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Freitag, 1. Februar 2019

Katholisch in Butjadingen: Ein Stück Kirchengeschichte in Anekdoten

Die Herz-Jesu-Kirche in Nordenham-Einswarden (Foto: privat) 
Ich hatte es neulich schon mal erwähnt: Im Zusammenhang mit meiner Berichterstattung über Stadtentwicklungsvorhaben im Nordenhamer Stadtteil Einswarden hat mir ein Leser ein interessantes Buch zugeschickt – eine Chronik der katholischen Kirchengemeinden in Nordenham-Einswarden, den Butjadinger Ortsteilen Burhave und Stollhamm sowie des "Katholischen Kommunikationszentrums OASE" in Butjadingen-Tossens. Das Buch trägt den zugleich kämpferisch und etwas altbacken wirkenden Titel "Wider das Vergessen!" und wurde im Jahr 2010, anlässlich der Fusion der genannten Kirchengemeinden mit St. Willehad in Nordenham und St. Josef in Stadland-Rodenkirchen zu einer nun insgesamt St. Willehad genannten Großpfarrei, vom damaligen Einswarder Pfarrer Alfons Kordecki herausgegeben. In der Burhaver Gemeinde mit dem schönen Patrozinium Herz Mariä (die übrigens als einziger der in dem Buch behandelten Kirchenstandorte noch heute ganzjährig "bespielt" wird, wie man das in Pfarrerskreisen tatsächlich nennt) bin ich quasi aufgewachsen, und insofern war es keine Überraschung für mich, dass dieses Buch eine Reihe von Kindheitserinnerungen bei mir wachgerufen hat. Mein Vater und meine Schwester werden darin namentlich erwähnt, meine Oma und meinen Bruder habe ich auf Fotos entdeckt. 



Eine Besonderheit dieser Kirchenchronik besteht darin, dass sie einen insgesamt recht überschaubaren Zeitraum abdeckt: Die älteste der auf dem Titelblatt abgebildeten Kirchen, Herz Jesu in Einswarden, wurde 1928 geweiht, aber ein katholisches Gemeindeleben im nördlichen Teil der seit dem 16. Jahrhundert evangelisch-lutherisch geprägten Wesermarsch nahm in größerem Umfang erst mit der Ansiedlung von Vertriebenen nach dem Zweiten Weltkrieg seinen Anfang.

Als ich geboren wurde, lag die Ankunft von 60 Katholiken aus einem kleinen Ort in Oberschlesien, einschließlich ihres Pfarrers, in meinem Heimatdorf Burhave gerade 30 Jahre zurück, und immer noch bildeten die katholischen Schlesier eine deutlich abgegrenzte "Parallelgesellschaft" am Ort. Das ist ein Thema, zu dem es eine Menge zu sagen gibt – so viel, dass es Stoff für mehrere Blogartikel abgeben wird. Vorerst möchte ich hier darum einige Anekdoten aus dem Buch wiedergeben, die zum Teil lustig, zum Teil anrührend, durchweg aber sehr aussagekräftig für das katholische Leben in meiner Heimat sind.

Die chronologisch erste der Anekdoten, die ich meinen Lesern vorstellen möchte, betrifft Pfarrer Otto Scholz, geboren 1908, verstorben 1977. Aus Schlesien stammend, war er ab 1947 als Vertriebenenseelsorger in Stollhamm tätig und baute die dortige katholische Gemeinde auf, bevor er 1956 nach Einswarden versetzt wurde. Der dortigen Gemeinde stand er 20 Jahre lang vor, zunächst als Pfarrrektor, ab 1964 dann als erster regulärer Pfarrer an diesem Ort. Die folgende Erzählung trägt keine Jahreszahl, soll sich aber in Einswarden ereignet haben, und ich gehe davon aus, dass sie aus der Zeit vor der Liturgiereform stammt. Damals las "Pfarrer Scholz selig noch jeden Morgen Clock 8 die Heilige Messe", allerdings fand sich dazu werktags stets nur eine sehr überschaubare Zahl von Gläubigen - genannt "die getreuen 'Zwölf'" - ein: "jeder in seinem Eckchen [...] in Andacht versunken", woraus ich schließe, dass es sich um "stille Messen" handelte. Eines Tages jedoch, so berichtet die Chronik, öffnete sich während einer Werktags-Frühmesse unerwartet noch einmal die Tür, und ein junges Mädchen trat ein. 
"Pfarrer Scholz selig stutzt... am Werktag zur Heiligen Messe ein junges Mädchen... welch ungeahnter Pastoralerfolg... Eine Wende in der Gemeinde...? Das Mädchen ist sich seiner Sache sicher. Sie trippelt nach vorne mit ihrem großen Handkorb, stelzt die Stufen des Altares hoch, stellt den Korb auf den Altar und grüßt freundlich: 'Guten Morgen Herr Pfarrer, ich sah Licht in ihrer schönen großen Stube und den Tisch so weiß gedeckt, da komme ich gleich herein...!' Dann greift sie in den Korb und entnimmt ihm einen weißen Linnenbeutel. 'Da sind ihre Brötchen, auf Wiedersehen, Herr Pfarrer!'... Dieses Geschichtchen ist tatsächlich wahr --- ehrlich!" (S. 30f.) 
"Vorkonziliare" Innenraumgestaltung von Herz Jesu Einswarden, abfotografiert aus der Chronik, S. 22. 
Im Abschnitt über die Gemeinde in Burhave findet sich auf S. 65 eine Erinnerung an die schwere Sturmflut vom Februar 1962, "die die Deiche zu durchbrechen drohte": 
"Das Wasser lief 7,5 m über normal auf. Pfarr-Rektor Fiedler und Pastor Grotrian waren mit vielen Menschen auf den Deich gegangen und beteten miteinander um Gottes Schutz. Das Wasser hatte die Oberkante des Deiches fast erreicht und die Gischt spritzte sie durch und durch nass. Da sprang der Wind auf Nordwest bis Nord um, und das Wasser stieg nicht höher, obwohl es noch circa eine Stunde bis Hochwasser war. Gott hatte also seine schützende Hand über unser Land gehalten! Die Deiche waren zwar von Beckmannsfeld bis Diekmannshausen zu etwa 50% zerstört, aber es kam nicht zur befürchteten großen Überschwemmung von ganz Butjadingen."
Der hier erwähnte evangelische Pastor Grotrian war in meiner Kindheit immer noch Pastor in Burhave - bis zu seinem Tod, ungefähr Mitte der 80er, wenn ich mich richtig erinnere. -- Amüsantes weiß die Chronik über Paul Klostermann zu berichten, der von 1966 bis 1971 Pfarrrektor in Burhave war. Das war "vor meiner Zeit", aber er hat meine Eltern getraut und meinen Bruder getauft, und ich erinnere mich daran, dass meine Familie ihn später mindestens einmal besucht hat, als er Pfarrer im südoldenburgischen Bevern war. Er war in der Burhave Gemeinde ausgesprochen beliebt. 
"Von ihm erzählt man, dass er beim Autofahren immer den Rosenkranz betete und Mitfahrer die Ave Maria zählen mussten, damit er sich nicht verzählte. 
Außerdem war er als großer Spendeneintreiber bekannt. 'Sie können 200 DM geben, Sie 300 DM.' 'Herr Pfarrer, wo soll ich das hernehmen?' 'Ich habe mich erkundigt, [S]ie verdienen gut!' Jemand brachte 50 DM auf die Bank. Die Kassiererin sagte: 'Da wird sich der Pfarrer aber freuen.' Antwort: 'Das glaube ich nicht, er wollte ja 300 DM.'" (S. 67) 
 
Über eine ganze Seite (S. 148f.) widmet die Chronik Sr. Xaveria Frenzl von der Kongregation derSchwestern von der heiligen Elisabeth, besser bekannt unter dem Namen "Graue Schwestern". An Schwester Xaveria kann ich mich aus meiner Kindheit noch gut erinnern; ich war 8 Jahre alt, als sie Burhave verließ. Sie muss damals schon uralt gewesen sein; ihr Geburtsdatum ist in der Chronik nicht vermerkt, wohl aber, dass sie bereits 1949 ihr silbernes Ordensjubiläum feierte. Ich weiß noch, dass sie im ganzen Dorf - weit über die Grenzen der kleinen katholischen Gemeinde hinaus - außerordentlich geachtet und beliebt war, und das bestätigt auch die Chronik: Als "ambulante Krankenschwester" pflegte sie nämlich 
"nicht nur die Katholiken und begleitete sie beim Sterben, sondern sie tat dasselbe auch bei den evangelischen Mitchristen und betete sogar mit ihnen den Rosenkranz. So trug sie viel zu einem positiven Klima zwischen beiden Konfessionen bei. [...] Ohne Rücksicht auf die eigene Gesundheit arbeitete die Schwester oft 70-80 Stunden in der Woche für die Kranken." 
Auf ihren vielen Wegen durch das Dorf war Sr. Xaveria zunächst "mit einem Fahrrad, dann mit einem Moped unterwegs": 
"Es muss ein schönes Bild gewesen sein, wenn ihr Schleier im Wind flatterte. Den Führerschein fürs Auto soll sie dreimal gemacht haben. Es wird berichtet, dass jeder sofort Platz gemacht hätte, wenn sie angefahren gekommen wäre. Eine Anekdote erzählt, dass eine Telefonkette gestartet worden sei, wenn sie mit ihrem VW-Käfer losfuhr: 'Achtung, Xaveria ist mit dem Auto unterwegs!'" 
Auf Anregung des ortsansässigen Allgemeinmediziners Dr. Karl-Eduard Theuerkauf ("Wenn jemand aus der Gemeinde Butjadingen eine ehrende Auszeichnung verdient, dann Schwester Xaveria") wurde die Ordensschwester, von der es hieß, "dass an ihr eine Ärztin verloren gegangen sei", von der Gemeinde Butjadingen für das Bundesverdienstkreuz vorgeschlagen und erhielt diese Auszeichnung am am 22.Mai 1980 von Bundespräsident Karl Carstens. In einem Dankschreiben betonte sie, sie habe ihre Arbeit "doch immer als eine Aufgabe von Gott angesehen". 

In Stollhamm wurde in den Jahren 1987/88 die (2014 profanierte) Christ-König-Kirche "renoviert und saniert", wobei der Innenraum eine Neugestaltung erfuhr; unter anderem sollte der Korpus des großen Kruzifix über dem Altar an einem neuen Kreuz befestigt werden: 
"Eine Zimmererfirma hatte versprochen, alte Eichenbalken dafür zu liefern. Dieses Versprechen konnte aber nicht gehalten werden. Da sorgte ein Frühjahrssturm, der im Einswarder Kirchenpark zwei Bäume umwarf, dafür, dass die Balken für das Kreuz aus der Natur kommen konnten." 
Und nun die Pointe: 
"Diese Baumstämme trieben zum nächsten Osterfest noch einmal aus." (S. 91)
Abfotografiert aus der Chronik, etwas unscharf, ich weiß. 
Persönlich sehr gefreut habe ich mich nicht zuletzt darüber, dass das Buch ein Grußwort von Professor Ngengi Mundele enthält -- einem Geistlichen aus der Demokratischen Republik Kongo (ehemals Zaire), der in meinen Teenagerjahren mehrmals als Aushilfe bzw. Urlaubsvertretung in Einswarden und Burhave war. Im Zuge dessen gestaltete er auch einige Treffen des Firmvorbereitungskurses und der damals von meiner Schwester geleiteten Jugendgruppe mit. Ich habe ihn als einen überaus warmherzigen, engagierten und übersprudelnd fröhlichen Menschen in Erinnerung. Später, als ich schon nicht mehr am Ort wohnte, war Ngengi - im Anschluss an seine Promotion in München - ein ganzes Jahr lang (2003/04) als Kaplan in der damaligen Seelsorgeeinheit Herz Jesu-Herz Mariä in Einswarden und Burhave tätig. Über diese Zeit schreibt er in seinem Grußwort: 
"Meine Mutter hatte mich im Jahr 2003 in Tossens besucht und sagte mir: 'Mono ke mona nde bantu yai awa ke tondaka nge mingi, nge fwete zinga mbote ti bo. Bo ke mpi ke bantu ya Nzambi pesaka nge bo na kulangidila', ungefähr übersetzt: 'Ich sehe, dass diese Leute hier dich sehr lieb haben. Du sollst gut mit ihnen zusammenleben. Sie sind auch Menschen, die Gott dir anvertraut hat.' Was hatte Mama gesehen oder gespürt? Ich weiß es nicht! Aber Tatsache ist, dass ich mich in dieser Gemeinde nicht als Außenseiter fühlte." (S. 9) 
Als Anzeichen dafür, "dass es eine besondere Beziehung zwischen den Pfarrgemeindemitgliedern und mir gibt", erwähnt Ngengi, dass er zuweilen von Gemeindemitgliedern spontan zum Essen eingeladen wurde -- und dass dann nicht etwa etwas Besonderes für den Gast aufgetischt wurde, sondern einfach gegessen wurde, "was es gibt"; gerade das, meint er, sei "typisch 'afrikanische"'Art" (ebd.). Was mich daran erinnert, dass meine Liebste und ich auch schon mehrfach darüber gesprochen haben, dass wir gern öfter mal Leute aus unserer Gemeinde, darunter nicht zuletzt unsere Geistlichen, spontan zum Essen einladen würden. Ehrlich gesagt stellt das Kleinkind-Chaos in der Wohnung da ein gewisses Hindernis dar, aber nun ja... wir arbeiten daran. Wir haben es jedenfalls vor. 

Überhaupt: Was mich an diesem Buch - mal abgesehen vom Schwelgen in Kindheitserinnerungen - am meisten fasziniert und begeistert, ist, dass es im Wesentlichen eine Erzählung darüber ist, wie ein doch recht überschaubares Häuflein heimatvertriebener Katholiken praktisch aus dem Nichts ein (zumindest zeitweilig) blühendes Gemeindeleben geschaffen hat. Ich denke, davon kann man lernen -- wobei man andererseits auch die Frage nicht außer Acht lassen sollte, welche Faktoren dazu geführt haben, dass diese Blüte letztlich doch nicht von langer Dauer war. Wie schon angedeutet: Das gibt Stoff für mehrere Blogartikel her. Zwischendurch werde ich mich allerdings auch noch anderen Themen zu widmen haben... 




1 Kommentar:

  1. Die Kirche last LIEBER ALLES ZERFALLEN - ODER VERKAUT ES AN EINEN CONZERN UM ES DANN VON DENEN KAPUT MACHEN ZULASSE Anstat es einen geimein nütziegenzweg zukommenzu lassen - nutzt mann es derzeit als lagerraum

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