Niemand hatte die Absicht, einen Shitstorm auszulösen. Also, ich zumindest nicht.
Man muss sich das wohl ungefähr so vorstellen: Sonntagmorgen, irgendwann zwischen 9:30 und 10:30 Uhr. Christopher Lauer, 31, Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses für die Piratenpartei (aus der er gleichwohl 2014 ausgetreten ist, nachdem er kurz zuvor noch Berliner Landesvorsitzender hatte werden wollen) und außerdem "Leiter Strategische Innovation" bei der Axel Springer SE, zappt sich durchs Fernsehprogramm und bleibt beim ZDF hängen. Dort läuft nämlich die Live-Übertragung eines bizarren, fremdartigen Rituals - laut Programmauskunft handelt es sich um einen "katholischen Gottesdienst mit Pater Oliver Ruggenthaler aus der Kirche der Barmherzigen Brüder in Graz/Österreich". Lauer, aus einer Laune heraus oder vielleicht auch, weil er (was ihm öfter zu passieren scheint) irrtümlich glaubt, er sei witzig, greift zu Twitter und schreibt:
"Im ZDF kommt ne christliche Messe. Wie in sonem [sic] Gottesstaat."
Na klar: Übelste theokratische Tyrannei, wenn ein öffentlich-rechtlicher Fernsehsender seinem Publikum sonntagsmorgens eine volle Stunde lang den Gottesdienst einer Glaubensgemeinschaft zumutet, der nur ein knappes Drittel der Bevölkerung angehört. Noch dazu im wöchentlichen Wechsel mit Gottesdiensten einer anderen Glaubensgemeinschaft, der ein weiteres knappes Drittel der Bevölkerung angehört. Und wer denkt bitte an das dritte Drittel, an all die Anders- und Nichtgläubigen? Was sollen die machen? - Nun ja: vielleicht ein anderes Programm einschalten, gibt ja noch ein paar mehr, habe ich mir sagen lassen. Solange sonntagsmorgens nicht auf allen Kanälen Gottesdienste laufen oder, noch besser, der Bildschirm während der Gottesdienstzeiten schwarz bleibt, damit die Bürger ihren Hintern gefälligst in die Kirche bewegen statt vor der Glotze abzuhängen, kann es mit dem Gottesstaat wohl noch nicht so weit gekommen sein. - Erinnern wir uns, dass Lauers Ex-Partei sich von jeher auf die Fahnen geschrieben hat, Religion solle "Privatsache" sein. Von dieser Forderung kann man halten, was man will, aber: Was kann denn bitte privater sein als die Entscheidung, welches Fernsehprogramm man bei sich zu Hause anschauen möchte?
Ungeachtet dessen kommt der Tweet gut an, sammelt in rascher Folge "Fav"-Sternchen und Retweets. Auf diese Weise verirrt er sich rund eine Stunde später auch in meine Timeline. Und ich bin irgendwie weniger amüsiert. Verbreite Herrn Lauers Einlassung auf Twitter wie auch auf Facebook weiter, ergänzt um den Hinweis, der Verfasser selbst halte das vermutlich für witzig. Reaktionen bleiben nicht aus. Verschiedene christliche Social-Media-Nutzer geben zu verstehen, dass sie von der Gleichsetzung "Gottesdienstübertragung im öffentlich-rechtlichen Fernsehen = Gottesstaat" eher (wie Erzblogger Alipius es formuliert) "mittelbegeistert", jedenfalls alles Andere als überzeugt sind; Bloggerkollegin Claudia empfindet die Verwendung des Begriffs "Gottesstaat" in diesem Zusammenhang als Verhöhnung von Christen, die in tatsächlichen - islamischen - Gottesstaaten (wie dem Iran oder dem vom so genannten Islamischen Staat kontrollierten Territorium) leben; dies teilt sie Herrn Lauer unverblümt mit, benutzt dabei einen nicht ganz stubenreinen Begriff - woraufhin der Expirat und Springer-Stratege ihr anstandslos mit "Post vom Anwalt" droht. Dies wiederum kommentiere ich mit den Worten:
"Sind wir ein bisschen dünnhäutig, wenn's um die eigene kostbare Person geht?"
Daraufhin blockiert mich Lauer auf Twitter. Das darf man dann wohl als "ja" auf meine Frage verstehen.
Nicht weniger witzig ist es, dass er Claudia vorwirft, sie verhalte sich "nicht sehr christlich". Derlei Anwürfe hört und liest man in vergleichbaren Auseinandersetzungen ja öfter, aber ich frage mich immer, was man eigentlich davon halten soll, wenn das aus dem Mund von jemandem kommt, der das Christentum offenkundig verachtet.
Andere Teilnehmer der Debatte graben einen Mitschnitt eines Auftritts von Christopher Lauer im ZDF(!)-Morgenmagazin von anno 2012 aus, in dem der Berliner Piraten-Abgeordnete sich für ein Verbot der Ausstrahlung eines geschmacklosen Mohammed-Videos aussprach - mit der Begründung, Meinungsfreiheit solle nicht dazu missbraucht werden,
"Glaubensbekenntnisse zu beleidigen [!] oder [s]ich über andere Leute lustig zu machen".Interessant, dass das dem christlichen Glauben gegenüber offenbar nicht gilt. Vielleicht gibt es in Deutschland einfach noch zu viele Christen, als dass sie als Minderheit durchgingen und somit Anspruch auf Rücksichtnahme auf ihre so genannten "religiösen Gefühle" hätten. Oder vielleicht sind sie auch einfach nicht gefährlich, sprich gewaltbereit genug, als dass man sich vor ihnen in Acht nehmen müsste.
Gleichwohl prophezeit Facebook-Nutzerin Julia S. bereits um 13 Uhr: "Wahrscheinlich fühlt er [=Lauer] sich jetzt von fanatischen Fundichristen verfolgt. Man kennt das ja." Und richtig, keine drei Stunden später klagt Lauer auf Twitter:
Ja, es ist tragisch: Der Gottesstaat ist einfach überall. - Aber ich will mich hier gar nicht länger über Herrn Lauer lustig machen - das wäre einerseits zu einfach, und andererseits: Laut eigenen Angaben leidet er an ADHS, das kann man eventuell als mildernden Umstand gelten lassen. Ärgerlicher ist es, wie viel Beifall Leute wie er in den Sozialen Netzwerken (und vermutlich auch außerhalb dieser) für ausgesprochen dumme und beleidigende Aussagen bekommen, solange diese sich gegen das Christentum und/oder die Kirche richten. Das macht ein wenig ratlos.
Die Barmherzigen Brüder in Graz, deren Festgottesdienst zum 400jährigen Bestehen von ZDF und ORF übertragen wurde und auf diese Weise beim nichts Böses ahnend vor sich hin zappenden Christopher Lauer die Angst vor dem Gottesstaat schürte, widmen sich übrigens seit anno 1615 der Krankenpflege. Ihr Motto lautet "Gutes tun und es gut tun". Und was motiviert sie dazu, das zu tun? - Ihr christlicher Glaube. Vielleicht doch ganz gut, dass der nicht nur "Privatsache" ist.
Hallo,
AntwortenLöschenIch finde die Einlassung von Herrn Lauer auch überflüssig, vor allen Dingen, mag ich Ihn als Menschen nicht. Gerade und wahrscheinlich besonders, da er nun diesen Job bei Springer bekleidet. Aber:
Es scheint mir leider, als gäbe es bald nur noch Religioten.... Wenn irgendein Vollhorst twittert, es läuft ein Gottesdienst wie in sonem Gottestaat... dann hat er leider recht. Warum läuft so etwas im Fernsehen? Und dann noch im öffentlich rechtlichen.
Ich versuche gerade meinem 6-jährigen Sohnemann zu erklären, dass es keinen Weihnachtsmann gibt. Im Sommer... Fragen sie mich nicht warum. dabei spielt er an der Fernbedienung rum und schaltet zufällig den TV an und fragt mich, was diese Leute dort machen. Ich sage Gottesdienst. Und er: Was ist denn Gottesdienst... Am Ende hat er mich nur angeschaut und gesagt: Ok, ich soll nicht mehr an den Weihnachtsmann glauben, aber diese Leute treffen sich und glauben also an einen Gott, dessen Sohn, der von Toten wiedergekommen ist und an einen heiligen Geist---
Alles Klar. Dann musste ich etwas weiter ausholen. Von wegen Christen und Geschichte und Muslimen und Verfolgung und blablabla... Marx über Nietzsche.. und so weiter. Am Ende lagen wir beide lachend am Boden. Ich erzählte ihm gerade von der Episode, in der Jesus zu einer Party eingeladen wird und neuen Wein machen muss. (Jonny 20,30-31)
Nun glaubt er auch an den lieben Gott. Scientology fand er aber auch ganz lustig, wegen den Aliens...
Sehr viel schlimmer als Ekel Lauer finde ich allerdings Bloggerkollegin Claudia von der du schreibst. Sie erinnert mich doch stark an einen dünnhäutigen Salafisten. Ich werde ihren Blog fortan sehr kritisch verfolgen... Wer sich so heillig fühlt, sollte darauf achten, was für Anzeigen auf seinem Blog geschaltet sind.
In diesem Sinne: Hiob 12,2:
Wirklich, ihr seid DIE Leute. Und mit euch wird die Weisheit aussterben.
Manfred
Lieber Manfred,
Löschenich möchte Ihnen einen Vorschlag machen: Versuchen Sie doch mal, sich vorzustellen, Menschen, die an Gott glauben, wären gar nicht notwendigerweise dümmer als Sie. Ich weiß, das ist viel verlangt, aber probieren Sie’s mal: Ziehen Sie in Erwägung, dass der Glaube an Gott nicht zwangsläufig durch einen Mangel an intellektueller Kapazität, an Bildung, an geistiger oder charakterlicher Reife verursacht wird. Stellen Sie sich vor, dass es Menschen gibt, die sich mit der Frage „Gibt es einen Gott?“ mindestens so ernsthaft und kritisch auseinandergesetzt haben wie Sie – und dabei lediglich zu einem anderen Ergebnis gekommen sind als Sie. Könnte ein interessantes Gedankenexperiment sein. Falls Sie danach die eine oder andere Ihrer obigen Aussagen revidieren möchten, teilen Sie es mir gern mit.
Wer niederrheinische Orte nicht richtig schreibt, ist sowieso nicht satisfaktionsfähig!
LöschenManfred G - ich bin des Christentums völlig unverdächtig, da vor Jahren ausgetreten. Aber über christliche Gottesdienste im Fernsehen kann und mag ich mich keinesfalls echauffieren. Man kann die christliche Theologie absurd finden, man kann sich verwundert fragen, warum alle diese Leute sich freiwillig Sonntagmorgen aus dem Bett wälzen, um ein langweiliges Ritual über sich ergehen zu lassen...alles legitim. Aber: dass das Ritual dann im Fernsehen gesendet wird, müssen wir aushalten, genauso, wie wir Formel 1-Übertragungn und GNTM aushalten müssen. So ist das nun mal in einer pluralistischen Gesellschaft, deren Fernsehprogramme genau das widerspiegeln. Das kann der Herr Sohn sicherlich auch verstehen. :-)
AntwortenLöschenDie Erklärung für das Verhalten von Herrn Lauer sehe ich in seiner ADHS-Erkrankung; das Verhalten ist doch ganz typisch dafür, oder? Also lasen wir Milde walten und beten wir für ihn.
AntwortenLöschen