder auch nur vorteilhaft sein soll, aus Afrika zu kommen, wird wohl Frau Tolles Geheimnis bleiben. Nun, vielleicht geht ja zumindest ihr erster Wunsch in Erfüllung, wenn beispielsweise der oben schon erwähnte Kardinal Turkson gewählt wird (in Frage kämen eventuell auch noch andere); ich habe allerdings die Ahnung, dass diejenigen, die von einem Papst aus der "3. Welt" (sagt man das heute überhaupt noch, oder spielt mir da meine 80er-Jahre-Sozialisation einen Streich?) "Refomen" im oben skizzierten Sinne erwarten, sich dann ganz schön umschauen würden. (Das glaubt übrigens auch Herr Drewermann, mit dem ich ansonsten selten einig bin.)

Mehr Basisdemokratie in der Kirche wüncht sich neben Claudia Roth übrigens auch der BDKJ-Bundesvorsitzende Dirk Tänzler: Die Kardinäle sollten vor dem Konklave die "Meinung der Gläubigen" einholen, regt er an. Wie das konkret vor sich gehen soll, lässt er offen, gibt aber gleich eine Einschätzung darüber ab, wie diese Meinung aussehen dürfte: "Gerade junge Menschen erwarten von Kirche keine Verbote. Sie wollen Vorbilder, Orientierung, sie wollen Kirche als Ratgeberin und Begleiterin." Sind wir überrascht? Sind wir nicht. Wer will schon Verbote, wenn er Vorbilder, Orientierung, Rat und Begleitung haben kann. Aber Polemik beiseite: Selbstverständlich ist es von eminenter Wichtigkeit, dass die Kirche den Gläubigen all dies bietet. Die implizite Unterstellung hingegen, sie täte das nicht oder nicht in ausreichendem Maße, weil sie sich zu sehr auf Verbote konzentriere, empfinde ich aus dem Mund des Vorsitzenden eines kirchlichen Verbandes schon etwas befremdlich; und wenn es hier um die Person des Papstes geht, möchte ich zudem anmerken, dass diese Einschätzung weder Benedikt XVI. noch Johannes Paul II. (als den beiden bislang einzigen Päpsten, deren Wirken ich bewusst miterlebt habe) gerecht wird.

Für diesmal schließen möchte ich, wie ich begonnen habe: mit einer persönlichen Erinnerung an das Jahr 2005. Wenige Tage nach dem Amtsantritt Benedikts XVI. erlebte ich eine Diskussion im Kreise von Arbeitskollegen mit; ein mit mir etwa gleichaltriger Kollege - evangelisch getauft und nach eigenem Bekunden nicht sonderlich religiös - überraschte dort mit der Aussage, er finde es richtig, wenn ein Papst konservativ sei: "Wäre doch langweilig, wenn die katholische Kirche sich an den Zeitgeist anpassen und genauso lasch werden würde wie unsere." Er fügte hinzu, ein gewisser Konservatismus liege nun mal im Wesen dieses Amtes, und obendrein sei eine Papstwahl, wenn man es mit dem Glauben ernst meine, doch in letzter Konsequenz als eine Art Gottesurteil zu betrachten.

Aus diesem Mund überraschte mich diese Aussage damals doch beträchtlich. Aber ich ertappe mich seitdem immer mal wieder bei dem Wunsch, diese Auffassung wäre auch unter den hiesigen Katholiken etwas verbreiteter...



[*] Wie ich gerade nachgelesen habe, gab es mindestens einen schwarzafrikanischen Kardinal sogar schon unter Johannes XXIII.: Laurean Cardinal Rugambwa aus Tansania, ernannt 1960, verstorben 1997.

1 Kommentar:

  1. "Dritte Welt" sagt man tatsächlich nicht mehr - nicht nur aus Gründen der sogenannten politischen Korrektheit, sondern weil es ursprünglich ein Begriff war, der die Länder bezeichnet hat, die weder zum Ostblock noch zum Westen gehört haben. Die Gleichsetzung mit dem Begriff "Entwicklungsländer" war deshalb schon immer problematisch .... weshalb die "Dritte Welt Läden" auch in "Eine Welt Läden" umbenannt worden sind ....

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