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Freitag, 18. Juni 2021

Camino de Willehado: Der Prophet im eigenen Land (Teil 2 von 3)

Willkommen zurück! Nachdem der erste Teil meines Berichts über den jüngsten Butjadingen-Trip meiner Familie zur Gänze mit allgemeinen Vorbemerkungen draufgegangen ist, wird es nun wohl Zeit, dass ich zur chronologischen Schilderung der kirchenbezogenen Erlebnisse und Aktivitäten komme, die unseren Aufenthalt dort geprägt haben. Wohlan denn: 

Weil uns die Kirche nicht Latte ist. (Symbolbild)

Bereits am ersten Tag nach unserer Ankunft - einem Dienstag - statteten wir der hübschen kleinen Kirche Herz Mariä in Burhave einen ersten Besuch ab. Genauer gesagt machten wir, nachdem wir uns bei einem nahe gelegenen Supermarkt mit Snacks eingedeckt hatten, erst einmal ein Mittags-"Picknick" im Garten der Kirche - der besonders bei Sonnenschein sehr idyllisch ist.

Anschließend probierten wir aus, ob die Kirche offen ist; das war der Fall, also gingen wir hinein - und beteten kurz entschlossen die Nachmittagshore aus dem Stundenbuch (die Non, d.h. "neunte Stunde" - gerechnet ab Sonnenaufgang). Wir blieben danach noch eine Weile in der Kirche, ohne irgendwem (seien es Mitarbeiter der Gemeinde oder spontane Kirchenbesucher wie wir) zu begegnen; aber dass die Kirche tagsüber offen gehalten wird, auch "unbeaufsichtigt", ist allemal zu begrüßen und zu loben (vgl. den Themenschwerpunkt "Offene Kirche" in der Nr. 2 der "Lebendigen Steine"). 


*

Am dritten Tag unseres Aufenthalts, am Donnerstag also, fuhren wir gleich nach dem Frühstück mit dem Bus ins Nachbardorf Tossens, wo es - auch wenn ich das als alter Burhaver nicht gern sage - einen schöneren Strand (mit größerem und besser ausgestattetem Kinderspielplatz) gibt als in Burhave. Was es in Tossens außerdem gibt, ist das "Katholische Kommunikationszentrum OASE", das ich in der Vergangenheit auch schon mehrfach erwähnt habe; vor rund drei Jahren habe ich dort mal einen Vortrag gehalten, über die "Benedikt-Option". An dem Tag, an dem wir in Tossens am Strand waren, fand in der OASE um 15 Uhr ein Wortgottesdienst mit dem Diakon der Pfarrei statt, und anschließend ein Treffen der "Gruppe 60+" mit Kaffee und Kuchen sowie einem Vortrag des Diakons zum Thema "Der Jahreskreis der Kirche". Theoretisch hätten wir es durchaus zum Gottesdienst schaffen können, auch wenn meine Liebste meinte, sie hätte im Zweifel "eher Lust, zu diesem Omma-Kaffeeklatsch zu gehen, als zu einem Wortgottesdienst". Aber dann vertrödelten wir uns auf dem Weg vom Strand in den Ort ein wenig, aßen unterwegs noch ein Eis, und dann wachte unser Jüngster auf und musste gestillt werden. Und ehe wir einen dafür geeigneten Ort gefunden hatten und der Knabe sich so weit beruhigt hatte, dass wir unseren Weg fortsetzen konnten, war alles in allem eine Stunde vergangen. Folglich war der Wortgottesdienst längst vorbei, ehe wir die OASE erreichten, und der Vortrag des Diakons war schon in vollem Gange. Da wollten wir nun nicht hineinplatzen und betraten die OASE daher nur, um aufs Klo zu gehen und in echter Pilgermanier unseren Trinkwasservorrat aufzufüllen. Dabei drangen aus dem Saal Bruchstücke des Vortrags an unsere Ohren: Der Diakon sprach gerade über die liturgischen Farben im Kirchenjahr und ihre Bedeutung. "Es sagt schon viel über den Zustand der Katechese in Deutschland aus", murrte meine Liebste später, "wenn man vor einem Publikum von Über-60-Jährigen einen Vortrag zu so einem Thema halten und dabei davon ausgehen kann, dass man ihnen damit noch was Neues erzählt." Etwas Ähnliches hatte ich auch gedacht. Wahrscheinlich erzählt man den Leuten damit wirklich noch was Neues; und das, obwohl man doch davon ausgehen muss, dass sich nur ein verhältnismäßig "kirchennahes" Publikum überhaupt für solche Vorträge interessiert. Ich habe es auch in Berlin schon erlebt, dass die Pastoralreferentin vor Mitgliedern des Pfarrgemeinderats über die Zweiquellentheorie zu den synoptischen Evangelien referierte, und zumindest einige der Zuhörer fanden das alles enorm interessant und lehrreich -- während ich nur dachte: Das ist doch Lehrstoff für den Religionsunterricht in der 10. Klasse, und davon abgesehen längst nicht so unumstritten, wie es einem immer verkauft wird. Aber das mal nur nebenbei. 

Übrigens ahne ich, dass insbesondere kritische Leser (huhu, Jochen!) sich wundern werden, was ich - als jemand, der bekanntermaßen großen Wert auf Liturgie legt - eigentlich an dem Thema des Vortrags in der OASE auszusetzen habe. Sollte ich es nicht eigentlich gut finden, dass die liturgische Bildung der Gemeinde verbessert wird, und könnte man in Hinblick auf das Alter der Zielgruppe nicht sagen "Besser spät als nie"? -- Ja, könnte man vielleicht. Allerdings bin ich geneigt, anzunehmen, wer mit 60+ die Bedeutung der liturgischen Farben nicht kennt, der weiß vermutlich eine ganze Reihe wichtigerer Dinge über Glaubenslehre und -praxis der Kirche ebenfalls nicht, und vielleicht sollte man dann lieber erst mal darüber reden. Aber auch das bringt den Sachverhalt noch nicht so ganz auf den Punkt. Denn auch wenn Katechese natürlich viel mit Wissensvermittlung zu tun hat, bewirkt ein Mehr an Wissen allein noch kein Wachstum im Glauben, und deshalb bin ich grundsätzlich skeptisch, wenn im kirchlichen Rahmen Vorträge gehalten werden, in denen hauptsächlich Wissen referiert wird, sei es historisches, kulturelles oder auch exegetisches. Bei manchen Priestern zieht sich das bis in die sonntägliche Predigt hinein. Ich habe dabei oft den Verdacht, die Konzentration auf das Referieren von Wissen diene nicht zuletzt dazu, nicht über etwas so Heikles wie Glauben sprechen zu müssen; der jeweilige Redner kann sich auf den sicheren Boden der Fakten zurückziehen und bleibt davor bewahrt, sich irgendwie positionieren zu müssen -- oder gar seinen Zuhörern eine Positionierung abzuverlangen. 

Natürlich muss man bedenken, dass ich den Vortrag, den Diakon Richter an jenem Donnerstagnachmittag in der OASE gehalten hat, bis auf einige Satzfetzen gar nicht gehört habe; es ist also möglich, dass er erheblich besser war, als ich ihn mir vorstelle. Ich habe auch gar kein Interesse daran, den Diakon persönlich schlecht zu machen -- eher im Gegenteil. Der 2009 zum ständigen Diakon geweihte Christoph Richter ist schon seit fast sieben Jahren in der Pfarrei St. Willehad tätig, hat sein Amt dort also ungefähr gleichzeitig mit Pfarrer Torsten Jortzick angetreten, und nahezu alles, was ich während Pfarrer Jortzicks von allerlei Konflikten überschatteter Amtszeit und in der auf seine Absetzung folgenden Übergangsphase von und über Diakon Richter wahrgenommen oder mitgeteilt bekommen habe, hat mir den Eindruck vermittelt, dass er "ein Guter" ist. Und wenn ich mir einmal eine positive Meinung über jemanden gebildet habe, lasse ich mir die nur ungern wieder ausreden. Auch persönlich ist er jemand, den ich ganz gern sympathisch finden möchte, auch wenn er mir das in letzter Zeit nicht ganz leicht macht. Letzteres hat natürlich in erster Linie mit der demonstrativ desinteressierten Haltung zu tun, die er an den Tag legt, wenn meine Liebste und ich ihm mit irgendwelchen Ideen kommen, wie man das Gemeindeleben und/oder die Urlauberseelsorge mit einigen unkonventionell-punkigen und zugleich... wie soll ich sagen... "glaubensintensiveren" Elementen aufmotzen könnte. Dabei ist es durchaus nicht so, dass wir nur Ideen hätten und die Mühen der Umsetzung Anderen (wie z.B. eben dem Diakon) überlassen würden; wir würden das schon selber machen, gegen eine geringe Aufwandsentschädigung -- also beispielsweise gegen freie Kost und Logos in einem der Gästehäuser der Pfarrei. -- Nun gut, zugegeben: Für jemanden, der von seinem Bistum dafür bezahlt wird, "ganz normale" Gemeindepastoral zu machen, und das in einer bekanntermaßen nicht ganz einfachen Gemeinde (wobei: gibt es überhaupt "einfache" Gemeinden?), müssen Leute wie meine Liebste und ich wohl ziemlich anstrengend sein, von daher sollten wir diese Ablehnung wohl nicht persönlich nehmen. 

Wobei die wesentlich in Diakon Richters Aufgabenbereich fallende Urlauberseelsorge ja schon so etwas wie ein "pet peeve" von mir ist -- wie nennt man das eigentlich auf Deutsch? "Lieblingsärgernis"? Ich habe diesem Thema ja schon in der Vergangenheit den einen oder anderen Artikel gewidmet und könnte Vieles von dem, was ich damals geschrieben habe, hier und jetzt novh einmal wiederholen, aber muss ja nicht sein. Lies es selber nach, Leser! -- Dass die Urlauberseelsorge für die Pfarrei St. Willehad ein wichtiges Thema, ja geradezu ein Prestigeprojekt ist, kann nicht überraschen, besonders wenn man bedenkt, dass diese Pfarrei neben St. Benedikt Jever (mit der Filialkirche St. Marien in Schillig) und der ebenfalls nach St. Willehad benannten Kirchengemeinde auf der Insel Wangerooge die einzige Pfarrei im Bistum Münster ist, auf deren Territorium es einen Strand gibt (bzw. sogar mehrere Strände). Im kürzlich erwähnten Pastoralplan von St. Willehad bildet das Thema Urlauberseelsorge folgerichtig einen von sechs thematischen Hauptabschnitten; darin heißt es u.a.: 

"In den beiden Kirchenzelten wird kinder- und familienfreundlich die Botschaft Jesu verkündet. Hier ereignet sich in unkomplizierter Weise der Auftrag Jesu: 'Verkündet allen Völkern das Evangelium' (Mk 16,15)." 

Ach. Und wie genau macht ihr das? Mit Bastelbögen und den kleinen Leuten von Swabedoo 

Ohne Scheiß, Leser: Ehe ich die Materialienliste für die Teams der Urlauberkirche in Butjadingen zu Gesicht bekam, hätte ich nicht gedacht, dass es "Die kleinen Leute von Swabedoo" immer noch gibt -- will sagen: dass sie immer noch in der kirchlichen Kinderbespaßung (Katechese möchte ich das nicht nennen) zum Einsatz kommen. "Der kleine Prinz", ja, damit hatte ich gerechnet. Michael Endes "Momo"? Hätte ich in einem kirchlichen Kontext nicht unbedingt erwartet, ist davon abgesehen aber ein tolles Buch. Aber "Die kleinen Leute von Swabedoo"? Im Ernst? - Ja, im Ernst. Sie sind schlechthin nicht totzukriegen, und wenn sie nicht gestorben sind, dann tauschen sie noch heute Pelzchen miteinander. Vielleicht sollte mal jemand PETA informieren, oder vielleicht lieber doch nicht. 

Aber halten wir uns nicht mit Details auf, sondern wenden uns lieber der zentralen Tatsache zu, die sowohl das Urlauberseelsorge-Konzept des Bistums Münster als auch meine tiefe Unzufriedenheit damit auf den Punkt bringt: Dieses Konzept ist - was immer der Pastoralplan auch Gegenteiliges behaupten mag - nicht missionarisch und will es auch gar nicht sein. Als Zielgruppe kommen daher, von zufälligen Schnupperkontakten abgesehen, nur solche Urlauber in Frage, die von sich aus ein Interesse mitbringen, am Urlaubsort kirchliche Angebote zu nutzen, weil sie es so gewohnt sind. (Es erscheint in diesem Zusammenhang erwähnenswert, dass der typische Butjadingen-Urlauber, statistisch gesehen, aus dem Ruhrpott oder vom Niederrhein kommt und folglich mit hoher Wahrscheinlichkeit katholisch ist -- mit sehr viel höherer Wahrscheinlichkeit jedenfalls als die einheimische Bevölkerung.) Nun könnte man natürlich fragen: Wenn die Angebote der Urlauberseelsorge ohnehin nur von einem vergleichsweise kirchennahen Publikum in Anspruch genommen werden, warum sind diese Angebote dann in religiöser Hinsicht so substanzarm? -- Say it with me, Leser: Weil die Leut' es so gewohnt sind. Weil die kirchlichen Angebote bei ihnen zu Hause genauso aussehen. Wer heute Kinder im erstkommunfähigen Alter hat und selbst kirchlich sozialisiert wurde, der hat vor 25 oder 30 oder 35 Jahren selbst in der Kinderkirche die Geschichte von den kleinen Leuten von Swabedoo gehört und Mobiles gebastelt, und deshalb erwartet er genau das, wenn er kirchliche Kinderbetreuungsangebote in Anspruch nimmt. 

Und das betrifft nicht nur Angebote für Kinder. Es mag widersinnig klingen und ist es eigentlich auch, wird mir aber immer klarer, je länger und intensiver ich mich mit solchen Fragen befasse: Das System Volkskirche, oder genauer gesagt: Die ehemalige Volkskirche in ihrem Transformationsprozess zur Dienstleistungskirche ist auf ein Zielpublikum ausgerichtet, das nicht besonders religiös ist und sich auch nicht besonders für Religion interessiert; und wer in diesem System sozialisiert wird, der wird geradezu darauf konditioniert, Religion als uninteressant, unverständlich und ein bisschen peinlich wahrzunehmen. Es ist ein sich selbst erhaltendes Paradox -- wobei "sich selbst erhaltend" wohl nicht ganz stimmt, denn allmählich (wenn auch sehr viel langsamer, als man eigentlich annehmen sollte!) geht diesem Kirchenmodell wohl doch der Nachwuchs aus. 

Wir jedenfalls kamen während unseres Aufenthalts in Butjadingen gar nicht in die Verlegenheit, irgendwelche Angebote der Urlauberkirche zu nutzen: Es war noch zu früh im Jahr. Aus oben angedeuteten Gründen konzentriert sich das Angebot weitgehend auf den Zeitraum, in dem in Nordrhein-Westfalen Sommerferien sind. Wie man den Pfarrnachrichten von St. Willehad entnehmen konnte, war zwar am Fronleichnamswochenende eine Familie Fischer Emsdetten auf dem Campingplatz in Tossens und bot "im Rahmen der Urlauberkirche ein kleines Bastelangebot 'to-go'" an - "mehrere kleine Bastelsets zum Mitnehmen [...], die kostenfrei für Kurzweile im Campingwagen sorgen sollen"; aber das Fronleichnamswochenende war schon vorbei, als wir in Butjadingen ankamen, und langweilig war uns im Übrigen sowieso nicht. 

Hingegen waren wir während unseres Urlaubs zweimal in der Heiligen Messe: Freitag und Samstag. Und da gab es durchaus einige Überraschungen. Davon berichte ich aber im dritten und letzten Teil dieser kleinen Serie! 


3 Kommentare:

  1. Über die Kleinen Leute von Swabedoo sind wir uns einig (Ausbund an verlogenem Kitsch, literarisch dürftig, hat mit Kirche, Glauben und Gottesverehrung nichts zu tun).
    Zu dem Vortrag über liturgische Farben wäre ich gegangen. Kann sein, daß ich mich gelangweilt hätte. Kann aber auch sein, daß mir Geschichte der "Liturgischen Farbordnung" und Glaubenshintergrund jeder einzelnen liturgischen Farbe besser erklärt worden wäre, als ich ihn weiß (also besser als "irgendwie ungefähr"). Vorträge im kirchlichen Rahmen finde ich generell gut - gerade weil man da eine sehr klare und haltbare Brücke zwischen Wissen und Glauben schlagen kann. Viel zu viele Menschen wissen nämlich nicht, was sie glauben und warum.

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  2. Ich habe dann übrigens die "Kleinen Leute von Swabedoo" nochmal gelesen. Aus der Kindheit, jaja, Ministrantenfreizeiten and so forth, hatte ich den nämlich als gar nicht so schlimm in Erinnerung. Ich hatte es für nichts weiter als eine banale und etwas peinliche Moralpredigt zugunsten eines überbetonten Gutes („mal n bissel nett zueinander sein und das auch zeigen“), das bisweilen auch Versuchung zu Bösem ist (wenn man deswegen sich vor notwendigen harten Dingen, die es manchmal gibt, unterdrückt) und deswegen – gut, *so* detailliert wußte ich es als kleiner Bub noch nicht :D – bei den Rechtgläubigen manchmal in Verruf ist, *immerhin* aber entgegen den besagten anderslautenden Gerüchten tatsächlich ein gar nicht mal so unwichtiges Gut *ist*.

    So, wie gesagt (es klingt ja auch schon recht despektierlich), hatte ich es in Erinnerung. Aber es ist schlimmer. Denn selbst so stimmt es hinten und vorne nicht. Warum? (Wenn jemand mein kleiner Verriß interessiert. Wer nicht, braucht ihn nicht lesen.)

    Nun, diese kleinen Leute von Swabedoo (genannt „Swabedoodahs“, was an einen Oscar-prämierten Song aus einem politisch nicht mehr korrekten Film denken läßt) haben also diese flauschigen Pelzchen und tauschen die fröhlich aus und freuen sich dann alle darüber, wie flauschig die sind. Cool. Nach Monaten waren die dann sicherlich immer noch genauso begeistert wie am Anfang. Wenn im Jugendfußball (vor etlichen Jahren war das tatsächlich üblich) alle Spieler sich am Ende im Mittelkreis versammeln, um „ein Hoch auf die deutsche Sportskameradschaft: zickezackezickezackehoihoihoi“ zu rufen, dann sind die ja schließlich auch alle auch bei ihrem hundertsten Pflichtspiel noch sehr vaterländisch aufgelegt, klar, nee? Aber gut, das erkennt zwar auch das kleine Kind, dass das Unsinn ist, aber auch das kleine Kind kann schon seinen Disbelief suspendieren und das als die Metapher verstehen, als die es gemeint ist.

    Es tritt dann auf der Kobold. Und zugleich tritt ein Mega-Fail des Erzählers auf, denn er läßt seinen bösen Kobold (hinschauen!) *Recht* haben. Wenn er den Leuten verzählt, daß ihnen ihre Pelzchen irgendwann mal ausgehen könnten, verzählt er nämlich nur etwas, das nun einmal an und für sich stimmt; das aber kann natürlich nur aus Grausamkeit geschehen. Das ganze Glück unserer Swabedoodahs hat also davon abgehangen, daß sie ein bißchen blöd sind und sich über eine bestimmte Tatsache keine Gedanken gemacht haben, die *tatsächlich eine Tatsache ist*. Dann hat es freilich eine gewisse Logik, daß die Aufklärung über dieselbe wie Landfriedensbruch geschildert wird. (Daß der Erzähler das „belügen“ nennt, zeigt, daß er selber ein bißchen blöd ist. Auch in der Logik der Geschichte lügt er nicht; seine böswillige Propaganda betreibt er durch selektive Wahrheit - so etwas gibt es.) – Und offenkundig sehnen sich unsere Swabedidoodahs (so klingt der Name besser, nicht?) dermaßen innig danach, endlich nicht mehr lieb sein zu müssen, daß sie innerhalb von drei Tagen ganz nach der Pfeife des Kobolds tanzen.

    (Während das, was metaphorisch gemeint ist, *tatsächlich* im wesentlichen unerschöpflich ist. Die Pelzchen in der Geschichte aber nunmal nicht.)

    (wird fortgesetzt)

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  3. 2. Teil

    So, und dann kommt der größte Fail von allen: Dem Kobold tut’s nämlich jetzt das ganze leid, und er nimmt sich einen Haufen Steine, die ihm wirklich kostbar sind, und verschenkt diese. Ein Autor, der sein Handwerk verstünde, *müßte* das als, mag ja sein unbemerkte, Mega-Bekehrung aufbauen, wie es in der (vermutlich) Vorlage „How the Grinch stole Christmas“ geschieht (und selbst hat Dr. Seuss schwer damit gekämpft, nicht in Kitsch zu verfallen). Da geht unser Autor aber komplett daran vorbei; der Kobold ist halt der Kobold, niemand kann aus seiner Art (oder sollte ich sagen "Rasse" - s. u.) heraus, er kann’s einfach nicht, und seine Steinchen schaden im wesentlichen. Und warum? Drücken Sie nicht auch Liebe und Freundlichkeit aus? Schon, schon; aber sie sind nicht so *weich*. Das ist der entscheidende Unterschied: sie sind nicht so *weich*.

    Wenn man weiß, in welchem Kontext das aufgekommen ist („altes irisches Volksmärchen“ – von wegen; nicht einmal die englische Wikipedia kennt’s) und dann noch weiß, was der Lateiner meint, wenn er „mollities“ sagt, dann möchte man genaugenommen *richtig* kotzen. Und davon mal ganz abgesehen, man hat ja eine gesunde Abneigung dagegen, auch nur gedanklich die Kniffe der Cancel culture anzuwenden: aber daß heißt nicht, daß es so Dinge wie Kryptoantisemitismus und Dogwhistling *gar* nicht gibt; und wenn man einmal die Möglichkeit in der Theorie zugegeben hat, daß es eine kryptoantisemitische Dogwhistle ausnahmsweise auch einmal tatsächlich geben könnte, kann man die Kleinen Leute von Swabedoo dann noch anders lesen?

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