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Montag, 4. März 2019

Die KLJB bittet zu Tisch

Es gibt so Momente, da merke ich, dass ich mich erst noch daran gewöhnen muss, mich wie ein Profi zu verhalten. Zum Beispiel neulich, als ich das Werkheft "Gut genährt?!" der Katholischen Landjugendbewegung Bayerns für Geld bestellte -- und mich erst hinterher fragte, wieso ich nicht einfach ein Rezensionsexemplar angefordert hatte. Na ja, was soll's: 9 € plus Versand, futschikato. Nächstes Mal bin ich hoffentlich schlauer. 


Aufmerksam geworden war ich auf dieses Heft durch einen auf Twitter von mehreren Accounts, denen ich "folge", verlinkten Bericht des Bayerischen Rundfunks mit dem Titel "Wie junge Katholiken über nachhaltiges Essen nachdenken". Die Katholische Landjugendbewegung (KLJB), soviel sei vorab verraten, ist ein deutschlandweit rund 70.000 Mitglieder zählender Verband für junge Katholiken in ländlichen Gegenden unter dem Dach des BDKJ (ächz), wobei der bayerische Landesverband die Besonderheit aufweist, dass er gleichzeitig auch ein anerkannter Jugendverband im Bayerischen Bauernverband ist. Themen aus dem Bereich Landwirtschaft und Ernährung aus einer katholischen Perspektive zu betrachten, gehört somit geradezu zur job description dieser Organisation – das müssten auch diejenigen konservativen Christen akzeptieren können, die ansonsten gern die Nase rümpfen, wenn "die Kirche" sich zu sehr mit "Öko-Kram" befasst. Zu denen gehöre ich aber ja sowieso nicht -- schließlich habe ich auf diesem Blog schon mehrfach über Urban Gardening-Projekte, Insektenrettung und ähnliche Themen geschrieben, unterstütze die Initiative Foodsharing und züchte meinen eigenen Sauerteig. Kurz und gut, ich bin durchaus der Meinung, dass ein verantwortungsvoller und respektvoller Umgang mit Gottes Schöpfung für Christen ein wichtiges Thema sein sollte -- heute vielleicht mehr denn je.

Insofern war ich durchaus "positiv gespannt", was das Werkheft der KLJB Bayern wohl so an Impulsen zu diesen Themen zu bieten haben würde. Aber um gleich mal ein bisschen die Spannung rauszunehmen: Der Gesamteindruck ist eher ärgerlich. Das beginnt schon damit, dass - obwohl, soweit es dem Anhang zu entnehmen ist, fast alle Mitarbeiter an diesem Heft über 20 Jahre alt sind - ein beträchtlicher Teil der Texte vom inhaltlichen wie auch vom sprachlichen Niveau her eher an Schulaufsätze der Sekundarstufe I erinnert. Kostprobe gefällig?
"Im Mittelalter wurden Landwirte unfrei, sie lebten und arbeiteten in der Nähe von Klöstern und Burgen. Die Ernte mussten die Bauern mit der Kirche und dem Adel teilen und ihren 'Zehent', den zehnten Teil, abgeben. [...] Der Ausspruch 'Stadtluft macht frei' stammt aus dieser Zeit, denn die Bewohner der Städte zählten zu den freien Bürgern. Diese freien Bürger in den Städten unterlagen nicht mehr dem Herrschaftsanspruch eines Adeligen." (S. 8) 
Oder: 
"Auch Religion spielt eine Rolle bei der Form der Ernährung. So zum Beispiel im Hinduismus. Viele Hindus sind Vegetarier. Sie glauben an die Wiedergeburt. Diese besagt, dass die Seele eines Menschen auch in einem Tier wiedergeboren werden kann. Gerade Rindfleisch ist für jeden Hindu verboten, denn Kühe gelten als heilige Tiere." (S. 12)
Zum Teil führt diese Unbedarftheit auch zu schlichtweg falschen oder jedenfalls irreführenden Aussagen -- zum Beispiel, wenn es im Zusammenhang mit den Unterschieden zwischen vegetarischer und veganer Ernährung heißt: 
"Für Milch oder Eier werden zwar keine Tiere getötet, dennoch werden Legehennen oder Milchkühe aus der Sicht von Veganern nicht artgerecht gehalten und hier steht der Tierschutz an erster Stelle." (S. 13)
-- Ach was: Für Milch oder Eier werden keine Tiere getötet? Auch wenn man weiß bzw. ahnt, wie die Formulierung gemeint ist: Das trifft vielleicht zu, wenn man - wie es noch vor ca. zwei Generationen auch hierzulande in ländlichen Gegenden nicht unüblich war - in seinem Garten eine Kuh und ein paar Hühner für den Eigenbedarf hält, aber in größerem Maßstab kann man keine Viehwirtschaft betreiben, ohne Tiere zu töten. Vor allem männliche Tiere. Sogar Charlotte Roche weiß das.

Einige der Beiträge kommen in Interview-Form daher, und auch das liest sich streckenweise so, als hätte man die Streberinnen aus der 10. Klasse mit einem vorgefertigten Fragenkatalog losgeschickt, den sie beflissen, aber unreflektiert abarbeiten. Fragen wie "Gibt es eine Nachfrage nach Bioprodukten in Tansania?" (S. 44) vermitteln dem geneigten Leser eindringlich die Bedeutung des angloamerikanischen Ausdrucks "cringe-worthy"

Ein weiterer Kritikpunkt wäre, dass die inhaltliche Abgrenzung zwischen den ersten drei (von vier) Hauptabschnitten - "Mehrwert - Nährwert" (S. 9-36), "Kritisch konsumiert" (S. 37-62) und "Nahrung nachgedacht" (S. 63-86) - nicht ganz plausibel erscheint. Damit meine ich, es wird nicht so richtig klar, nach welchen Kriterien die einzelnen Beiträge einem dieser Abschnitte zugeordnet werden und nicht einem anderen. Aber sei's drum. Im Abschnitt "Mehrwert - Nährwert" erfährt man zunächst allerlei Grundlegendes über Nährstoffgruppen, Lebensmittelzusatzstoffe, aber auch über "Ernährungstrends" (Vegetarismus, Veganismus, Paleo, "Clean Eating", "Low Carb"...), wobei gerade der letztgenannte Beitrag geradezu aufreizend oberflächlich und unkritisch daherkommt und, wie schon erwähnt, zum Teil fehlerhafte Informationen enthält. Flankiert wird er durch persönliche Statements, in denen einige KLJB-Funktionärinnen ihre individuellen Ernährungsgrundsätze darlegen. Dabei kommen eine Veganerin, eine Vegetarierin und eine Fleischesserin zu Wort, und erwartungsgemäß nervt die Veganerin am dollsten. "Ich lebe seit mittlerweile fast 8 Jahren vegan", verrät sie. "Meine Gründe dafür? Empathie. Und zwar für alles Lebende. Egal ob Spinne, Grashalm, Hund, Schwein." Tja, weißte was? Drei von diesen vier esse ich auch nicht. Zumindest nicht wissentlich und absichtlich. Im Übrigen möge man mir verzeihen, dass ich der Dame ihre Empathie für den Grashalm nicht so ganz abkaufe. Oder anders gesagt, die Erfahrung zeigt, dass Leute, die gern ihre Empathie für die Pflanzen- und Tierwelt betonen, sich mit der Empathie gegenüber anderen Menschen oft eher schwer tun. Aber weiter: "Alles um uns herum lebt und möchte am Leben bleiben. Und damit beginnt die Herausforderung, denn ohne Töten gibt es kein Leben. Auch Pflanzen kommunizieren untereinander oder warnen sich vor Fressfeinden. Wen nun also für das eigene Überleben essen und wen nicht?" (S. 16) 

Tja, wen? Die Vegetarierin schlägt ganz ähnliche Töne an: 
"Als Kind hat es damit angefangen, dass mir die Tiere so leidgetan haben. Ich wollte nicht, dass sie für mich sterben. Und das ist immer noch eine ethische Frage die mich beschäftigt: Darf ich ein Tier töten, um es zu essen, obwohl das nicht sein müsste? Hinzu kommt, dass die Massentierhaltung mit ihren Auswüchsen für mich absolutes menschliches Versagen darstellt. Die ökologischen Folgen des Fleischkonsums spielen für mich ebenfalls eine Rolle." (S. 17) 
Brav. Man muss gestehen, dass die Argumentation der Fleischesserin demgegenüber nicht unbedingt überzeugender wirkt: 
"Immerhin lebt das Tier, wenn man es genau betrachtet, nur deswegen, weil es den Konsumenten gibt. Welcher Landwirt würde sich schon einfach nur so Kühe in den Stall stellen, wenn er sie nicht melken oder später schlachten lassen würde? Durch einen veganen Lebensstil nehmen wir also den meisten Nutztieren das Existenzrecht. Konsequent durchdacht würden die meisten so gar nicht leben." (S. 19) 
Es muss an dieser Stelle noch einmal daran erinnert werden, dass die Verfasserin dieser Zeilen deutlich älter als vierzehn Jahre ist. -- Noch erheblich problematischer als solche unausgegorenen "Argumente” erscheint mir aber der subjektivistische und emotivistische Gesamtduktus dieser Beiträge. Ich sehe das so, für mich ist X gleich Y. "Gerade beim Schreiben dieses Artikels verschwindet ein Schokoriegel in meinem Mund. Natürlich ist er fairtrade." (S. 19) Es entsteht der Eindruck, jeder Einzelne definiere seine ethischen Maßstäbe für sich selbst, und darauf, was für welche das sind, käme es letztlich nicht an -- Hauptsache, man hat überhaupt welche und steht dazu. Sie müssen nicht einmal in sich konsistent und rational plausibel sein. "Da ich mit dem Import und Austausch von Lebensmitteln an sich aber kein Problem habe, ist es deshalb für mich in Ordnung, wenn meine Mango aus Lateinamerika kommt", meint etwa die Veganerin (S. 17). So wird letztlich einem ausgesprochen unkatholischen Relativismus Vorschub geleistet. 

Erst sehr viel später, nämlich auf S. 57-62 und somit bereits in Abschnitt 2, wird unter der Überschrift "Tiere essen?" die katholisch-moraltheologische Position zur Frage des Fleischverzehrs beleuchtet, in Form eines Interviews mit dem Diplomtheologen Richard Mathieu. Dieser unternimmt es, zunächst das Konzept des sogenannten Präferenzutilitarismus zu erläutern und dann die lehramtliche Position der katholischen Kirche dagegenzusetzen. Das macht er durchaus fundiert und differenziert, nicht umsonst ist dieser Beitrag mit sechs Seiten einer der umfangreichsten des Bandes. Der Mehrwert der Interviewform erschließt sich hier indes nicht so recht: Im Grunde lässt sich die Kommentarebene, die durch die betont unbedarften Interviewfragen erzeugt wird, in der Aussage "Uiuiui, der Herr Professor benutzt aber schwierige Wörter!" zusammenfassen. 

Aber das war jetzt natürlich ein Vorgriff gegenüber der Reihenfolge der Einzelbeiträge dieses "Werkhefts". Erstmals wirklich interessant wird es auf Seite 32ff., denn hier stellt Julia Mederle das Münchner Kartoffelkombinat vor -- "eine kleine Ansammlung an Münchner Familien", die sich vorgenommen haben, "etwas [zu] verändern und [ihre] Versorgung selbst in die Hand [zu] nehmen": 
"Gemüse regional und saisonal anbauen, mit fairen Bedingungen für Mitarbeiter und Partner und einer gemeinwohlorientierten Struktur. Dafür haben wir 2012 das genossenschaftlich organisierte Kartoffelkombinat gegründet." (S. 33) 
Seit 2017 betreibt das Kartoffelkombinat "einen eigenen Gemüsebaubetrieb (Gewächshaus und Freiland)" im Umland von München. 
"Dort bauen wir über 50 verschiedene Gemüsekulturen an, diese teilweise sogar in mehreren Sorten. Damit decken wir 70% unseres Bedarfs, der Rest kommt weiterhin von unseren Partnern aus der Region." (ebd.) 
Lesenswert ist auch, was Julia Mederle über die Motivation hinter ihrem Engagement verrät: 
"Mehr als die Hälfte unserer Lebensmittel wächst in anderen Ländern. Auf einer Fläche die doppelt so groß ist wie die Bundesrepublik! Und das, obwohl wir hervorragende Anbaubedingungen haben und uns theoretisch fast ausschließlich aus heimischer Erzeugung ernähren könnten. Doch auf unseren Äckern und Feldern wachsen zum Großteil Futtermittel und 'Energiepflanzen' in Monokultur. Futtermittel für eine extensive Massentierhaltung [...]. Und weil dafür nicht einmal die riesigen Flächen ausreichen, importiert Deutschland jedes Jahr 4,5 Millionen Tonnen Futtersoja. Für diese Gentechnik-Monokulturen werden in Lateinamerika indigene Völker enteignet und riesige Flächen Regenwald vernichtet. 
Mit der Zerstörung der landwirtschaftlichen Vielfalt erleben wir einen Verlust der Artenvielfalt nie dagewesenen Ausmaßes. Mehr als drei Viertel der Insekten sind verschwunden, ein Drittel der heimischen Vögel ist bedroht und neun Prozent der Böden sind degradiert, weil mit den Monokulturen der Einsatz von Pestiziden und Herbiziden wächst. 
Die Industrialisierung der Landwirtschaft (sog. Grüne Revolution) in den 60er-Jahren führte darüber hinaus zu einem drastischen Verlust der Saatgut-Vielfalt. So wurden z.b. im Jahr 1903 offiziell 408 kommerzielle Tomatensorten gelistet. 80 Jahre später sind davon noch 79 Sorten übrig. Das entspricht einem Verlust von 80 Prozent." (S. 32f.) 
Auf S. 35f. stellt Marie Pugatschow die "Slow Food"-Bewegung vor. Sympathisch wirkt dieser Beitrag insbesondere dadurch, dass das Anliegen von "Slow Food" - sehr im Unterschied zu der angestrengten Miesepetrigkeit, durch die manche anderen Initiativen für politisch korrekte Ernährung sich auszeichnen - als betont genussorientiert beschrieben wird: 
"Wir setzen uns dafür ein, dass alte bedrohte Tier- und Pflanzenarten nicht aussterben, indem wir auf diese aufmerksam machen und mit ihnen leckere Gerichte kochen. [...] [W]ir haben Lust auf echtes Essen, zum Beispiel auf Brot, das frisch und duftend aus dem Ofen kommt, hergestellt aus einem Teig, in dem über viele Stunden gute Bakterien fleißig waren, sodass das Backwerk auch nach drei Tagen noch fantastisch schmeckt." (S. 35) 
Der Abschnitt "Kritisch konsumiert" versorgt den geneigten Leser zunächst mit allerlei Fakten, Daten und Zahlen zu Themen wie  "Ernährungssouveränität" (S. 38f.), "Ernährung und Klima" (S. 40ff.), Landraub ("Landgrabbing", S. 50) und Pestizide (S. 53). Im Beitrag zum Thema "Ernährung und Klima" kommt auch das Thema Lebensmittelverschwendung zur Sprache: 
"11 Mio. t Lebensmittel werden jährlich in Deutschland weggeworfen, davon 6,7 Mio. t in Privathaushalten [...] - neben dem moralischen Skandal bedeutet das auch eine massive Ressourcenverschwendung und Klimabelastung bei deren Herstellung." (S. 41) 
Die Formulierung ("neben") erscheint mir allerdings etwas sonderbar: Worin besteht denn der "moralische Skandal", wenn nicht in den sozialen und ökologischen Folgen der Lebensmittelüberproduktion und -vernichtung? Geht es nur darum, dass "man so etwas nicht tut""Moral, Woyzeck, das ist, wenn man moralisch ist"

Etwas unfreiwillig komisch kommt ein Beitrag einer Diplombiologin und ehemaligen KLJB-Referentin daher, die seit 2017 für ein Projekt im spanischen Baskenland tätig ist und über den unterschiedlichen Umgang mit dem Thema Ernährung in Spanien und in Deutschland berichtet. "Essen in Deutschland scheint mir entweder eine pragmatische oder politische Angelegenheit", schreibt sie. "In Spanien scheint mir das Essen eher ein Hobby, eine soziale Beschäftigung zu sein, welche sehr genossen wird" (S. 45). Ihr Fazit: "Sich gegenseitig zu einem genuss- und gleichzeitig verantwortungsvollen Umgang mit Lebensmitteln zu inspirieren, ist für mich fundamental, um unsere Ernährung zukunftsfähig zu machen." (S. 47) Schnarch. 

Auf S. 55f. wird das Projekt "Weltacker" vorgestellt: 
"Unser Projekt folgt einer einfachen Idee: Teilt man die globale Ackerfläche (ca. 1,5 Mrd. Hektar) durch die Anzahl aller Erdenbürger*innen (7,5 Mrd.), ergibt das ca. 2000 m² Ackerfläche pro Nase. Alles, was wir an Lebensmitteln vertilgen und was nicht aus dem Meer [...], dem Wald [...] oder von der Weide [...] stammt, muss auf diesen 2000 m² wachsen: Lebensmittel, Futter für Tiere, Fasern für Kleidung und Öl-Pflanzen für Biosprit." 
Das Gender-Sternchen bei "Erdenbürger*innen" ist übrigens, wenn ich mich nicht irre, das erste und einzige im ganzen Heft, allerdings war auf S. 35 bereits einmal der Ausdruck "Studierende" gefallen. Auf so etwas reagiere ich ziemlich sensibel, schließlich bin ich unter anderem auch ein bisschen Sprachwissenschaftler. Sprache strukturiert das Denken, daher sollte man sich nach Kräften hüten, den Sprachgebrauch des Feindes zu übernehmen. Nun ist das "Weltacker"-Projekt allerdings wohl keine dezidiert christliche Initiative; Kartoffelkombinat und Slow Food Youth wohl auch nicht, aber das heißt ja nicht, dass es nicht trotzdem interessant sein kann, was die so machen. Worum geht's also konkret beim "Weltacker"
"Auf unserem realen Weltacker im Botanischen Volkspark Blankenfelde-Pankow haben wir die 2000 m² so bepflanzt, wie die weltweite Fläche bewirtschaftet wird. Wir wollen aufzeigen, dass jede Mahlzeit, jedes T-Shirt und jeder Kilometer Biosprit einen Ursprung auf dem Acker hat, an einem jeweils einzigartigen Ort. 
Zudem sensibilisiert der Weltacker für die globalen Strukturen der Welternährung und die Probleme in der Landwirtschaft. Wir wollen zeigen: Es ist genug für alle da!" (S. 55)
Ach, im Botanischen Volkspark Blankenfelde-Pankow ist das? Das ist ja gar nicht weit weg von "da wo ich wohne". Okay, wirklich nah ist es auch nicht, aber immerhin kommt man in gut einer halben Stunde Fahrzeit mit dem Bus hin, ohne Umsteigen. Wäre also durchaus mal ein Ziel für einen kleinen Familienausflug. 

Abschnitt 3, "Nahrung nachgedacht", enthält diverse Tipps zu Themen wie Einkochen, Lagerung und Einkaufsplanung, Hauswirtschaft, Abfallvermeidung; das ist alles nicht doof, aber auch nicht unbedingt sensationell. Gleich zu Beginn des Abschnitts , auf S. 64, findet sich ein kurzer "Zwischenruf der ersten stellvertretenden Landesbäuerin Christine Singer" zum Thema "Gemeinsam essen ist eine Bereicherung"
"[G]emeinsames Essen soll auch ein Genusserlebnis für die ganze Familie sein. Zudem stärkt gemeinsames Essen das Miteinander. [...] Wir verbringen Zeit miteinander -- das Wertvollste, was wir uns als Familienmitglieder schenken können." (S. 64) 
Man könnte das für etwas banal halten, aber möglicherweise ist es das gar nicht. In seinem Buch "Bowling Alone" aus dem Jahr 2001 stellte der US-amerikanische Soziologe Robert D. Putnam fest, dass der Anteil seiner Landsleute, die regelmäßig im Kreise der Familie zu Abend essen, seit 1975 um ein Drittel zurückgegangen sei. Ich könnte mir durchaus vorstellen, dass die Entwicklung hierzulande in eine ähnliche Richtung geht, und wenn die stellvertretende Landesbayerin, äh, -bäuerin Bayerns dafür plädiert, diesem Trend entgegenzuwirken, bin ich da ganz auf ihrer Seite. 

Der interessanteste Beitrag des dritten Abschnitts trägt die Überschrift "Einfach ein GUTES LEBEN?!" (S. 76ff.); darin schildert Bio-Bauer Markus Bogner die "Verwirklichung [s]eines Lebenswunsches". Bogner betreibt gemeinsam mit seiner Frau einen Biobauernhof mit Hofladen und Hofcafé und beschreibt sein Idealbild vom "Guten Leben" mit dem Modell "eines simplen Dreiecks": 
"Die drei Ecken heißen Ökologie, Ökonomie und Soziales. Die Ökologie ist in unserem Fall der Hof, unsere Pflanzen, unsere Tiere. Ökonomie, verstanden als Geld Verdienen, ist bei uns unser Hofladen und unser Café. Und Soziales, das bin ich, das ist meine Familie, mein ganzes soziales Umfeld. Das GUTE LEBEN ist immer dann erreicht, wenn sich mein Lebensmittelpunkt exakt in der Mitte dieses Dreiecks befindet." (S. 78) 
Wozu ich anmerken muss: Was mir in diesem Modell fehlt, und zwar ganz entschieden, ist die spirituelle Seite. Wobei ich mit dem Begriff "Spiritualität" eigentlich ein bisschen fremdle, und im hier angesprochenen Kontext erst recht, da mir bewusst ist, dass relativ viele Leute, die so einen Öko-Hippie-Aussteiger-Lebensstil praktizieren oder anstreben, bei der "spirituellen" Seite dieses Lebensentwurfs in erster Linie an Schamanismus, Anthroposophie oder irgendwas Fernöstliches denken. Dass bei Bogner jedoch gar nichts in dieser Richtung anklingt, finde ich dann doch etwas enttäuschend. -- Aber wie dem auch sei, immerhin hat der Beitrag bei mir genug Interesse geweckt, dass ich daraufhin ermittelt habe, dass es von dem Autor auch ein Buch gibt -- "Selbst denken, selbst machen, selbst versorgen" (erschienen 2016). Könnte sein, dass ich mir das besorgen muss. 

Ganze 51 der insgesamt 144 Seiten des Werkhefts nimmt der Praxisteil ein, was ja im Prinzip durchaus begrüßenswert ist. Hier finden sich Rezepte z.B. zur eigenen Herstellung von Quark, Mozzarella und sogar Gummibärchen (!!) sowie zum Einkochen von Tomatensoße neben Anleitungen für thematische Gruppenstunden bzw. Workshops, Spiele und dergleichen, darunter auch eine Seite zum Thema "Gestalterisches Drucken", wo es allen Ernstes heißt, "Kartoffel- bzw. Apfeldruck" sei "eine fragwürdige Art und Weise mit Lebensmittel [sic] umzugehen" und man solle daher lieber den "Strunk eines Mangolds" oder "einer Gelben Rübe" verwenden (S. 89). 

Im letzten Drittel des Praxisteils, ab S. 121, wird es dann religiös. "Na endlich!" wird da mancher angesichts des Umstands, dass es sich schließlich um eine Publikation eines katholischen Jugendverbands handelt, ausrufen. Aber weit gefehlt: Angesichts der nun folgenden Gestaltungsvorschläge für Andachten und Gottesdienste wünscht man sich bald, die Macher des Hefts hätten vom Thema Religion die Finger gelassen. Es ist sogar noch schlechter, als ich es erwartet hätte, und das will schon eine ganze Menge heißen. Ich will den Gesamteindruck, den diese Gestaltungsvorschläge bei mir hinterlassen haben, mal wie folgt zusammenfassen: 

DIE 70er JAHRE HABEN ANGERUFEN, SIE WOLLEN IHRE KLANGSCHALE ZURÜCK! 

Und nicht nur die Klangschale, die auf S. 126 zum Einsatz kommt, sondern auch die ausgelutschten NGL-Schlager und überhaupt den ganzen larmoyanten Sprachstil der "Neuen Innerlichkeit" -- jenen "Jargon der Betroffenheit", den auch Erik Flügge in seinem gleichnamigen Bestseller zu Recht anprangert: 
"Herr Jesus Christus. 
Wir haben viele Sehnsüchte. 
Lassen wir uns von deiner frohen Botschaft erfüllen?" (S. 129) 
Oder: 
"Jesus will in unsere Dunkelheit treten. Er zeigt uns immer wieder ein Licht. Wir wollen uns um sein Licht versammeln und es in unserer Runde verteilen." (S. 126) 
Oder gar: 
"Segne uns mit dem Duft des Backens; [...] 
Dass auch wir die Welt mit deinem Friedensduft erfüllen. [...] 
Damit aus diesen Minibroten -- Brote mit Maxihilfe werden." (S.122) 
Ich denke mir den Scheiß nicht aus!! -- Auf S. 123-127 findet sich ein Entwurf für eine "Agape"-Feier, die in ihrer quasi-liturgischen Gestaltung anmutet wie die Imitation einer Eucharistiefeier, mit dem Unterschied, dass "[j]eder, der sich etwas mit dem Thema auseinandergesetzt hat, [...] der Agape vorstehen" können soll und dass statt Wein auch Traubensaft oder Limonade (!) zum Einsatz kommen kann (S. 124). 
"Herr, wie dieser Wein/Saft aus vielen Trauben 
eins wurde und uns Menschen Freude bereitet" (S. 127) -- 
No Way, Babys. Da kann der Verfasser dieses Beitrags meinetwegen hundermal Diözesanlandjugendseelsorger im Bistum Passau sein -- DAS geht GAR NICHT. 

Ganz zum Schluss (S. 134-137) gibt's noch einen Entwurf für einen thematischen Jugendgottesdienst unter dem Motto "Zu gut für die Tonne", der - nach der liturgischen Eröffnung - mit einem Anspiel beginnen soll. Vorangestellt ist der Ablaufskizze eine Materialliste, die wie folgt beginnt: 
  • Liederbücher 
  • Leere saubere Mülltonne 
--- und da packt man am besten diese ganzen Gestaltungsvorschläge rein und stellt sie vor oder, noch besser, hinter die Kirche. 

Was für ein Gesamtfazit sollen wir nun aus alledem ziehen? Ich würde sagen, im Großen und Ganzen ist dieses Werkheft eine verpasste Chance. Es krankt an der sehr durchwachsenen Qualität der einzelnen Beiträge, von denen selbst die guten immer noch ein bisschen weniger gut sind, als man sich das wünschen würde. Positiv zu vermerken ist, dass einige Beiträge dem interessierten Leser Anstöße und Hinweise liefern, einzelne thematische Aspekte auf eigene Faust weiter zu vertiefen, und wahrscheinlich sollte man damit schon ganz zufrieden sein. Auch einige der Rezepte aus dem Praxisteil werde ich sicherlich gern mal ausprobieren. Was mir aber - mit der alleinigen Ausnahme des Interviews mit dem Moraltheologen Richard Mathieu - völlig fehlt, ist ein dezidiert christlicher oder gar spezifisch katholischer Blick auf die behandelten sozialen und ökologischen Themenfelder, der idealerweise auch deutlich gemacht hätte, inwieweit christliche Positionen zu Landwirtschaft, Umweltschutz und Ernährung sich etwa von denen der säkularen Linken unterscheiden. Das, finde ich, sollte man von einer Publikation eines katholischen Verbandes eigentlich erwarten dürfen. 

Aber andererseits handelt es sich eben um eine Untergliederung des BDKJ. Achselzuck. 

P.S.: Kürzlich habe ich angefangen, "Crunchy Cons" von Rod Dreher zu lesen -- das Buch, das er VOR der "Benedikt-Option" geschrieben hat. In Teilaspekten weist es schon sehr deutlich auf die #BenOp voraus, setzt aber andere Schwerpunkte. Bereits in den ersten Kapiteln zeichnet sich ab, dass Ökologie und Ernährung im weiteren Verlauf des Buches noch eine gewichtige Rolle spielen werden. Darauf wird also zurückzukommen sein! 



1 Kommentar:

  1. "Da ich mit dem Import und Austausch von Lebensmitteln an sich aber kein Problem habe, ist es deshalb für mich in Ordnung, wenn meine Mango aus Lateinamerika kommt"

    Herr lass Hirn regnen! Hat man der guten Frau gesteckt, dass Mango aus Lateinamerika nicht von selbst den Weg in unsere Heimat findet? Mango wird unter unpflanzlichen Zuständen in den Frachtraum der Container gepfercht um dann, von mit schwerem Öl angetriebenen Schiffen über den Ozean gekarrt zu werden und verreckt dann hier in der Mehrzahl in den Containern der Supermärkte, weil die Veganerin (warum sind das eigentlich in der Broschüre alles Frauen?), doch lieber zur Pflaume aus Spanien greift, obwohl die auch auf heimischen Bäumen wachsen, zugegeben nur im Spätsommer.

    "Alles um uns herum lebt und möchte am Leben bleiben."

    Ach nee, is dat so? Eigentlich stirbt um uns alles herum, mal langsam mal schneller. Selbst jeder Grashalm teilt das Schicksal der "Nochlebenden" es sei denn er ist aus Kunststoff, den gibt es auch schon in den Bau-und Supermärkten in der Republik. Können Veganerinnen und Vegetarierinnen und wie sie sonst so heißen problemlos betreten. Dieses Zeug lebt ewig oder zumindest länger als die Protagonistinnen dieser Broschüre.

    "Was für ein Gesamtfazit sollen wir nun aus alledem ziehen?"

    Ich wüsste da was....das behalte ich allerdings lieber für mich.

    Meine Großeltern hielten sich im übrigen auch ein paar Hühner und ein Schwein im Vorgarten bzw. im Stall. Was soll ich sagen? Alle Hühner landeten nach einem legereichen Leben im Kochtopf oder der Bratpfanne. Das nenne ich katholische Ökologie. Was anderes hätte Jesus auch nicht gewollt. ;-)

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