Der Geist weht bekanntlich, wo er will - und sorgt so allweil für Überraschungen. Zum Beispiel staunte ich nicht schlecht, als ich am frühen Vormittag des Hochfests Peter und Paul auf der Facebook-Seite meines allerzweitliebsten Bistums (Huhn meets Ei-Kenner wissen: Münster!) das folgende Posting las:
"Bin entsetzt, wie leichtfertig Bundeskanzlerin und Bundestag mit dem hohen Gut der Ehe umgehen. Umdefinierung gibt 2000jährige Kultur auf!"
Angesichts der grammatikalischen Ich-Form konnte man sich natürlich mit Susi-Sorglos-Stimme fragen: "He, wer spricht'n da?" Umso mehr drängte sich diese Frage auf, als dieses Statement zur Ausweitung des Ehebegriffs auf gleichgeschlechtliche Partnerschaften zwar der offiziellen Position der Katholischen Kirche entspricht - vgl. z.B. Amoris Laetitia, Nr. 251, sowie die Stellungnahmen des Familienbeauftragten der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Heiner Koch (Berlin), und des DBK-Vorsitzenden Reinhard Kardinal Marx (München-Freising) -, aber nicht unbedingt dem allgemeinen Erscheinungsbild der Facebook-Präsenz des Bistums Münster, die ja sonst eher durch Blumenbildchen und 'Inspirational Quotes' der eher multispirituell-esoterischen Art glänzt. Was war da los?
Als die ersten irritierten Reaktionen eintrafen, sah sich Redaktuer Thomas Mollen zu einer Klarstellung veranlasst:
"Hallo zusammen, der Text ist ein persönliches Statement unseres Weihbischofs Stefan Zekorn auf seinem Twitter-Account. Dass er hier auf Facebook ohne Kontext erscheint, war ein technisches Versehen."
Ach so. War also nur ein Versehen. Noch dazu ein technisches. Na dann. - Weitere Kommentare von FB-Nutzern kamen hinzu; manche waren empört, andere dankten Weihbischof Zekorn für seine klare Positionierung und äußerten Freude darüber, dass auf der FB-Seite des Bistums auch mal solche Töne zum Klingen kommen. Letztere Kommentare schienen der Redaktion peinlicher zu sein als erstere. Nach kaum einer halben Stunde wurde der Beitrag gelöscht.
Nun, seien wir ehrlich: Einen Beitrag, der von vornherein nur irrtümlich auf der Seite erschienen ist, wieder zu löschen, ist an und für sich legitim. Dennoch entsteht in diesem konkreten Fall der unschöne Eindruck, die Social-Media-Redaktion des Bistums zensiere ihren eigenen Weihbischof. Darüber hinaus entsteht der ebenfalls etwas irritierende Eindruck, in der Redaktion fürchte man sich mehr vor dem Beifall konservativer[*] Katholiken als vor deren Kritik.
Symbolbild: Regenbogenflagge an Kirche. (Quelle hier) |
Ich möchte an dieser Stelle ein Zitat bringen, das auch schon in meinem gestrigen Artikel vorkommt, dort aber angesichts der Länge des Texts vielleicht ein bisschen untergeht. Im vierten Kapitel der "Benedict Option" paraphrasiert Rod Dreher eine Passage aus Václav Havels Essay "Die Macht der Ohnmächtigen":
"Man stelle sich vor - schreibt Havel -, ein Gemüsehändler, der unter kommunistischer Herrschaft lebt, hängt ein Schild in sein Ladenfenster, auf dem steht 'Arbeiter der Welt, vereinigt euch!'. Er tut das nicht unbedingt, weil er daran glaubt. Er will einfach nur keinen Ärger. Und wenn er im Grunde gar nicht recht daran glaubt, wird er das Beschämende dieses Zwangs verbergen, indem er sich selbst sagt: 'Was ist falsch daran, wenn sich die Arbeiter der Welt vereinigen?'. Furcht gestattet es der offiziellen Ideologie, ihre Macht zu bewahren - und verändert schließlich die Überzeugungen des Gemüsehändlers. Jene, die, so Havel, 'in der Lüge leben', kollaborieren mit dem System und kompromittieren damit ihre Integrität als Mensch.
Jeder Akt hingegen, der der offiziellen Ideologie widerspricht, ist eine Verweigerung gegenüber dem System. Was, wenn der Gemüsehändler das Schild eines Tages nicht mehr in sein Ladenfenster hängt? Was, wenn er sich weigert, mitzumachen, nur um unbehelligt zu bleiben? 'Seine Revolte ist ein Versuch, in der Wahrheit zu leben'."
Ich deutete es gestern schon an: Das Propaganda-Banner unserer Tage ist die Regenbogenflagge. Wer sie sich nicht wenigstens im metaphorischen Sinne "ins Fenster hängt", bekommt Probleme - zwar (noch) nicht von Seiten des Staates, aber doch zumindest von einem wütenden Social-Media- oder gegebenenfalls auch Real-Life-Mob. Der Facebook-Redaktion des Bistums Münster ist heute morgen durch ein technisches Versehen eine Gelegenheit in den Schoß gefallen, im Sinne Havels "in der Wahrheit zu leben" - aber offenbar wollte man das lieber doch nicht tun.
Eine Aussage darüber, ob sie denn inhaltlich mit den Worten von Weihbischof Zekorn übereinstimme, war der Redaktion bislang nicht zu entlocken.
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[* Nebenbei bemerkt möchte ich mit Dietrich v. Hildebrand in Frage stellen, ob es überhaupt angemessen ist, die Zustimmung zur tradierten Lehre der Katholischen Kirche - auch da, wo sie unpopulär ist - als "konservativ" zu bezeichnen.]
Selbstverständlich ist eine Zustimmung zur Lehre der katholischen Kirche konservativ. Die Lehre wird bewahrt und wirkt bewahrend. Conservare heißt bewahren. Alles richtig.
AntwortenLöschenNun, darüber kann man streiten. So ist der politische Konservatismus (der konservativen Parteien) als solcher eine protestantische Erscheinung, während die Katholiken eher in vorweggenommener moderner Tradition Antiparteienparteien gründeten (lies: ein sogenanntes "Zentrum", wo alle reinsollten). Deswegen sind übrigens auch CDU und CSU *nicht* nur wegen gewisser moderner Sündenfälle, sondern auch historisch keine konservativen Parteien, sondern allenfalls die Volksparteien, die als einzige einen klassisch-konservativen *Flügel* haben.
LöschenObwohl das Festhalten an der Lehre natürlich auch etwas Bewahrendes hat: das katholische Wissen darum, daß es beim tieferen Eindringen in die Wahrheit trotz allem eine gewisse Entwicklung gibt ("wir sind nicht konservativ, sondern additiv", Kuehnelt-Leddihn); die scharfe und auch kirchenamtliche Ablehnung etwa eines Pius XII. dessen, was er (zur Ideologie erhobenen) Archäologismus nennt; das prinzipielle Denken von Prinzipien her, das den Katholiken sicherlich eher dazu bringen wird, gestürmte Bastionen wieder aufzurichten (also reaktionär, nicht konservativ, zu sein), als nach (ist das zu viel Vorurteil?) typisch konservativer Art den jeweils letzten modernen Erfolg zum Das-war-ja-dann-aber-doch-auch-wirklich-Nötigem und die jeweils nächste moderne Attacke zum Jetzt-geht's-aber-wirklich-zu-weit-Untergang des Abendlandes zu stilisieren... das alles stellt für das Etikett "konservativ" durchaus gewisse Einschränkungen auf.
Zumal etwa ein hl. Benedikt Joseph Labre sicher nur um einen Hauch weniger, als wenn er statt frommer Asket zügelloser Hallodri gewesen wäre, der Schrecken eines typisch konservativen Elternhauses gewesen wäre.