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Dienstag, 14. Juli 2015

Anröchter Stein ist ein bestimmter Kalkstein

...oder: Arbeiten bei der Märkischen Allgemeinen eigentlich auch richtige Journalisten? 

Im Landkreis Havelland, der sich vom nordwestlichen Ende Berlins bis zur Landesgrenze von Sachsen-Anhalt erstreckt, liegt die Stadt Rathenow, die von der Einwohnerzahl her ungefähr mit meiner Heimatstadt vergleichbar ist. Dort gibt es eine katholische Pfarrgemeinde, die auch das benachbarte Städtchen Premnitz umfasst und insgesamt rund 2000 Mitglieder hat. In der Pfarrkirche St. Georg wurde jüngst der Altarraum neu gestaltet, und am Sonntag war Altarweihe. Darüber berichtete tags darauf die Märkische Allgemeine Zeitung unter der Überschrift "Sankt Georg wird neu belebt" - und das Erzbistum Berlin verlinkte den Artikel auf seiner Facebook-Seite. Sonst hätte ich ihn wohl kaum je zu Gesicht bekommen.  

Noch oberhalb der eigentlichen Überschrift springt den Leser die Information "Umbau kostete 50.000 Euro" an. Na toll, dachte ich, da gibt es eine Altarweihe, aber die Presse interessiert sich vor allem für die Kosten. Ich sollte jedoch bald feststellen, dass das nicht der entscheidende Mangel dieses Presseberichts war. 

Wie bereits erwähnt, habe ich lange genug in einer Stadt von der ungefähren Größe Rathenows gelebt und habe daher gewisse Erfahrungen damit, wie an solchen Orten Pressearbeit gemacht wird. Die Lokalredaktionen auf dem platten Land sind unterbesetzt und schlecht ausgestattet, und auch wenn so gut wie nie wirklich was Großes passiert: irgendwie muss man ja doch jeden Tag die Zeitung (bzw. den Platz zwischen den Anzeigen) füllen. Man berichtet also über allerlei Nachbarschafts-Klein-Klein, und dummerweise gewöhnen sich die Leser daran und erwarten genau dies von ihrer Lokalzeitung. Da die wenigen Redaktionsmitglieder aber nicht überall sein können, sind sie in ihrem Berufsalltag auf die Zuarbeit so genannter 'freier Mitarbeiter' angewiesen. Das können Schüler sein, Rentner, Hausfrauen, aber auch Lehrer oder andere Beschäftigte des Öffentlichen Dienstes. Und zu den Terminen, zu denen niemand Zeit und/oder Lust hat, schickt man eben irgendwen. Zur Altarweihe in St. Georg zu Rathenow schickte die Märkische Allgemeine Norbert S.

Ich muss betonen, dass ich den Mann überhaupt nicht kenne. Ich weiß nicht, was er sonst so macht, wenn er nicht gerade Artikel für die Märkische Allgemeine schreibt. Wahrscheinlich ist er ein grundanständiger Rathenower Bürger, ein ehren-, wenn nicht sogar liebenswertes Mitglied der Gesellschaft. So viel kann man aber doch sagen, dass seine Liebe zum geschriebenen Wort eher eine unerwiderte Liebe ist. -- Den einleitenden Absatz seines Berichts beginnt Herr S. mit einem etwas geschraubten Plusquamperfekt:
"Die katholische Kirchengemeinde St. Georg in der Friesacker Straße hatte am Sonntag zu einem festlichen Programm mit Gottesdienst geladen." 
Hatte geladen? Am Sonntag? Oder vielleicht doch eher zum oder für den Sonntag, denn da sollte der Festgottesdienst ja schon stattfinden, da wäre es sicherlich ratsam, die Einladung nicht erst am selben Tag auszusprechen. Auch könnte man über die Gewichtung zwischen "Gottesdienst" und "festlichem Programm" diskutieren, also was davon nun Bestandteil wovon sei bzw. was Haupt- und was Nebensache. Aber mal weiter im Text. Im nächsten Satz verrät Herr S. seinen Lesern den Anlass der Feier, aber den kennen wir ja nun schon. Gleich darauf entgleist dem Hobbyjournalisten erst-, aber nicht letztmals komplett die Syntax:
"Zelebriert wurde am Wochenende die Altarweihe von Weihbischof Matthias Heinrich im Rahmen der Eucharistiefeier." 
Ich sag mal so: In den Unterrichtsmaterialien für meine Deutsch-Nachhilfeschüler nennt man so etwas "Umstellprobe". Man verschiebt einfach mal spaßeshalber alle Satzglieder (bis auf das Prädikat) woanders hin, als wo sie normalerweise stehen würden. Was die Kinder dabei lernen sollen, ist, dass der Satz dann immer noch grammatikalisch korrekt ist, vorausgesetzt, das Prädikat bleibt an der richtigen Stelle. Die Verständlichkeit des Satzes kann unter so einer Umstellung allerdings erheblich leiden. Hier zum Beispiel kann der Leser sich am Ende nicht mehr ganz sicher sein, ob der Bischof den Altar geweiht hat oder vielleicht doch der Altar den Bischof. 
„Kirchen sind Treffpunkte auf Pilgerwegen“, sagte der Weihbischof zu den Besuchern des Gottesdienstes „und ihre Altäre Tische, um die wir uns versammeln“. 
Na gut, irgend sowas in der Art wird Weihbischof Heinrich schon gesagt haben, ist ja auch nichts verkehrt dran. Vermutlich hat er auch noch Anderes, weniger Banales gesagt, aber man will seine Leser ja nicht überfordern (beliebte Ausrede von Presseleuten, wenn sie selbst überfordert sind). Lassen wir also die Theologie beiseite und wenden uns wieder dem physischen Geschehen zu. 
"Später bedeckte er den neuen Altartisch der St. Georg-Kirche mit einem schlichten weißen Tuch, auf dem eine Blume gestellt wurde." 
Huch! Die arme Blume! Was hat sie denn verbrochen, dass sie gestellt werden musste? Und das auch noch auf dem Altar! Allzu sehr scheint dieser Zwischenfall, der bei genauerem Hinsehen vielleicht doch nur eine Verwechslung von Akkusativ und Dativ war, die Feier aber nicht gestört zu haben, denn: 
"Der Kirchchor sang dem Anlass gebührend festliche Lieder."
Da kann man nur sagen: Vorsicht beim Gebrauch von Adverbien! Sind die Lieder dem Anlass gebührend, dann bräuchte man hier ein Adjektiv, es müsste also "gebührende" heißen. Sind sie aber gebührend festlich, dann benötigt der "Anlass" eine Präposition: "zu diesem Anlass", "für diesen Anlass" - "anlässlich dieses Anlasses" wäre vielleicht schon wieder zu maniriert. - Soll der Satz jedoch aussagen, die Tatsache, dass festliche Lieder gesungen worden seien, sei "dem Anlass gebührend", dann ist er grammatikalisch korrekt, klingt aber trotzdem irgendwie doof. "Entsprechend" oder "angemessen" hätte hier besser, weil natürlicher geklungen. 
"Im Anschluss an den Gottesdienst traf sich die Gemeinde mit ihren Gästen im Kirchgarten, wo mit Sekt auf den neuen Altar angestoßen wurde." 
Bloß gut, dass die Sektflasche nicht gleich gegen den Altar geworfen wurde... 
"Es gab etwas zu essen" 
- na, da hat sich der Besuch der Veranstaltung ja richtig gelohnt, auch und gerade für den Mann von der Presse! -
"und die Mädchen und Jungen des katholischen Kindergartens führten" 
- na was wohl?
" ein Programm auf." 
Ah ja. - Nun aber mal zum Altar, denn um den geht es ja schließlich! 
"Die künstlerische Vorstellung des neu geschaffenen Altarraums übernahm am Nachmittag Robert M. Weber. Der Künstler aus Grafingen bei München hatte den 2014 von der Kirchengemeinde ausgerufenen Wettbewerb für die Neugestaltung des Altarraums unter 30 Teilnehmern gewonnen."
Muss anstrengend gewesen sein, den Altarraum unter 30 Teilnehmern neu zu gestalten. Was hatten die da überhaupt zu suchen?
"Daraufhin wurde er mit der Ausführung beauftragt." 
Fair enough.
"Eine siebenköpfige Jury um Pfarrer Bernhard Scholtz hatte im vergangenen Jahr den Entwurf von Robert M. Weber zu den [!] besten des Wettbewerb [!] gewählt." 
Nee, das kommentiere ich nicht, das lasse ich so stehen. 
"Weber überzeugte die Jury mit schlichter Eleganz." 
Hat er sich wohl einen schicken Anzug angezogen zur Präsentation. Clever. Aber auch sein Entwurf scheint überzeugt zu haben:
"Pfarrer Scholtz lobte damals [!], dass damit ein ruhiges Gesamtbild vermittelt werden kann." 

Und genau das brauchen wir ja in der Kirche - ein ruhiges Gesamtbild. Wie las ich erst kürzlich auf Facebook: "Eine gute Bekannte von mir formulierte ihre [...] Haltung gegenüber Gottesdiensten´mal so: 'Ich erwarte eigentlich nur, dass ich da nicht einschlafe' - da hätte sie in vielen Gottesdiensten schlechte Chancen." -- Indirekte Rede kann Herr S. übrigens offenbar auch nicht. Aber das nur am Rande. Wie sieht er denn nun aus, der neu gestaltete Altarraum? 
"Ein 7,20 Meter hohes Retabel" - 
(bemerkenswert, dass dieser terminus technicus nicht erläutert wird, aber vielleicht wusste Herr Stein einfach nicht, wie er das erläutern soll) -
"zeigt eine zeitgenössische Kreuzdarstellung" - 
(Erschrecken Sie nicht. Herr S. meint vermutlich zeitgemäß -- was auch immer man sich darunter nun wieder vorzustellen hat.)
"und belebt den Sakralbau mit kraftvollen und energiegeladenen Grüntönen." 
Belebend, kraftvoll energiegeladen - und das ergibt dann "ein ruhiges Gesamtbild". Interessant, die Rathenower Farbenlehre.
"Die Neugestaltung fügt sich gut ein in die Farbigkeit der vorhandenen Substanz der Kirche. Altar, Ambo und Tabernakelstele aus schimmernden [!] Anröchter Stein fertigte der Künstler in einer Werkstatt eines ortsansässigen Unternehmens in Rathenow. Anröchter Stein ist ein bestimmter Kalkstein." 
Na, ein Glück! Man stelle sich vor, der Altar wäre aus unbestimmtem Kalkstein gebaut worden! 
"Die Neugestaltung des Altarraumes hat der [!] Gemeinde mehr als 50.000 Euro gekostet. Möglich wurden die umfassenden Arbeiten durch die Unterstützung des Erzbistums Berlin und des Münchener Vereins Ausstellungshaus für christliche Kunst. Neu gestaltet wurde der Altarraum, weil seine bisherige Ausstattung aus den 70er-Jahren nicht mehr den Zukunftsansprüchen der Gemeinde St. Georg genügte." 

Ach, guck an: Die Gemeinde St. Georg hat Zukunftsansprüche! Fragt sich lediglich, auf was für eine Zukunft die Gemeinde Anspruch erhebt. Den Bildern nach zu urteilen, die das Erzbistum Berlin auf Facebook geteilt hat, handelt es sich um eine Zukunft, in der der Altarraum einer Kirche den Charme einer Badeanstalt versprüht und in der der Tabernakel aussieht wie eine Osterinselskulptur, die einen Astronauten darstellt (Erich von Däniken, übernehmen Sie!). Das gefällt, wie Kommentare auf Facebook zeigen, nicht Jedem: "Meine Güte, wie hässlich und uninspirierend!", liest man da, und: "Und inwiefern ist die Neugestaltung jetzt zukunftsfähiger?". Auch Norbert S.' zwar exponierte, aber noch nicht einmal explizit kritische Erwähnung der Kosten von 50.000 Euro fällt bei den Facebook-Nutzern auf fruchtbaren Boden: "Was hat daran fünfzigtausend Euro gekostet? Ganz schön viel Geld für ein bisschen Stein und Farbe!" - "So teuer, und dann auch noch Mädchen als Ministranten!" - "Mein Fazit: 50.000,00 € rausgeschmissenes Geld!" Es wird sogar der Bildbeweis angetreten, dass die Kirche vor dem Umbau schöner war. Aber um die Kirche der Zukunft zu schaffen, muss man eben Opfer bringen. Und zum Trost der Unzufriedenen sei gesagt: Wenn man sich so die Entwürfe ansieht, hätte es noch sehr viel schlimmer kommen können...


3 Kommentare:

  1. Welch wonniges Wortweben und man will mittun:

    "aber man will seine Gemeinde ja nicht überfordern (beliebte Ausrede von Pastoralleuten, wenn sie selbst überfordert sind)".

    Und dann gibt´s auch noch " Badeanstalt" - löblich! http://thomassein.blogspot.de/2013/06/spulstein.html

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  2. Die Kirche war vor dem Umbau häßlich und ist es nach dem Umbau immer noch. Der einzige Unterschied besteht darin, daß sie vor dem Umbau häßlich-trist und nach dem Umbau häßlich-bunt ist.

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  3. Köstlich, der Kommentar! Er hilft einem die nackte Wirklichkeit leichter zu ertragen... Immerhin!

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