Sonntag, 22. Juli 2018

Neues vom Pastorenmangel in Butjadingen

Der Umstand, dass ich vor, während und nach meinem jüngsten "Heimaturlaub" recht eifrig über Themen aus der schönen Wesermarsch gebloggt habe, hat mir einen interessanten Twitter-Kontakt beschert -- nämlich einen Nordenhamer "Lokalblogger", der mich seither gelegentlich mit aktuellen Informationen zu Themen versorgt, die in das Interessenspektrum meines Blogs fallen. Zuletzt hat dieser Kollege mich nun darauf aufmerksam gemacht, dass die Lokalausgabe der "Nordwest-Zeitung" ein Thema aufgegriffen hat, das ich hier vor einigen Wochen schon am Wickel hatte: den bevorstehenden massiven Abbau von Pfarrstellen seitens der Oldenburgischen Landeskirche. Der von Rolf Bultmann und Detlef Glückselig verfasste Artikel unter der Überschrift "Immer weniger Pastoren - nun sollen's Ehrenamtliche richten" konzentriert sich auf die Situation in den sechs evangelisch-lutherischen Kirchengemeinden Butjadingens: Burhave, Eckwarden, Langwarden, Stollhamm, Tossens und Waddens. Diese 
"verfügten bis zum Jahr 1986 über rechnerisch 5,5 Pfarrstellen. Derzeit sind es noch drei, wobei eine nach dem Ausscheiden von Pastor Hartmut Blankemeyer vakant ist. [...] Und in einigen Wochen wird es eine weitere Vakanz geben.
Zum 1. Oktober tritt nach 27 Jahren Stollhamms Pfarrer Joachim Tönjes, der auch Eckwarden betreut, in den Ruhestand." 
Den Pastor Tönjes kenne ich übrigens persönlich, wenn auch eher flüchtig. Sehr viel besser kenne ich seinen Bruder. Die Welt ist halt sehr klein, besonders auf dem Lande. Aber das mal nur am Rande; der entscheidende Punkt des Artikels ist, dass die Stollhammer Pfarrstelle nach den Plänen der Landeskirche nicht wieder besetzt werden soll. "Langfristig, so der Plan der Landeskirche, soll es nur noch eine Pfarrstelle für die sechs Butjadinger Kirchengemeinden geben" -- und die hat derzeit der Pastor von Burhave, Klaus Braje, inne, "der zusätzlich für Waddens zuständig ist". Den kenne ich ebenfalls persönlich. Was jetzt wohl keine so große Überraschung war. 

Abb. ähnlich; Bildquelle: Pixabay 

Verantwortlich für diesen radikalen Stellenabbau ist übrigens nicht allein der strikte Sparkurs der Landeskirche, über den ich bereits berichtet habe, sondern auch "der sich verstärkende Pastorenmangel": Wie man dem NWZ-Bericht entnehmen kann, ist es "angesichts des Mangels an Pastorennachwuchs fraglich", ob die noch verbleibenden Planstellen "überhaupt mit Pastorinnen und Pastoren besetzt werden können". Dass eine Kirche, die einerseits keinen Zölibat und anderereits sehr wohl die Frauenordination kennt, bei ihrem geistlichen Personal solche Nachwuchssorgen hat, könnte dem einen oder anderen reformeifrigen Katholiken zu denken geben; aber lassen wir das mal beiseite. Klar ist, dass die künftige Personalsituation "für die Kirchengemeinden eine große Herausforderung darstellt": 
"Wenn künftig ein einziger verbliebener Pastor auf der 129 Quadratkilometer großen Halbinsel viel Zeit im Auto verbringen muss, um für seine pastoralen Tätigkeiten über die Dörfer zu fahren, wird immer mehr der Einsatz Ehrenamtlicher, besonders der Kirchenältesten, nötig sein.
'Die können das auch', ist Joachim Tönjes überzeugt." 
Mag ja sein; wobei sich mir allerdings die Frage aufdrängt: Was genau ist "das"? Ich muss in diesem Zusammenhang gestehen, dass ich von der evangelischen Kirche (wie sich nicht zuletzt in Diskussionen mit evangelischen Theologen immer wieder zeigt) nicht viel verstehe. Ich habe folglich keine allzu konkreten Vorstellungen von den Aufgaben eines evangelischen Pastors und davon, welche dieser Aufgaben auf Ehrenamtliche übertragen werden könnten. That said, fällt mir an dieser Stelle der Stoßseufzer des Bloggerkollegen Martin Recke ein, immer wenn er den Satz "Das müssen in Zukunft Ehrenamtliche machen" höre, entsichere er seinen Colt. Ich kann nur empfehlen, zu lesen, was er zu diesem Thema weiter zu sagen hat; dann muss ich das hier nämlich nicht wiederholen. 

Ganz grundsätzlich stehe ich jedenfalls - wie ich ebenfalls schon mindestens einmal angemerkt habe - dem Ansatz, diejenigen Aufgaben, für die kein hauptamtliches Personal mehr vorhanden ist, an ehrenamtliche Mitarbeiter zu delegieren, äußerst kritisch gegenüber. Weil dadurch Strukturen, die eigentlich schon in sich zusammengebrochen sind, künstlich aufrecht erhalten werden, und das auf dem Rücken der engagierten Kirchenmitglieder. Vergessen wir nicht, dass es neben dem Pastorenschwund in der evangelischen Kirche Butjadingens auch einen nicht weniger dramatischen Mitgliederschwund gibt; um die Handlungsfähigkeit der etablierten Kirchenstruktur mit Hilfe von Ehrenamtlichen aufrecht zu erhalten, müsste man folglich die Quote der aktiv mitarbeitenden Kirchenmitglieder permanent erhöhen, und wie will man das erreichen, wenn sich gleichzeitig der Eindruck vermittelt, alles gehe den Bach runter? Der Versuch, trotz schwindender Kräfte alles so weiterzumachen wie bisher, führt naturgemäß dazu, dass von allem immer ein bisschen weniger gemacht wird. Man verwaltet nur den Niedergang. 

Zum Beispiel ist, wie die NWZ zu berichten weiß, "bereits jetzt in fünf der sechs Butjadinger Kirchengemeinde[n] nicht der Pastor, sondern ein Kirchenältester Vorsitzender des Gemeindekirchenrats". Toll. Aber wieso gibt es überhaupt sechs Gemeindekirchenräte? Antwort: weil "Burhave, Eckwarden, Langwarden, Stollhamm, Tossens und Waddens sowie die benachbarte Kirchengemeinde Abbehausen" zwar seit 2007 einen "Kooperationsverbund" bilden, in dessen Rahmen "[n]eben dem Kanzeltausch und der gegenseitigen pastoralen Vertretung [...] bei regelmäßigen Treffen Informationen ausgetauscht, Veranstaltungen vorbereitet und die Fortentwicklung der Zusammenarbeit beraten" werden – jedoch "ohne dass die Kirchengemeinden dabei ihre Eigenständigkeit eingebüßt hätten". Das klingt so, als wäre das etwas Gutes. Aber ist das nicht hochgradig ineffizient? Ich bin wahrhaftig kein Freund von Verwaltungszentralisation und Großgemeinden, aber wozu braucht man auf einer Fläche von 129 km² sechs formal eigenständige Kirchengemeinden, wenn die sich letztlich sowieso alle einen Pfarrer teilen müssen? Verheizt man da nicht die Bereitschaft der Kirchenmitglieder zu ehrenamtlichem Engagement in sinnlosen Gremiensitzungen? 

Tatsächlich gewährt der NWZ-Artikel ein paar interessante Einblicke in diesen bürokratischen Super-GAU. So versichert etwa der Vorsitzende des Eckwarder Gemeindekirchenrates, Rolf Siefken, die "Bereitschaft, den Pastor zu unterstützen, sei da"; er wünsche sich jedoch "eine bessere finanzielle Ausstattung der örtlichen Kirchenverwaltung, damit die Ehrenamtlichen insbesondere bei bürokratischen Tätigkeiten durch das Kirchenbüro entlastet werden können". Nun ja: Mehr Geld zu fordern dürfte angesichts des Sparkurses der Landeskirche ein problematisches Ansinnen sein. Vielleicht wäre es doch mal eine Überlegung wert, ob man die bürokratischen Abläufe nicht effizienter gestalten (und damit womöglich sogar noch Geld einsparen) könnte? -- Auf eine ganz andere Baustelle weist Jan-Wilhelm Hessenius, Kirchenratsmitglied und Lektor in Tossens, hin: Er sieht ein Problem "in der seiner Meinung nach erheblich erschwerten Lektoren-Ausbildung. Die Änderung im Lektoren-Gesetz hätte die Bereitschaft, sich als Ehrenamtlicher zum Lektor ausbilden zu lassen, deutlich gemindert [...]. Hier müsse die Kirche umdenken." Aber hallo! In der evangelischen Kirche braucht man eine Ausbildung, um Lektor sein zu dürfen? Da würde ich mich aber auch schön bedanken! Nun ja, ich habe mir das "Gesetz über die Beauftragung von Gemeindegliedern mit Aufgaben der öffentlichen Verkündigung" daraufhin mal angesehen und zweierlei festgestellt: Zum einen ist es gar so neu nicht, sondern wurde am 27. Mai 2016 verabschiedet; zum anderen betrifft es ausdrücklich nur sogenannte "Predigtlektoren" und "Prädikanten": Die ersteren sind befugt, "einen Gottesdienst [zu] leiten und auf Grundlage einer Lesepredigt [zu] predigen", die letzteren darüber hinaus auch dazu, "eine selbst verfasste Predigt [zu] halten". Okay: Dass es dazu einer speziellen Ausbildung bedarf, leuchtet mir ein. Für den einfachen Lektorendienst ("Sie übernehmen in Gottesdiensten z.B. biblische Lesungen oder Gebete") bietet die Landeskirche lediglich einen "Offenen Grundkurs" an, der aber allem Anschein nach nicht verpflichtend ist. 

Gleichwohl hat es natürlich eine gewisse Folgerichtigkeit, wenn Kirchenratsmitglied Hessenius angesichts der Streichung von Pfarrstellen die Frage der Gottesdienstleitung durch Ehrenamtliche zur Sprache bringt. Schon jetzt leitet er "bis zu 20 Gottesdienste im Jahr, wobei ihm die plattdeutschen die liebsten sind"; es liegt auf der Hand, dass der Bedarf zukünftig steigen wird. Was mich zu der Frage zurückbringt: Wenn der scheidende Stollhammer Pastor Tönjes über ehrenamtliche Kirchenmitarbeiter sagt "Die können das auch", was genau meint er dann mit "das"? 

Wie schon gesagt: Ich verstehe nicht viel von der evangelischen Kirche. Ich weiß streng genommen nicht einmal, ob die Verantwortungsträger vor Ort, seien sie haupt- oder ehrenamtlich, in der Kirche überhaupt etwas anderes sehen als eine "Gemeinschaft der Kasualienkonsumenten" (M. Welker) und ob sie überhaupt mehr wollen als den Niedergang verwalten. Eine beständig abnehmende Zahl von Kirchenmitgliedern taufen, konfirmieren und beerdigen, bis niemand mehr da ist und man das Licht ausmachen kann: Wenn das das Ziel ist, dann ist die Kirche auf einem guten Weg, und das gilt nicht nur für die Wesermarsch und auch keinesfalls nur für die evangelischen Landeskirchen. Wenn es das aber nicht ist, dann würde ich den Verantwortlichen dringend empfehlen, sich beizeiten mal zusammenzusetzen, um 
  • a) Klarheit darüber zu gewinnen, was denn dann das Ziel ist und 
  • b) sämtliche verfügbaren Ressourcen - materielle, personelle, zeitliche usw. - radikal und schonungslos dahingehend zu evaluieren, ob und inwieweit sie in einer Weise eingesetzt werden, die dem in a) formulierten Ziel dient. Und daraus entsprechende Konsequenzen zu ziehen. 

Das kann - und wird höchstwahrscheinlich - ein schmerzhafter Prozess sein. Aber ich habe die vage Ahnung, dass Teil a) der eigentlich schwierigere Teil der Aufgabe ist. Einige Anregungen dazu, passenderweise sogar aus explizit evangelischer Perspektive, habe ich hier gefunden. Aus katholischer Sicht widmet sich der kanadische Priester James Mallon in seinem Buch "Divine Renovation - Wenn Gott sein Haus saniert" dieser Frage. Ein bisschen Bereitschaft zu eigenständigem Transferdenken vorausgesetzt, dürfte beides auch für Angehörige der jeweils anderen Konfession lesenswert sein. 



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