Mein Artikel über schwach oder gar nicht besuchte Werktagsmessen, der inzwischen auch von kath.net übernommen wurde, hat ein breites und vielschichtiges Echo gefunden. U.a. wurde ich von mehreren Lesern darauf hingewiesen, dass die Aussage "Ohne mich hätte die Messe nicht stattfinden können" so nicht stimmt. Den von mir zitierten Canon 906 des CIC - "Ohne gerechten und vernünftigen Grund darf der Priester das eucharistische Opfer nicht ohne die Teilnahme wenigstens irgendeines Gläubigen feiern" - müsse man im Zusammenhang mit Canon 904 lesen, wo es heißt:
"Immer dessen eingedenk, dass sich im Geheimnis des eucharistischen Opfers das Werk der Erlösung fortwährend vollzieht, haben die Priester häufig zu zelebrieren; ja die tägliche Zelebration wird eindringlich empfohlen, die, auch wenn eine Teilnahme von Gläubigen nicht möglich ist eine Handlung Christi und der Kirche ist, durch deren Vollzug die Priester ihre vornehmste Aufgabe erfüllen."
Obendrein heißt es im maßgeblichen lateinische Wortlaut von Canon 906 "ne celebret" - das ist Konjunktiv und wäre richtiger mit "möge nicht / soll nicht feiern" als mit "darf nicht feiern" zu übersetzen. Eine öffentlich angekündigte Messe muss also nicht ausfallen, wenn außer dem Zelebranten niemand erscheint.
Nun ging es mir in meinem Artikel natürlich hauptsächlich darum, eine Lanze für den häufigen Messbesuch zu brechen. Dennoch sind diese Hinweise wichtig und bedenkenswert. Zumal mir andere Pfarreien bekannt sind, in denen regelmäßige Termine für Werktagsmessen aus dem Wochenplan gestrichen werden, wenn sie wenig besucht werden. -- Speziell meine Leser in Nordenham, Butjadingen und Stadland mögen es mir verzeihen, wenn ich wieder einmal St. Willehad als Beispiel heranziehe. Es gäbe auf dem platten Lande sicher mehr als genug andere Beispiele, wenn ich sie denn kennte. Aber zu St. Willehad später; bleiben wir zunächst mal bei allgemeinen Beobachtungen.
Wenn, wie es wohl häufig der Fall ist, eine Großpfarrei oder ein Pastoraler Raum mehr Gottesdienststandorte als Priester hat, dann leuchtet es ein, wenn nicht an jedem Standort täglich eine Messe gefeiert wird. Wenn aber nicht einmal in der gesamten Pfarrei (bzw. dem gesamten Pastoralen Raum) an jedem Tag der Woche eine Messe gefeiert wird, dann gibt das schon zu denken. Kommen die betreffenden Priester der eindringlichen Empfehlung des CIC zur täglichen Zelebration dann an den anderen Tagen durch nichtöffentliche Messfeiern nach? Und wenn ja: Wieso können sie dann nicht ebensogut öffentlich zelebrieren? Wenn das "ne celebret" aus Canon 906, im Zusammenhang mit Canon 904 gelesen, überhaupt eine praktische Bedeutung haben soll, dann doch wohl die, dass die Zelebration mit "Volk" nach Möglichkeit der Zelebration ohne "Volk" vorzuziehen ist.
Nach Möglichkeit, wie gesagt. Im Einzelfall kann es durchaus "gerechte und vernünftige Gründe" für die nichtöffentliche Zelebration geben. In Diskussionen auf Facebook haben sich zu dieser Frage auch Priester zu Wort gemeldet. Es ist unschwer einzusehen, dass ein Gemeindepriester Tag für Tag sehr viel mehr zu tun hat, als es nach außen hin wahrnehmbar ist. Besonders beim leitenden Pfarrer einer Großpfarrei kann man sich leicht vorstellen, dass er in Ausübung seines Dienstes auch sehr viel unterwegs ist. Nun sollte man annehmen oder zumindest hoffen, dass sich auch bei einem sehr vollen Terminkalender noch 20-30 Minuten am Tag für die Zelebration der Eucharistie locker machen lassen; wenn diese Zelebration aber öffentlich stattfinden soll, dann sollte es eine verlässliche Anfangszeit geben, und möglichst jede Woche dieselbe. Dass das nicht für jeden Priester immer zu gewährleisten ist, kann ich mir durchaus vorstellen.
Andererseits heißt es schon in der Benediktsregel: "Dem Gottesdienst ist nichts vorzuziehen." Der Katechismus der Katholischen Kirche, Nr. 1324, nennt die Eucharistie unter Verweis auf die Dogmatische Konstitution Lumen Gentium des II. Vatikanischen Konzils "Quelle und Höhepunkt des ganzen christlichen Lebens"; vgl. dazu auch Canon 897 des CIC. -- So ziemlich Jeder kennt wohl, in unterschiedlichen Varianten, die tatsächlich sehr weise Lebensregel "Lege die größten Steine zuerst in den Topf". Sie besagt, dass die Dinge, die im Leben am wichtigsten sind, auch die Fixpunkte des Terminkalenders sein sollten - weil sonst die eigentlich unwichtigen Kleinigkeiten überhand nehmen und die wichtigen Dinge verdrängen. So gesehen wäre zu fragen, ob es für einen Priester, gerade wenn er viel zu tun hat, nicht ratsam wäre, der täglichen Messfeier einen festen Platz in seinem Tagesablauf zu geben. Und wenn es um 6 Uhr morgens ist. Nun höre ich schon den Einwand: "Zu einer öffentlichen Messfeier um 6 Uhr morgens kommt doch sowieso niemand." Mal abgesehen davon, dass ich das nicht glaube - vielleicht kämen um 6 Uhr sogar mehr Gläubige als um 9 Uhr, zum Beispiel Berufstätige, die an einem normalen Werktag um 9 Uhr beim besten Willen nicht in die Kirche kommen können - : Selbst wenn's so wäre, was wäre damit verloren, im Vergleich zu einer nichtöffentlichen Zelebration, zu der schließlich auch und erst recht niemand kommen kann?
Schauen wir nun, wie schon angekündigt, einmal exemplarisch auf die Pfarrei St. Willehad Nordenham/Butjadingen/Stadland. Eine Pfarrei mit einem Einzugsbereich von knapp 330 km² und drei regelmäßigen Gottesdienststandorten. (Bis 2014 waren es sogar sechs, aber damals hatte die Pfarrei auch noch zwei Priester; jetzt ist es nur noch einer.) Ein Blick in den Wochenplan verrät: Neben einer Sonntagsmesse in der Pfarrkirche und einer Vorabendmesse in einer der Filialkirchen gibt es dort in der Regel an zwei der drei Standorte je eine Werktagsmesse pro Woche - am Dienstag und Mittwoch; zuweilen fällt aber auch eine dieser Messen aus, zum Beispiel, wenn auf denselben Tag eine Beerdigung fällt. Am dritten Standort findet donnerstags ein Wortgottesdienst statt, manchmal (einmal im Monat?) aber stattdessen auch eine "richtige" Messfeier. Hinzu kommt ungefähr jeden zweiten Freitag im Monat eine Messe in einem Seniorenheim. Wenn man bedenkt, dass alle diese Termine von einem einzigen Priester wahrgenommen werden, kann man feststellen, dass dieser der "eindringlich empfohlenen" täglichen Zelebration schon relativ nahe kommt. Zum Vergleich: Der Pastorale Raum, in dem ich für gewöhnlich zur Kirche gehe, ist flächenmäßig erheblich kleiner als die Pfarrei St. Willehad, umfasst allerdings ganze sieben Kirchen - dafür gibt es hier aber zwei in Vollzeit tätige Priester und zwei weitere, die in Teilzeit in diesem Pastoralen Raum tätig sind; und mindestens einen emeritierten Priester gibt es wohl auch noch. Zusammen bringen sie es auf 23 öffentliche Messfeiern in der Woche - andere Formen gottesdienstlicher Feiern, die es auch noch gibt, nicht mitgerechnet. Das muss man erst mal hinkriegen.
Nicht eingezeichnet: der liturgiefreie Montag (farblos). (Grafik erstellt von Samuel-Kim Nguyen, Quelle hier.) |
Was mir an den Gottesdienstzeiten in St. Willehad allerdings besonders ins Auge sticht, ist der liturgiefreie Montag, der, wie es scheint, geradezu dogmatischen Rang hat. (Wie ich hörte, gibt es den auch in nicht wenigen anderen Pfarreien; meine alte Heimatgemeinde dient hier also wieder einmal lediglich als Beispiel.) -- Kürzlich feierten wir ja das Hochfest des Hl. Josef. In seiner Eigenschaft als Bräutigam der Allerseligsten Jungfrau und Gottesmutter Maria und Pflegevater Jesu wird der Hl. Josef als Schutzpatron der ganzen Kirche verehrt; deshalb ist sein Gedenktag am 19. März so wichtig, dass er sogar die Fastenzeit unterbricht. Dieses Jahr allerdings fiel der 19. März auf einen Sonntag, und da gilt im liturgischen Kalender die Regel: Fastensonntag verdrängt Hochfest. Darum wurde das Hochfest des Hl. Josef in diesem Jahr am Montag, dem 20. März, gefeiert - weltweit, außer in St. Willehad. Dort verdrängte der liturgiefreie Montag das Hochfest auf den Dienstag.
Damit nicht genug: Am kommenden Sonntag, dem 26. März, ist der Gedenktag des Hl. Liudger, der zur Zeit Karls des Großen als Missionar bei den Sachsen und Friesen tätig war, das Kloster Werden gründete und erster Bischof von Münster wurde. Aus letzterem Grund wird sein Gedenktag in "seinem" Bistum als Hochfest begangen - dieses Jahr allerdings, aufgrund der oben genannten Regel "Fastensonntag verdrängt Hochfest", erst einen Tag später. Also wiederum am Montag. Den Nordenhamern jedoch ist das Hochfest ihres Bistumsgründers keine Messe wert. Es gibt lediglich, wie jeden Montag, in der Filialkirche Herz Mariä in Burhave ein "Friedensgebet" und "anschließend Klönschnack".
Irgendjemand sollte da vielleicht mal seine Prioritäten überdenken.