Donnerstag, 17. September 2015

Offener Brief an Dipl.-Pol. Inga Nüthen, Dozentin für Gender Studies an der FU Berlin

Betreff: Meinungsfreiheit und Diskussionskultur 

Sehr geehrte Frau Nüthen,

ich bin Autor eines katholischen Weblogs und habe dort u.a. über Aktionen im Vorfeld des "Marschs für das Leben" berichtet. Am vergangen Montag wollte ich zusammen mit einer Bloggerkollegin eine Diskussionsveranstaltung besuchen, bei der Sie laut Ankündigung eine der ReferentInnen waren: "Abtreiben, einfrieren, durchscannen - (Queer-)Feministische Positionen zu Reproduktionstechnologien heute". -- Am Eingang wurden wir von einigen (wie ich vermute, dem VeranstalterInnen-Kollektiv "NoFundiM.ärsche" zugehörigen) Frauen empfangen, die uns den Zutritt verweigern wollten, da sie annahmen, wir hätten die Absicht, die Veranstaltung zu "stören". Nachdem wir klargestellt hatten, dass wir lediglich beabsichtigten, friedlich und zivilisiert der Diskussion beizuwohnen, und darüber hinaus zugesichert hatten, uns einer etwaigen Aufforderung zum Verlassen des Saals, falls wir uns in Anstoß erregender Weise zu Wort melden sollten, nicht zu widersetzen, erklärten unsere Gesprächspartnerinnen, sie wollten die Meinung der ReferentInnen einholen. Minuten später wurde uns mitgeteilt, die ReferentInnen - darunter also offenbar auch Sie - hätten sich gegen unsere Teilnahme ausgesprochen.

Da uns keine Gelegenheit zur Aussprache eingeräumt wurde, kann ich streng genommen nicht wissen, wie Sie persönlich in dieser Frage votiert haben. Ich gehe jedoch davon aus, dass es sich um eine kollektive bzw. einstimmige Entscheidung gehandelt hat. Sollte ich mich darin irren, korrigieren Sie mich bitte.

Ich räume ein, dass unsere Absicht, an dieser Diskussionsveranstaltung teilzunehmen, als Provokation aufgefasst werden konnte, ja vielleicht sogar musste. Als gläubige Katholiken vertreten meine Bloggerkollegin und ich zu bestimmten Fragen, die mit dem Thema der Veranstaltung zusammenhängen, Positionen, die zu der in der Ankündigung als "(queer-)feministisch" bezeichneten Ausrichtung der Veranstaltung in einem Spannungsverhältnis stehen. Gerade deshalb hätte ich die Teilnahme an der Veranstaltung als vielversprechend betrachtet: Nicht zuletzt auch in Hinblick auf den bevorstehenden "Marsch für das Leben", der beinahe "traditionell" von einem hohen Maß an Feindseligkeit begleitet wird, hätte ich mir davon, lieber miteinander zu sprechen als übereinander, eine deeskalierende Wirkung erhofft. Ich könnte mir zudem gut vorstellen, dass die in der Ankündigung der Veranstaltung in Aussicht gestellte kritische Auseinandersetzung mit Aspekten von Reproduktionstechnologien sogar gewisse Übereinstimmungen zwischen "(queer-)feministischen" Standpunkten und jenen der am christlichen Menschenbild ausgerichteten Lebensschutzbewegung zu Tage gefördert hätte - oder zumindest die Erkenntnis, dass die Gegensätze in einigen Fragen nicht gar so groß sind, wie es oft den Anschein hat. Möglicherweise war aber gerade diese Erkenntnis nicht erwünscht.

Da Sie als Referentin an der genannten Veranstaltung beteiligt waren, wäre ich sehr interessiert daran, zu erfahren, inwieweit Sie es als legitim betrachten, Personen, deren Überzeugungen im Widerspruch zu den Ihren stehen, von der Teilnahme an als "öffentlich" angekündigten Veranstaltung auszuschließen. Inwieweit empfinden Sie es als vereinbar mit einer demokratischen Diskussionskultur, bestimmte Standpunkte a priori als nicht diskussionswürdig einzustufen, ohne diese zuvor auch nur angehört zu haben? - Ich möchte hinzufügen, dass die von Ihnen mitgetragene Entscheidung, Andersdenkende von der Teilnahme an der Diskussion - selbst einer rein passiven Teilnahme - auszuschließen, über die Ächtung unliebsamer Meinungen noch hinausgeht: Der Eindruck, der entsteht, ist der einer Ächtung der Personen, die diese Meinungen vertreten. Diese dürfen sich nicht einmal im selben Raum aufhalten, nicht einmal dieselbe Luft atmen wie Sie und Ihre Gruppe von Gleichgesinnten.

Sie sind Dozentin an der Freien Universität Berlin. Gehen Sie in dieser Funktion eigentlich genauso vor? Schließen Sie Studenten, mit deren Ansichten Sie ein Problem haben, von ihren Seminaren aus? Wenn ja: Finden Sie, dass Sie damit Ihrem Lehrauftrag gerecht werden? Fühlen Sie sich gut dabei, Gedankenpolizei zu spielen? Wenn nein: Wie gehen Sie beruflich mit Meinungsäußerungen um, die nicht Ihrem Weltbild entsprechen? Und wenn Sie in Ausübung Ihrer Dozentinnentätigkeit in der Lage sind, andere Überzeugungen auszuhalten, warum können Sie das dann nicht auch außerhalb dieser?

Ich möchte Ihnen übrigens versichern, dass es nicht persönliche Kränkung ist, die aus mir spricht. So schlimm finde ich es nun auch wieder nicht, dass ich nicht an der Veranstaltung teilnehmen konnte - ich hatte trotzdem einen angenehmen Abend. Aber diese entschiedene Diskussionsverweigerung, die Ausgrenzung und Vorverurteilung Andersdenkender, die Pflege von Feindbildern finde ich ausgesprochen befremdlich und beunruhigend - insbesondere, wenn sie von Gruppen ausgeht, die sich selbst als emanzipatorisch und antidiskriminatorisch begreifen und bezeichnen.

Für eine Antwort wäre ich Ihnen, unabhängig von deren Inhalt, ausgesprochen dankbar. 
 
Mit freundlichen Grüßen 

[KingBear
 
 

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