Mittwoch, 26. November 2014

Was ist eigentlich "Fundamentalismus"? (Und vor allem: was nicht?)

Ich deutete es jüngst schon einmal an: Immer mal wieder widerfährt es mir, dass ich - v.a. im Zusammenhang mit meinem Blog und/oder meinen Aktivitäten in sozialen Netzwerken - als "christlicher Fundamentalist" eingestuft werde. Eine Einschätzung, die mich zunächst beträchtlich irritiert hat, ist doch Fundamentalismus - so, wie ich den Begriff verstehe - etwas, das ich von jeher entschieden ablehne. - Der Punkt ist jedoch: Andere verstehen den Begriff offenkundig anders. Wenn ich mir ansehe, was für Positionen in öffentlichen oder auch privaten Debatten als "fundamentalistisch" eingestuft werden, dann ist da schon so Manches dabei, womit ich mich voll und ganz identifizieren kann - sodass ich manch Einem, der mich einen Fundamentalisten schimpft, ehrlicherweise wohl gar nichts Anderes erwidern könnte als: "Stimmt. So einer bin ich." 

Wenn ich also nach eigenem Verständnis dem Fundamentalismus ausgesprochen fern stehe, nach dem Verständnis Anderer aber ein waschechter Fundi bin, dann scheint da demnach ein ganz erhebliches Begriffswirrwarr zu herrschen. Und nun müsste ich wohl kein staatlich geprüfter Klugscheißer sein, wenn mich das nicht veranlassen sollte, der Sache einmal ein wenig auf den Grund zu gehen. 

Ich erinnere mich, den Begriff "Fundamentalismus" in den 80er Jahren fast ausschließlich in zweierlei Kontexten gehört zu haben: im Zusammenhang mit den nicht enden wollenden Flügelkämpfen zwischen "Fundis" und "Realos" bei den Grünen; und im Zusammenhang mit dem Islam, hier insbesondere bezogen auf das Mullah-Regime im Iran und auf von diesem geförderte Terrororganisationen wie die Hisbollah. In meinen Teenagerjahren schnappte ich dann aber irgendwie, und zwar vermutlich im Zusammenhang mit meinem in diesen Jahren ausgesprochen ambivalenten Verhältnis zu evangelikalen Freikirchen, doch auf, dass der Begriff ursprünglich in einem christlichen Kontext geprägt worden war. 

Und dann besuchte ich eines Tages meine Schwester und meinen Schwager in Gießen, wo mein Schwager damals an der Freien Theologischen Akademie (heute: Freie Theologische Hochschule) studierte. Die FTA stand damals im Ruf, eine ausgesprochene Fundamentalisten-Kaderschmiede zu sein; und als am Frühstückstisch die Rede davon war, dass mein Schwager in diesem Semester eine Vorlesung über Fundamentalismus besuche, konnte ich mir den Scherz nicht verkneifen: "Wieso, wird bei euch auch noch was Anderes gelehrt?" -- Ich ging dann aber trotzdem mit zu der Vorlesung, und sie war ausgesprochen interessant. 

Was ich in dieser Vorlesung lernte und bis heute behalten habe, wird übrigens auch im einschlägigen Wikipedia-Artikel in den wesentlichen Punkten bestätigt. So zum Beispiel, dass der Begriff "Fundamentalismus" zu Beginn des 20. Jahrhunderts entstand und sich zunächst auf die von dem US-amerikanischen Erweckungsprediger Reuben Archer Torrey herausgegebene Schriftenreihe The Fundamentals - A Testimony to the Truth bezog - eine Schriftenreihe, die das Ziel verfolgte, die ewigen Wahrheiten des christlichen Glaubens gegen die liberale Theologie jener Zeit zu verteidigen. Jene Glaubensaussagen, die in den Fundamentals als unveräußerliches Glaubensgut des Christentums hervorhoben, fasste die Generalkonferenz der presbyterianischen Kirche im Jahre 1910 in folgenden fünf Punkten zusammen:

- die Irrtumslosigkeit und Autorität der Bibel
- die Gottheit Jesu Christi
- die Jungfrauengeburt und Wunder
- Jesu Tod für die Sünden der Menschen
- Seine leibliche Auferstehung und Wiederkunft.

Nun gut: Wenn man das so liest - und dabei den ersten Punkt vorläufig mal einklammert und mit einem Fußnoten-Sternchen versieht, auf das wir dann auch in Kürze zurückkommen wollen -, dann kann man zu dem Schluss kommen: Das alles glauben Katholiken doch auch. Andersherum könnte man sich fragen, woran denn ein nicht-fundamentalistischer Christ glaubt. Oder anders ausgedrückt: inwieweit jemand, der diese fünf Punkte nicht anerkennt, überhaupt als Christ zu bezeichnen sei. Aber wir haben ja erst kürzlich gelernt, dass "Alles, was sich so nennt, [...] das Christentum" ist und dass es falsch wäre, "festlegen zu wollen, was rechtmäßig dazu gehört und was nicht". Lassen wir diesen Punkt also getrost erst einmal außen vor und bleiben vorerst bei der Frage: Sind wir etwa alle Fundamentalisten? - Nein, sind wir nicht. Dankenswerterweise betont Wikipedia, das Kriterium der Zustimmung zu den genannten fünf Punkten "genüg[e] nicht, um den christlichen Fundamentalismus trennscharf zu definieren", und hebt als definitorisches Kennzeichen des Fundamentalismus "eine biblizistische Auslegung der Bibel" hervor. -- Biblizistische Bibelauslegung, das klingt etwas tautologisch und fast schon absurd. Ist es aber nicht. Natürlich ist die Bibel auch für Katholiken und Angehörige anderer nicht-protestantischer Konfessionen die Grundlage der christlichen Glaubenslehre; dem Protestantismus eigen ist hingegen der Grundsatz sola scriptura, der darauf hinausläuft, nur solche Glaubenslehren anzuerkennen, die sich aus dem Wortlaut der Bibel erschließen lassen. Der Biblizismus wiederum ist gewissermaßen eine verschärfte Form des Sola-scriptura-Prinzips, indem er - abermals laut Wikipedia - "alle oder nahezu alle Texte der Bibel im Wortsinn zu verstehen behauptet", weshalb ihre Aussagen "auch als historische oder naturwissenschaftliche Aussagen nicht anzweifelbar" seien.

In diesem Sinne ist der Fundamentalismus ein genuin protestantisches Phänomen, und so habe ich den Begriff auch immer verstanden. Dennoch ist in jüngerer Zeit verstärkt auch von einem katholischen Fundamentalismus die Rede. Dagegen wäre einzuwenden, dass die "Ultras" innerhalb der Katholischen Kirche, auf die dieser Begriff gern angewandt wird, in der Hauptsache Traditionalisten sind; hingegen ist der Fundamentalismus protestantisch-evangelikaler Prägung entschieden anti-traditionalistisch. "Tradition" ist dem evangelikalen Fundamentalisten ein Buh-Wort, das alles umfasst, was sich im Laufe der Jahrhunderte in die christliche Lehre und Praxis "eingeschlichen" habe, ohne biblisch fundiert zu sein. Ein gutes Bild von dieser Auffassung kann man sich machen, indem man - beispielsweise auf Facebook - die Kommentare zu solchen Meldungen des evangelikalen Nachrichtenportals Idea liest, in denen es um die Katholische Kirche oder gar um Annäherungen zwischen Katholiken und Evangelikalen geht. Da kommen sie regelmäßig aus ihren Löchern, die Bibel-Fundamentalisten, und lamentieren lang und breit, mit Katholiken könne und dürfe man sich nicht gemein machen, weil die ja lauter Sachen glauben, die nicht in der Bibel stehen (und deshalb keine richtigen Christen sind). Erscheint der Begriff eines katholischen Fundamentalismus somit als Widerspruch in sich, so stößt man dennoch zuweilen auf die Argumentation, der katholische Traditionalismus sei auch eine Art von Fundamentalismus, nur dass er eben anstelle des Wortlautes der Bibel eher die kirchliche Tradition als sein "Fundament" ansähe. -- Nun gut, so kann man argumentieren. Man kann auch behaupten, alle Säugetiere wären im weitesten Sinne Kühe oder alle Farben wären irgendwie blau. Die Frage ist nur, wie sinnvoll derartige Behauptungen sind. Ich möchte hier auf eine Passage aus Max Goldts bemerkenswertem Essay "Adjektive und Eklats" (2001) verweisen:
"Ja, lieber Herr Stockhausen, Sie sind ja von einer Zeit geprägt worden, in der erweiterte Begriffe modisch waren [...], und insofern ist mir Ihr erweiterter Kunstbegriff durchaus verständlich, wenngleich ich selbst ein Anhänger der Einengung von Begriffen bin, denn wenn man sie zu sehr erweitert, verlieren sie ihre Bedeutung." (Quelle: Max Goldt, Wenn man einen weißen Anzug anhat. Taschenbuchausgabe Reinbek bei Hamburg 2004, S. 32)
Denjenigen, die den Begriff "Fundamentalismus" lediglich als negativ besetzten Kampfbegriff verwenden, kann das natürlich egal sein, oder besser gesagt: Ihnen kann eine möglichst weite Definition des Begriffs nur recht sein, wenn es darum geht, christlich motivierte Stellungnahmen in öffentlichen Debatten möglichst umfassend zu delegitimieren. Die Bezeichnung "Christ" mag sich auf Berliner Schulhöfen mit hohem muslimischen Schüleranteil als Schimpfwort eignen, aber gesamtgesellschaftlich mehrheitsfähig ist die Auffassung, Christ zu sein sei per se etwas Schlechtes, wohl (noch) nicht. Da ist es praktisch, wenn man auf die eindeutig negativ besetzte Vokabel "Fundamentalist" zurückgreifen kann, wenn es gilt, Christen zu diffamieren, für die ihr Glaube nicht nur "Privatsache" ist, sondern die es wagen, ihn in die Öffentlichkeit zu tragen. Wie weit sich der Fundamentalismus-Begriff ausdehnen lässt, dafür habe ich jüngst auf einem Berliner Antifa-Portal ein illustratives Beispiel gefunden: In einem zugegebenermaßen nicht mehr ganz brandaktuellen Artikel über ein christliches Sommerfest auf dem Tempelhofer Feld wird vor "evangelikalen, also fundamentalistischen Christ_innen" gewarnt - denn diese "betrachten die Bibel - zum Teil wortwörtlich - als Grundlage des Lebens". Schockschwerenot! Was meine viellieben "Freunde" von der Antifa hier höchstwahrscheinlich meinen, ist "die Bibel als Maßstab oder Richtschnur für das (eigene) Leben betrachten" - und das kann ich für Christen, egal ob evangelikal-fundamentalistisch oder nicht, nicht so ungewöhnlich finden: Die Bibel als irgendetwas Anderes betrachten, z.B. als beeindruckendes Stück Literatur, als bedeutendes geistes- und kulturgeschichtliches Dokument oder einfach als interessante Lektüre - kann man schließlich auch ganz unabhängig von der Religionszugehörigkeit, sogar als Agnostiker oder Atheist. Nun aber auch noch "zum Teil wortwörtlich"?! - Sehr schön finde ich hier die Einschränkung "zum Teil". Ein vollkommen wortgetreues Bibelverständnis wird den Fundamentalisten hier demnach nicht attestiert. Das heißt: Sollte ich mich mal dazu versteigen, ein Hemd aus 50% Baumwolle und 50% Polyacryl anzuziehen, und dies trotz des eklatanten Verstoßes gegen Leviticus 19,19 nicht beichtwürdig finden, würde mich das noch nicht zwingend als Nicht-Fundamentalisten kennzeichnen. Auch kenne ich trotz des Jesuswortes "Wenn dich dein rechtes Auge zum Bösen verführt, dann reiß es aus und wirf es weg!" (Mt 18,9) auffallend wenige einäugige Fundamentalisten - ja, ich glaube sogar sagen zu können: keinen einzigen.

Dennoch ist die Aussage, Fundamentalisten verstünden die Bibel "zum Teil wortwörtlich", in dieser Allgemeinheit sinnlos, da sie nichts aussagt. "Zum Teil" verstehen, das wage ich zu behaupten, alle Christen die Bibel wortwörtlich, und nicht wenige Nichtchristen noch dazu - und sei es nur, weil die Bibel zum Teil nachprüfbare historische Fakten referiert. Aber darum geht es nicht; es geht vielmehr darum, ob, in welchem Umfang und zu welchem Grad Glaubensaussagen aus der Bibel als verbindlich und wahr betrachtet werden. Und da gibt es natürlich erhebliche Unterschiede, sowohl zwischen den verschiedenen christlichen Konfessionen als auch innerhalb dieser.

Nehmen wir einmal den Missionsauftrag Jesu: "Geht zu allen Völkern und macht alle Menschen zu meinen Jüngern" (Mt 28,19). Jahrhundertelang haben Christen verschiedener Konfessionen diesen Auftrag ausgesprochen ernst genommen und sich redlich beflissen, ihn möglichst wortwörtlich zu erfüllen. Damit haben sie sich von jeher nicht ausschließlich und überall Freunde gemacht - zahllose Märtyrer der Kirche könnten davon ein Lied singen. In jüngerer Zeit jedoch greift selbst innerhalb der christlichen Kirchen der Gedanke um sich, das Ansinnen, Menschen, die mit ihrem angestammten nichtchristlichen Glauben oder auch mit ihrem Unglauben ganz zufrieden sind, den eigenen Glauben "aufdrängen" zu wollen, sei ein unfreundlicher, wenn nicht gar aggressiver Akt, ja womöglich gar ein Verstoß gegen das zentrale Gebot der Nächstenliebe. Wenn das, wie gesagt, schon von Christen so gesehen wird, muss man sich nicht darüber wundern, wie die Berliner Antifa es sieht:
"Dass sich deutsche Christ_innen anmaßen, in afrikanischen und südamerikanischen Ländern das Christentum verbreiten zu dürfen [!] und zu müssen, ist eine neokoloniale Variante der Missionierung [...]. Geflissentlich wird hier übersehen, dass die Armut in afrikanischen Ländern eine Folge der kolonialen Ausbeutung ist und weiter aufrecht erhalten wird durch neokoloniale Machtstrukturen." 
Ist es demnach "fundamentalistisch", den Missionsauftrag Jesu befolgen zu wollen? Und ob! Das findet nicht nur die Antifa, sondern - beispielsweise - auch die Berliner Zeitung, die jüngst über die "umstrittene Spendenaktion" Weihnachten im Schuhkarton berichtete. In diesem Bericht wird der "evangelikal-freikirchliche[n] Organisation", die hinter dieser Spendenaktion steht, vorgeworfen, dass sie "den Missionierungsgedanken verfolgt" - und zwar, indem bedürftigen Kindern im Rahmen dieser Aktion nicht nur Kleidung, Süßigkeiten, Spielzeug und Hygieneartikel beschert werden, sondern auch "sogenannte Bibelhefte", die "die christliche Botschaft" transportieren sollen. Und das zu Weihnachten! (Einen pointierten Kommentar zu diesem Zeitungsartikel gibt es hier.) Nun ist man von der Berliner Zeitung zwar nicht viel Anderes gewohnt; bedenklich fand ich es jedoch, dass das Erzbistum Berlin diesen Artikel mit offenkundiger Zustimmung auf Facebook und Twitter verbreitete. Dass das Erzbistum bei dieser Gelegenheit dann gleich damit warb, statt für Weihnachten im Schuhkarton lieber für das bischöfliche Hilfswerk Adveniat zu spenden, erweckt zwar den unschönen Eindruck eines schmutzigen Konkurrenzkampfes um "Marktanteile" im vorweihnachtlichen Wohltätigkeitsbusiness, aber immerhin: "Fundamentalismus" kann man Adveniat gewiss nicht vorwerfen. Die diesjährige Aktion des Werks steht unter dem knalligen Motto "Ich will Zukunft!", und insgesamt findet man auf der Adveniat-Homepage zwar sehr viel darüber, "eine bessere Welt" aufzubauen, muss aber lange suchen, bis irgendwo mal von Gott oder gar von Jesus Christus die Rede ist.

Das auch im Artikel der Berliner Zeitung als Kronzeuge für die katholische Kritik an Weihnachten im Schuhkarton aufgerufene Bistum Trier geht derweil so weit, seine Warnung vor dieser Spendenaktion in der Rubrik "Sekten" (!) seiner Website unterzubringen. Dort wird denn auch direkt Kritik an der "Missionierung von Angehörigen nichtchristlicher Religionen" geübt und betont: "Stattdessen fördert das Bistum Trier den Dialog der Religionen und ein konstruktives gemeinsames Engagement der Weltreligionen für Frieden, Gerechtigkeit und die Bewahrung der Schöpfung." Anscheinend wird irgendwo in Trier ein seltenes Exemplar des Matthäusevangeliums aufbewahrt, in dem die oben zitierte Passage lautet "Macht alle Menschen zu meinen Jüngern, mit Ausnahme derer, die schon eine andere Religion haben".

Des Weiteren verweist das Bistum Trier auf seine "lange und vertrauensvolle ökumenische Zusammenarbeit" mit "vielen christlichen Kirchen und Gemeinden" - allerdings ausdrücklich nur mit solchen, bei denen es sich "nicht um christliche Fundamentalisten handelt". Was uns nun wieder auf die weiter oben vorerst zurückgestellte Frage verweist: Was hat man sich unter einem nicht-fundamentalistischen Christen vorzustellen? Und siehe, in dieser Frage ist sogar die Berliner Antifa klüger als das Bistum Trier, denn sie erkennt: "Dabei stellen die Positionen der Evangelikalen jedoch immer nur die konsequente Fortführung von nicht-fundamentalistischen Ansichten dar." Pointiert zusammengefasst heißt das: Der Unterschied zwischen christlichen Fundamentalisten und "normalen" Christen besteht darin, dass die Fundamentalisten ihren Glauben ernst nehmen und tatsächlich danach leben (oder zu leben versuchen). Die Katholische Kirche wäre eigentlich gut beraten, dieser Überdehnung des Fundamentalismusbegriffs zu widersprechen. Sich vom eigentlichen, eingangs skizzierten Fundamentalismus protestantisch-evangelikaler Prägung abzugrenzen, hat sie schließlich gute (nämlich theologische) Gründe; aber darauf wird gar nicht eingegangen, stattdessen wird ein inhaltlich unscharfer Fundamentalismusbegriff unreflektiert übernommen und so der (auch in anderen Zusammenhängen zuweilen nicht ganz von der Hand zu weisende) Eindruck erweckt, das 'Establishment' der Katholischen Kirche könne mit etwas überdurchschnittlich glaubenseifrigen Christen, die ihren Glauben nötigenfalls auch kämpferisch bekennen, gar nichts anfangen bzw. betrachte sie eher als Bedrohung für seinen bequemen gesellschaftspolitischen status quo. -- Was das konkrete Beispiel Weihnachten im Schuhkarton betrifft, ist freilich einzuräumen, dass es sich bei den Initiatoren dieser Spendenaktion wohl tatsächlich, also auch im eigentlichen, engeren Sinn um Fundamentalisten handelt - laut Berliner Zeitung wird die Aktion "in enger Kooperation mit dem christlich-fundamentalistischen Missionswerk 'Samaritan's Purse' aus den USA" organisiert, das von dem einst als "Maschinengewehr Gottes" bekannten Baptistenprediger Billy Graham gegründet wurde und heute von dessen Sohn geleitet wird. Ob die theologischen Differenzen, die die Katholische Kirche mit diesen Akteuren zweifellos hat, ein zwingender Grund sind, ihre Weihnachtsaktion nicht nur nicht zu unterstützen, sondern sich sogar scharf von ihr zu distanzieren, wird nicht ansatzweise diskutiert; stattdessen werden ihre missionarischen Aktivitäten, und ihr caritatives Engagement gleich mit, in Bausch und Bogen verdammt und verdächtig gemacht. Derartige reflexartige Abwehrreaktionen katholischer Institutionen gegen alles, was nach "Fundamentalismus" oder "religiösem Extremismus" riecht oder von dritter Seite in diesen Geruch gebracht wird, sind letztlich zu nichts Anderem gut als dazu, der Lauheit Vorschub zu leisten. Es sei mir daher erlaubt, mit einigen stets beherzigenswerten Versen aus der Offenbarung des Johannes (Offb 3,15-16) zu schließen:

"Ich kenne deine Werke. Du bist weder kalt noch heiß. Wärest du doch kalt oder heiß! Weil du aber lau bist, weder heiß noch kalt, will ich dich aus meinem Mund ausspeien."

(Aber das darf man wohl auch nicht so ernst nehmen. Zumindest, wenn man nicht als Fundamentalist gelten will...) 







Dienstag, 25. November 2014

Wie viele Flüchtlinge beherbergt der Vatikan?

Seit der Abwehrkampf der syrischen und irakischen Kurden gegen die Terrormilizen des sogenannten "Islamischen Staats" (IS) in aller Munde ist, muss ich immer mal wieder an ein Interview mit einem kurdischen Kulturwissenschaftler denken, das ich vor Jahren mal in der taz las. In diesem Interview sagte ebenjener kurdische Kulturwissenschaftler - an dessen Namen ich mich leider nicht mehr erinnere - sinngemäß: "Was die Deutschen über die Kurden wissen, das wissen sie in der Regel von Karl May" - fügte jedoch hinzu: "Man muss allerdings zugeben, dass das gar keine so schlechte Quelle ist." 

Gemerkt habe ich mir diese Äußerung vor allem, weil der Karl-May-Fan in mir sich über dieses wohlwollende Urteil aus berufenem Munde freute. Gleichzeitig und andererseits gibt es aber auch zu denken, dass - über 130 Jahre, nachdem die ersten Fortsetzungen von Karl Mays Reise-Abenteuern in Kurdistan im Deutschen Hausschatz erschienen, und über 120 Jahre nach der ersten Buchausgabe von Durchs wilde Kurdistan - die Werke des phantasievollen sächsischen Abenteuerschriftstellers noch immer die wichtigste Quelle sind, aus der die Deutschen etwas über die Kurden erfahren. Erstaunlich ist das vor allem, wenn man bedenkt, wie viele kurdische Familien zum Teil schon seit Jahrzehnten in Deutschland leben - Schätzungen zufolge handelt es sich um zwischen 500.000 und 800.000 Personen. Bis 1973 kamen ca. 400.000 Kurden als Arbeitsmigranten aus der Türkei in die Bundesrepublik, später folgten Asylsuchende aus dem Iran (seit der Islamischen Revolution 1979), der Türkei (nach dem Militärputsch 1980 und erneut im Zuge des militärischen Vorgehens des türkischen Staates gegen die kurdische PKK ab 1984) und dem Irak (v.a. nach dem Giftgasangriff auf Halabdscha 1988). Ab Ende der 1990er Jahre stieg die Anzahl kurdischer Asylsuchender in Deutschland erneut erheblich an. 

Dass diese erhebliche Zuwanderung von Kurden nach Deutschland offenbar nicht besonders viel zum Wissen der Deutschen über die Kurden beigetragen hat, ist, wie gesagt, irgendwie bedenklich - aber ich kann mich da selbst nicht ausnehmen: Zwar habe ich mich durchaus schon mal mit kurdischstämmigen Mitbürgern über Geschichte und Kultur des kurdischen Volkes unterhalten, aber weder besonders oft noch besonders intensiv. Immerhin aber gibt es in meinem persönlichen Bekanntenkreis jemanden, der sich in Kurdistan erheblich besser auskennt als der durchschnittliche Karl-May-Leser: Enno Lenze, Berliner Unternehmer, Blogger und Ex-Pirat, hat gute persönliche Kontakte zur Regionalregierung der Autonomen Region Kurdistan im Nordosten des Irak und war schon mehrfach persönlich vor Ort - zuletzt Ende Juni dieses Jahres, nachdem die IS-Milizen in die am Rande der Kurdenregion liegende zweitgrößte irakische Stadt Mossul einmarschiert waren. Zu einem Zeitpunkt also, als es wohl nur den wenigsten Menschen in den Sinn gekommen wäre, freiwillig in den Irak zu fliegen. Enno jedoch begegnete allen Einwänden mit dem Hinweis, in der irakischen Kurdenregion herrschten, im Gegensatz zum Rest des Landes, Sicherheit und Stabilität. Allerdings hielt Enno sich nicht etwa nur in der Hauptstadt Erbil auf, wo sich, wie er in seinem Blog schrieb, die Sicherheitslage nicht wesentlich von derjenigen in Berlin unterschied, sondern reiste unter dem Schutz der kurdischen Peschmerga-Armee bis an die Front bei Mossul und Kirkuk, um sich aus erster Hand über die Lage vor Ort zu informieren. Herausgekommen ist dabei unter anderem ein sehr sehenswerter Kurzfilm.

Dieser Film, und auch der Reisebericht in Ennos Blog, geht u.a. auch auf die Lage in den Flüchtlingslagern ein, in denen zahlreiche Flüchtlinge aus Syrien wie auch aus den von den IS-Milizen heimgesuchten Teilen des Irak mehr schlecht als recht untergebracht werden. "Mehr schlecht als recht" deshalb, weil es eine kaum zu bewältigende Aufgabe ist, den nicht abreißenden Flüchtlingsstrom zu bewältigen. Bis Ende Juni hatte die Autonome Region Kurdistan, die nur rd. 5 Millionen Einwohner hat, bereits mehr als eine halbe Million Flüchtlinge aufgenommen; inzwischen dürfte sich diese Zahl noch vervielfacht haben.

Um der Not der Flüchtlinge in Kurdistan abzuhelfen, initiierte bald darauf der rheinland-pfälzische Unternehmer und FDP-Nachwuchspolitiker Tobias Huch gemeinsam mit Gunter Völker, der in Erbil ein Biergartenlokal mit dem Namen "Deutscher Hof" betreibt, die Aktion "Wasser für Flüchtlinge in Kurdistan", deren Ziel es ist, die Flüchtlingslager in der Kurdenregion schnell und mit geringem organisatorischen Aufwand mit Trinkwasser zu versorgen. Zur Unterstützung dieser Spendenaktion veranstaltete Enno Lenze am 3. Oktober im von ihm betriebenen Berlin Story Bunker ein Charity-Minigolf-Turnier, und da ich fand, eine so günstige Gelegenheit, mit minimalem Aufwand etwas Gutes für die vor dem Terror des IS geflohenen Menschen in Kurdistan zu tun, bekäme ich wohl nicht so bald wieder, meldete ich mich als freiwilliger Helfer für dieses Turnier. Meine Aufgabe bestand im Wesentlichen darin, die Startgebühr zu kassieren, Minigolfschläger und -bälle auszuteilen und den Teilnehmern den Weg zu zeigen, aber wie dem auch sei, ich war ausgesprochen begeistert, dass innerhalb von nur drei Stunden genügend Geld zusammen kam, um davon rund 7.000 (!) Halbliterflaschen mit Trinkwasser in die Flüchtlingslager zu bringen.

Not amused war ich hingegen, als der gute Enno am 19. Oktober auf Facebook die Frage aufwarf: "Wie viele Flüchtlinge hat der Vatikan dieses Jahr schon aufgenommen?" Na gut, kleine Provokation, nich' böse sein. Aber als die "Likes" auf diesen Beitrag einzuregnen begannen und die ersten erwartungsgemäßen "hö, hö, hö"-Kommentare einliefen, dachte ich mir, ich sag' mal was dazu. Nämlich, dass man da wohl hinsichtlich der Fragestellung etwas differenzieren müsse. Dass das gerade mal 0,44 km² große Staatsgebiet des Vatikanstaats zur Aufnahme von Flüchtlingen wohl nur sehr begrenzt geeignet sei. Hinsichtlich der Frage jedoch, was die Katholische Kirche insgesamt für Flüchtlinge tue, verwies ich auf die Rubrik "Flucht und Migration" auf der Website von Caritas Internationalis; dort werden u.a. Projekte in Burundi, der Elfenbeinküste, dem Kongo, dem Nahen und Mittleren Osten und diversen anderen Krisengebieten vorgestellt; eine gute Informationsquelle auch für künftige Diskussionen mit dem Tenor "Die Kirche hält ja nur Sonntagsreden, tut aber nichts für die Armen der Welt, und während anderswo Leute verhungern, baden die ganzen Bischöfe und Kardinäle in Gold wie Dagobert Duck". Der bereits erwähnte Gunter Völker vom Deutschen Hof Erbil warf nun allerdings die Frage auf, was die Kirche denn "hier" - also in Kurdistan - konkret tue. Eine durchaus berechtigte Frage, schließlich sind es nicht zuletzt Christen, die vor dem IS-Terror flüchten müssen, und viele davon gehören der mit Rom unierten Chaldäisch-Katholischen Kirche an. Da liegt es nahe, zu erwarten, dass Mutter Kirche gerade diese ihre Kinder nicht im Stich lässt.

Allerdings musste ich nun auch erst einmal recherchieren, um eine kompetente Antwort auf die Frage zu finden, was die Kirche denn für die syrischen und irakischen Flüchtlinge in Kurdistan tut. Ich fand dann aber eine ganze Menge -- und möchte diese Erkenntnisse gern an meine Leser weitergeben.

Beispiel 1: Der chaldäisch-katholische Erzbischof von Erbil, Bashar Warda, beherbergt auf dem Gelände seiner Residenz rund 2.500 Flüchtlinge in Zelten und etwa ebensoviele in einem benachbarten Rohbau; die deutsche Diözese Rottenburg-Stuttgart hat Erzbischof Warda finanzielle Hilfe für den Bau winterfester Quartiere für die Flüchtlinge zugesagt, und bereits im August hat der Rottenburger Bischof Gebhard Fürst der Diözese Erbil 100.000 Euro Soforthilfe zukommen lassen.

Beispiel 2: Das Hilfswerk Kirche in Not errichtet in Erbil eine "Pater-Werenfried-Dorf" genannte Containersiedlung für 4.000 Flüchtlinge, mietet zusätzliche Unterkünfte in und um Erbil an, unterstützt den Bau von Schulen in Erbil und Dohuk und sammelt Lebensmittel für 8.000 Familien.

Beispiel 3: Die Caritas hat in Erbil einen internationalen Krisenstab eingerichtet, versorgt Tausende Flüchtlingsfamilien mit Grundnahrungsmitteln wie "Reis, Mehl, Linsen, Öl und Zucker", mit Hygieneartikeln, Bettwäsche, Kochgeschirr und anderen Gegenständen des täglichen Bedarfs und kümmert sich darum, die Flüchtlingsunterkünfte winterfest zu machen.

So weit, so eindrucksvoll. Haare in der Suppe wird man sicher trotzdem finden. Zum Beispiel warte ich im Grunde nur darauf, dass jemand mir vorrechnet, wie viele Familien in einem kurdischen Flüchtlingslager man für den Preis einer Limburger Bischofsresidenz durch den Winter bringen könnte. Oder irgendjemand wird den mordsoriginellen Vorschlag machen, die Kirche könne ja, um noch mehr Mittel für die Flüchtlingsfürsorge zu haben, den Petersdom verkaufen (aber an wen?). Nun ja, seien wir ehrlich: Es gibt so viel Elend auf der Welt, da kann man niemals zu viel tun, wahrscheinlich nicht einmal genug. Insofern kann man gern der Meinung sein, auch das, was die Kirche tut, sei "noch nicht genug". Aber keine Sorge, es steht ja jedem frei, aus seinen eigenen Mitteln noch etwas dazu zu tun. Das kann jeder, und es ist gar nicht schwer. Die Adressen einschlägiger Spendenkonten findet man mühelos im Internet, und wer mit kirchlichen Hilfswerken nichts am Hut hat bzw. Wert darauf legt, zu zeigen, dass es auch ohne die Kirche geht, kann zum Beispiel eine SMS an kurdistan-wasser.de schicken. Eine Spende von 5 Euro bringt immerhin schon wieder 50 Flaschen Trinkwasser in die Flüchtlingslager. Garantiert kirchenfrei. 

Mittwoch, 19. November 2014

Danke, danke, danke!

(Ein bisschen spät kommt er ja, dieser Beitrag, aber besser spät als nie...) 


Das waren spannende Wochen in der Blogoezese: Zum dritten Mal nach 2010 und 2012 stand die Verleihung des Schwester-Robusta-Preises an, und natürlich wurde wieder nominiert, die Werbetrommel gerührt und abgestimmt, was das Zeug hielt. Für mich war die diesjährige Robusta-Verleihung in gewissem Maße eine neue Erfahrung: Vor vier Jahren habe ich noch nicht gebloggt, vor zwei Jahren war ich noch ganz neu in diesem Metier, erfuhr von der Existenz dieses Preises erst dadurch, dass ich aus heiterem Himmel für die Newcomer-Kategorie "Frische" nominiert wurde und war entsprechend überrumpelt - erst recht, als ich dann tatsächlich eine Goldmedaille abräumte. Anno 2014 nun kann ich mich als Mitglied der Blogoezese schon einigermaßen etabliert fühlen, war aber dennoch nicht wenig geschmeichelt, dass mein Blog für fünf Preiskategorien (Qualität, Kultur, Zwerchfell, Großmaul und Trägheit) nominiert wurde. Dass es angesichts der starken Konkurrenz ein steiniger Weg werden würde, war mir klar. Aber hier und jetzt darf ich voller Stolz das Ergebnis präsentieren: 


Nun kann ich's ja verraten: Zwerchfell war genau die Preiskategorie, in der ich am meisten auf eine Auszeichnung gehofft hatte. Ja, ich mag es, wenn meine Leser Spaß haben an dem, was ich so schreibe. Und mit 38 Stimmen hinter so namhaften Blogoezesen-Größen wie JoBo72's Weblog (60 Stimmen) und Geistbraus (42 Stimmen) auf dem dritten Platz zu landen, ist nun wirklich ein schöner Erfolg! 

Wie es in den anderen Kategorien gelaufen ist, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen, da die Ergebnisse jenseits der jeweiligen Medaillenränge nicht veröffentlicht wurden; aber man soll's ja auch nicht übertreiben mit der Statistikverliebtheit. Unterm Strich bleibt mir nur zu sagen: Ganz ganz herzlichen Dank an alle, die Huhn meets Ei ihre Stimme gegeben haben - ich werde mein Möglichstes tun, dieser Auszeichnung auch fürderhin gerecht zu werden. Und ein besonders großes Dankeschön an Don Alipius und die Pimpfe für die Ausrichtung des Preises! 

Montag, 17. November 2014

Finde den Fehler...

Was die Süddeutsche Zeitung kann...


...kann ich schon lange:

Benedikt XVI. beim Spenden des Segens "veni, vidi, vici"

(Nun aber mal im Ernst: Das haben die doch mit Absicht gemacht, oder? Nach dem Motto "Mal sehen, ob's einer merkt"! Oder sollte man davon ausgehen, dass man, um in einer der größten und angesehensten deutschen Tageszeitungen über Kirchenthemen schreiben zu dürfen, nicht wissen muss, dass der Kreuzweg am Karfreitag keine Messe ist, ja, dass am Karfreitag grundsätzlich keine Messe gefeiert wird? Na ja. Das Gute ist: Nach diesem Patzer in der Bildunterschrift weiß man, dass man sich den dazugehörigen Artikel dann auch gleich sparen kann.)